Stimmt es soweit oder habe ich was nicht richtig verstanden?
Da sind einige Zweifel angebracht, zumal du dir mit Haunschild einen Autor ausgesucht hast, bei dem ich mir des öfteren die Frage stelle, ob er das von ihm teilweise sehr konfus abgehandelte Akkord-Skalen-Konzept wirklich begriffen hat.
Bin beim Kapitel Nr.: 6 "Das Ionische System" angekommen und hoffe es soweit verstanden zu haben, dass jede Tonart außer Dur(Ionisch) und Moll(Aeolisch) noch um weitere Fünf erweitert werden kann.
Von
Tonarten ist bei der Akkordskalen-Theorie überhaupt nicht die Rede - auch wenn Haunschild immer wieder von "Kirchentonarten" faselt, die aber mit dem Thema absolut nichts zu tun haben. Dass Haunschilds historische Exkurse zu den "Kirchentonarten" fehlerhaft bzw. falsch sind, sei nur am Rande vermerkt. Das Konzept der "modalen Tonarten" (also z.B. Phrygisch, mit Dur-Tonika und einer Dominante auf der II. oder VII. Tonleiterstufe) wird bei Haunschild überhaupt nicht abgehandelt, somit haben deine "modalisierten" Midi-Beispiele eigentlich nichts mit dem Thema zu tun.
Die eigentliche Kernaussage steht auf Seite 70:
"Akkorde sind Skalen - Skalen sind Akkorde." Damit bezieht er sich (ohne den Urheber des Konzepts zu nennen) auf die bereits 1953 formulierte "Akkordmodus-Theorie" von George Russel ("The Lydian Chromatic Concept of Tonal Organization"), der - vereinfachend zusammengefasst - den "Akkordmodus" als Einheit von
vertikaler Harmonik (in Form terzgeschichteter 13-Akkorde) und
horizontaler Projektion des Akkordmaterials in Skalenform definiert. Dieses Grundprinzip ist bei Haunschild auf Seite 72 im Notenbeispiel 4 dargestellt.
Man muss zunächst also nicht mehr begreifen, als dass jede Tonleiterdarstellung im Akkordskalen-Konzept zugleich eine auf die Oktave komprimierte Darstellung eines Siebenklangs (13-Akkords) ist, der seinerseits aus einem Basis-Vierklang und drei Optionstönen besteht. Im Sinne Russels generiert also der Akkord die Skala, während zugleich die Skala den "Modus" des Akkords auszudrücken vermag.
Die Reihenfolge ist hierbei wichtig: Grundlage des Akkordskalen-Modus ist der Akkord, der auch linear als Skala darstellbar ist, nicht aber die Skala "aus der Akkorde gebildet werden" können. Geht man von der Skala als "Material-Lieferanten für Akkorde" aus, stellt man das System auf den Kopf - meist mit der Konsequenz, dass man zwar fleißig Unmengen von Skalen gelernt hat, aber damit in der Praxis nichts anzufangen vermag.
Im Gegensatz zu Russel, der (aus hier nicht näher zu erläuternden Gründen) von der "lydischen Skala" (c-d-e-fis-g-a-h-c) und dem Grundklang C-e-g-h-d-fis-a (C maj7/9/#11/13) ausgeht (siehe Haunschid S. 72, NB 4), verwenden seine Nachfolger die Dur-Skala als Grundlage, deren Akkordskalen-Modus sie als "ionian" bezeichnen.
Merke: Russel nummeriert seine
modes lediglich von I bis VII durch. Die anachronistischen Bezeichnungen der "modes" haben Russels Nachfolger und Epigonen von den
neuzeitlichen Bezeichnungen der mittelalterlichen "Kirchen-Töne" übernommen, diese haben aber außer den Namen nichts mit den
chord modes gemeinsam!
Die
ionian scale hat eine Doppelfunktion, da sie als
scale einerseits Grundlage des ganzen Systems, andererseit als
chord mode zugleich der I. Akkordskalenmodus (C13) ist, der auf der ersten Tonleiterstufe gebildet wird.
Da sich der Intervallaufbau, und somit auch der
Klangcharakter von Akkorden und den aus ihnen abgeleiteten Skalen ändert, sobald man andere Tonleiterstufen als Grundton verwendet, ist Russel von der Annahme ausgegangen, es handele sich beim Wechsel des Klangcharakters auch um einen Wechsel einer - wie auch immer damit verbundenen - wahrnehmungspsychologischen Grundstimmung. Im Prinzip könnte man also eher von
"moods" (Gefühlsstimmungen) als von
"modes" (Modalitäten, hier im Sinne von "melodisch-harmonischen Wahrnehmungsmustern") sprechen.
So ergibt sich z.B. auf der zweiten Stufe des "Ionischen Systems" ein Mollklang (IIm 7/9/11/13), oder auf der fünften Stufe ein Durklang mit kleiner Septime, mit den jeweils davon abgeleiteten Skalen. Dass diese dann als altertümelnde Memorierhilfen als
dorian (II) oder
mixolydian (V) bezeichnet werden, ist letztlich egal, weil Bezeichnungen bekanntlich Schall und Rauch sind.
Dass Haunschild bereits im 6. Kapitel alternative Ordnungssysteme abhandelt, wie z.B. die Halbtonverwandtschaft, ist zwar systematisch vertretbar, allerdings didaktisch fragwürdig, weil zu diesem Zeitpunkt für Anfänger unnötig verwirrend, und methodisch indiskutabel, weil ohne jegliche praktische Anwendungsbeispiele und somit nicht nachvollziehbar.
Wenn du einigermaßen sicher im Notenlesen bist, empfehle ich dir das Buch von Graf und Nettles "Die Akkord-Skalen-Theorie und Jazz-Harmonik" als alternative Lektüre - diese Autoren haben das Konzept im Ggs. zu Haunschild besser verstanden, gehen strukturierter vor, und hinterlassen auch in ihren Exkursen und Randbemerkungen einen kompetenteren Eindruck. Außerdem brauchen sie keine zwei Bände, um das Thema abzuhandeln.