LBB schrieb:
Ich frag mich z.B. wieso Ionisch nicht gleich Dur ist (Zumindest funktionell, wie du es gesagt hast)... Wo is da der Unterschied?
Es ist sogar noch schlimmer, Modalität kann sehr verschiedene Dinge bedeuten.
(1) Kann man tatsächlich mit den genannten Modi funktionsharmonisch arbeiten. Eine Standardreferenz hierzu wäre: Persichetti, Vincent: Twentieth-Century Harmony. New York / London: W. W. Norton & Co. 1961, pp. 31 - 43. Hier werden Ionisch und Äolisch tatsächlich mit Dur und Natürlichem Moll identifiziert und gemieden, weil man Modi der speziellen Klangfarbe wegen einsetzen will. Das steht natürlich im Konflikt dazu, das erst im 19. Jh. so geschlossene System (Lokrisch kam als letztes dazu) als solches auszureizen. Man da hat eben "von oben" herunter gedacht, und nicht etwa "von unten" rekonstruiert, welche Möglichkeiten man vor der Reduktion auf ein Dur/Moll-System gehabt hätte. Und das auch trotz der Beschäftigung von etwa Bartók und Stravinskij mit ungarischer bzw. russischer Volksmusik, die noch modal im ethnomusikologischen Sinne (s.u. 2) ist.
(2) Es gibt das System von Kirchentonarten, was sich nur teilweise damit überschneidet. Dabei handelt es sich noch um Modalität im eigentlichen Sinne, wie die meisten Musikkulturen funktionieren, denn unsere Funktionsharmonik ist ein das sollte man unumwunden so sagen Exoticum. Das System ähnelt eher dem arabischen als dem neuzeitlichen indischen, insofern hier nicht nur Tonmaterial, sondern auch bestimmte Funktionen ("Grundton", finaler Ton) ausschlaggebend für den spezifischen Moduscharakter sind.
(3) Modaler Jazz... bevor's gar zu schlimm wird, für die Praxis wie etwa im Fusion (incl. Mischformen) findet sich z.B. in Jungbluth's Jazz-Harmonielehre was dazu... Im Prinzip ist das ein Raster von Tonmaterial nach Vorzeichenebenen geordnet, und tonalen Zentren. Leider wird das aber auch nicht ausgereizt. In ein Leadsheet könnte man eben so mißverständlicherweise "Dm7" reinschreiben, tut das leider auch meistens. Konsequenter wäre "D Phrygisch" und ggf. "2b-Ebene" zu notieren, weil das dem Geschehen zugrundeliegt. Der Akkord wäre hier ja nur einer von vielen möglichen, man könnte sogar D7sus4 spielen, denn dominantische Funktion und Akkord-Skalen-Theorie gibt es hier nicht, sollte zumindest...
I.Ggs. zur "richtigen" Modalität (s. unter 2) wechseln hier Tonalität wie Modalität. Eine Folge von z.B. F Lydisch und G Mixolydisch wäre polymodal (Lydisch vs. Mixolydisch) und unitonal (beide 0-Ebene).
Historisch gab es dazu verschiedene Zugänge. Als Vorläufer gilt Miles Davis' Reduktion der Frequenz von Changes auf "Birth of the Cool" (1949-50). Davis wollte melodische statt harmonische Möglichkeiten ausspielen, kompositorisch wie improvisatorisch. Der eigentliche Modal Jazz fing an, als John Coltrane den funktionsharmonischen Gipfel der "Giant Steps" nicht mehr zu toppen können glaubte, sich nach Alternativen umtat und dabei sich von indischen und arabischen Musiken inspirieren ließ ("Africa/Brass" 1961, "Impressions" 1963). Übertragen lassen tatsächlich kaum diese Konzepte, schon angefangen damit, daß Jazzer temperiert gestimmte Instrumente verwenden... In Kollektivimprovisationen kam es dann auch eher dazu, daß eine Modus nur noch als Ausgangspunkt diente, von dem man sich ggf. sehr weit entfernen konnte, und irgendwann tat Coltrane nach langem Zögern den Schritt zum Free Jazz.