Mal eine Frage: wozu dieses Definitions-Korsett?
Ich bin ja schon etwas älter und kann mich sehr gut daran erinnern, dass der Begriff ProgRock geprägt wurde, um die Musik von den `üblichen Rockern´ wie Who etc. abzugrenzen (von Beatles war dabei übrigens nie die Rede) und gleichzeitig damit anzuzeigen, dass diese Musik offen für artfremde Einflüsse (z.B. Klassik) war und vom Wesen her neu, experimentell und nicht kommerziell war. Der Begriff beinhaltete also auch eine notwendige, adäquate Geisteshaltung. ProgRock war daher in der Zeitspanne von etwa 70 bis 76 die quasi Avantgarde der Rockmusik (dem die damaligen Mädels in der Regel leider nicht viel abgewinnen konnten). Aber danach - so etwa Mitte der 70er - konzentrierte sich der Blick der ProgRock-Anhänger mehr und mehr auf Bands wie Zappa oder auf den Jazzrock (Mahavishnu, Chick Corea etc.), da das Vokabular des ProgRock ausgereizt zu sein schien und die neue Avantgarde aus dieser Richtung kam. Zeitgleich kam der Punk hoch und machte aus seinem Dilettantismus ein Stilmittel. Dem ProgRock wurde plötzlich von zwei Seiten der Boden entzogen und mutierte von der einstigen Speerspitze zu einem leicht vergilbten Genre.
Die o.a. Anspielung auf die Beatles mag insofern stimmen, als dass die sich mit Sgt. Pepper (zum Teil) auf die Experimentierstufe gestellt hatten. Von dort ging der Weg über Hendrix, Cream, Nice, Fripp, Deep Purple zu ELP, Genesis, Yes, Gentle Giant etc.
Generell sieht man also, dass der Begriff zeitgebunden ist. Und ohne die sozialpolitischen Umwälzungen der 68er ist er wahrscheinlich in seiner Definition und Begrifflichkeit nicht denkbar (Überwindung der Nachkriegszeit, Aufarbeitung der Nazi-Geschichte, Vollendung des Demokratisierungsprozesses, Einforderung der legitimen Rechte der Jugendlichen sowie generelle Vitalisierung des gesellschaftlichen Lebens - Aufzählung ist natürlich nicht vollständig).
Wenn ich mir dagegen Dream Theatre & Co. anhöre, kann ich deren Musik unmöglich dem ProgRock zuordnen, dafür ist mir alles zu sehr auf Technik-Show (im Sinn von Fingerfertigkeit) ausgerichtet. Außerdem fehlen die Komponenten des Experimentellen - bei aller Virtuosität und Vertracktheit der Stücke (aber hört Euch mal Gentle Giant an) - und der sozialpolitischen Anbindung (was man u.U. auch mit fehlendem Ausdruck interpretieren könnte).
Wenn man denn überhaupt diese alte Schublade für neue Bands aufmachen möchte, sollte man dafür vielleicht den Begriff New ProgRock prägen (um den Begriff Post ProgRock zu vermeiden).
Viele Grüße,
Anony.