Geschichte der Country Music und ihre afroamerikanischen Einflüsse

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Aus gegebenem Anlass (der Thread im Folk-Forum, indem mit merkwürdigen Vorurteilen herumgeworfen wird, Country Music sei "rassistisch") will ich hier mal einen kleinen Versuch wagen, die Geschichte der Country Music kurz darzustellen, und zwar unter besonderer Berücksichtigung von Einflüssen aus der und auf die afroamerikanische Musik…

Zunächst mal vorausgeschickt: der Begriff "Country Music" ist ein künstlich geschaffener, der im Nachhinein hauptsächlich aus Vermarktungsgründen über eine Vielzahl unterschiedlicher Musikstile und Traditionen drübergestülpt wurde; also solcher künstlicher Marketing-Begriff steht er allerdings nicht ganz alleine da - schon mal was von "Rock'n'Roll" gehört…?

Die Wurzeln…
Country ist eine Musik, die ihre Wurzeln in den Südstaaten der USA hat, von den Appalachen über das weite Tal des Mississippi, die Sümpfe Louisianas bis nach Texas. So weiträumig dieses Gebiet ist, so unterschiedlich ist auch die Bevölkerung, schottisch- und irischstämmige Einwanderer in den Appalachen, französischstämmige in den Bayous an der Golfküste, mexikanisch-/spanischstämmige, süddeutsche und böhmische in Texas - und natürlich die seit dem Bürgerkrieg befreiten ehemaligen Sklaven, und alle diese Gruppen natürlich schön durchmischt.
Dementsprechend gab es auch die unterschiedlichsten musikalischen Wurzeln - schottische & irische Reels (wie man sie in "Old Time Music" und Bluegrass noch raushört), auf dem Akkordeon begleitete böhmische und bayrische Polkas und Walzer, altfranzösische Volkslieder der Cajuns, und natürlich afroamerikanische Musik, die sich gerade aus den Gospels, Field Songs und Hollers der ehemaligen Sklaven as ein Vielfalt an Stilen herauszubilden begann - den Blues gab's übrigens noch genauso wenig, wie die eigentliche Bezeichnung "Country Music", diese beiden Musikrichtungen entwickelten sich parallel in ständigem Austausch, und gegenseitiger Beeinflussung.

Sozio-kulturell liegen die Wurzeln der Country Music in der ländlichen Unterschicht (genau wie beim Blues) der Südstaaten; die verschiedenen Vorformen der Country Music waren die Musik der einfachen Leute, der "Sharecropper" (als Bauern ohne eigene Land, die gemietete Farmen bewirtschafteten - und, nein, Sharecropper waren nicht ausschließlich schwarz, wie oft angenommen wird - in der Zwischenkriegszeit waren fast 2/3 davon weiß), der kleinen Farmbesitzer, der Wanderarbeiter, der Taglöhner.
Die urbane weiße Mittel- und Oberschicht hörte dagegen zu einem kleinen Teil klassische Musik, großteils aber Tin Pan Alley-Schlager, die Vorläufer der Popmusik, Hawaii-Musik (in den 20ern DER Renner), evtl. auch noch Ragtime und Dixieland später dann auch Bigband-Swing, und natürlich jede Menge Crooner-Popmusik-Schnulzen.
In den Südstaaten gab es damals (und bekanntlich bis in die 60er Jahre) immer noch die Rassentrennung - diese war aber in der ländlichen Unterschicht weit weniger ausgeprägt als in der Städten und in den höheren Schichten; schließlich lebten schwarze und weiße Sharecropper unter den gleichen Bedingungen, wurden von den gleichen Grundbesitzern ausgenommen, und aufmüpfige weiße Angehörige dieser Schicht wurden zum Teil von den gleichen rassistischen Organisationen (der KuKluxKlan ist nur eine davon) verfolgt wie ihre schwarzen Nachbarn.
Rassismus wird es ganz sicher auch in dieser Schicht gegeben haben - aber es gab eben auch jede Menge gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und musikalischen Kontakt.

Kehren wir zur Musik zurück…

Die Anfänge der Country Music:
Wie gesagt, diese verschiedenen regionalen und ethnischen ländlichen Unterschichtgruppierungen hatten ihre jeweiligen keltischen, zentraleuropäischen, afrikanischen, etc. Musiktraditionen - Volksmusiken im eigentlichen Sinne, als Musikstile aus dem Volk, die Geschichten aus dem Alltag festhielten, oder als Begleitungen zu Festen und Tanzveranstaltungen dienten - aber nachdem die wenigsten davon in abgeschotteten Gemeinschaften lebten, sondern in ständigem Austausch mit ihren Nachbarn, und nachdem Erfindungen wie Radio und Schallplatte die überregionale Verbreitung von Musikstilen ermöglichten, begannen sich dies unterschiedlichen Musiktraditionen sehr rasch gegenseitig zu beeinflussen und vermischen….
Es gab bereits in den 1910er und 20er Jahren gemischtrassige Stringbands. Die "weiße" Gitarre setzte sich bei den schwarzen Musikern genauso durch, wie das "schwarze/afrikanische" Banjo bei den Weißen.
Blues und frühe Country Music als erzählende Songs (mit Wurzeln in europäischen Ballden einerseits und afrikanischen Traditionen oraler Geschichtsüberlieferung) mit Gitarrenbegleitung durch den Sänger/Erzähler entwickelten sich parallel und mit ganz ähnlichen musikalischen Ergebnissen (wie frühe "field recordings" belegen).
Die Mitglieder der Carter Family (eine der ersten Superstar-Gruppen der Country-Musik) nahmen unbekannte schwarze Blues-Songs in ihr Repertoire auf und brachten sie in ihrem eigenen Stil dar, und Maybelle Carters charakteristischer Gitarrenstil war sehr stark vom mit ihr befreudeten schwarzen Gitarristen Leslie Riddle beeinflusst.
Jimmie Rodgers, ein weiterer früher Superstar der Country Music, war bevor er berühmt wurde ein einfacher Eisenbahnarbeiter, der von seinen schwarzen Arbeitskollegen in Gitarrenstil ebenfalls stark beeinflusst war, und der ebenfalls Blues-Songs erfolgreich interpretierte - und mit seinem charakteristischen Yodelling verband; ironischerweise wurde Jimmie Rodgers nicht nur selber vom Blues beeinflusst, sonder er selber war wiederum ein großer Einfluß für spätere Blues-Musiker wie Muddy Waters und Howlin Wolf (letzterer sagte selbst, seinen namensgebenden "howlin" Gesangsstil aus seiner Unfähigkeit, wie sein Vorbild Jimmie Rodgers jodeln zu können, entwickelt zu haben. Gegen Ende seiner kurzen Karriere (er starb sehr jung) nahm Jimmie Rodgers dann noch gemeinsam Platten mit dem schwarzen Louis Armstrong auf.
Und weil wir schon bei frühen Country-Superstars sind: Bob Wills, ein einfaches Farmerkind aus Texas, lernte schon sehr früh die traditionellen Fiddle Tunes seiner Umgebung zu spielen - aber er hatte auch ein Radio, und hörte begeistert schwarze Musik, Jazz und Blues; Bessie Smith, eine der ersten Stars des Blues, hatte es ihm besonders angetan (angeblich ritt er einmal über 50 Meilen zu Pferd zu einem ihrer Konzerte), und so war es kein Wunder, dass er bei seiner allerersten Plattenaufnahme einen ihrer Songs sang. Nachdem sich ihm im ländlichen Texas, und später Oklahoma, kaum Möglichkeit bot, selber Jazzmusiker zu werden, stellte er eine Band zusammen, die eine wilde Mixtour aus traditionellen Fiddle Tunes, böhmisch-bayrisch-mexikanischen Polkas und Walzern seiner texanischen Heimat, swingendem Jazz und Blues-Songs zusammensetzte - dem, was man dann Western Swing nannte, mal gab's da greinende Steel Guitars, dann sophisticatede Bläsersätze, aber auch rotzige E-Gitarren, die schon in den 1940ern den Rock'n'Roll vowegnahmen (Junior Barnard, einer der Gitarristen in Wills' Band, war einer der erstne, die bewußt verzerrt spielten); er wurde damit, und über Jahrzehnte hinweg (von den frühen 1930ern bis hinein in die frühen 70er) zum absoluten "King" der Country Music.
 
Eigenschaft
 
Wie schon oben angeführt, bereits im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts gab's einige "Superstars" der Country Music, die auch überregional (aber immer noch fast auschließlich südlich der Mason-Dixon-Line, der Nordgrenze der Südstaaten) bekannt waren, und Platten aufnahmen; nur "Country Music" nannte man es noch nicht - "Old Time Music", "Hillbilly Music", "Western Swing", oder schlicht "Folk Music" - so unterschiedlich wie die Stile der einzelnen Musiker, so unterschiedlich die Bezeichnungen; nur eines hatten sie gemeinsam - von schwarzer Musik, v.a. dem auch gerade erst entstehendem Blues, waren sie ale beeinflusst…

Country Music - die Popularisierung
Ende der 1920er, anfangs der 1930er traffen zwei Entwicklungen aufeinander:
-) Aufgrund der schlechten Wirtschaftslage während der Great Depression hatten die einfachen Leute nicht mehr das Geld, um sich Platten zu kaufen - es kam zu einem ziemlichen Einbruch auf dem Plattenmarkt; Radios hatten viele aber schon zuhause stehen, und so wurde eben das als Musikquelle genutzt.
-) Und neue rechtliche Regelungen für die sogenannten Clear Channel Radios erlaubten einzelnen Radiostation, mit weit höherer Leistung als zuvor zu senden, wodurch einzelne Stationen viel größere Gebiete abdecken konnten als die kleinen regionalen Stationen.
Dadurch entstand plötzlich ein neuer, großer Marktplatz; die Wirtschaft stürzte sich natürlich sofort darauf, es gab schließlich nun die Möglichkeit, Produkte in eine großen, überregionalen Areal zu betreiben; manche Sender wurden von privaten Wirtschaftsmagnaten betrieben, andere Firmen sponsorten Sendungen, wieder andere kauften sich gleich ganze Bands (Bob Wills' erste Band vor den berühmten Texas Playboys waren z.B. die Light Crust Doughboys (die "Helle Krusten-Teigbuben"), die von einer Mehl-Marke gesponsert wurden, bis sich Wils mit dem Mühlenbesitzer zerstritt).
Country Music (die aber, wir erinnern uns, noch nicht so hieß), war schon davor bei der Landbevölkerung (und zwar nicht nur der weißen, sondern auch der schwarzen!) im Süden äußerst populär gewesen - natürlich stürzten sich die neuen Radiobosse darauf, es entstanden zusätzlich zu den schon verbreiteten Hörspiel-, Drama-, Schlagersendungen nun auch Sendung speziell mit "Hillbilly Music", die sogenannten Barn Dance Shows (nach den in ländlichen Scheunen abgehaltenen Wochenend-Tanzveranstaltungen). Die bekannteste davon war die Grand Ole Opry, die, wenn man ihre lokalen Vorläufer (der WSM Barn Dance) dazurechnet, von 1925 bis heute läuft; "Erfinder" und erster Programmdirektor der Opry war George Hay - und der wollte natürlich möglichst erfolgreich sein, um seinen Sponsoren möglichst viel teure Werbezeit zu verkaufen; was macht man da? "Dumbing Down" - vereinfachen, Klischees bedienen, die Gehirnzellen der Hörer nicht überstrapazieren. Hay strapazierte in anbiedernder Weise das Klischee des eigenbrötlerischen Hinterwäldlers, indem er den regelmäßig auftretenden Künstlern Namen wie The Possum Hunters, The Fruit Jar Drinkers (nach dem Aufbewahrungsgefäß für schwarzgebrannten "Moonshine"), The Dixie Clodhoppers, etc. So stigmatisierend das war - war es rassistisch? Mir scheint - wenn schon, dann höchstens gegenüber den weißen "Hinterwäldlern".
Ach ja, und wer war einer der ersten Superstars der Grand Ole Opry? Ein Mundharmonikaspieler namens DeFord Bailey - aber hoppala - der ist ja schwarz! Von wegen rassistische Country Music.
So problematisch die Vereinnahmung durch die Wirtschaft auch sein mag, immerhin boten diese neuen Radiosendungen vielen Musikern ein Plattform, um überregional in den ganzen Südstaaten, ja sogar bis nach Kalifornien, bekannt zu werden - und diese nutzten sie, manche, die schon vorher bekannt waren, wie Bob Wills, und andere, die erst durch die Opry zu Stars wurden, wie Roy Acuff.

Western Music
Daneben, und ganz unabhängig davon, gab es noch eine andere Entwicklung, eine, die von Hollywood ausging. Western-Filme wurden immer populärer, und mit dem aufkommen des Tonfilms auch das Phänomen der "Singing Cowboys" - Gene Autry, und später Roy Rogers, waren die bekanntesten von ihnen. Was sangen die? "Western Music" - ein Mischung aus den Balladen und Folk Songs der Cowboys des alten Westens (die, wie die Old Time Music, teils wurzeln in der schottischen und irischen Volksmusik hatten), und Crooner-Schlager-Popsongs, schön zugekleistert mit Streichern, und mit kitschigen, klischeetriefenden Texten - hmm, das hat sich wohl bis heut im Kino nicht geändert (Celine Dion und schlimmeres…); natürlich war das ganze kommerziell wahnsinnig erfolgreich, und zwar nicht nur im Süden, sondern in den ganzen USA (schließlich hatte es mit Südstaatenmusik ja nur sehr wenig zu tun, ebenso wenig wie mit schwarzer Musik).
Gespielt wurde das ganze auf den ganz normalen Pop-Radio-Statione, wo eben auch Pop-Crooner wie Nat King Cole, Bing Crosby oder Frank Sinatra gespielt wurden, oder auch swingender Big Band-Sound, von Benny Goodman bis Louie Armstrong; ob schwarz oder weiß war da egal, auch wenn's Rassismus sicher auch im Norden gab, zumindest Segregation gab's offiziell nicht, und die weiße urbane Mittelklasse gab sich zumindest nach aussen hin frei von Vorurteilen (auch wenn es natürlich kaum ein Schwarzer schaffte, in diese Mittelklasse aufgenommen zu werden.

Wir haben also zu Beginn des zweiten Weltkriegs:
-) Sehr erfolgreiches überregionales Pop-Radio, mit weißen und schwarzen Interpreten und Zuhörern.
-) Ebenfalls sehr erfolgreiche überregionale (aber immer noch hauptsächlich auf die Südstaaten beschränkte) Radiostationen, die Hillbilly-Musik spielen (wir erinnern uns: ein Mischmasch aus schwarzen und weißen Musiktraditionen) - interpretiert von großteils weißen, aber auch ein paar schwarzen Musikern, mit einer Zuhörerschaft aus großteils Weißen, aber auch Schwarzen.
Wo wurde schwarze Musik ("Race Music") gespielt? - Nun, wenn man vom weichgespülten Big Band-Sound im Pop-Radio absieht, nur in Sendungen in regionalen Radiostationen (die ersten rein "schwarzen" Radiostationen gab es erst Ende der 40er Jahre). Die Zuhörerschaft von Blues, Jazz (der heftigeren Sorte), Gospel, etc. war von der ökonomischen Macht einfach nicht einflussreich und wichtig genug (das sollte sich aber bald ändern…), um eigene Sender und überregionale Sendungen zu bekommen.
Ist das rassistisch? Möglicherweis - auf jeden Fall sind die äußeren Bedingungen, die dazugeführt haben, dass die politische und wirtschafliche Macht der Afroamerikaner beschränkt ist, rassistisch.
Aber WAS hat das mit Country Music (die NOCH IMMER nicht so genannt wird) zu tun? Ist die Country Music schuld an den ökonomischen & sozialen Bedingungen? Können Roy Acuff, Bob Wills, Gene Autry, etc. persönlich was dafür? Ist Country Music daher rassistisch? Ich hoffe diese Frage wird als rein rhetorische, mit einem klaren "Nein" zu beantwortende richtig verstanden!
 
Weiter geht's…

Ende der 30er, Anfang der 40er kam der ökonomische Aufschwung - die Great Depression war vorbei, FDRs "New Deal" begann zu greifen, und spätestens mit dem Kriegseintritt der USA begann die Wirtschaft zu boomen; Arbeitskräfte wurden in den Fabriken des Nordens und an der Westküste dringend benötigt, und woher konnte man die besser holen, aus dem immer noch relativ armen Süden; jede Menge junge, hoffnungsvolle Arbeitssuchende strömten in die Fabriken - welche Hautfarbe hatten die? Schwarz (kennt man ja aus Filmen und Büchern) - aber mindestens genauso viele, wenn nicht mehr, waren weiß!
Die arbeiteten sich unter der Woche die Finger wund, und am Wochenende wollten sie sich unterhalten, Dampf ablassen, Mädels aufreißen, sich vollaufen lassen - und dazu Musik hören….

..aber natürlich keine jodelnden Cowboys mehr, keine über die Härte desSharecropper-Lebens klagenden Delta Blueser, keine Banjo-zupfenden langbärtigen Appalachen-Einwohner - neue Musikformen entstanden: dreckig-fetziger Chicago Blues und seine tanzbarerern Ableger; und HonkyTonk-Music, mit durchdringenden E-Gitarren und treibenderen Rhythmen (das einstmals in der Hillbilly-Musik verpönte Schlagzeug hielt Einzug…).
Und wieder entwickelten sich die weißen und schwarzen Musikstile parallel und in gegenseitigem Austausch; Hank Williams, DER größte HonkyTonk-Star überhaupt, lernte von einem schwarzen Strassenmusiker Gitarre spielen, nahm jede Menge alte Blues-Songs in sein Repertoire auf, und betonte seine Wertschätzung für die schwarze Musiktradition; schwarze Bluessänger übernahmen Gesangstechniken von den Hillbilly-Sängern; dreckig-rotzige E-Gitarrensounds waren bei Weißen und Schwarzen gefragt; die gemeinsame Kriegsanstrengung schweißte die Nation und ihre Ethnien weiter zusammen.

Nach dem Krieg hatten dann auch die Afroamerikaner genug Marktmacht, um ihre eigenen Radistationen und Plattenfirmen zu gründen, und die rassistische Bezeichnung "Race Music" wurde durch die künstliche Schöpfung "Rhythm'n'Blues" für die sekuläre, tanzbare schwarze Musik jenseits des Jazz popularisiert.
Aber auch die Hillbillies fanden diese Bezeichnung als Hinterwäldler (nix anderes bedeutet das ja) plötzlich als diskriminierend, und nun endlich ist's soweit: sei 1949 heißen die entsprechenden Billboard-Charts "COUNTRY MUSIC".

Ab nun verläuft die Entwicklung etwas wirr:
HonkyTonk-Country ist bei den weißen Unterschicht-Jungs nach wie vor populär, auch Western Swing gibt's noch; Bill Monroe hatte den Bluegrass als virtuose Kunstmusik erfunden: Instrumente und Songs aus der weißen Appalachen-Old Time Music-Tradition, aber Rhythmen und Harmonien aus Jazz und Blues.
Rhythm'n'Blues wird DIE Unterhaltungsmusik der schwarzen Unterschicht (Jazz war schon damals eher etwas abgehobener…), die auch kommerziell sehr erfolgreich wird - Radiostationen und Plattenfirmen werden dafür gegründet, von Schwarzen, aber auch von Weißen (wie Sam Phillips, der Sun Records zunächst als RnB-Label sah). Die gleichen schwarzen und weißen Songschreiber verkaufen die gleichen Songs mal an schwarze RnB-Labels, mal an weiße Country-Labels, je nachdem, wer grad anbeißt (etliche Songs wurdenb sogar SOWOHL als Country- ALS AUCH als RnB-Version aufgenommen - mehr dazu hier: https://www.musiker-board.de/vb/cou...-black-country-music-war-er-die-ausnahme.html ); weiße Musiker spielen in den Backing-Bands von schwarzen Soul-Labels, und umgekehrt (letzteres zugegeben seltener).
Und natürlich hörten auch viele weiße Kids die Musik der schwarzen Radiostationen - unter ihnen ein gewisser Elvis Presley - wie's mit dem und seiner Kombination aus weißer Country-Musik und schwarzem Blues weiterging, muß ich hoffentlich nicht ausführen, oder? Jedenfalls war die kombination ein Riesenerfolg, Rockabilly traf den Nerv der Teenager, die erstmals genug Zeit und Kleingeld zur kleinen, persönlichen Rebellion hatten; und bei Elvis blieb's natürlich nicht - Johnny Cash startete ebenfalls als Rockabilly-Musiker (der, wie auch Elvis, gemeinsam mit schwarzen Musikern und vor gemischtem Publikum auftrat), und wurde später zum Übervater der Country Music; andere - weiße und schwarze (Chuck Berry…) - machten Rockabilly, dann Rock'n'Roll zu DER Musik für alle Nicht-Erwachsenen, vermeintlich Nicht-Angepassten, und diese Image hat dieser Bastard aus Country und Blues, der sich Rockmusik nennt, ja bis heute (wenn auch nicht mehr ganz glaubwürdig).

Aber wir schweifen ab: eine Art von Coutnry hatte sich also in Richtung Rock'n'Roll entwickelt.
Davor hatte es aber, v.a. in Nashville, und in der durch die Grand Ole Opry entstandenen Musiker-Szene, schon Bemühungen gegeben, "anspruchsvoller" zu werden - man wollte nicht mehr Musik für Hinterwäldler sein, nein, man wollte ein "anspruchsvolle" Alternative für die wohlhabend gewordenen Landbewohner werden, die sich ihrer Südstaatenwurzeln bewusst, trotzdem nicht nur Popmusik aus New Yorker Studios hören wollten, und schon gar nicht den rebellischen Rock der rotznäsigen Jugendlichen; der HonkyTonk- und WesternSwing-Sound wurde weichgespült, wurde "uptown" gebracht, mit Streichern zugedeckt, von Studiomusikern und Produzenten wie Chet Atkins (genialer Gitarrist, aber DAFÜR mag ich ihn gar nicht) - der "Countrypolitan"-Sound entstand - und genau DA liegen die Wurzeln, dessen, dass eine einst räudige, erdige, authentische, aus vielen Einflüssen amalgamierte Musik wie Country bis heute als erzkonservativ gilt; in Nashville wurde ein Sound und ein Image geschaffen, der - weichgespült, auf musikalische, textliche und optische Klischee reduziert, den Mainstream der Country-Musik bis heute prägt - aber rassistisch? Nein, nicht wirklich! Erzkonservativ, patriotisch, ja, rassistisch nur bei einzelnen Interpreten (so, wie's auch in Rockmusik, Klassik, HipHop, was weiß ich, immer einzelne Rassisten gibt, ohne dass deswegen das Genre selber dafür verantwortlich wär). Es gab etliche schwarze Country-Sänger (zugegebenermaßen war nur einer, Charlie Pride, über längere Zeit erfolgeich), schwarze Songschreiber schrieben Hits für weiße Country-Musiker, schwarze Soul-Musiker/Sänger coverten Country-Hits oder veröffentlichten gar ganze Country-Alben (Ray Charles…), es gab einzelne Interpreten, die mal einen Hit in den Country-Charts hatten, dann wieder in den RnB-Charts - mehr dazu im weiter oben verlinkten Thread..
Dass im Mainstream-Nashville-Country kaum schwarze Stars zu finden sind, hat ähnliche Ursachen, wie dass kaum übergewichtige 45-jährig Weiße zu Country-Stars mehr werden (oder zu Pop-Hitparaden-Stars...) - im "New Country" ist "Type-Casting" halt die Regel, da geht's zu wie im Mainstream-Pop, da werden Interpreten nach Aussehen gecastet, von Styling und Image-Beratern auf Erfolg getrimmt, bekommen von Profi-Hit-Schreibern einen Song raufgedrückt, der dann mittels TV-Powerplay zum Hit gemacht wird - ganz wie in der Popmusik, nur dass es im Mainstream-Nashville-Country halt unbedingt junge, knackärschige blonde Weißbrote mit Cowboyhut sein müssen… Ist halt Kommerz-Kacke, das Gegenstück zu "unserer" volksdümmlichen Musik Musikantenstadl.

Aber das bitte NICHT mit echter Country Music verwechseln, auch seit der Zeit von Nashville-Countrypolitan hat es immer ein "andere" (und durchaus erfolgreiche) Country Music gegeben - vom Bakersfield Sound (Buck Owens) der frühen 60er als direkte Revolte gegen die Nashville-Studioclique, über den Outlaw Country von Willie Nelson, Waylon Jennings, Kris Kristoffernson, bis zum Country Rock der späten 60er und 70er (Byrds, Gram Parsons, Flying Burrito Brothers, etc.), vom Cow-Punk der 80er (Green On Red, Jason & The Scorchers) bis zum Alternative Country der 90er bis heute (Wilco, Jayhawks, Steve Earle, Lucinda Williams) - aber dazu gibt's im Country-Forum eh schon einen Extra-Thread… Und Rassit ist von denen mit 99,9%iger Sicherheit keiner!
 
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Reaktionen: 2 Benutzer
Hallo, Roman, würde Dir gerne Punkte geben, aber die Boardpolitik hat was dagegen.
Ganz große Leistung - dafür hast Du Dir ne Mütze Schlaf verdient, Du Nachteule.:D

Die USA sind der reinste Schmelztiegel der europäischen Folklore. Super, was daraus geworden ist, im Land der unbegrenzten Möglichten.
Komisch, daß wir in Europa immer noch auf Stiltrennung bestehen. Naja, wir mußten oder wollten uns ja auch nie wirklich zusammentun, um voneinander zu lernen.

Danke für den Einblick in diese höchstinteressante Geschichte.

Ich hab da noch nen Blues von Jimmie Rodgers gefunden.
http://www.youtube.com/watch?v=N5W7q8IsnPs&feature=related

Grüße,
Joachim
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Kann dir leider auch gerade keine Punkte geben, deshalb vorerst nur der Dank auf diesem Wege:

Hut ab! Super geschrieben und äußerst informativ!
 
Danke. Das ist wirklich sehr informativ, muss ja ziemlich lang gedauert haben das alles zusammenzustellen. Eine Frage noch: Welche Bücher könnt ihr denn für Country- Geschichte empfehlen? Ich würde mich sehr dafür interessieren.
 
Einer meiner Lieblingsautoren auf dem Gebiet ist Colin Escott - der hat eine ganze Reihe von Büchern geschrieben, z.B. über die Geschichte von Sun Records, über die Geschichte der Grand Ole Opry, über den frühen Rock'n'Roll; für Country-Interessierte wär sein Buch "Lost Highway" zu empfehlen, wo's um die Geschichte der Country Music seit den Anfängen geht, ist leider "out of print", aber bei Ebay kann man immer wieder neue Exemplare aus Altbestand finden; bis auf eine Hank Williams-Biographie (die auch sehr interessant ist, weil man Einblick in die Verstrickungen der Plattenfirmen und ihren Einfluß auf die Karrieren der Interpreten erhält) sind allerdings alle nur im Englischen Original erhältlich.

Ebenfalls recht gut find ich "The Rough Guide Of Country Music" (die ganze Rough Guide-Reihe zu unterschiedlichen Musikstilen ist sehr empfehlenswert); ist mehr eine Art Enzyklopädie oder Lexikon - es gibt Artikel zur Geschichte der unterschiedlichen Richtungen und Spielarten der Country Music (wobei, im Gegensatz zu etlichen andeen Büchern, auch neuere Entwicklungen nicht vernachlässigt werden, selbst zu Alt.Country ist einiges drin), und einen Lexikon-Teil, wo Kurzbiografien zu hunderten Country-Musikern drinnen sind, sowie Diskografie-Empfehlungen, welche Platten zum Einhören in bestimmte Stilrichtungen zu empfehlen sind; ist aber ein ziemlicher Wälzer, und ebenfalls nur auf Englisch erhältlich...

Von Richard Peterson gäb's noch"Creating Country Music - Fabricating Authenticity" - das ist insofern interessant, als es die Geschichte der Country Music von den Anfängen bis in die 50er Jahre nachzeichnet, aber dabei auch einen Schwerpunkt auf die Konkurrenz und dem Konflikt zwischen "echten", authentischen Musikern und der Vermarktung, Vereinnahmung und Kommerzialisierung durch Wirtschaft und Politik legt; ist also eher was für Kulturtheoretiker, die sich von soziologischem Fachvokabular in Englisch nicht abschrecken lassen, als für reine Fans - aber wie gesagt, sehr interessant in Bezug auf wirtschaftlich-politische Hintergründe.

Wirklich empfehlenswertes deutschsprachiges Buch fällt mir jetzt keines ein (obwohl es da wahrscheinlich auch was gibt), als ehemaliger Anglistik & Amerikanistik-Student les ich Bücher meist im englischen Original, deshalb hab ich mich mit deutschen Werken zu dem Thema nicht so befasst...
 
muss ja ziemlich lang gedauert haben das alles zusammenzustellen

Naja, so schlimm war's nicht, allerdings hab ich jetzt erst im Nachhinein eine Haufen Tipp- und Schreibfehler entdeckt, die ich nachträglich nicht mehr korrigieren kann, bitte um Nachsicht...
 
Danke, werde mich auf die Suche machen.
 
Roman,

ebenfalls vielen Dank für den feinen Beitrag ! Leider bin ich auch am Punktevergeben gescheitert, drum hier.

Noch was zu Bill Monroe, auf dessen 1946'er Band der ganze Bluegrass zurück geht: der wurde stark von einem schwarzen Bluesmusiker namens Howard Shultz beeinflusst, mit dem er in seiner Jugend zusammen gespielt hat. Bill Monroe hatte eine gute Portion Blues in sich.

Im Bluegrass finden sich viele Blue Notes und was die Bluegrasser "modal tunes" oder "mountain modal" nennen ist reine Blues-Pentatonik.

Ich werde ja oft gefragt, was ich für Musik mache und was Bluegrass denn sei und wenn ich dann sage "so eine Art akustische Countrymusik" rümpfen die meisten die Nase und wenden sich ab. Wenn ich sage "so eine Mischung aus Keltisch und Blues" finden es alle cool. Das alte Stigma ... aber die zweite Beschreibung trifft es auch wirklich recht gut, finde ich.

Banjo

"Celtic meets the blues" - ja das isses!
 

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