Dissonanzengebrauch im Spem in alium von Tallis

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Ich hab mir mal die Noten von Thomas Tallis Spem in alium genauer angesehen.
Dabei ist mir etwas aufgefallen.
http://www.cpdl.org/wiki/images/5/55/Tallis_Spem_in_alium_full_score_PML.pdf
Auf seite 18 im ersten Takt die letzte Viertelnote, da singt der Alt im 6. Chor ein C, während der Sopran im 7. Chor ein Cis singt.

Bis Jetzt habe ich rausgefunden, dass das mit den modalen Tonsystemen im Zusammenhang steht.
Meine Frage ist jetzt, ob mir vielleicht einer die Harmonielehre der Modalen Tonsysteme näher bringen kann, oder ob vielleicht jemand einen Buchtipp hat, wo das erklärt wird, denn die modale Harmonielehre scheit sich ja von unserer Dur/moll Harmonielehre durchaus zu unterscheiden.
 
Eigenschaft
 
Die PDF lässt sich nicht öffnen.

Ob da nun unbedingd was Modales dahinter steckt... Ein Intervall kl. Sekunde ist doch so selten nicht. Kommt z.B. in jedem Moll(7)9 vor, wenn kl. Terz und große None zusammenkommen. Hier sogar direkt ohne Oktavierung als kl. Terz neben Sekunde


0----------
0------------
5-------------
7--------------
0---------------
-------------
 
Aber das Stück ist von 1573.
Es handelt sich dabei um eine 40 Stimmige Motette
Und da ist es glaub ich wirklich nicht nach unserer
modernen Harmonielehre gedacht.
Vor allem ist das ja keine kleine Sekunde, sondern
eine übermäßige Prim C/C#

Link funktioniert wieder
 
In Takt 49, 7. Chor taucht das auch noch mal auf. Allerdings steht da das # in Klammern. Harmonischen Sinn ergibt es da wirklich nicht.
 
Das "cis" hat keine harmonische bedeutung, es ist eine wechselnote, die sofort aufgelöst wird und die dreimalige wiederholung des "d" vermeidet. Solche "akzidentien" machten eine linie sangbarer und wurden nicht immer notiert.
Es gibt auch den begriff "diskantklausel" in diesem zusammenhang, bei Google mehr (auch "akzidentien in alter musik").
 
"Damals" wurde noch anders Komponiert. Der cantus-firmus in einem Chor wurde als erstes geschrieben. Dann wurden die anderen Stimmen jeweils nur im Verhältnis zur cantus-firmus-Stimme geschrieben. Die Dissonanzenbehandlung musste nur im Verhältnis zum cantus-firmus stimmen. Wie sich die anderen Stimmen zueinander verhalten war im Prinzip nicht so wichtig. Daher hört sich die Musik auch manchmal etwas "rudimentär" an. Übrigens wurde damals auch nicht in der "heutigen" Partiturform geschrieben (also alle Stimmen untereinander) sondern alle Stimmen nebeneinander. Diese Reibung ist also im damaligen Verhältnis keine Dissonanz, da die Stmme jeweils zum cantus-firmus korrekt behandelt wird.

edit: übrigens gibt es den selben Akkord auch in der Jazzmusik. Der Dominantakkord mit Mollterz und gleichzeiteiger Durterz wird oft verwendet. (D#13, korrekter wäre D (b)14) Ein Stimme singt die in der natürlichen Molltonleiter "normale" Mollterz und zur verstärkung der Dominantwirkung wird eine Durterz in einer anderen Stimme hinzugefügt.
 
Das wär aber doch komisch wenn man sich nur auf den cantus firmus beziehen würde.
Ich meine bei so vielen Stimmen wie in dem Beispiel hört man das halt nicht so,
aber wenn man jetzt z.b. nen 4 Stimmiges Stück hätte, und der cantus firmus würde ein e spielen, dann könnten die anderen Stimmen ja jeweils ein g,g#,a spielen, das klänge doc scheiße, jedenfalls nach den klangidealen der damaligen zeit. Jedefalls kann ich mir nicht vorstellen, das man in einer Zeit wo der Tritonus verboten war nen paar kleine Sekunden übernander packen kann.
Und wo ist der Cantus Firmus überhaupt? Hat jeder Chor einen eigenen?
Und warum darf man das d nicht 3 mal wiederholen?
Ich glaub ich werde jetzt mal bei google gucken mit Günters suchwort.
 
Also was akzidentien sind habe ich jetzt verstanden.
Trotzdem kann ich mir nicht vorstellen das damals nur darauf geachtet wurde wie es zum kantus firmus klingt, und auf die Intervalle zwischen den anderen Stimmen gar nicht geachtet wurde. Das da jetzt ein c# is habe ich verstanden. Aber warum er dann in den anderen Stimmen einfach c nehmen kann versteh ich nicht. (Mir ist aufgefallen das auch der BAriton vom 8. Chor noch ein C singt).
Wenn diese ganze sache stufenweise vonstatten gehen würde, könnte ich das ja verstehen. also wenn z.b. die stimmen die jetzt ein c singen ein d halten würden, und dann die stimme in der das c# vorkommt währenddessen noch zum d weitergehen würde, dann wäre das ja stufenweise aufgelößt.
Oder wenn die cs in achteln chromatisch zum einklang mit dem c# aufsteigen würden, dann würde ich das auch noch verstehen.
Aber hier kommt einfach eine Unvorbereitete dissonanz und die wird auch nicht stufenweise aufgelöst, sondern die Stimmen gehen einfach weiter. Und in den anderen
Stimmen benutzt er diese akzidentien auch nicht. Denn laut der Regel soll der letzte Ton der Schlusskonsonanz ja durch einen Halbtonschritt erreicht werden. das heißt eigentlich müsste das g vor den 4 a, in der Altstimme des 8 Chors, ja ein g# sein, wenn man die 4a als einheit sieht. Wenn man sie nicht als einheit sieht müsste ja noch schnell eine Wechselnote g# vor dem letzten a kommen.
Warum hält er sich hier nicht an die Regel, aber wann anders schon, obwohl dabei ziemlich krasse dissonanzen entstehen?
 
Man müsste mehr über damalige aufführungspraktiken wissen, ob so nebenbei vorübergehende dissonanzen geduldet wurden. Wie stellte Tallis seine 8 chöre auf? Wenn sie von gegenüberliegenden emporen sangen, hörten sie einander nicht, im nachhall der kirche ging auch manches verloren im fluten der klänge.
Es handelt sich übrigens hier nicht um einen cantus firmus mit umrankenden kontrapunkten, das wort motette stammt allerdings daher, dass die kontrapunkte andere texte hatten, sodass die sprachliche verwirrung komplett war, und die kirche dagegen als missbrauch einschritt.
Wenn kopfzerbrechen und nachforschen zu einsichten führt, gut so, aber vieles werden wir nie erfahren, und auch bei spezialisten gehen die ansichten auseinander.
 
Das ist wohl wahr, dass man nicht alles rausfinden kann.
Man müsste vielleicht wissen wo das aufgeführt wurde um zu wissen wo die Chöre standen. Ich habe gelesen, dass das Stück zum Geburtstqag der Königin geschrieben wurde. das wäre ja ein Anhaltspunkt zum Thema wo das aufgeführt wurde.
Ich werd mich mal noch weiter schlau machen.
 
Das Werk ist in der Aufführungspraxis der "musica ficta" zu sehen, worauf ja auch im Vorwort auf Seite 2 hingeweisen wird:

the scribe of the Gresham MS attempted to add some accidentals according to the rules of musica ficta. Though the earliest manuscript has many fewer accidentals than this edition, it is not inconceivable that the work was indeed sung with many more than are included here.

Mit "musica ficta" wird die Musizierpraxis des 16.Jahrhunderts gekennzeichnet, Melodielinien dem vokalen Ideal einer leichten Singbarkeit anzupassen, siehe dazu Musica ficta - Wikipedia, the free encyclopedia . Dazu wurden Tonhöhen anders als aufgeschrieben gesungen, insbesondere um die gängigen Diskant- und Tenorklauseln zu erreichen. Es war im 16.Jhrdt. nicht üblich, alle Versetzungszeichen zu notieren, da ihr Gebrauch vielfach selbstvertständlich war - z.B. forderte Nicola Vicentino 1555 ausdrücklich dazu auf, alle notwendigen Versetzungszeichen der Klarheit wegen auch zu notieren, siehe auch Gesangbuch und Aufführungspraxis .

Meiner Einschätzung nach müßte das fragliche Versetzungszeichen auf S. 18 ebenso in Klammern stehen wie viele andere, da es eher aus der Musizierpraxis begründet ist, aber nicht aus dem kompositorisch-harmonischen Konzept.

Harald
 
Das klingt ja fast so als hätte tallis keine ahnung von der aufführung gehabt.
Also ich meine normalerweise komponiert man das ja nicht so, wenn man weiß das die leute dann eh was anderes singen.
 
Das klingt ja fast so als hätte tallis keine ahnung von der aufführung gehabt.

Doch, ich denke schon, daß er die Musizierpraxis kannte. Gerade deswegen verzichtet er ja auf einige Vorzeichen, weil er weiß, daß die Musiker selbstständig die Töne alterieren!

Also ich meine normalerweise komponiert man das ja nicht so, wenn man weiß das die leute dann eh was anderes singen.

Grundsätzlich hast du natürlich Recht, aber jede Epoche hat eben ihre unvollständigen Notationssysteme. Damals wie heute. Damals war es eben üblich, selbstverständliche Vorzeichen wegzulassen. Im Barock wurde manchmal auf die Bezifferung des Generalbasses verzichtet. Mozart verzichtete auf viele Artikulationen. Heutzutage ist es üblich, selbstverständliche Oktavierungen von Blockflöte, Glockenspiel, Kontrabass und E-Bass nicht zu notieren. Ebenso wird bei der Notation von Jazz-Akkordfolgen manchmal damit gerechnet, daß die Spieler sie ggf. erweitern oder gar reharmonisieren, weil das die Musizierpraxis ist. Zwischen der Notation und der Ausführung von Drum-Set-Stimmen liegen Welten, je nach musikalischem Background und der Genialität des Drummers. So wünschenswert präzise Noten auch sind, so offen für die Spielpraxis (und daher tendenziell ungenau) ist die Notenschrift auch.

Harald
 
Es war auch lange üblich, dass die komponisten ihre werke selbst einstudierten und leiteten, da brauchten sie nicht zu notieren, was gang und gäbe war. Die zeiten waren auch nicht immer so schnelllebig wie heute, stile und spielweisen (etwa auszierungen und varianten) waren jahrzehntelang in gebrauch, und man kannte sich aus im madrigalesken, in der kirchen-. der kammermusik, in der oper. Man komponierte auch nicht für die ewigkeit, eine sorgfältige niederschrift lohnte sich nicht, bei nächster gelegenheit musste etwas neues her. Noch von Beethoven erwarteten seine adligen gönner, dass er immer etwas neues zu einer soirée mitbrachte und nicht immer und ewig op.27,2 spielte, (über "mondschein" hätte er sowieso nur grimmig gelächelt), und so gibt es 32 sonaten und etliche variationswerke für klavier, wenn Schuppanzigh mit von der partie war, musste es eine neue violinsonate sein, und oft spielte man sowas vom blatt.
 
Also auf den Punkt gebracht:
wollte tallis jetzt das die Leute C und C# gleichzeitig singen, oder nicht?
Oder weiß man das jetzt nicht genau?
 

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