Antike Akkordeons

thuja
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Mich treibt schon ewig um, wie die schicken Akkordeons der 20 / 30 er Jahre wohl waren.
Ich las mal bei einem englischen Akkordeonbauer, daß die Instrumente damals häufig nicht besonders gut gewesen seien - was auch immer er damit meint, er hats leider nicht näher ausgeführt.
So ganz mag ich das nicht glauben und deshalb frage ich hier mal rum:

Mich interessiert, wie diese Akkordeons geklungen haben, welche Chöre / Register usw. üblich waren und sowas alles. Was hat sich danach nicht nur optisch sondern auch technisch, klanglich verändert?
Wie ist (soweit sie technisch in Ordnung sind natürlich) ihre Spielbarkeit?
Sind sie dann auch "voll belastbar" oder deutlich empfindlicher als heutige Modelle?

Würde mich freuen, mehr zu erfahren - leider sind mir nämlich noch keine antiken Akkordeons live begegnet. :)

viele Grüße
Thuja
 
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Hallo,

das ist ein großes Thema, bei dem auch die Meinungen weit auseinandergehen. Natürlich kann ich da nur über Instrumente reden, die ich entweder mal (auch von innen) anschauen und spielen durfte oder solche, die ich restauriert habe bzw. sich in meinem Besitz befinden.

Ich kenne aus dieser Zeit im wesentlichen Hohner (z. B. Tango, 1055, 5055, Organola, Morino), einige Italiener (z. B. Dallapé, Paolo Soprani, Quagliardi) und ein einziges Instrument östlicher Provenienz, eine "Mozart" der Gebrüder Blei.

Fangen wir bei den Stimmplatten an: Ich habe mir den Spaß gemacht und eine Menge davon nachgemessen und da hat sich halt gezeigt, dass die Präzision der heutigen Spitzenplatten bei weitem nicht erreicht wurde; ich denke, das hat man auch im wahrsten Sinne des Wortes nicht so eng gesehen. Es musste auch immer kräftig nachgestimmt werden, denn was da gefeilt und gekratzt wurde, war manchmal schon recht heftig.

Zum Registrieren gab es nicht viel; es gab z. B. viele Instrumente, wo sich nicht mal das Einchörige schalten ließ. Man hatte ein zwei- oder dreichöriges Tremolo, bei dem sich nur noch die Unteroktave zu- und wegschalten ließ. Drei Diskantregister (meist Schieber) und bei ganz vornehmen Instrumenten ein Bassregister (Kipptaste) waren das Höchste der Gefühle. Das Tremolo war meistens recht scharf gestimmt, wahrscheinlich der Zeitgeschmack.

Von den Chören her waren vier das Maximale. Es gab wohl auch Sonderanfertigungen, aber in meinen sämtlichen Unterlagen habe ich nicht mehr als vier gefunden.

Das größte Manko sind für mich die Tastaturen; die Seitenführung ist durchweg miserabel. Für einen heutigen Spieler sind auch die schmalen Halbtontasten ein Problem, ich muss immer sehr aufpassen, dass ich nicht "abrutsche"; aber das ist natürlich Gewöhnungssache. Bei Hohner sind dann in den Vierzigern die ersten "normalbreiten" Tasten aufgetaucht. Ich kenne halt nur Pianotastaturen; mit "Knopf" habe ich mich nie befasst.

Ob die Instrumente "voll belastbar" sind, wage ich nicht zu beurteilen, denn dazu spiele ich zu selten drauf; die stehen mehr in der Vitrine......

Was die Verarbeitung anbetrifft, so hat man sich bei der Außenansicht schon sehr viel Mühe gegeben. Es wurden aufwendige Bemalungen aufgebracht und Verzierungen mit Straßsteinchen, Schildpatt, Perlmutt usw. appliziert.
Auch das gibt es ja (vor allem bei den Italienern) heute noch oder auch wieder.

Wenn man dann innen nachschaut, kommt einem schon manchmal der Gedanke "außen hui und innen pfui", aber das ist von Modell zu Modell und Fabrikat sehr verschieden.

Ich meine daher, dass man da keine allgemeingültige Aussage machen kann.

Gruß Claus
 
Zuletzt bearbeitet:
Da hast Du Recht, Claus.

Denn auch bei Richter liest es sich ein bißchen anders als was man dann tatsächlich findet. Zuordnungen sind daher schwierig. Wie heute gab es auch damals gute und schlechte Instrumente, so daß man die einen auch härter hernehmen konnte, während die anderen eben nicht so viel aushalten.

In den 20ern wurde viel Wert auf das Äußere gelegt, während in den 30ern sich die Gestaltung änderte.

Was man wohl sagen kann, ist, daß in den 20ern und 30ern viele Erfindungen und Weiterentwicklungen waren. So wurde die Baßmaschine entwickelt, wie wir sie heute kennen - davor war das ein wirres Drahtgewußt, oder die Registermaschine...

Die ersten Register - nämlich Schieberegister etc. kamen Ende der 20er auf (ev. auch früher), die Druckregister kamen in den 30ern auf, die heutigen Kombinationsregisteranlagen wurden wohl während des Krieges entwickelt.

Ich habe hier noch eine Royal Standard aus den späten 30er Jahren, die sich durch 5 Chöre im Diskant (Piccolo doppelt mit Schwebung) und 6 im Baß auszeichnet. A-mano Dix-Stimmplatten (Super-Dix), die Aufhängung der Diskanttastatur top, nichts ausgeschlagen, im Baß eine hervorragende Anlage, die schön leichtgängig ist.

Die konnten damals schon, wenn sie wollten.
 
Herzlichen Dank, Claus und Andreas!

Ihr habt mir mit Euren Infos schon bedeutend weitergeholfen und meine Neugier ist nun zumindest etwas gestillt. :)
Werde Eure Informationen im Hinterkopf behalten, falls mir mal live so ein Oldie begegnet.

Allerdings bin ich dank Eurer Infos (vielleicht auch zum Glück ;) ) nicht mehr sooo wild auf diese Exemplare, da gerade der Klang Tremolo + Unteroktave der ist, mit dem ich mich bis heute nicht anfreunden konnte und den ich auch nie benutze. Tremolo, einchörig oder die Doppeloktave ist alles schön - aber die Kombi :gruebel:... naja, vielleicht liegt es auch am Instrument, ob die schön klingen kann.
Somit wäre ein dreichöriger Oldie für mich eher nix bei der damals üblichen Registrierung, ein zweichöriger täts dann wohl - es sei denn ich fänd andere Registrierungen.
Hach ja aber schick sind die Akkordeons von damals für meinen Geschmack fast alle - auch die schlichteren. Ich steh einfach auf diese eckigen Gehäuseformen und die ziselierteren Verdecke. Dicke Chromleisten auf Streckmetall hab ich schon *gg*.

vielen Dank noch mal!
Thuja
 
vielleicht liegt es auch am Instrument, ob die schön klingen kann

Hallo Tuja,

Das hängt selbstverständlich vom Instrument ab, wie das klingt - vor allem aber, wie es gestimmt is! Und da kann man auch heute noch dran drehen, denn so ein Tremolo ist nicht auf alle Ewigkeit fest, das kann man jederzeit anders stimmen lassen!

Aber es ist schon so, wie oben geschrieben: die vielen Schaltmöglichkeiten wie heute üblich, waren damals nicht so verwendet. Meist war s ja auch so, dass es entweder ein "einfacheres" Instrument war, dann hatte es auch nicht so viele Chöre, oder es war ein besseres oder sehr gutes Instrument - Insbesondere die Bühneninstrumente waren diejenigen, die mit viel Straß und Zierdekoren ausgeschmückt waren. Und die Bühneninstrumente mussten größere Sääle beschallen oder gegen eine Musikkapelle bestehen können und da war dann meist "volles Rohr" angesagt. Da gings nur um viel Sound, drum waren abschaltbare Chöre überhaupt nicht so wichtig.

Aber ich muss zugeben, einen ureigenen Charme haben die Dinger schon - vor allem, wenn dann auch noch das Griffbrett geschweift war - da ist dir der Showeffekt auch heute noch sicher!:cool:

Gruß, maxito
 
Hallo Maxito!

Habe in den letzten Tagen mal in alten Aufnahmen herumgehört und muß sagen - dreichöriges Tremolo gefällt mir schon gut. Und dreichörig ist unverstärkt schon einfach durchsetzungsfähig und hat voll seine Berechtigung. Nur ein zweichöriges Tremolo mit 16' drunter hab ich in noch keinem Beispiel als wirklich angenehm für mich empfunden. Bestimmt ist die Kombi mit einem weniger scharf gestimmten Tremolo weniger "Kirmesorgelig" (will jetzt hier keinem zu nahe treten *hust*) aber selbst bei meinem (für kein Cassotto) supersoft und rund klingenden Akkordeon gefällt mir das Register einfach nicht.
Aber was red ich - bei Knopf C-Griff gibt es wenn antik dann wohl eher mal das 3chörige Musette-Tremolo und das mag ich ja. Zum Glück habe ich Piano-Taste mehr oder weniger verlernt und komme so nicht in Versuchung, bei ebay auf die alten Schätzchen zu bieten, haha. :D
Obwohl diese geschweiften Tastaturen *schwärm*, jaaa die sind schick :)...

LG
Thuja
 
Huhuu ihr Lieben!

Zum dreichörigen Tremolo wollte ich noch etwas anmerken: Es klingt in meinen Ohren auch sehr durchsetzungsfähig, aber irgendwie ertappe ich mich immer wieder, dass ich dann doch das 2-chörige Tremolo schalte. Ich persönlich habe ansonsten das Gefühl, dass mein Akkordeon irgendwie "besoffen" klingt. :D

So... :gruebel:

Da ich ja bekanntlich sehr neugierig bin, würde mich interessieren, wer denn hier von Euch so ein altes Schätzchen hat. Bestimmt kann man da bei manchen Instrumenten ins schwärmen geraten.

Ich besitze eine wirklich alte Gurke (bitte wörtlich nehmen), deren Zukunft noch nicht so ganz bestimmt ist. Werde nachher mal ein Foto hochladen, wenn ich wieder zu Hause bin. Viel konnte ich bisher nicht über das Akkordeon herausfinden, aber vielleicht hat hier ja jemand eine Idee, wenn das Bild da ist.

Schönes Wochenende und LG

Reija
 
Guck mal in mein Album unter "Royal Standard" ;)
 
@Ippenstein: Ich muss dich mal besuchen :D

Hm...wer hat denn hier das älteste Akkordeon? Schrecklich, wenn man so neugierig ist.
 
Kannste gerne mal machen :D Allerdings solltest Du noch warten, bis die einen neuen Balg hat und gewachst, ventiliert und gestimmt ist. ;)

Oder hast Du es auf die Horch, die Cantus oder die Supita abgesehen? Die ist seit gestern im Baß optimal gestimmt und der Diskant wird momentan fertig gemacht. Die wird noch richtig fein und klassisch. :great:
 
@Ippenstein: Na, wenn dann muss ich schon mal alle Akkordeons durchspielen ;)

So...habe mal ein Album mit meiner alten Gurke (oder eher Gürkchen) angelegt.
Habe vor ca. 2 Jahren ein Tosca Akkordeon geschenkt bekommen. Gekauft wurde es vom Ur-Ur-Opa zwischen 1870 - 1890, da waren die Leute sich nicht einig. Angeblich hat er 36,95 Pfund dafür bezahlt. Naja, was soll man dazu sagen?

Hat vielleicht von euch jemand mehr Ahnung von diesem Akkordeon?
Eigentlich ist es ganz schön, der Balg ist hübsch verziert und in den Bässen sind wohl auch Perlmutteinlagen. Ich wollte es mal herrichten aber mir fehlt leider die Zeit dazu. Vielleicht werde ich es behalten, vielleicht auch nicht. Tendiere derzeit eher zu letzterem.
 
Hallo Reija,

Das Tosca ist vom Stil her eher aus den 20er Jahren, also ein ganzes Stück jünger. Die Akkordeons aus dem vorletzten Jahrhundert sehen ein ganzes Stück anders aus.

Wo liegt eigentlich "mitten in Hessen"? Ich fahre ev. im Mai wieder nach Göttingen und komme notgedrungen dann auch durch Hessen :D

Grüße

Ippenstein
 
Sind mit "Pfund" britische Pfund Sterling gemeint? Um 1900 entsprach das Pfund Sterling etwa 20 deutschen Goldmark. Die Umrechnung auf heutige Preise ist schwierig. Auf der Basis des Goldgehalts wären 36 Pfund Sterling heute gut zweieinhalb Tausend Euro. Auf der Basis der Umrechnung bei der Gebäudeversicherung fast das doppelte. Die Basis der Preisentwicklung habe ich gerade nicht zur Hand.

Gruß,
Igelfeld
 
Woah Reija - das ist ja totaaal hübsch Dein kleines Gürkchen :)
Und so gar nicht gurkig-grün - dieses himmelblaugewölkte mit Gold gefällt mir sehr gut. Sowas kann man doch nicht weggeben...
Ich plädiere für Herrichten!!! :D

LG
Thuja
 
Ich plädiere für einmal Politur drüber und dann ins Wohnzimmer zum Angucken. Zum Spielen taugt es nicht und beim Verkauf kriegt man auch nix. Dann sollte man es lieber in Ehren halten.
 
@Ippenstein: Ich habe auch eher auf 1920 getippt, aber irgendwie hört man dann doch auf die Vorbesitzer. "Mitten in Hessen" ist so ziemlich wörtlich zu nehmen.

@Igelfeld: Angeblich hat sich der Herr damals das Akkordeon in England gekauft, weil er da stationiert war. Mehr weiß ich leider auch nicht.

Naja, meine eigentlich Pläne waren im Diskantverdeck hinter die "Blüten" kleine LED´s zu setzen...mir fehlt nur als die Zeit und so langsam aber sicher habe ich auch keinen Platz mehr. Nein, ich denke nicht an Sperrmüll :gruebel:
 

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