Analyse einer Pachelbel-Fuge (T.264)

Bernnt
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Liebe Musikfreunde,

ich bin auf dem Weg, mir verschiedene Fugen anzueignen, d.h. sie zu verstehen und zu spielen. Ohne zu verstehen, kann ich sie aber nicht auswendig spielen - was mein Ziel ist.

Wie bei vielen von Euch kam Theorie bei mir im Musikunterricht der Schule vor. Dort lernte ich folgendes: Eine Fuge hat ein Thema, das wiederholt auftritt, zum Beispiel als Dux und Comes (in Oberquinte oder Unterquarte); dazu tritt als Begleitung ein Kontrasubjekt; in Durchführungen wird das Thema immer wieder aufgegriffen und vielleicht variiert etc. pp. Mir geht es jetzt nicht darum, die Theorie darzustellen, mit denen ich die Fugen von JSBach meist ganz gut verstehen kann.

Bei der Fuge von Pachelbel (T.264) habe ich meine Schwierigkeiten. Wahrscheinlich erwarte ich theoretisch einfach zu viel. Ich sehe eine thematische Figur, die immer wiederkehrt (Takt 1 und 2(1.Schlag) im Violinschlüssel, Takt2+ im Bass; Takt 5 im Violinschlüssel etc. pp., die ich im beigelegten Bild gelb markiert habe). Ich sehe auch, dass die Grundtonart C-Dur ist und das Thema in der Quinte im Takt 5 erscheint (also ist das wohl der Comes oder und eben nicht Takt 2 im Bass?).

ABER:
Was sollen die Takte 3 und 4?
Worin besteht das Kontrasubjekt?
Wie kann man die Fuge gliedern?

Irgendwie habe ich den Eindruck, man hat keine richtige Fuge, sondern eher etwas vor sich, was einer Invention gleicht, wobei willkürlich irgendwie das Thema irgendwann aufgegriffen wird. Ihr seht, ich sehe den Wald vor lauter Bäumen mit. Ich würde mich über eine strikte theoretisch begründete Gliederung des Stücks freuen, die zu meinem Verständnis beiträgt, so dass ich weiß, was ich da eigentlich spiele.

Vielen Dank für Eure Hilfe
Bernnt
 
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  • Johann Pachelbel - Fuge in C-Dur - T.264.pdf
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Dein eindruck täuscht nicht: eine "richtige" fuge ist das nicht.
Das stück ist recht einfach gestrickt, pendelt zwischen tonika und dominante und ist leicht "zu verstehen".
Musterhafte fugen findest du bei Händel und natürlich in Bachs WTK, aber auch da geht es nicht immer der regel gemäß.
Ich habe das alles gespielt, aber nie den ehrgeiz gehabt, fugen auswendig zu lernen, schon des zeitaufwandes wegen. "Fingergedächtnis" nützt da nichts.
 
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Vielen Dank, @Günter Sch. für deine Eindrücke.

Kann es sein, dass ich in der Schule "belogen" worden bin? Es sieht doch so aus, dass die Bachschen Fugen praktisch mustergültig sind und der Rest zuvor (also der größere Teil der Geschichte) beträchtlich von der Theorie abweicht, die man in der Schule und in der Universität eingetrichtert bekommt. Also...

Also brauche ich einen Zugang zu der Musik, die ich spiele. Ich gebe dir recht, dass Fingergedächtnis da nichts nützt. Also gibt es nur die Möglichkeit zu verstehen. Offensichtlich scheinen die Werkzeuge der Schule bzw. Hochschule nicht zu funktionieren. Vielleicht braucht man statt dem musikalischen Lineal einen musikalischen Hammer oder Schraubenzieher....

Mich würde echt freuen, wenn jemand so ein Werkzeug hätte, das ich mich an die Aneignung des Stückes machen kann, zu dem ich ja die Noten schon gepostet habe. Ich hoffe so etwas gibt es für diese Fuge, es wird doch nicht alles nur wilde Phantasie sein.
 
Kann es sein, dass ich in der Schule "belogen" worden bin?
Wahrscheinlich nicht nur in der Musik ... :D

Ich denke, man darf die Begrifflichkeit da nicht immer so eng sehen, das war ja historisch gesehen alles immer in Entwicklung. In vorbachschen Zeiten hat man das Wort Fuge synonym zu Kanon verwendet. Später benannte man damit allgemein imitatorische Kompositionen. Die heute als schulmäßig gelehrte Fugeform entstand erst in der Bachzeit, und die Lehrbücher darüber wurden erst hinterher geschrieben. Und weil damals auch noch niemand bei Wikipedia nachschauen konnte, was eine Fuge eigentlich sein soll, waren damals bestimmt auch regional unterschiedliche Sprachgebräuche anzutreffen. Sogar Bach verwendete in seiner Kunst der Fuge Ausdrücke wie Canon alla Decima u.ä. Deshalb vermute ich mal, das Pachelbel den Ausdruck Fuge nicht exakt so verwendet hat, wie die Lehrbuchschreiber nach ihm.

In der Schule muß halt (leider) abfragbares Wissen vermittelt werden, und dafür braucht man möglichst fest einbetonierte Begriffe. :rolleyes:

Viele Grüße,
McCoy
 
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Vielen Dank für den historischen Hinweis, @McCoy. Schön, dass Du Dich gemeldet hast.

Jetzt tatsächlich zu den Noten: Seht ihr in der genannten Pachelbel-Fuge mehr als ich? Also mehr als die von mir gelb markierte immer wiederkehrende thematische Figur?
 
Es gibt auch "vor" Bach regulär gebaute fugen mit exposition (das thema erscheint quintversetzt nacheinander in allen stimmen), modulation und ggf. engführung. 2stimmige fugen sind zwar leichter zu spielen, sind aber selten und weichen häufig, auch bei Bach vom schema ab.
Das stückl von Pachelbel ist nicht gerade eine offenbarung, und auch anfängern spielerisch zugänglich. Ich sehe, dass das thema (die beiden ersten takte) sehr ökonomisch verwendet wird, mal rechts, mal links, mal in tonika, mal in dominante, aber aufregend ist es nicht.
Spiele es, freu dich dran, es zu analysieren und auswendig zu lernen, lohnt nicht Pflege lieber dein klavierspiel.
Wenn du an polyphonem spiel interessiert bist, sehen wir weiter. Wer vom blatt spielt, kann vieles spielen, gedächtnis ist eine von musikalität unabhängige fähigkeit, die man bis zu gewissem grade trainieres kann.
Auf McCoy ist immer verlass! Sehe gerade seinen beitrag.

Inventio 1
Falls du mal zeit hast.
 
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… ich bin auf dem Weg, mir verschiedene Fugen anzueignen, d.h. sie zu verstehen und zu spielen. Ohne zu verstehen, kann ich sie aber nicht auswendig spielen - was mein Ziel ist.

Kannst du das - wenn Du magst - näher erläutern ?

Ich frage das aus ehrlichem Interesse, weil ich diesen Zugang so überhaupt nicht nachempfinden kann.

LG
Thomas
 
Das stückl von Pachelbel ist nicht gerade eine offenbarung, und auch anfängern spielerisch zugänglich.
Genau darum spiele ich es ja.

Spiele es, freu dich dran, es zu analysieren und auswendig zu lernen, lohnt nicht Pflege lieber dein klavierspiel.
Na ja, sei mir nicht böse, dass ich es trotzdem tue. Inzwischen sind mir doch noch weitere Elemente aufgefallen, die immer wiederkehren. Wer sich den Scan ansieht, sieht drei kleine Motive, die immer wieder auftreten. Dabei ist das zweite (orange) Motiv vom Thema abgeleitet, das grüne ist eigenständiger.

Ich bin übrigens kein Pianist, sondern Akkordionist. Mit dem Akkordeon spiele ich v.a. Jazz und Blues, aber auch etwas Piazzolla. Vor einiger Zeit habe ich mir ein Konzertakkordeon gekauft, mit dem man links einzelne Töne, nicht nur Akkordkombinationen spielen kann. Damit stehen mir Werke aus dem Barock und der Klassik offen.

Ich frage das aus ehrlichem Interesse, weil ich diesen Zugang so überhaupt nicht nachempfinden kann.
Na ja, @turko, was soll ich schreiben. Ich spiele alles auswendig - egal ob das ein Jazzstandard ist und man dann improvisiert, oder aber auch Mozarts Rondo alla Turca. Freilich habe ich beim Musikmachen gemerkt, dass ich "homophon geprägt" bin. Ich denke in Melodie und zugehörigen Akkordschemen. Auch Fugen habe ich angefangen so zu spielen. Aber da tue ich den Fugen glaube ich interpretatorisch Unrecht an. Denn das sind ja polyphone Werke. Was ich damit sagen will: Ich lese so eine Fuge und spiele sie auch: In der Melodie eine Viertel, im Bass dazu zwei Achtel - kein Problem. Und beim nächsten Schlag passiert dasselbe wieder. Bei dieser Vom-Blatt-Spielerei wird also die schöne polyphone Struktur zerstört, weil ich nicht in Melodielinien denke und die verschiedenen Themeneinsätze und die davon zu unterscheidenden Kontrasubjekte keine eigene Gestalt gebe, sondern nur darauf achte, das gleichzeitig zu spielen, was gleichzeitig gespielt gehört. Solche Probleme kann es beim Jazz auch geben. Die Lösung, wie ich so etwas angehe, heißt für mich eben auswendig lernen und auswendig spielen. Damit muss ich mich nicht mehr auf den Notentext konzentrieren, sondern kann meinen Geist je nach Vorliebe auf die Gestaltung des Themas oder der Begleitung konzentrieren und so zu einem musikalischeren der Polyphonie angemessenerem Ergebnis gelangen. Ich muss in diesem Zusammenhang freilich ergänzen, dass mir auswendig spielen oder vorspielen überhaupt nichts aus macht, ich muss lediglich mich erinnern oder verstehen, was ich tue. Darum die Rückfrage nach der musikalischen Gestalt der Fuge.
 

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  • Johann Pachelbel - Fuge in C-Dur - T.264_Analyse2.pdf
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Wer sich den Scan ansieht, sieht drei kleine Motive, die immer wieder auftreten. Dabei ist das zweite (orange) Motiv vom Thema abgeleitet, das grüne ist eigenständiger.
T9, r.H. Zählzeit 1+2 ist nochmal Orange.
T7, l.H. ZZ 3+4 ist die Umkehrung von Orange.
T10, t.H. ZZ 1+2 sowie 3+4, ebenfalls T 16, r.H. ZZ 1+2 sind jeweils Krebse von Grün.
T7 r.H. ZZ 1+2 ist sehr ähnlich zu T22 l.H. ZZ 1+2.

Je länger man hinschaut, desto mehr entdeckt man.

Viele Grüße,
McCoy
 
Na ja, @turko, was soll ich schreiben. Ich spiele alles auswendig - egal ob das ein Jazzstandard ist und man dann improvisiert, oder aber auch Mozarts Rondo alla Turca.

Und ich verstehe halt nicht, was genau Dich daran hindert, das bei dem Pachelbeldings genauso zu machen. Und Dein Erklärungsversuch, wenn es denn einer sein sollte, hat mich um nichts schlauer gemacht.
Ist aber auch kein großes Thema. Hauptsache, Du bist zufrieden so !

LG

Thomas
 
Die vielen präludien, fugen, suiten usw. sind fürs klavier geschrieben, ob clavichord, cembalo, orgel mit tastatur über den gesamten tonbereich, was polyphones spiel auch im bass-bereich ermöglichte.
Das akkordeon ist anders konzipiert und in dieser hinsicht eingeschränkt, da bedarf es großen geschicks, dies zu adaptieren.
Ich war zu einem wettbewerb in Trossingen eingeladen und staunte, was man da alles zuwege bringt.
In diesem sinne wünsche ich freude und erfolg.
 
Das akkordeon ist anders konzipiert und in dieser hinsicht eingeschränkt, da bedarf es großen geschicks, dies zu adaptieren.
So pauschal würde ich das nicht sagen. Jedes der genannten Instrumente hat Vor- und Nachteile - wie das Akkordeon auch. Bei einem Clavichord klingen die Töne nicht lange nach, außerdem ist es leise. Bei einem Klavier verklingen die Töne, dafür kann man sie unterschiedlich laut anschlagen. Bei einer Orgel kann man die angeschlagenen Töne nicht einzeln langsam verklingen lassen, dafür kann man sie lange aushalten. Freilich kann man auch nicht unterschiedlich laute Töne in einer Hand auf einem Manual gleichzeitig spielen. Bei einem Akkordeon kann man Töne lange aushalten und sie an- und abschwellen lassen - leider nicht einzeln. Verklingen lassen geht nicht. Aber ich kann mit meiner linken Hand zwei Oktaven greifen und dabei mit fünf Fingern zwei oder drei polyphone Stimmen spielen. Zwei Oktaven haben die wenigsten Pianisten in einer Hand drauf. Das wohltemperierte Klavier von Bach, allgemein Stücke von Bach oder Scarlatti oder andere Werke aus der Barockzeit gehen auf einem Akkordeon ganz gut - je nach Fähigkeiten versteht sich. Auch die Werke Mozarts gehen. Bei den Stücken der Romantik wird das dann schwieriger. Denn wir haben kein Sustain-Pedal :mad: (hatte aber Mozart anfangs auch nicht).:D;):)

Je länger man hinschaut, desto mehr entdeckt man.
:great: Super, dass du mir hilfst. Das hätte ich fast übersehen. Vielen Dank, ich trage einfach die ersten paar Anmerkungen in mein pdf-Dokument ein und poste jetzt einfach mal Version 3 der Pachelbel-Fuge. Vielleicht gibt es noch mehr.

Auf meinem Blatt sehe ich, dass die letzte Zeile irgendwie nicht so verzahnt ist wie die anderen Takte zuvor. Vielleicht gibt es jemand, der sich darauf einen Reim machen kann und erklären kann, wie die letzte Zeile musikalisch an den Rest angedockt ist.

Die "Fuge" scheint ein musikalischer Flickenteppich, obwohl sie einfach (schön) klingt. Das finde ich gut. Bei manchen alten Meistern kriegt man etwas Nettes Einfaches in die Hand gelegt und eigentlich ist es ein richtig schönes komplex gestricktes Kunstwerk. Man ist nur blind und sieht das nicht.

:gruebel: Mein Versuch einer Antwort: Was ist eine Fuge? - Eine Fuge ist ein musikalisch polyphones Patchwork aus immer wiederkehrenden, variierten und aufeinander bezogenen motivischen Versatzstücken. Das passt - auf die Pachelbel-Fuge hier wie auch auf die Bachfugen. Die Extraktion der Definition der Fuge allein aus den Bachfugen passt hingegen nicht. Das hatten wir ja schon festgestellt. Aber ich glaube mit dieser Arbeitsdefinition kann man auch musikwissenschaftlich weiterkommen, wenn man jetzt noch Gattungen herausarbeitet, die wohl auf der Art des Bezugs fundieren müssten. Vielleicht gibt es ja auch Fugenstile, die sich an einzelnen Komponisten festmachen lassen.

Mein Interesse hier gilt jetzt aber mehr der letzten Zeile des Pachelbel-Werks. Was passiert da?
 

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  • Johann Pachelbel - Fuge in C-Dur - T.264_Analyse3.pdf
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Vielen Dank für eure Hilfe. Jetzt geht die Fuge. Schön :)
 
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