Was also tut ein GL, wenn er einen SchĂŒler hat, der dringend Gehörbildung brĂ€uchte? Kann man mit so einer Ausgangslage ĂŒberhaupt etwas anfangen?
Gehörbildung ist ein Thema, was jeden Musiker ein Leben lang begleitet.
Genaugenommen begleitet es jeden Menschen, denn Gehörbildung gibt es auch in der Alltagssprache: mit einem groĂen Wortschatz, einem bewussten Umgang mit Sprache, mit rhetorischen Figuren, mit Sinn fĂŒr sprachliche Ăsthetik kann man besser mit Sprache umgehen, als wenn man das alles beiseite lĂ€sst. Gehörbildung bedeutet Wahrnehmung und produktive Interpretation von Gehörtem - das gibt es sowohl in der Sprache als auch in der Musik, und alle hörenden Menschen betreiben es tĂ€glich.
Gehörbildung kann man als Musiker bewusst oder unbewusst betreiben, aber ganz ohne wird man kein guter Musiker. Ein Gesangslehrer steht also vor der Herausforderung, dem SchĂŒler sinnvolle Wege zu zeigen, wie er mit musikalischen Strukturen (Melodien, Harmonien, Rhythmen) umgeht und sie sich aneignet.
Oft wird ein rationaler, also analysierender und benennder Zugang das Mittel der Wahl sein, denn damit erlernt der SchĂŒler eine Sprache, mit der man sich unter Musikern dann auch ĂŒber Musik austauschen kann. Wenn dagegen Gehörbildung im Ungesagten, Unbenannten bleibt, kann man nur hoffen und vermuten, dass es der SchĂŒler irgendwann beherrscht. Da Unterricht eine geplante Veranstaltung mit dem Ziel des Fortschritts des SchĂŒlers ist, muss ein gewisser rationaler Zugang zur Gehörbildung im Gesangsunterricht vorkommen, wenn es denn Unterricht sein soll.
Und dann muss der GL irgendwann eine Auswahl treffen, welche Gehörbildungs-Inhalte er selbst fĂŒr wichtig hĂ€lt und dem konkreten SchĂŒler vermitteln will: gute Intonation, bewusstes Ansteuern von Intervallen, Formenlehre, Harmonisches Bewusstsein, Rhythmik (z.B. mehrer Schichten eines Grooves heraushören, essentiell um in einer Band zu singen)âŠGehörbildung ist ein extrem vielfĂ€ltiges Gebiet. Es ist ganz nahe dran am Kern des Musikmachens: der MusikalitĂ€t, dem Talent, dem SpaĂ am Erkennen und Begreifen und dem eigenen Produzieren von Musik.