Brahms, In stiller Nacht (D7 in Eb-Dur)

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Hallo,

ich hätte mal wieder etwas Interessantes zum Studieren.

Der folgende Harmonieverlauf stammt aus Brahms Stück "In stiller Nacht, zur ersten Wacht" für gemischten Chor.

Ein Video davon findet Ihr hier:



Die Noten dazu findet man hier:

http://imslp.org/wiki/14_Deutsche_Volkslieder,_WoO_34_(Brahms,_Johannes)

(Es ist das achte Stück von insgesamt 14)


Harmonieverlauf (Viertaktig gegliedert):

Eb | Abm Eb % % | Abm Eb % Eb(omit 5) | % Ab/C Eb/G Fm/Ab | Eb/Bb Bb Bb7 |

| Bb°7 Bb7 % % | Bb°7 Bb7 % % | % Gm/Bb Bb7 Eb/Bb | Bb7 Eb(omit5) Eb |

| D7 Eb % % | D7 Eb % % | Bb7/D Bb7 Cm7 Bb7/D | H°7 Cm % |

| F7/A % % Bb | Gm(b6) % % Gm | Ab(omit 5) Fm Eb/Bb Bb7 | % Eb ||

Interpretation:

Das Stück steht in der Ausgangstonart Es-Dur.
Es beginnt mit plagalen Kadenzen mit der Mollsubdominanten T -> s -> T (T.1-2).
Die nächsten zwei Takte stellen eine erweiterte Kadenz dar. T -> S/3 -> T/3 -> Sp/3 -> D46-35 -> D7
Wir enden aber halbschlüssig auf der Dominanten.

Die nächsten zwei Takte steuern die Dominante mit der Trippeldominanten an. (?)
Darauf folgt mit D -> D6-57 -> D46-357 -> T eine authentische Kadenz, die ganzschlüssig endet.

Takte 9-10?
In den Takten 11-12 löst sich die Dominante D7 trugschlüssig in die Tonikaparallele mit Septe auf. Darauf folgt wieder die Dominante,
aber danach wird die Tonikaparallele sogar Zwischendominantisch angesteuert.

Der nächste Teil könnte nun, da Cm als temporäres Zentrum gehört wird eine dorische Wendung sein tP -> DD7/3.
Die Doppeldominante wird nun weiter in die Dominante geführt. (...)
In den letzten zwei Takten haben wir eine erweiterte Kadenz, die ganzschlüssig auf der Tonika endet.


Soweit zur Form. Aber einige Dinge verstehe ich noch nicht.

- Welche Funktion übernimmt denn D7 in Eb-Dur?

- Erkennt ihr in Takt 5-6 auch eine Trippeldominante oder ist das etwas anderes?

- Hört ihr auch eine dorische Wendung, oder hört man die Harmonien eher nur als Doppeldominante?
Jedenfalls ergibt Cm -> F7/A -> Bb eine Quintfallsequenz, die die Dominante ansteuert.

- Was macht der Gm(b6) hier? Tg56?


Noch zum Choralsatz:

Der Satz ist ja nicht streng vierstimmig. Teilweise teilt sich ja der Bass in eine Zweitstimme auf.
Aber was gibt es hier für Regeln. (Genauso der Alt in Takt 13 und 14)
Und der Tenor wird doch in der Regel nach unten oktaviert, also Violinschlüssel mit kleiner acht.

Ich hoffe auf Eure Hilfe. Dankeschön.

Gruß,
Tamara
 
Eigenschaft
 
- Welche Funktion übernimmt denn D7 in Eb-Dur?


Stichwort ist Tritonussubstitution.

D7 ist ein Substitut von Ab7. (Ab7 ist die Subdominante von Eb).

Beide enthalten den Tritonus C und Gb.

Mit dem Grundton D ist Gb = große Terz und C = kleine Septime.

Mit Grundton Ab dreht sich das um: Gb = kleine Septime und C = große Terz.

Daraus folgt, dass dieser Tritonus immer mit 2 verschiedenen Grundtönen möglich ist. Bei der Melodieführung zu beachten: Das Substitut enthält zudem die übermaßige (lydische) Quarte (#4). Weshalb die Melodiebildung an dieser Stelle keine reine Quarte enthalten darf.
 
Zuletzt bearbeitet:
Im Gegensatz zur Sekundär-Dominante V7/III die auf relativ instabilen Taktteil steht und auch meist durch ihre relative IIm7 vorbereitet wird, steht der Akkord VII7 auf stabilem Taktteil und löst sich direkt zurück in die Tonika auf.
VII7 ist eine Dominante mit Spezialfunktion gleichwohl wie z.B. I7 und IV7 im Blues oder bVII7 als Subdominantmollfunktionakkord Dominanten mit Spezialfunktion sind.

Beispiel für VII7:

Zu hören ab 0:20:



Oder hier ab 0:31 mit sus Vorhalt
 
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Hallo Hans und Cudo, vielen Dank für Eure Antworten!



D7 ist ein Substitut von Ab7. (Ab7 ist die Subdominante von Eb).

Okay, Tritonusstellvertreter-Akkorde habe ich ganz vergessen. Obwohl ich in der Romantik mit soetwas tatsächlich nicht gerechnet hätte.
Aber jz, wo Du es sagst. Aufgefallen ist mir nur, dass die Melodieführung von D7 zu Eb komplett schrittweise erfolgt.



Im Gegensatz zur Sekundär-Dominante V7/III die auf relativ instabilen Taktteil steht und auch meist durch ihre relative IIm7 vorbereitet wird

Damit ich es richtig verstehe, im Beitrag zu Liszts Liebestraum 3 hatten wir ja oft eine Quintfallsequenz als "harmonisches Muster."

Aber gibt es Ausnahmen unter den Zwischendominanten. Also, dass diese nicht auf unbetonten Zählzeiten liegen müssen, um ihre Dominant-Wirkung vollends zu entfalten.

Zum Beispiel der TG7, der eliptisch dominantisch zur Tp ist? Oder die DD7, die ja in der Klassik als Hauptfunktion verstanden wird?

https://www.musiker-board.de/threads/harmonik-bei-liszt-mendelssohn-und-grieg.643344/
-> Beitrag 16 (Dort findet man einen Harmonischen Verlauf. Es findet sich dort eine Dominant-Kette.)
Diese Zwischendominanten TG7 und TP7, als auch der DD79, stehen auf betonten Zeiten.


Nebenbei: Welche musikalische Gattung/Genre/Epoche gehören die beiden Musikbeispiele von dir an, Cudo?
Vorallem das Zweite klingt schön, hört sich von der Harmonik teilweise auch nach Romantik an,
wird wohl auch eine Stilrichtung sein, die aus der Romantik hervorging, oder?

Dankeschön, für die schnelle Hilfe.

Gruß,
Tamara
 
Okay, Tritonusstellvertreter-Akkorde habe ich ganz vergessen. Obwohl ich in der Romantik mit soetwas tatsächlich nicht gerechnet hätte.

Das ist ja nur unsere heutige akkordische Deutung. Die alten Meister haben ja nicht an Akkorde gedacht beim Komponieren sondern an Stimmführung und Mehrstimmigkeit. Mit der Ausdeutung solcher Werke anhand der nach der heutigen Skalen-/Akkordtheorie stößt man in der Klassik wahrscheinlich schnell an alle Grenzen.
 
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Damit ich es richtig verstehe, im Beitrag zu Liszts Liebestraum 3 hatten wir ja oft eine Quintfallsequenz als "harmonisches Muster."
Aber gibt es Ausnahmen unter den Zwischendominanten. Also, dass diese nicht auf unbetonten Zählzeiten liegen müssen, um ihre Dominant-Wirkung vollends zu entfalten.
Zum Beispiel der TG7, der eliptisch dominantisch zur Tp ist? Oder die DD7, die ja in der Klassik als Hauptfunktion verstanden wird?
Und was wolltest Du damit fragen bzw. sagen? Ich hatte Dir 2 Hörbeispiele geschickt wo harmonisch genau der gleiche Sachvorhalt wie bei deiner Chorsache vorliegt und dir auch erklärt was dabei abläuft. Hörst Du das auch an den von mir zitierten Stellen?


Nebenbei: Welche musikalische Gattung/Genre/Epoche gehören die beiden Musikbeispiele von dir an, Cudo?
Jazz und Bossa.
Vorallem das Zweite klingt schön, hört sich von der Harmonik teilweise auch nach Romantik an, wird wohl auch eine Stilrichtung sein, die aus der Romantik hervorging, oder?
Stelle die beiden Epochen gegenüber wenn Du willst. Wenn Du die eine Epoche harmonisch begreifst, hilft es Dir vielleicht die andere besser zu verstehen.
Wenn nicht, versuche einfach die andere Epoche harmonisch zu verstehen.
 
Nebenbei: Welche musikalische Gattung/Genre/Epoche gehören die beiden Musikbeispiele von dir an, Cudo?
Vorallem das Zweite klingt schön, hört sich von der Harmonik teilweise auch nach Romantik an,
wird wohl auch eine Stilrichtung sein, die aus der Romantik hervorging, oder?

Das ist Bossa Nova.
Ich wage zu bezweifeln, daß es einen (bewußten) Bezug zur Romantik gab, als Antonio Carlos Jobim Ende der 50-er Jahre in Brasilien das initiierte, was dann als Bossa Nova um die Welt ging. So wie George Gershwin hat Jobim eine ganz eigene harmonische Sprache entwickelt, darüber wunderschöne und alles zusammenhaltende Melodien kreiert, und das alles mit dem brasilianischen Sambarhythmus zu einer neuen Einheit verbunden.

LG
Thomas
 
Die alten Meister haben ja nicht an Akkorde gedacht beim Komponieren sondern an Stimmführung und Mehrstimmigkeit.

Ich verstehe.

Hörst Du das auch an den von mir zitierten Stellen?

Bei Deinem ersten Stück ja, nur finde ich ist die Tonika, wie auch bei meiner "Chorsache", viel auffälliger zu hören, als die VII7. :/
Beim Zweiten höre ich leider nur den Sus-Vorhalt... :(

Ich wage zu bezweifeln, daß es einen (bewußten) Bezug zur Romantik gab, als Antonio Carlos Jobim Ende der 50-er Jahre in Brasilien das initiierte, was dann als Bossa Nova um die Welt ging.

Ja, das macht mehr Sinn, was Du da sagst, als hier mit der Romantik anzufangen.
 
Ich wage zu bezweifeln, daß es einen (bewußten) Bezug zur Romantik gab, als Antonio Carlos Jobim
Doch, es gibt ganz konkrete Bezüge: AFAIK ist z.B. Jobims How Insensitive eine direkte Inspiration von Chopins Prelude op. 28 No.4, E-Moll.

Nachzulesen und anhand eines Notenbeispiels nachzuvollziehen z.B. hier:
http://edmascari.com/piano-blog/how-insensitive-jobims-homage-to-chopin/

Nachzuhören z.B. hier:



"Chopin" und "Jobim" ... klingt auch noch fast gleich: [ ʃoˈpɛ̃ː ] und [ʒoˈbĩ]. :D

Viele Grüße,
McCoy
 
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Danke für die (interessante) Aufklärung. Das wußte ich nicht. Gleichwohl ich schon wußte, das Jobim (natürlich) "klassischen" Klavierunterricht hatte, und einem da solche Dinge unausweichlich über den Weg laufen ...

LG
Thomas
 
Ja sicher haben sich einige Komponisten der Neuzeit an der Romantik orientiert.
Deshalb würde man aber sicher nicht sagen Bossa sei direkt von der Romantik beeinflusst.
Sehr interessantes Beispiel McCoy. Ist mir bisher nie aufgefallen.

Was ich dazu noch fand -->




 
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Eb |
Abm Eb % % | Abm Eb % Eb(omit 5) | % Ab/C Eb/G Fm/Ab | Eb/Bb Bb Bb7 |

| Bb°7 Bb7 % % | Bb°7 Bb7 % % | % Gm/Bb Bb7 Eb/Bb | Bb7 Eb(omit5) Eb |

| D7 Eb % % | D7 Eb % % | Bb7/D Bb7 Cm7 Bb7/D | H°7 Cm % |

Der Abm aus Takt 1 ist ein Abm6 (Tritonus!) und damit dominantisch zur Tp. Er erfüllt hier auch dominantische Funktion zur Tonika, vgl. bVII79.

Der rubrizierte D7 kommt aus der Familie der Doppeldominante(n). Wenn man sich darauf festlegt, dass eine DD den Tritonus 1 - #4 enthalten sollte, dann erfüllt VII7(b9) diese Eigenschfaft. Genauso wie der altbekannte II7.

Akkord VII7 zielt auf IIIm, wegen I (N) VII (D) [IIIm] . Der N ist hier ein Zwischen-Neapolitaner zur VII. Die Terz zur VII ist zugleich die Mollterz zur I. Alle von den Teilnehmern angeführten Musikbeispiele tendieren nach Moll. Bis auf Brahms....

Ein weiteres Beispiel, in dem eine VII7 auftaucht, ist die Sonate Nr 27 (Opus 90) von Beethoven. Die Vorzeichnung weist G-Dur aus und dieser Akkord wird auch zunächst dominantisch angesteuert. Akkord VII, also F#, ist hervorgehoben:

Em | Em Em(9) % | D - D | D7/7 G/3 F#dim/3 | G - G | G G(9) | F# - F# | F#7 D6 A/3 | D/6(unvollst.) - -

F# wird also auf A geführt. A ist DD und ist hier , im Kleinterzabstand, eine funktionserhaltende Fortführung. Im Nachhinein erweist sich sich F#7 als DD zu E-Moll; aber eben erst nachher.


 
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