Avoid notes + primary dissonances

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In einem Thread zu den Avoid Notes habe ich die Faustregel gelernt, dass die Töne einen Halbton oberhalb der Dreiklangstöne 1, 3 und ggf. 5 zu vermeiden sind. D.h. die b2 (b9), die 4 (11) in Dur und die 3 in Moll und, sofern die Quinte im Akkord vorkommt, die b6 (b13) sind die dissonantesten Intervalle und kommen daher als Akkorderweiterungen nicht in Betracht.

Umgekehrt ergeben die Töne einen Halbton unterhalb der Dreiklangstöne durchaus schöne Reibungen (primary dissonances), also die #2 (#9) in Dur, die 2 (9) in Moll und die b5 (und zum Dominantseptakkord die 6 (13).

Aber es gibt auch Ausnahmen von der Regel: im Dominantseptakkord fungiert die b9 doch als Tension.

Weiß jemand, weshalb das so ist?

Dahinter steht wohl auch die Frage danach, welches Prinzip hinter der Geltung der Faustregel steht.

Ebenfalls im Widerspruch zur Regel steht ja, dass die b6 in Moll keine Avoid note ist.

Gruuuß,
Heiner
 
Eigenschaft
 
Ich kenne den "Avoid Notes"-Thread nicht, aber so eine Pauschalregel halte ich für Quatsch. Regeln sind dazu da, gebrochen zu werden, vor allem in der Kunst.

Man kann zum Beispiel die 2/4 hinzufügen, eine Oktave höher hinzufügen oder die Terz durch diese Noten ersetzen. Natürlich entsteht dadurch Reibung, aber wenn man die nicht will, bleiben nur reine Dur/Moll-Akkorde übrig.

Dissonanzen sind Gewürze, keine Hauptgerichte. Aber Chili con Carne ohne Chili ist nur fades Hackfleisch.

Banjo
 
Hallo Banjo,

danke für den ungefragten weltanschaulichen Kommentar und die platte Metapher. Aber nun zurück zu meiner Frage...

Gruuuß,
Heiner
 
Ich bleibe dabei, eine Faustregel, die Blödsinn ist, kann man nicht erklären.

Wie soll man erklären, dass man einen Add4 oder Sus4-Akkord nicht spielen soll? Den Akkord gibt's nunmal, er hat seinen eigenen Klang und er hat sogar einen Namen in der Musiktheorie. Ich finde Deine Frage unbeantwortbar, denn Du fragst nach dem Grund für etwas, was meiner Meinung nach nicht stimmt.

Du hast ja selber schon in Deinem Post die Widersprüche zur Faustregel aufgezeigt. Aber anstatt die Faustregel in Frage zu stellen, willst Du, dass man Dir erklärt, warum die von Dir selber mit Beispielen widerlegte Regel trotzdem stimmt.

Wenn Du in einem öffentlichen Forum Fragen stellst, kannst Du Dir die Antworten nicht raussuchen und es ist kein Grund pampig zu werden, wenn Dir die Antwort nicht passt.

Banjo
 
Zuletzt bearbeitet:
In einem Thread zu den Avoid Notes habe ich die Faustregel gelernt, dass die Töne einen Halbton oberhalb der Dreiklangstöne 1, 3 und ggf. 5 zu vermeiden sind. D.h. die b2 (b9), die 4 (11) in Dur und die 3 in Moll und, sofern die Quinte im Akkord vorkommt, die b6 (b13) sind die dissonantesten Intervalle und kommen daher als Akkorderweiterungen nicht in Betracht.

Umgekehrt ergeben die Töne einen Halbton unterhalb der Dreiklangstöne durchaus schöne Reibungen (primary dissonances), also die #2 (#9) in Dur, die 2 (9) in Moll und die b5 (und zum Dominantseptakkord die 6 (13).

Aber es gibt auch Ausnahmen von der Regel: im Dominantseptakkord fungiert die b9 doch als Tension.

Weiß jemand, weshalb das so ist?

Dahinter steht wohl auch die Frage danach, welches Prinzip hinter der Geltung der Faustregel steht.

Ebenfalls im Widerspruch zur Regel steht ja, dass die b6 in Moll keine Avoid note ist.

Gruuuß,
Heiner

Ich halte auch nicht viel von der Avoid-Tones-Theorie, weil sie davon ausgeht, daß man Skalen folgt, was aber gar nicht der Fall sein muß. Dissonanz und Konsonanz bereiten mir ebenfalls große Probleme, weil dieses Denksystem heute auch nicht mehr so funktioniert, was heute noch dissonant klingt, ist morgen vielleicht schon hipp.

Von daher kann ich dir nur sagen, daß es schwierig ist, für ein nicht korrektes System eine vernünftige Begründung für "Phänomene" zu finden, die im fehlerhaften System selbst zu suchen sind.

Vielleicht kann man sich der Sache etwas anders nähern:
Ein Dominantseptakkord ist eben ein Dominantseptakkord, ob mit oder ohne b9, leitet er in der Regel zu seiner nachfolgenden (Zwischen-)Tonika. Die b9-Variante eines Dom7 funktioniert besonders gut in Moll-Richtung, doch Dominanten haben die Eigenschaft, daß sie sowohl nach Dur als auch nach Moll leiten, natürlich auch nach Sus-Akkorden und anderen Dominanten.

Weiterhin hat man das Problem, wenn eine Dominante als Tritonussubstitutionsakkord oder als sonstiger Stellvertreterakkord fungiert, wo es durchaus vorkommen kann, daß Dinge musikalisch funktionieren, aber eben nur begrenzt theoretisch bzw. diese als Ausnahmeregel definiert werden müssen.

Wenn man sich ein Dom7/b5 anschaut, erkennt man, daß hier sehr wohl auch eine b6 passen kann, und du hast ja selbst einige Beispiele genannt, wo die diese Theorie in arge Erklärungsnot kommt - Dominanten funktionieren nämlich unabhängig von irgendwelchem Skalendenken.

Werden andere harmonische Techniken wie beispielsweise die Distanzharmonik eingesetzt, funktioniert das Avoid-Tone-System überhaupt nicht mehr.

Deshalb kann ein skalenorientiertes System diese Möglichkeiten nur äußerst beschränkt und lückenhaft beschreiben.

Trete das Avoid-Tone-System deshalb einfach in die Tonne, es ist überholt so wie die flat-earth-Theorie...
 
Ich kenne den "Avoid Notes"-Thread nicht, aber so eine Pauschalregel halte ich für Quatsch. Regeln sind dazu da, gebrochen zu werden, vor allem in der Kunst.
Da wiedersprichst Du Dir aber. Um eine Regel zu brechen, muss man sie zunächst also solche verstehen und anzuwenden wissen. :)

Das avoid-Konzept basiert auf der Tatsache / dem Vorhandensein von Konsonanz und Dissonanz.

Zunächst muss man die Klasifizierung von Intervallen gemäß ihrem Dissonanzgrad gehörmäßig erfassen. Wer schon damit Problem hat, kann das avoid-Konzept wirklich nicht verstehen.

Weiterhin gilt es den historischen Verlauf zu berücksichtigen. Auftretende Dissonanzen, innerhalb einer Harmonie aufgelöst, waren auch durchaus schon zu Bachs Zeiten Usus.
Eine D7(b9) kannte jedoch Bach noch nicht. Damals war der o7 Akkord auf der VII Stufe von Harmonisch Moll der Innbegriff höchsten Ausdruckes von Schmerz und Leid. Dieser o7 Akkord wurde damals wie heute sowohl dominantisch als auch moll-subdominantisch verstanden. Erst später in der Romantik wurde o7 als Oberstruktur von V7(b9) gehört und gespielt. Bevor dieser Akkord aber als eigenständiges Gebilde seinen Platz in der westlichen Musik fand, wurde die b9 innerhalb der Harmonie aufgelöst und somit als Vorhalt und nicht als Tension behandelt.
Die Ausnahme der b9 innerhalb des avoid-Konzeptes begründet sich wohl auf die immense "Standfestigkeit" des Grundtones mit dem zusammen ja die Spannnung entsteht. Ich erinnere in diesem Zusammenhang auch an die phrigische Sekunde, die durchaus auch ihren Platz als Tension innerhalb eines Voicings hat. -> G ab - c' - d' - g'.

Sikora selbst hat auch keine endgültige definitive Antwort auf dieses Phänomen. Er schreibt: (Zitat) Vielleicht liegt es daran, dass die b9 in dem vergleichsweise dissonanten Klangebilde einer Dominante weniger Störfaktor ins Gewicht fällt.


Zur Frage der Primary dissonance wäre zu sagen, dass diese immer dann möglich ist, wenn an der Stelle des Halbtonschrittes in einer Chordscale immer beide Töne erlaubt sind.
Im Ionischen ist das die Stelle VII I
Im Dorischen II bIII und VI bVII

usw.


CIAO
CUDO
 
@Banjo: es sollte nicht pampig sein, sondern lakonisch, weil Du die Frage ohne Argument verworfen hast. Jetzt im zweiten Posting argumentierst Du schon - danke dafür! - aber Ausnahmen von einer Regel widerlegen eine Regel eben noch nicht zwangsläufig.

@PVaults: Interessante Überlegungen, danke! Bislang habe ich die Faustregel nicht skalenbezogen verstanden. Jetzt muss ich erstmal "Distanzharmonik" nachschlagen...

Gruuuß,
Heiner
 
Vielleicht kam ja meine Argumentation im ersten Post zu unklar rüber: es gibt mehr oder weniger dissonante Akkorde, aber man kann meiner Meinung nach nicht postulieren, dass bestimmte Dissonanzen als - Zitat - "Akkorderweiterungen nicht in Betracht kommen".

Dem einen seine unerträgliche Dissonanz ist dem anderen sein Salz in der Suppe, um noch ein plattes Metapher zu bemühen. Was 'dissonant' ist, ist auch kulturell geprägt und unser Empfinden verändert sich über die Zeit under dem Einfluss dessen, was wir hören. Es gab mal eine Zeit ohne verminderte Akkorde und einem mittelalterlichen Kirchenmusiker wären die Haare zu Berge gestanden, heute sind sie absolut normal.

Deshalb meine Abneigung gegen solcherlei 'Faustregeln'.

Da widersprichst Du Dir aber. Um eine Regel zu brechen, muss man sie zunächst also solche verstehen und anzuwenden wissen.

Ich hatte mich auf die Regel wie sie im Ursprungspost postuliert wurde, bezogen.

Banjo
 
Jetzt muss ich erstmal "Distanzharmonik" nachschlagen...
Die aus dem Distanzprinzip hergeleiteten symmetrischen Skalen, soweit sie in der Jazz- und Popularmusik Anwendung finden, unterliegen natürlich auch dem avoid-Prinzip.

Was sich allerdings bei Olivier Messiaen und die ihm folgenden Meistern abzeichnet, denke ich, steht hier nicht zur Debatt. Oder etwa doch?

PVaults,

ich verstehe, wenn Du immer wieder die auch in der Jazz- und Popularmusik vorhandene Linearität ansprichst. Trotzdem kommt das Chord-Scale Prinzip gerade bei Improvisiertem sehr stark zum tragen. Das vertikale Denken hat seinen Ursprung im Horizontalen, das sehe ich so. Deshalb verlieren aber Regeln über Klangcharakteristiken nicht ihre Gültigkeit. Einzig stilistisch kann man sich natürlich darüber hinwegsetzen und atonale Gefilde beschreiten. Steht das aber hier zur Debatte?

Hi haiiner,

die b6 in einem Molldreiklang verändert diesen dahingehend, dass er als Sextakkord des Durgegenklanges gehört wird.
b6 und reine Quinte simultan verursachen einen meist ungewünschten Clash. Spielen und ausprobieren!
Natürlich gibt es immer wieder primary dissonances, die durch die sehr starke Strebewirkung einzelner Linien zu vertreten sind. Dabei ist aber das oberste Gesetz, kontrapunktisch korrekt vorzugehen. ->Beispiel
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo Cudo,

ja, bVI und V clashen analog zu IV und III :)

Zur Frage der Primary dissonance wäre zu sagen, dass diese immer dann möglich ist, wenn an der Stelle des Halbtonschrittes in einer Chordscale immer beide Töne erlaubt sind.
Im Ionischen ist das die Stelle VII I
Im Dorischen II bIII und VI bVII

Dann folgere ich:
Bei der (erweiterten) Bluesscale wär's
#II III,
bV V
sowie VI bVII
für DomSeptAkkorde.

Wenn man dann noch die bII einsetzt, hätte man 8 mögliche Halbtonreibungen!

Oder läßt sich umgekehrt folgern: Wenn man einen DomSeptakkord nicht nur zu einer einzigen Skala, sondern zu einem Tonvorrat für wechselnde Skalen(-elemente) ergänzt, erhält man

, bII, II, #II, [III], (IV), bV, [V], VI, [VII]

und davon können alle nicht eingeklammerten als Tensions fungieren (aber nicht zugleich :))?

Bzw., wenn man die V im DomSeptAkkord wegläßt, kommt noch die bVI hinzu.

Leuchtet mir ein:
Die Ausnahme der b9 innerhalb des avoid-Konzeptes begründet sich wohl auf die immense "Standfestigkeit" des Grundtones mit dem zusammen ja die Spannnung entsteht.

Gruuuß,
Heiner
 
Zuletzt bearbeitet:
PVaults,

ich verstehe, wenn Du immer wieder die auch in der Jazz- und Popularmusik vorhandene Linearität ansprichst. Trotzdem kommt das Chord-Scale Prinzip gerade bei Improvisiertem sehr stark zum tragen. Das vertikale Denken hat seinen Ursprung im Horizontalen, das sehe ich so. Deshalb verlieren aber Regeln über Klangcharakteristiken nicht ihre Gültigkeit. Einzig stilistisch kann man sich natürlich darüber hinwegsetzen und atonale Gefilde beschreiten. Steht das aber hier zur Debatte?
Möglich. Es ist ja nicht so, daß alle Jazz- oder Popularmusiker und schon gar nicht die Musiker außerhalb dieses Genres nur mit dem Chord-Skale-Prinzip arbeiten, im Gegenteil. Die meisten Musiker hören doch eher den Dauerquintfall, disharmonisch erscheint ihre Musik deshalb überhaupt nicht, atonal schon gar nicht.

Konsonanz und Dissonanzlehren kennen wir seit Jahrhunderten, doch merkt man, daß diese Sichtweise überholt ist, allein asu dem Grund, daß heute vieles als konsonant empfunden wird, was vor wenigen Jahrzehnten als disharmonisch empfunden wurde.

Nehmen wir nur mal die "atonale" 12-Ton-Musik, die früher als disharmonisch empfunden wurde, heute aber schon fast harmonisch erscheint.
Das muß zu denken geben.

Wenn man sich das Konsonanz/Dissonanz-Prinzip (K/D) anschaut, stellt man fest, daß es aus einer Zeit entstammt, als die Musik gerade erst Akkorde entwickelte. Meist ging es darum, zwei Töne in ein K/D-System einzuordnen.
Die Problematik zeigt sich ganz schnell, wenn man mehrstimmige Akkorde erstellt und die Lage berücksichtigt, da ergeben sich nämlich vielschichtige K/D-Beziehungen, die so ein antiquirtes System gar nicht mehr ohne eine Unzahl an Ausnahmeregeln bewerkstelligen kann.

Mentalen Ballast halte ich bei einer Improvisation nicht für hilfreich, verleitet es den Musiker eher dazu, Phrasen abzudreschen, was dazu führt, daß heute eine Schwemme an Klonmusikern existiert, die exakt das Gleiche bzw. das Selbe spielen und denen jede Originalität fehlt.

Allerdings bekommt man nicht für Originalität oder außerordentliche Musikalität, sondern für die stumpfe Wiedergabe gesetztem Wissens einen Musikerbefähigungsschein an den Institutionen, was viele Musiker davon fernhält, ihr eigenes Ich zu entwickeln.

Im Prinzip ist es auch egal in Zeiten der mp3-Klon-Generation, vielleicht ist diese Entwicklung der Musiktheorie auch nur ein Spiegel der Gesellschaft...

Bleibt das Problem, daß unzureichende bzw. fehlerhafte oder fehlerhaft eingesetzte Systeme sicher keine stringente Lösung für die systemeigenene Probleme bieten können.
Noch weniger können statische Systeme eine Lösung für eine sich weiterentwickelnde Musik bieten.
 
Hallo Cudo,

ja, bVI und V clashen analog zu IV und III :)
Eben.



Dann folgere ich:
Bei der (erweiterten) Bluesscale wär's
#II III,
bV V
sowie VI bVII
für DomSeptAkkorde.

Bedenke, die Blues-Scale ist KEINE Chordscale. Man kann Chords mit Bluenotes anreichern solange dies dem avoid-Prinzip unterliegen, aber die zum Akkordaufbau benötigte Pitchcollection (chordscale) ist eine dem harmonischen Kontext entsprechende.


Oder läßt sich umgekehrt folgern: Wenn man einen DomSeptakkord nicht nur zu einer einzigen Skala, sondern zu einem Tonvorrat für wechselnde Skalen(-elemente) ergänzt, erhält man

, bII, II, #II, [III], (IV), bV, [V], VI, [VII]

und davon können alle nicht eingeklammerten als Tensions fungieren (aber nicht zugleich :))?

Tonvorrat ist das gleiche wie Pitchcollection. Eigentlich ein passender Ausdruck für diese Situation. Das Wort Chordscale will im Prinzip das gleiche sagen. Es handelt sich hier also um keine Skalen im ursprünglichen Sinne, sondern um eine dem harmonischen Umfeld angepasste Auswahl von Tönen.
Einfach "[I ] , bII, II, #II, [III], (IV), bV, [V], VI, [VII]" zu sagen ist für den Improvisierenden eher ungünstig, da es durch die hohe Anzahl von Tönen, zehn an der Zahl, zu viele Möglichkeiten des "falsch" Spielens gibt und somit die harmonische Zielstrebigkeit der Linie verloren geht.
Sag' mal jemandem, "in jeder Situation sind alle 12 Töne einsetzbar" . Er wird von dieser Binsenwahrheit nicht wirklich profitieren. Es gilt zunächst einzugrenzen und dadurch harmonische Wege zu weisen. Wenn die dann einmal beherrscht werden, ist der nächste zu gehende Schritt wohl klar.

Um dazu aber einen einigermaßen angebrachten Überblick zu bekommen ist das Begreifen und erfassen der von mir mehrfach erwähnten Grundregeln (avoid, primary dissonance) unabdinglich.

Für den Musiker ist immer noch der beste Weg: Verstehen - Hören - Spielen.


CIAO
CUDO

PS
Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass ich Dein Anliegen/Problem nicht wirklich verstehe.
 
Zuletzt bearbeitet:
Um dazu aber einen einigermaßen angebrachten Überblick zu bekommen ist das Begreifen und erfassen der von mir mehrfach erwähnten Grundregeln (avoid, primary dissonance) unabdinglich.

Die hab ich versucht anzuwenden :D

Hm, mein Anliegen - ich wollte für mich zusammenfassen, welche Skalen und Akkorderweiterungen z.B bei einem DomSeptAkkord bzw. einer Folge solcher Akkorde wie im Blues in Reichweite sind.

Wenn ich mir anschaue, wie viele Skalen es gibt, frage ich mich, ob es womöglich zielführender ist, in Tonbedeutungen - Dissonanzen/Konsonanzen - als in Skalen zu denken.

Das Avoid-Konzept, wie von Dir erklärt, scheint in gewisser Weise darauf hinzudeuten, oder?

Wie unterscheidest Du Akkordaufbau gegenüber dem Anreichern von Akkorden mit Bluenotes?

Bedenke, die Blues-Scale ist KEINE Chordscale. Man kann Chords mit Bluenotes anreichern solange dies dem avoid-Prinzip unterliegen, aber die zum Akkordaufbau benötigte Pitchcollection (chordscale) ist eine dem harmonischen Kontext entsprechende.

Mit dieser Reihe wollte ich nicht sagen, man kann einfach alle verwenden, sondern die Bedeutungen unterscheiden. Also eckig eingeklammerte Akkordtöne, rund eingeklammerte Avoids oder Durchgangstöne, die übrigen die möglichen Akkorderweiterungen - oder - Anreicherungen?

Gruuuß,
Heiner
 
Hm, mein Anliegen - ich wollte für mich zusammenfassen, welche Skalen und Akkorderweiterungen z.B bei einem DomSeptAkkord bzw. einer Folge solcher Akkorde wie im Blues in Reichweite sind.
Für einen Dominantseptakkord sind genau so viele Chordscales in Reichweite, wie es Situationen gibt, in denen er auftreten kann.
Die Analyse, der Zusammenhang, bestimmt die Chordscale.
Wohl gemerkt, Ich gehe hier auf sehr dünnem Eis, das weiß ich sehr wohl. Einziger Beweggrund all dies hier zu schreiben ist für mich, Leuten einen Weg aufzuzeigen und keine Lösung!
Wenn man hier einwirft zu jener Zeit wäre ja dieser oder jener Akkord unmöglich gewesen und vielleicht schon morgen ist diese oder jene Dissonanz in unseren Ohren schon akzeptable, vermisse ich immer die Schlussfolgerung. Was wäre es dann noch wert zu folgen?
Ich weiß. viele Leute haben ein Problem damit Musik und Regelwerk unter einen Hut zu bringen und wollen nicht wahr haben daß 90% aller Musik die in Europa über die Radiosender läuft diesen Regeln folgt. Ja natürlich, dazu gehört auch Kommerzielles. Man muss sich dabei Wertigkeit einmal verkneifen. Es geht ja schlußendlich darum, warum das eine so und das andere so klingt. Und die Erklärungen von Stufen- und Funktionstheorie reichen auch weitest gehend aus, um das Gängigste zu erklären.
Was jeder dann nach seinen "Lehrjahren" mit dem Gelernten macht ist das, worauf es dann ankommt.
Schwierigkeiten gibt es natürlich immer in Grenzbereichen. Wenn ich z.B. Ravels Gaspard de la Nuit zu Anfang an gleich als Messlatte benutze, werde ich Problem bekommen, da für das Verständnis dieses Werk dann die Grundlagen fehlen.
Wer rechnen lernen will muss eben mit dem 1x1 anfangen!


Sorry für diesen kleinen Exkurs, aber ich glaube diese Erklärung meinerseits war nötig, denn ich will auf keinen Fall, dass dieser Faden hier zur Grundsatzdiskussion "verkommt".


Wir bleiben also bei der Norm, nach der sich 90% aller im Radio laufender Musik richtet. Wie sollte es auch anders funktionieren? Und dass man Unfassbares nicht fassen kann, ist uns wohl allen klar.

Dominanten haben Strebewirkung, primär verursacht durch den Leitton, der aber erst in gewissen harmonischen Situationen als Strebeton wirkt. Sekundär durch die kleine Sept, deren Strebewirkung im Gegensatz zum Leitton abwärts gerichtet ist, drittens durch das Zusammenspiel von Leitton und Sept (=Tritonus = instabiles Klangverhältnis) und viertens schlussendlich durch Anreicherung von Tensions. Und um letzteres geht es hier schlussendlich.
Dazu mal ein Beispiel aus meinem Lehrbuch. Die Existenz von Sekundärdominanten ist wohl durch das Klauselspiel zu erklären. Dieses Klauselspiel sind linear stattfindende Momente die in der vorletzten Station, vor Ankunft in den Zielakkord, statt finden.
Es geht dabei um die melodische Annäherung an die Akkordtöne des Zielakkordes und dabei zunächst um die Annäherung an dessen Grundton. Die stärkste Strebewirkung hat dabei immer die halbtonschrittmäßige Annäherung von unten.
Gleichzeitig gilt es die Basslinie zu beobachten. Hier gilt als stärkste Annäherung die fallende Quintfortschreitung (Authentische Fortbewegung).
Fassen wir diese beiden Bewegungen zusammen, haben wir die Essenz unserer heutigen Dominantfortschreitung.
Diese "Quintessenz" sollte eine Chordscale einer Sek.Dom. enthalten. Alle anderen Töne werden aus der Diatonik der herrschenden Tonart übernommen. Bei V7/III wird natürlich die Quinte zusätzlich alteriert, um einen konsekutiven kleinen Sekundschritt zu vermeiden.
That's it. Mit dieser Regel hast Du bereits Chordsscales für Dominanten in 5 verschiedenen Situationen. Es sind dies, meines Erachtens, die Wichtigsten die es zunächst zu erlernen gilt.

Also, selbst Aufgaben stellen! Chordscale von V7/II in Ab?



Wenn ich mir anschaue, wie viele Skalen es gibt, frage ich mich, ob es womöglich zielführender ist, in Tonbedeutungen - Dissonanzen/Konsonanzen - als in Skalen zu denken.
Das erübrigt sich jetzt nun, wenn man das oben Erwähnte versteht.

Das Avoid-Konzept, wie von Dir erklärt, scheint in gewisser Weise darauf hinzudeuten, oder?
Ja.

Wie unterscheidest Du Akkordaufbau gegenüber dem Anreichern von Akkorden mit Bluenotes?
Ich manipuliere. Es gibt oft mehrere Möglichkeiten einer Chordscale für eine Dominante. Ich wähle dann entsprechend diese, die eine oder mehrere Bluenotes enthält.
Z.B. bei einem Blues in C hätte A7 Funktion als V7/II. V7/II nimmt nach oben erwähnter Regel MM5, da diese Chordscale die kleinst mögliche Abweichung von der beherrschenden Dur Tonart ist. Nun hat aber MM5 in diesem Zusammenhang keine einzige Bluenote. Blueskontext und der dem A7 folgende D-7 erlauben nun eine Chordscale mit b9/#11/b13. Diese Tensions findet man wieder sowohl in MM7 als auch in HT-GT.


CIAO
CUDO
 
Hallo Cudo,

erstmal vielen Dank für die sorgfältigen Antworten!

Der grundsätzliche Exkurs ist klar. Den Rest verarbeite ich im Laufe des Tages - soweit mir möglich!

Gruuuß,
Heiner
 
Die Stebewirkung der Dominante durch Leitton, Gleitton und Tritonus habe ich bei Kemper-Moll gelesen (deshalb, so habe ich verstanden, funktioniert ja auch die Tritonussubstitution) - neu ist mir allerdings, dass die Strebewirkung erst in bestimmten harmonischen Situationen entsteht. Ich bilde mir aber ein zu hören, dass bspw. I V, I II V, I IV V solche Situationen darstellen und die Spannung/Strebewirkung aufbauen.

Wenn V7/II den Dominantseptakkord/die Zwischendominante zur zweiten Stufe der Tonart meint, dann wäre V7/II zu Ab "F7" - als Zwischendominante zu Bb.

Zum Absatz mit dem Klauselspiel fehlt mir Hintergrund.


Ich manipuliere. Es gibt oft mehrere Möglichkeiten einer Chordscale für eine Dominante. Ich wähle dann entsprechend diese, die eine oder mehrere Bluenotes enthält.
Z.B. bei einem Blues in C hätte A7 Funktion als V7/II. V7/II nimmt nach oben erwähnter Regel MM5, da diese Chordscale die kleinst mögliche Abweichung von der beherrschenden Dur Tonart ist. Nun hat aber MM5 in diesem Zusammenhang keine einzige Bluenote. Blueskontext und der dem A7 folgende D-7 erlauben nun eine Chordscale mit b9/#11/b13. Diese Tensions findet man wieder sowohl in MM7 als auch in HT-GT.


Jetzt verklemmt sich etwas bei mir im Kopf, weil ich beim Blues bislang von der Bluesscale ausgegangen bin ("angereichert" mit den Erweiterungen 9 und 13) die Skala also nicht gewechselt habe (Kemper-Moll nennt das Rock-Methode). Wenn Du nun als Ausgangspunkt die "kleinstmögliche Abweichung von der beherrschenden Dur-Tonart" nennst, entsteht bei mir kognitive Dissonanz zu meiner gewohnten Ausgangskala mit Mollterz - kann man das auflösen? Und was ist die "Diatonik der herrschenden Tonart" im Blues?

Eigentlich beschränkt sich mein bisheriges Vorgehen, das wohl nur vage in Richtung Jazz geht, auf Reharmonisierungen des Bluesschemas, mehr um Abwechslung und ein jazziges Feel zu bewirken.

Dabei habe ich zunächst Substitutionen nach Funktionsbereichen vorgenommen, wie bei Frank Haunschild gelesen. Dann habe ich noch
die Tritonussubstitution angewendet, weil die mir einleuchtete. Gezielt habe ich dabei keine Zwischendominanten eingefügt - aber wahrscheinlich bin ich dennoch mittendrin -

Gruuuß,
Heiner
 
Zuletzt bearbeitet:
Wenn ich versuche, die "Regel(n) zu den Chordsscales für Dominanten in 5 verschiedenen Situationen" zu verstehen, muss ich zunächst nachfragen, ob Du damit Situationen hiervon meinst:

V7/I [G7/C]

V7/II [A7/Dm]

V7/III [H7/Em]

V7/IV [C7/F]

V7/V [D7/G]

V7/VI [E7/Am]

V7/VII [F#7/H°]

bzw. welche davon ggf. nicht?

Meint "heutige Dominantfortschreitung" die II-7 V7/I Imaj7 VI-7 -Kadenz?

Gruuuß,
Heiner
 
Zuletzt bearbeitet:
neu ist mir allerdings, dass die Strebewirkung erst in bestimmten harmonischen Situationen entsteht.
Wenn ein Dominantseptakkordtyp z.B. als I7 Stufe im modalen Kontext gebraucht wird, hat seine Terz natürlich keine Strebewirkung mehr. Die innerakkordliche Spannung der keinen Sept ist natürlich immer vorhanden.

Ich bilde mir aber ein zu hören, dass bspw. I V, I II V, I IV V solche Situationen darstellen und die Spannung/Strebewirkung aufbauen.
Ja. Diese rudimentären Verbindungen reichen im Prinzip aus, um eine Tonart zu konstituieren. Wenn sich die Tonart konstituiert, konstiuiert sich auch der Leitton und entfaltet dadurch seine Strebewirkung.

Wenn V7/II den Dominantseptakkord/die Zwischendominante zur zweiten Stufe der Tonart meint, dann wäre V7/II zu Ab "F7" - als Zwischendominante zu Bb.
Ja. V7/II-7 in Ab Dur ist F7, das sich nach Bb-7 auflöst.

Zum Absatz mit dem Klauselspiel fehlt mir Hintergrund.
Hier steht etwas darüber in der Wiki. Ich habe es nur überflogen und kann für die Richtigkeit nicht garantieren.

Jetzt verklemmt sich etwas bei mir im Kopf, weil ich beim Blues bislang von der Bluesscale ausgegangen bin ("angereichert" mit den Erweiterungen 9 und 13) die Skala also nicht gewechselt habe (Kemper-Moll nennt das Rock-Methode). Wenn Du nun als Ausgangspunkt die "kleinstmögliche Abweichung von der beherrschenden Dur-Tonart" nennst, entsteht bei mir kognitive Dissonanz zu meiner gewohnten Ausgangskala mit Mollterz - kann man das auflösen? Und was ist die „Diatonik der herrschenden Tonart“ im Blues?

"Kleinstmögliche Abweichung von der beherrschenden Dur-Tonart" gilt im Blues nur bedingt.
Die Bluenotes b3 und b7 werden z.T. beim Bilden der Stufenakkorde I, IV, V und bei den Sekundärdominanten miteinbezogen.
I7 kann dadurch durchaus mit #9 (= Bluenote b3) gespielt werden und bei V7 wären die Bluenotes b3 und b7 die Tensions #9 und b13.
Durch diese Zutaten ändern sich dann natürlich auch die "Chordscales".

Von einer „Diatonik der herrschenden Tonart“ kann man hier wohl nicht mehr sprechen.
Blues ist eben ein Spezialfall, der sich nicht in das Korsett der Diatonik zwingen lässt. Das macht ihn ja gerade so wunderschön eigen.

Man könnte zur Erklärung der Bluenote-Anreicherung von Akkorden auch folgende Regel verfolgen:
Tensions die einen Halbton über, bzw. unter den Bluenotes b3 und b7 liegen, können durch diese ersetzt werden. Dies gilt sowohl für die 3 Hauptstufen als auch für die Sekundärdominanten V7/II, V7/IV, V7/V und V7/VI.



Eigentlich beschränkt sich mein bisheriges Vorgehen, das wohl nur vage in Richtung Jazz geht, auf Reharmonisierungen des Bluesschemas, mehr um Abwechslung und ein jazziges Feel zu bewirken.

Dabei habe ich zunächst Substitutionen nach Funktionsbereichen vorgenommen, wie bei Frank Haunschild gelesen. Dann habe ich noch
die Tritonussubstitution angewendet, weil die mir einleuchtete. Gezielt habe ich dabei keine Zwischendominanten eingefügt - aber wahrscheinlich bin ich dennoch mittendrin -
Tritonussubstitutionen nehmen für gewöhnlich auch im Blues ihre angestammte Chordscale MM4, da diese von Natur aus alle beide Bluenotes enthalten (außer subV7/VI, die enthält nur eine Bluenote).


CIAO
CUDO
 
Wenn ich versuche, die "Regel(n) zu den Chordsscales für Dominanten in 5 verschiedenen Situationen" zu verstehen, muss ich zunächst nachfragen, ob Du damit Situationen hiervon meinst:

V7/I [G7/C]

V7/II [A7/Dm]

V7/III [H7/Em]

V7/IV [C7/F]

V7/V [D7/G]

V7/VI [E7/Am]

V7/VII [F#7/H°]

bzw. welche davon ggf. nicht?

Das stimmt alles bis auf die Letzte. V7/VII ist nicht gebräuchlich da der Akkord der VII Stufe vermindert ist und im herkömmlichen Sinne nicht dominantisch vorbereitet wird. Der Grundton einer Sekundärdominante ist immer diatonisch zur Tonart. Somit fällt V7/VII unter den Tisch.
F#7 als subV7/IV ist natürlich ok.


Meint "heutige Dominantfortschreitung" die II-7 V7/I Imaj7 VI-7 -Kadenz? [/QUOTE]
Ja.
 
Hier steht etwas darüber in der Wiki. Ich habe es nur überflogen

Das ist interessant - hab es auch nur überflogen und werd es heut Abend studieren.

Das hier:

Von einer "Diatonik der herrschenden Tonart" kann man hier wohl nicht mehr sprechen.
Blues ist eben ein Spezialfall, der sich nicht in das Korsett der Diatonik zwingen lässt. Das macht ihn ja gerade so wunderschön eigen.

bringt mich zu einer grundsätzlichen Frage - einerseits bin ich beruhigt, dass ich nicht ganz auf dem falschen Dampfer war, andererseits frage ich mich nun, wie ich mich einem bruchlosen Übergang bei meinem Weg vom Blues in Richtung Jazz, also vielleicht zu einer Art Jazzblues nähere.

Ich habe mir vorgenommen, als nächstes Dein Lehrbuch durchzuarbeiten, vielleicht erübrigt sich diese Frage dann von selbst. Allerdings deuten Deine Aussagen andererseits auch darauf hin, dass der Übergang vom Blues zur Skalen- und Funktionslogik der Jazzharmonik irgendwie nicht so fließend und widerspruchsfrei verlaufen wird, oder?

Vielen Dank für Deine Mühe!

Gruuuß,
Heiner
 
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