Es gibt ja nun kein objektives Kriterium für "künstlerisch hochwertig".
Was künstlerisch hochwertige Musik ist, kann in der Tat nicht absolut festgelegt werden. Du, ich und viele andere haben aber eine lebenslange Vorstellung davon, was es sein könnte. Und du wirst auch schon die Erfahrung gemacht haben, dass manche Musik dir etwas sagt und andere nicht - aber dass andere Menschen von genau dieser bei dir wirkungslosen Musik gefesselt sein können. Und es gibt doch irgendwo einen Konsens, dass bestimmte Musik einen kulturellen Mehrwert bietet. Und es gibt einen weitgehenden Konsens, dass Musik Kunst sein kann, denn sie kann eine Bedeutung über ihre physische Form und die Hörsituation hinaus haben und den Menschen zu einem anderen Menschen (hoffentlich: besseren) machen.
Natürlich kann Musik auch eine industrielle Ware sein, und gerade diese Form spielt hier im Board immer wieder eine Rolle. Aber um berührende und authentische Musik zu machen, braucht man z.B. soziales Verständnis, Empathie, viel Wissen und Können, Ideen und Visionen. Dabei tritt dann die Vermarktung in den Hintergrund. Wenn das alles emotional spürbar ist in einer Live-Performance, dann würde ich schon von künstlerisch hochwertig reden.
Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass für die heutige Generation KI-erzeugte "Memes-Musik" aus Insta, Tiktok etc, mit der sie aufwächst, in ihrem Erwachsenenleben oder im Alter als Klassiker gelten, die bei ihnen echte Emotionen hervor rufen.
Ja, das ist ja jetzt schon bei Filmmusik und Gamemusik so. Auch Werbemusik der 1970er/80er Jahre ist ja teilweise legendär. Das wird auch in Zukunft nicht viel anders sein, falls es weiter so ist, das Jugendliche die gleiche Musik oft hören. Denn: es könnte ja auch so kommen, dass KI für jede Werbe-, Filmszene-, Gaming-Situation
neue Klänge produziert, z.B. in Abhängigkeit der Nebengeräusche, der individuellen Hörerfahrung, der Laune, des Blutdrucks und des Wetters. Dann würde eine Prägung wie von dir genannt nicht stattfinden.
Ein Instrument zu spielen, ist zwar als Fähigkeit beeindruckend, aber nicht entscheidend dafür, welche Emotionen die Musik hervor ruft. Man denke hier nur an Sequenzer oder Midi-programmierte Riffs oder Figuren in populären Popsongs.
Nun ja, bei Sequenzern, MIDI-Daten und Figuren in populären Popsongs hat irgendwann ein Produzent entschieden, dass hier maschinell genaue Ästhetik herrschen soll und eine menschlich unpräzise Ausführung nicht gewünscht ist. Genau deswegen sind diese Klänge aber auf Dauer ziemlich eindimensional und halten tolle musikalische Möglichkeiten von den Hörern fern.
Aufnahmen sind immer ein Kunstprodukt, bei dem Musik unabhängig vom hörenden Publikum, vom Raum in dem der Hörende sich befindet und vom Anlass produziert wird. Viel Popmusik ist auch so produziert worden, dass sie niemals für eine Live-Performance gedacht war und nur in einem Raum existieren kann, in dem maschinelle Ästhetik der Maßstab ist.
Aufnahmen sind eine Abstraktion von Musik, weil wesentliche Gestaltungsparameter, die es bei Livemusik noch gab, fest in Bits und Bytes gebrannt werden, damit ein verkaufbares Produkt entsteht. Dass die technische Perfektionierung irgendwann ihre Kinder auffrisst, finde ich jetzt auch nicht so überraschend.
Aufbrechen und verbessern kann man das nur, indem Gestaltungsparameter (Raum, Zuhörer, soziale Situation, ...) auf die entstehende Musik wieder einen Einfluss bekommen. Dazu müssen Instrumente live gespielt werden. Dabei sind alle menschlichen Musiker aufgefordert, nach Kräften die Performance-Bedingungen und ihre eigene möglichst professionelle Herangehensweise in ein einmaliges Erlebnis für die Zuhörer umzuformen. Wenn KI das kann, hätte sie die Bezeichnung einer Intelligenz verdient. Vorher nicht.