Wir haben hier im Ort auch eine Location mit ca. 100qm, wo ich die letzten 15 Jahre Jobs der wirklich teilweise härtesten Gangart gemischt habe. In 99% der Fälle habe ich trotzdem nicht mal die Monitore extra eingepfiffen.
Ich erinnere mich aber zumindest speziell an eine Band, da waren die Vocals einfach partout nicht nach vorne zu bekommen. Selbst auf dem Kopfhörer habe ich die wirklich suchen müssen, was sogar dazu geführt hat, dass ich mich ernsthaft kurz gefragt habe, ob wir beim Changeover irgendwie die Mics von Lead- und Backingvocals vertauscht haben.
Es war ja noch nicht mal ein Problem von mangelndem Gain-before-Feedback, aber da machste halt einfach trotzdem nix mehr, Punkt. Wenn hinten mit zwei Meter Abstand und damals noch akustisch völlig unbehandelter Beton-Rückwand ein absolutes Tier von Drummer sitzt, während der Sänger in einer Lautstärke ins Mikro flüstert, als würde er seinem besten Spezl irgendein hochbrisantes Geheimnis erzählen wollen, dann kannst du das am Pult raufkurbeln wie du willst. Da wird einfach nur der Bleed von Drums, Amps und sogar Publikum lauter, während die Vocals trotzdem einfach nicht nur im Hintergrund, sondern eher schon drüben im anderen Gebäude zu suchen sind.
Das Hauptproblem - und das wird sehr schön daran deutlich, dass die großen Bühnen "überraschenderweise" kein Problem sind - ist einfach physikalisch bedingt und ganz plump erklärt: Die Energie kann nicht weg. Während das beim OpenAir im wahrsten Sinne des Wortes in alle Himmelsrichtungen wegkann, bleibt es bei einem kleinen Club halt einfach zu 100% im Raum. Und findet in sehr großen Teilen den Weg ins Mikro des Vokalisten. Da nutzt ohne weitere Maßnahmen auch erstmal kein Drumshield was, denn dann geht der Anteil, der sonst direkt nach vorn geht, halt erst nach hinten und dann nach vorne.
Dann muss man halt oft auch sagen, dass guter Sound ja sehr streitbar ist. Ich habe Kollegen erlebt, die schrauben genau das rein, was ich rausschrauben würde, weil es mich "flat" schon massiv nervt. Aber da hat halt das Lehrbuch oder schlaue YT-Tutorial irgendwann mal gesagt "Machsssu ganz ganz viel 3-4k rein, is suuuuuupa für die Sprachverständlichkeit!!!!11" und das wird akribisch durchgezogen, egal ob Mix, Raum und PA das heute hergeben oder nicht.
Wenns heute in der Location immer bei der gleichen Frequenz koppelt, dann zieht man die halt raus. Das auffinden derselben und rausnotchen geht mit den heute zumeist am Start befindlichen Pulten inklusive Vollparametrik und RTA so einfach wie noch nie.
Wenn man das im sinnvollen Rahmen gemacht hat (ab dem Punkt, wo man einen kompletten Terzband-EQ in den Vocal-Insert packt und 15 Frequenzen >=6dB rauszieht, um den Fader einen Millimeter weiter raufzubekommen, kann man dann wirklich endgültig einfach leiser machen) ist halt die Grenze des Machbaren erreicht und es muss tatsächlich mal die Band an sich arbeiten. Wenn die Vocals nicht nach vorne kommen, der Sänger aber unbedingt auf Abstand arbeiten möchte und der Drummer auch gestern erst wieder beim T-Man neue Cymbals beschafft hat mit Einstellung im Shop "Nach Lautheit sortieren: absteigend" (ich bin mir absolut sicher, dass es diese Auswahl gibt, anders ist manches was ich so erlebe nicht mehr zu erklären...), dann ist halt als Mischer - wie schon ein paar Posts weiter oben mal geschrieben wurde - der Punkt gekommen, wo man sagt: "OK, scheinbar sind bei der Mucke die Vocals nicht so wichtig" und sich ein Kaltgetränk aufmacht.