Selbstverständnis und Außenwahrnehmung von VolksmusikErN

  • Ersteller klangschale
  • Erstellt am
"Musik des Volkes" -- Musik des Volkes heute sind Helene Fischer, die Toten Hosen & Vivaldi, Ed Sheeran & Burak Yeeter. Was soll denn das sein, "Musik des Volkes"?
Mir fällt gerade auf, dass ich von mehreren der genannten KünstlerInnen kein Lied bzw. keine Melodie singen könnte; einen der Namen habe ich sogar noch nie gehört. Und ich dachte immer, ich gehöre auch zum Volk... :redface:

Aber - und damit Spaß beiseite - der Einwand hat natürlich was für sich. Die Namen decken vermutlich einen großen Teil dessen ab, was "das Volk" hört, was somit einen hohen Wiedererkennungswert hat und oft einen Refrain, der zumindest teilweise mitgesungen werden kann. Ich frage mich nur, ob es sinnvoll ist, das als Volksmusik zu bezeichnen oder ob es nicht eher so ist, dass es in Deutschland (und in sehr vielen anderen Ländern) keine Volksmusik mehr gibt, die den Namen verdient - analog zu den "Volkstänzen", die im größten Teil des Landes nur eine Minderheit tanzen kann.

Aber was würde den Namen "verdienen"?
 
  • Gefällt mir
Reaktionen: 1 Benutzer
ob es nicht eher so ist, dass es in Deutschland (und in sehr vielen anderen Ländern) keine Volksmusik mehr gibt, die den Namen verdient - analog zu den "Volkstänzen", die im größten Teil des Landes nur eine Minderheit tanzen kann.

Aber was würde den Namen "verdienen"?
Weiter oben im Strang, in Beitrag Nr. 21, hat @ThB_ sehr schön drei Gruppen von Volksmusikleuten unterscheiden: 1. volkstümlicher Schlager, 2. Volksmusikpflege, 3. Tradition entwickeln.

Gruppe 1 wird von den Gruppen 2 und 3 meist nicht so gemocht. Zwischen 2 und 3 gibt's wahrscheinlich einen geringen Austausch.

Gruppe 2 beschäftigt sich mit dem, was ursprünglich mit den Begriffen Volksmusik oder Folklore einmal gemeint war. Ich frage mich nur: Ist das ein abgeschlossenes Repertoire? Kam, nachdem die großen Sammler ihre Arbeit im 19. und vielleicht noch 20. Jahrhundert zusammengestellt hatten, nichts mehr hinzu? Ist das jetzt also ein museales Korpus? Und mit welchem Recht usurpiert Gruppe 3 eigentlich den Begriff Volksmusik bzw. Volkstanz? Wenn jemand heute E-Gitarre oder Keyboard zu spielen anfängt, dann empfängt er doch auch eine Tradition und trägt (entwickelt) sie weiter, oder nicht? Wieso heißt es Volksmusik, wenn ich auf das Repertoire meiner Urgroßeltern zurückgreife, aber nicht, wenn ich auf das Repertoire meiner Eltern zurückgreife?
 
  • Gefällt mir
Reaktionen: 1 Benutzer
Vielleicht liegt es daran, dass ich von "den Inseln" stamme, aber für mich hat "Volksmusik" immer etwas mit "ethnischer" Musik zu tun.
England, Schottland und Irland haben jeweils eine eigene musikalische Sprache, und obwohl die Nordamerikaner immer ihre "keltischen" Wurzeln betonen, ist deren musikalische Sprache eine vollkommen andere. Und das bezieht sich nicht nur auf den Gesang, wo die Unterschiede offenbar sind, sondern z.B. auf die Geigenmusik.
Aber auch deutsche Volkslieder und -Tänze haben ihre musikalische Sprache, die sich von z.B. der französischen klar unterscheidet.

Diese ethnische Komponente wirkt (über die Sprache der Texte hinaus und daher auch bei Tanzmusik) identitätsstiftend für das jeweilige Volk. Deshalb kann es eindeutig als "Volksmusik" bezeichnet werden, auch wenn die Inhalte (Melodien und Texte) neu verfasst sind.

Cheers,
Jed
 
  • Gefällt mir
Reaktionen: 5 Benutzer
Salü, Jed,

danke, das finde ich sehr kluge Bemerkungen. Als ich Ostersonntag zu Besuch bei meinen Eltern war und auf der Konzertina so ein bisschen Boerenmusik vor mich hin spielte, fragte meine Mutter mich unvermittelt, ob das Musik aus Holland sei. So etwas hatte sie noch nie gefragt (und ich hatte vorher auch noch nie so etwas gespielt), und ich war tief beeindruckt von der Treffsicherheit ihres musikalischen Empfindens. Offensichtlich ist etwas dran an der Idee einer je eigenen "ethnischen" (völkischen? :-D ) musikalischen Sprache.

Ich erinnere mich daran, dass es Melodien gibt, die in halb Europa bekannt sind; aber wenn z. B. die Iren sie spielen, hört sich das komisch an. (Habe jetzt aber dummerweise kein Beispiel im Kopf.)

Volksmusik also im Sinne eines je nach Volk eigenen musikalischen Ausdrucksrepertoires?
 
obwohl die Nordamerikaner immer ihre "keltischen" Wurzeln betonen
... und die größten keltischen Städte hier ums Eck auf der Schwäbischen Alb waren :evil:

Volksmusik also im Sinne eines je nach Volk eigenen musikalischen Ausdrucksrepertoires?
Ich denke, das trifft es ganz gut. So wie sich die Mentalität der Menschen unterscheidet, unterscheidet sich auch deren Musik. Deshalb gibt es auch keine einheitlich deutsche Volksmusik, sonder die ist regional sehr unterschiedlich. Aber ich denke, das ist in anderen Ländern nicht anders.
 
Zuletzt bearbeitet:
  • Gefällt mir
Reaktionen: 1 Benutzer
England, Schottland und Irland haben jeweils eine eigene musikalische Sprache
Das sind nun aber drei Länder, die ganz oder zum großen Teil von Wasser umgeben sind - die "Inseln", wie Du sie nennst. Ich kann mir schon vorstellen, dass die Entwicklung dann anders verlaufen ist als in Teilen des Kontinents, wo die früher alles Andere als dichten Grenzen doch einen Austausch ermöglicht haben - mal ganz davon zu schweigen, dass heutige Staaten wie Deutschland und Italien noch jede Menge "Binnengrenzen" hatten. Hinzu kommt noch die bis ins 19. Jh. langsame Kommunikation in Flächenstaaten wie Frankreich und Spanien, die der Entwicklung einer länderspezifischen "eigenen Sprache" im Weg stand.

Deshalb sollte die Analogie nicht überstrapaziert werden. Ich vermute, dass viele deutsche Regionen sowohl sprachlich als auch musikalisch eher mit Regionen kommunizieren als mit Regionen, die zwar heute im selben Staat liegen, aber lange Zeit fremder waren als die Nachbarn. Statt langer Worte zwei Beispiele:

1. Ein älterer Bekannter von mir hat sich mal zu fortgeschrittener Stunde verleiten lassen, eines der von Hannes Wader aufgenommenen plattdeutschen Lieder zum Besten zu geben. Hinterher wurde er von zwei Niederländern angesprochen, die jedes Wort verstanden hatten und das Lied in das Repertoire ihrer Tanzkapelle aufnehmen wollten. Viele Deutsche verstehen den Text nicht...

2. Die italienische Gruppe Baraban hat mal ein Programm mit Musik aus der Alpenregion gemacht (anbei ein Auszug). Das dürfte Bayern sehr viel näher stehen als Leuten aus Umbrien - und umgekehrt könnte Musik aus Bayern da eher integriert werden als in einem Programm von z.B. Otto Groote.

 
@saitentsauber : Na ja, das ist ja sowieso alles cum grano salis zu nehmen. Selbstverständlich gibt es auch innerhalb Englands eine Binnendifferenzierung, was Spielweise, bevorzugte Instrumente usw. angeht (um nicht von Schottland, Irland, Wales &c. zu sprechen). Andererseits ist auch klar, dass Staatsgrenzen und Nationengrenzen sowieso nicht identisch sind (aber natürlich auch nicht gänzlich unabhängig voneinander). Es ging Jed, wenn ich ihn richtig verstanden habe, nicht darum, zu sagen, es gebe nur einen und einheitlichen deutschen Stil, der von Königsberg bis Bozen identisch wäre, oder nur einen einheitlichen italienischen Stil, sodass Musik in Kalabrien ebenso klänge wie Musik in Nizza, oder nur einen französischen Stil von der Normandie bis in die Pyrenäen, und alle stünden völlig beziehungslos nebeneinander. Das wäre ja absurd.
 
  • Gefällt mir
Reaktionen: 1 Benutzer
Mag sein, dass es ihm nicht darum ging - ich sah (und sehe) aber die Möglichkeit, ihn so zu verstehen oder zu interpretieren; nicht zuletzt deshalb der vorhin geschriebene Post - der hoffentlich aber auch für sich stehen kann.

Ergänzend wäre vielleicht noch zu sagen, dass das, was oft als Volkslied bezeichnet wird (von "Am Brunnen vor dem Tore" über "Der Mond ist aufgegangen" bis "Hoch auf dem gelben Wagen" und so weiter) tatsächlich ziemlich "(gesamt)deutsch" ist, nicht zuletzt weil es jahrzehntelang Standardbestandteil von Schul- und anderen Liederbüchern war. Entsprechend ist dann auch die Sprache hochdeutsch - was vor allem im Norden erst spät zur "Sprache des Volkes" wurde.

Mich würde mal interessieren, wie das z.B. im Bereich der traditionellen Musik und der Tänze aussieht; da kenne ich mich leider viel zu wenig aus.
 
Zuletzt bearbeitet:
@saitentsauber
Ich wollte auf keinen Fall entnische und nationalstaatliche Aspekte verwechseln bzw. gleichsetzen!

"Die Inseln", wie ich sie nenne, sind in der Tat ein Sonderfall für Europa insofern, dass die Küste, die den heutigen Staat UK eingrenzt, auch deren ethnischen Gruppen eingrenzt. Wie kein anderer europäischer Staat besteht das UK aus vier separate Nationen (bzw. 3 Nationen England, Schottland und Wales und seit 1920 einen Teil einer 4. Nation, Irland). So konnten Engländer, Schotten, Waliser und Iren in vielerlei Hinsicht eher ihre kulturelle Identität bewahren, als z.B. Ostfriesen, das Rheinländer oder Schwaben.
Trotzdem gilt das gleiche für Kontinentaleuropa - bloß die Übergänge sind eher fließend. Dass Friesische Sprache und Musik anders sind , als schwäbische, ist offenbar. Es fragt sich nur, wo genau auf der Reise von Nord nach Süd Friesisch aufhört und Schwäbisch anfängt.

Was hochdeutsche Volkslieder angeht - ich erinnere nur an Fallerslebens "Deutschlandlied". Dass "zusammenwachsen soll, was zusammen gehört" war kein Gedanke der Nachkriegszeit - schon damals hatten die Demokraten die Vision eines Volkes, das das Friesische und das Schwäbische (und alles, was von der Maas bis an die Memel dazwischenliegt) gleichzeitig beinhaltet und ablöst.

Denn die Volkszugehörigkeit ist relativ. In Europa bin ich Brite. In Großbritannien bin ich Ire. In Irland bin ich Nordire bzw. Ulsterman. Und in Nordirland bin ich aus Co. Antrim. Für meine irischen Freunde lebe ich in Deutschland. Für meine norddeutschen Freunde bin ich Stuttgarter. In Schwaben bin ich reig'schmeckter (und in Baden "a Scheißschwob").

Für mich gibt es "Volksmusik" auf jeder Ebene. Auch auf nationaler Ebene. Z.B. deutscher Schlager und Türkenpop: zwei Musikrichtungen, zwei Völker - in einem Staat.

Cheers,
Jed
 
  • Gefällt mir
Reaktionen: 2 Benutzer
Und mit welchem Recht usurpiert Gruppe 3 eigentlich den Begriff Volksmusik bzw. Volkstanz?

Tut "sie" das? Mal abgesehen davon, dass diese Gruppe nun wirklich nicht homogen ist, erlebe ich die Verwendung des Begriffes Volksmusik als Beschreibung für das eigene Interessensgebiet in dieser Gruppe eher selten. Und wenn, dann sicher nicht im Sinne einer gewaltsamen oder widerrechtlichen Aneignung (Ursupation).

Wieso heißt es Volksmusik, wenn ich auf das Repertoire meiner Urgroßeltern zurückgreife, aber nicht, wenn ich auf das Repertoire meiner Eltern zurückgreife?

Nach meiner Beobachtung machen das eigentlich nur Leute, die Volksmusik/Volkstanz als abgeschlossenen Corpus betrachten, also im wesentlichen die, die sich der Volksmusk-/Volkstanzpflege verschrieben haben. Aber auch da gibt es Ausnahmen.
Im Bereich der volkstümlichen Musik scheint mir das als Volksmusik bezeichnete Repertoire eigentlich nicht auf die Zeit der Urgroßeltern beschränkt, sondern erstreckt sich bis hin zu aktuellen Kompositionen. Hier wird Volksmusik wohl eher stilistisch verstanden.

Irgendwie landen wir gerade bei dem Thema "Was ist eigentlich Volksmusik", was nicht so richtig dem Ausgangsthema entsppricht. Bei der Schwammigkeit dieses Begriffes ist es aber auch kein Wunder das man immer wieder im unsäglichen Begriffdefintionssumpf landet.
 
Mir fällt gerade auf, dass ich von mehreren der genannten KünstlerInnen kein Lied bzw. keine Melodie singen könnte; einen der Namen habe ich sogar noch nie gehört. Und ich dachte immer, ich gehöre auch zum Volk... :redface:
...
Aber - und damit Spaß beiseite - der Einwand hat natürlich was für sich. Die Namen decken vermutlich einen großen Teil dessen ab, was "das Volk" hört, was somit einen hohen Wiedererkennungswert hat und oft einen Refrain, der zumindest teilweise mitgesungen werden kann.

Ich könnte auch keine Lieder von den genannten Künstlern wiedergeben, das mir diese unbekannt sind.
Wovon hier die Rede ist, ist doch der sogenannten "Mainstream". Inwieweit dieser die "Volksmusik" beeinflusst, steht auf einem anderen Blatt...

Aber auch deutsche Volkslieder und -Tänze haben ihre musikalische Sprache, die sich von z.B. der französischen klar unterscheidet.
Diese ethnische Komponente wirkt (über die Sprache der Texte hinaus und daher auch bei Tanzmusik) identitätsstiftend für das jeweilige Volk. Deshalb kann es eindeutig als "Volksmusik" bezeichnet werden, auch wenn die Inhalte (Melodien und Texte) neu verfasst sind.

Gut geschrieben! Vollt Zustimmung. :great:

Volksmusik also im Sinne eines je nach Volk eigenen musikalischen Ausdrucksrepertoires?

Ja, Deine Frage ist interessant und diskussionswürdig!


Deshalb sollte die Analogie nicht überstrapaziert werden. Ich vermute, dass viele deutsche Regionen sowohl sprachlich als auch musikalisch eher mit Regionen kommunizieren als mit Regionen, die zwar heute im selben Staat liegen, aber lange Zeit fremder waren als die Nachbarn. ...
Die italienische Gruppe Baraban hat mal ein Programm mit Musik aus der Alpenregion gemacht (anbei ein Auszug). Das dürfte Bayern sehr viel näher stehen als Leuten aus Umbrien - und umgekehrt könnte Musik aus Bayern da eher integriert werden als in einem Programm von z.B. Otto Groote.

Danke für das schöne Musikbeispiel.
Otto Groote kenne ich zum Beispiel nicht. Auch kann ich als waschechtes bayrisches Gwachs (=Gewächs) nichts mit Shantieliedern etc. anfangen.
Zum Italien-Beispiel stimme ich Dir volllkommen zu. Bayern, Österreich, ein Teil von Böhmen, Südtirol und Trient sind sich da heute noch ziemlich ähnlich. Ich war z.B. vor einigen Jahren bei einem Bekannten in einem Bergdorf des Trient zu Besuch, die anlässlich meines Geburtstages überraschenderweise am Abend mit Knopfakkordeon, Geige und Schellenbaum "aufgespielt" haben. Diese musikalische Ähnlichkeit bzw. Nähe von Trient nach Bayern war überwältigend. (Historisch alles erklärbar...)
In dieser Ecke Italiens, also östlich von Trient, gibt es auch noch Bergdörfer, in denen heute noch eine Art "mittelhochdeutsch" gesprochen wird.
 
Diese ethnische Komponente wirkt (über die Sprache der Texte hinaus und daher auch bei Tanzmusik) identitätsstiftend für das jeweilige Volk.

Ich erinnere mich daran, dass es Melodien gibt, die in halb Europa bekannt sind; aber wenn z. B. die Iren sie spielen, hört sich das komisch an. (Habe jetzt aber dummerweise kein Beispiel im Kopf.)

Volksmusik also im Sinne eines je nach Volk eigenen musikalischen Ausdrucksrepertoires?

Beispiele:
"Lott is dot"
  • als Manchester im Altenburgischen und im Vogtland bekannt (Böhme, Geschichte des Tanzes in Deutschland, 1886)
  • aus Böhmen (Waldau: Böhmische Nationaltänze, 1856)
  • als schweizer Volkstanz/Volkslied ("DerLanguus") bekannt ( Witzig, Volkstänze der Schweiz, II. Heft, Zürich 1950,)
  • aus dem Chiemgau/Oberbayern stammend ("Ziegeunerpolka") (Kaufmann: Chiemgauer Tänze, Landsberg 1966)
  • typischer Berliner Gassenhauer (Richter, Der Berliner Gassenhauer, 1969)
  • aus Hamburg (Meyer: Volkstänze, 1913)
  • in mindestens vier verschiedenen schwedischen handschriftlichen Tanzmusiksammlungen des 19. Jahrhunderts

"Kreuzpolka - Siehste wohl da kimmt er"
  • als typischer Berliner Gassenhauer (Richter, Der Berliner Gassenhauer, 1969)
  • gehört von mir auf dem Drumherum 2014 (mehrfach) als typisch bayrisch
  • gehört von mir beim Festival in Korrö (Schweden) von einem Spelmanslag (Namen vergessen), meine schwedische Tanzpartnerin bestätigte mir auf Nachfrage, dass dies ein ihr bekanntes in Schweden regelmäßig und als "schwedisch" empfundenes Stück sei
  • gehört von mir von Anders Norudde, der mir das auch bestätigte
  • komponiert von Siegmund Schlichting aus Bayersdorf in Pommern im Jahr 1879 (Forschungsstelle für fränkische Volksmusik)
Keine der von mir gehörten Versionen wirkte auf mich merkwürdig. Überrascht war ich natürlich von den schwedischen Versionen.


Diese Liste ließe sich endlos weiter führen.
Alle hier genannten Bevölkerungsgruppen können also aus dem Stück ihre ethnische Identität schöpfen/bestätigen/erfahren, was auch immer?!

Ich denke, dass die Vielfalt der Musik die teilweise als Volksmusik bezeichnet wird, nicht auf die Zugehörigkeit der Musiker zu dem einem oder dem anderen Volk/Volksgruppe zurückzuführen ist. Eher daran, dass Menschen in Gruppen einfach dazu neigen sich ähnlich zu verhalten, sich also z.B. Spiel- und Tanzstile angleichen. Und trotzdem werden sich die Musiker in einer irish session in Deutschland vermutlich nicht als Iren fühlen, sowenig wie ich mich als Schwede, Pole oder Franzose fühle, wenn ich Polska, Masurek oder Bourreé tanze und auch nicht zusätzlich "extra-deutsch" wenn ich einen Schleifer, einen Schwabisch oder 'ne Polka spiele oder dazu tanze. Ich schätze mal, ein Musiker in einer irish session in Deutschland wird sich eher als Deutscher fühlen, der der Gruppe der "irische" Musik spielenden angehört. Das hat mit der Musik, aber mit keiner Ethnie zu tun. Im Zweifel wird er sich dem irish-folkie aus Tokio wohl näher fühlen, als dem schwedisch-folkie aus Galway.

Ein Beispiel zu welch Absurditäten die Verknüpfung von Musik und ethnischer Identität führen kann:
Klangrauschtreffen 2014, im Konzert wird "Thüringer III" (Tanzheft Schröder, Grevesmühlen/Mecklenburg, um 1870) gespielt. Die Melodie ist einem schleswig-holsteinischen Zuhörer als "Holsteiner Dreitour" bekannt. Sein erboster Kommentar war danach sinngemäß, dass es ja eine Frechheit wäre, dass die Ossis jetzt auch noch ihre (also die holsteinische) Musik klauen würden.

Vielleicht noch ein wie ich finde schönes Zitat:
Ich habe Olle Gällmö (Musiker, Riksspelman) mal gefragt, was ich machen muss, damit ein Stück wirklich schwedisch klingt (ich weiß nicht mehr welches). Er hat mir geantwortet: "Das kann ich nicht. Ich kann dir nur zeigen, wie ich es spiele, also im Olle-Gällmö-Stil".


Wie es höchstwahrscheinlich zu dieser unsäglichen Verknüpfung von Musik und ethnischer Identität kam, hat @Puckiliese am Beispiel für Bayern im post #23 beschrieben. Auch ohne Belege dafür zu haben, vermute ich mal, dass das in anderen Regionen/Ländern ähnlich gelaufen ist.
Natürlich wirkt diese Verknüpfung nach wie vor, wie man ja auch an zahlreichen posts hier lesen kann. Sie ist aber wie es aussieht bewusst installiert worden und hat eigentlich nichts mit der Musik zu tun, sondern ursprünglich wohl vor allem mit politischer Macht und Machterhalt.
Man kann sich nun überlegen, ob man dieses Spiel weitertreiben möchte oder nicht.
Ich möchte nicht.

Ich möchte Musik zum Spielen und zum Tanzen, die mich mit anderen Menschen in meinem Umfeld verbindet. Da mich nunmal die teilweise als Volksmusik bezeichnete Musik am meisten interessiert, beschäftige ich mich mit der und nicht mit Jazz, Rock, Pop oder anderem.

Nach soviel Text gibts jetzt noch Musik, den oben schon erwähnten Thüringer III. Der Stücktitel (so meine Vermutung) hat nichts mit Thüringen zu tun, sondern ist vermutlich eine Verballhornung von Dreithurig (also 3 Touren zum Tanz, ein dreiteiliges Stück, auf dass man dann endlos viele Kehren tanzen kann). Die Namen unter denen das Stück heute bekannt ist (Holsteiner Dreitour, Schwarze Rappen), sind erst im 20. Jahrhundert entstanden. In den älteren Quellen heißt das Ding eigentlich immer nur irgenwas Dreitour-ähnliches.

 
Zuletzt bearbeitet:
  • Gefällt mir
Reaktionen: 3 Benutzer
Alle verstummt? hmm, schade :-(
 
Alle verstummt? hmm, schade :-(
Vielleicht liegt es daran, dass du so viel in dein Posting untergebracht hast - manches einleuchtend, manches Widerspruch erheischend - dass keiner so recht weiß, wo anzufangen. Außerdem klingt eine bestimmte Weltanschauung durch, und man hat die Erfahrung gemacht, dass Weltanschauungen keine gute Basis für eine Diskussion hergeben.

Nichtdestotrotz möchte ich ein paar Punkte kommentieren.

Deine Formulierung:
"Wie es höchstwahrscheinlich zu dieser unsäglichen Verknüpfung von Musik und ethnischer Identität kam, hat @Puckiliese am Beispiel für Bayern im post #23 beschrieben. Auch ohne Belege dafür zu haben, vermute ich mal, dass das in anderen Regionen/Ländern ähnlich gelaufen ist.
Natürlich wirkt diese Verknüpfung nach wie vor, wie man ja auch an zahlreichen posts hier lesen kann. Sie ist aber wie es aussieht bewusst installiert worden und hat eigentlich nichts mit der Musik zu tun, sondern ursprünglich wohl vor allem mit politischer Macht und Machterhalt.
Man kann sich nun überlegen, ob man dieses Spiel weitertreiben möchte oder nicht.
Ich möchte nicht"
kann ich nicht so stehen lassen - insbesondere die Übertragung von Bayern auf andere Länder. Normalerweise ist die Verknüpfung von Musik und Identiät nicht "unsäglich", siondern ganz natürlich.

Klar, das Volkslied als griffige Kunstform, die besonders beim einfachen Untertanen eine starke Wirkung hat, ist oft instrumentalisiert worden. In meiner irischen Heimat jedoch sind die Volkslieder aus früheren Zeiten, die heute noch gesungen werden, eher diejenigen, die die trotzigen Ansichten des einfachen Mannes transportieren. Die "Staatsvolkslieder" sind nur noch Kuriositäten.
Ganz Konkret: im ländlichen Irland des 19. Jahrhunderts bemühte sich die Britische Regierung heftig um Rekruten für die Armee. Zu diesem Zwecke wurden Liedchen geschrieben, die die Vorzüge des Soldatenlebens gegenüber dem harten Los des Landarbeiters anpriesen. Was heute noch davon übrig bleibt, sind populäre Parodien (z.B. "The Kerry Recruit"), die die Aussage genau umkehren.

Die bürgerlichen Revolutionen, die in der Folge der französischen und der amerikanische Revolution in Europa stattfanden, brachten auch tendenziöse Lieder hervor. Allerdings stellten diese - besonders in Irland und Deutschland - eine Opposition gegen die jeweilige Obrigkeit dar. In Irland werden die Lieder aus dem Aufstand von 1798 noch gerne gesungen; die aus dem deutschen Freiheitsbewegung um 1845 sind kaum bekannt.

Interessant auch dein Zitat:
"Ich habe Olle Gällmö (Musiker, Riksspelman) mal gefragt, was ich machen muss, damit ein Stück wirklich schwedisch klingt (ich weiß nicht mehr welches). Er hat mir geantwortet: "Das kann ich nicht. Ich kann dir nur zeigen, wie ich es spiele, also im Olle-Gällmö-Stil".

Da haben wir's - schwedisch ist, was Schweden spielen! Die ethnische komponente in der traditionellen Musik kann man genausowenig ausblenden, wie den regionalen Akzent in der Sprache. Und der Dialekt Sprechende kann einem Außenstehenden kaum erklären, was seinen Dialekt ausmacht (es sei denn, er wäre auch Philologe!). Es gibt also doch eine Qualität, die auch bei international bekannten Melodien rückschlüsse auf die Nationalität des Spielers zulässt - eine ethnische Komponente. Für den einen klingt die Musik heimelig, für die anderen exotisch.
Und das finde ich gut so!

Cheers,
Jed
 
  • Gefällt mir
Reaktionen: 1 Benutzer
Außerdem klingt eine bestimmte Weltanschauung durch, und man hat die Erfahrung gemacht, dass Weltanschauungen keine gute Basis für eine Diskussion hergeben.
Ja.
 
Hallo Jed,
danke für deine offene Antwort. Ich schätze den Widerspruch sehr, weil er mich auch immer wieder zum neuen Nachdenken anregt. Alles was ich hier schreibe ist aus dem Nachdenken über das eigentliche Thema dieses Threads und aus dem Nachdenken über traditionelle Tanzmusik im Allgemeinen und aus dem deutschsprachigen Raum im Speziellen entstanden. Es ist definitiv nicht Ausgeburt einer festen Weltanschauung. Vor allem möchte ich niemandem hier irgendeine Weltanschauung unterubeln. Es geht mir um Anschaungen zur Musik, und da haben wir offensichtlich mindesten teilweise unterschiedliche.

Beim Lesen deiner Antwort ist mir bewusst geworden, dass mein Fokus ganz klar auf Tanzmusik und nicht auf Liedern liegt. Letztere gehören aber natürlich ebenso zur sogenannten Volksmusik, sie sind nur einfach nicht mein Hauptinteresse.
Lieder, die "die trotzigen Ansichten des einfachen Mannes transportieren" oder "eine Opposition gegen die jeweilige Obrigkeit" darstellen, oder auch sonstwie auf Ereignisse verweisen, die innerhalb einer ethischen Gruppe als bedeutsam empfunden werden (und außerhalb nicht), können Ausdruck der ethnischen Identität sein. Insofern möchte ich meine Aussage von der "unsäglichen Verknüpfung von Musik und ethnischer Identität" etwas relativieren. Allerdings ist hier m. E. zu bedenken, dass die Identitätsstiftung bei Liedern sicher wesentlich über den Text läuft und wohl eher nicht über die Musik.

In der DDR der 80er Jahre spielte die sozialkritische Volksliedtradition des 19. Jahrhunderts übrigends durchaus eine Rolle. Diese Lieder wurden oft auch als aktuelle Gesellschaftskritik verstanden. Dadurch wurden die Lieder für mehr Menschen auch persönlich wieder bedeutsam. Das gemeinsame Hören und Singen schuf ein Zusammengehörigkeitsgefühl unter denjenigen, die sowohl der Kritik, als auch der Art der Musik etwas abgewinnen konnten. Der eigentlich Reiz bestand darin, dass man "zwischen den Zeilen" lesen musste und so eigentlich unsagbares sagen bzw. hören konnte. Seitdem nahezu alles auch direkt sagbar ist, hat die Verbreitung dieser Lieder wieder abgenommen.

Bei Tanzmusik und bei Liedern, deren Texte keine direkte ethnische Identifikation nahelegen, sehe ich in der Tat keine Anhaltspunkte für die immer wieder in den Mittelpunkt gerückte ethnische Komponente. Das habe ich bereits geschrieben. Ich negiere damit nicht die Unterschiede in der musikalischen Ausführung, im Tanz, in Melodien etc.. Dazu habe ich auch geschrieben.

Eine Wirkung dieser Verknüpfung und der ständigen Fokussierung darauf ist m. E., dass von Außenstehenden vermutet wird, dass hinter der Beschäftigung z.B. mit Tanzmusik aus dem deutschsprachigen Raum eine irgendwie besonders stark ausgeprägte deutsche Identität stecken muss. Allein die Beschäftigung mit der Musik oder auch nur diese gut zu finden, wird häufig als Bekenntnis zu einer nationalen oder regionalen Identität angesehen. Mit einem solchen Bekenntnis haben in Deutschland viele Menschen aber ein Problem. Der Kontakt mit dieser Art von Musik führt dazu, dass sie peinlich berührt sind. Ich denke, häufig genau aus diesem Grund. Bei mir war es definitiv so, als ich vor vielen Jahren mit dieser Musik in Berührung kam. Irgendwie schwang anfangs immer auch die Angst mit, sind das vielleicht doch alles verkappte Nazis? Ich habe die Scheu überwunden und festgestellt, nee, sind se nich. Ich kenne einige Leute, denen es ähnlich erging. Ich habe erlebt, dass selbst Musiker, die durchaus schon einige Jahre diese Musik spielen, Probleme kriegen, wenn sie Stücke spielen sollen, die "Teusch" oder "Preusch" heißen. Sie haben teilweise sichtbar Qualen gelitten, die Titel auch nur auszusprechen weil sie davon peinlich berührt waren.
Es gibt aber viele Menschen, die dieses Gefühl des peinlich Berührtseins nicht überwinden wollen und lieber mit dieser ganzen "deutschen Volksmusik" nichts zu tun haben wollen.

Eigentlich vor allem wegen dieser Wirkung finde ich die Verknüpfung von Musik und ethnischer Identität "unsäglich". Gäbe es diese Wirkung nicht, wäre es mir herzlich egal, ob für die Spiel- oder Tanzweise eines Menschen, wie ich denke fälschlicherweise, die ethnische Identität verantwortlich gemacht wird.

Da haben wir's - schwedisch ist, was Schweden spielen! Die ethnische komponente in der traditionellen Musik kann man genausowenig ausblenden, wie den regionalen Akzent in der Sprache. Und der Dialekt Sprechende kann einem Außenstehenden kaum erklären, was seinen Dialekt ausmacht (es sei denn, er wäre auch Philologe!).
Ja, nachdem ich meine oben beschriebene Scheu überwunden hatte, hing ich eben dieser Idee von
Volksmusik ... im Sinne eines je nach Volk eigenen musikalischen Ausdrucksrepertoires
an.
Die Antwort
"Das kann ich nicht. Ich kann dir nur zeigen, wie ich es spiele, also im Olle-Gällmö-Stil"
gab mir Olle Gällmö aber nicht, weil er mir das als Außenstehenden kaum erklären kann, sondern weil er Kategorien wie "schwedischer Stil" einfach für unsinnig hält.


Vielleicht liegt es daran, dass du so viel in dein Posting untergebracht hast
Na ich hoffe jetzt einfach mal, dass die Länge des Textes hier niemanden überfordert, auch wenn es mehr als 140 Zeichen sind.
 
Solbald man vor oder besser noch mit Menschen aus anderen Ländern Musik macht, wird man erkennen, daß die eigene Musik weder peinlich noch langweilig noch mit irgendeiner politischen Aussage verknüpft ist.
Mehr noch ist Musik eine Sprache, die Menschen verbinden kann.
Ich hab es schon so oft erlebt, daß man sich kaum miteinander sprachlich verständigen kann, aber zusammen Musik machen - jeder mit seinem Stil - das ging immer.
Gruß,
Jonny
 
  • Gefällt mir
Reaktionen: 2 Benutzer
Solbald man vor oder besser noch mit Menschen aus anderen Ländern Musik macht, wird man erkennen, daß die eigene Musik weder peinlich noch langweilig noch mit irgendeiner politischen Aussage verknüpft ist.

So ist es!
 
Oh wie schön, da sind wir uns ja ausnahmsweise mal fast einig.
Naja, also fast jedenfalls.
Mir hat die Beschäftigung mit der Musik selbst gereicht um zu erkennen, das die nicht peinlich ist.
Das im Kontakt zu ausländischen Musikern, Hörern, Tänzern nochmal bestätigt zu bekommen, ist aber schon immer wieder sehr schön.

Ergänzung:
Nee, die Verknüpfung mit einer politischen Aussage steckt nicht in der Musik. Die schafft der Spieler oder der Zuhörer selbst, oder im besseren Fall eben nicht.
 
Zuletzt bearbeitet:
  • Gefällt mir
Reaktionen: 2 Benutzer

Ähnliche Themen


Unser weiteres Online-Angebot:
Bassic.de · Deejayforum.de · Sequencer.de · Clavio.de · Guitarworld.de · Recording.de

Musiker-Board Logo
Zurück
Oben