Ich kenne dein Problem - und ich kenne deine Frustration! Und das bezieht sich leider nicht nur auf Musik, sondern auch auf andere Dinge des privaten/kreativen Lebens.
Mir kommen dauernd irgendwelche Ideen in den Kopf. Manchmal technische Ideen, mit deren Hilfe ich irgendwas optimieren, clever erweitern oder vereinfachen könnte usw...
Und eben auch musikalisch allerhand kleine Dinge wie Rhythmen, Riffs, Melodien, Text-Ansätze... Und dann wird das notiert oder aufgenommen, zur Not auch mit Sprache/Stimme, wenn gerade kein Instrument zur Hand ist.
Über die Zeit sammelten sich so immer mehr Ideen für Projekte und Songs und sonstwas. Auf der anderen Seite wurde aber kaum etwas davon umgesetzt und "fertig" gemacht. Dennoch hatte ich immer das Gefühl, ich müsse diese Ideen irgendwie sichern, damit ich auf sie zurück greifen kann. Waren ja schließlich alles tolle Ideen...
Das Problem ist durchaus bekannt, wie man schon an den bisherigen Beiträgen erkennen kann. Du bist nicht allein!
Und ein Spruch wie "mach doch einfach mal und sammle keine Ideen" ist nicht so leicht umzusetzen...
Ich habe mit den Jahren immer mal neue Ansätze ausprobiert. Ein ganz simpler Ansatz: wenn diese Ideen wirklich relevant sein sollten, dann werde ich automatisch wieder auf das Problem stoßen und mich dann auch um eine Verbesserung kümmern, um mir das Leben einfach zu machen. Der "Schmerz" muss einfach groß genug sein, sonst lohnt sich der Aufwand vermutlich auch einfach nicht. Ganz automatisch kümmert man sich um die Sachen, deren Wert oder Nutzen man auch spürt. Oder man geht wichtigen Dingen aus dem Weg, indem man sich um Unwichtiges kümmert. Auch das ist dann ein Nutzen in dem Moment - denkt man. Immerhin musste man sich nicht mit einer unliebsamen Tätigkeit herumschlagen. Dass einen das früher oder später einholt, ahnt man, aber es ist sehr menschlich, es doch ab und zu zu tun...
Nun rede ich gerade von Projekten usw, nicht von Musik. Tja, Musik, Texte... Die können schnell verloren gehen, oder? Also alles aufnehmen. Habe ich auch über viele Jahre gemacht. Mittlerweile habe ich sehr viele Riffs, Melodien usw. aufgenommen. Irgendwann merkte ich, dass ich sie gar nicht verwenden könnte, weil ich sie nicht finden kann. Mir fiel auf, dass viele Riffs z. B. nur für bestimmte Song-Geschwindigkeiten / Tempi funktionieren. Also habe ich angefangen, die Dateien vorne mit der BPM-Angabe zu starten. Bei einem Riff, was ideal um die 104 BPM rockt, sieht das dann vielleicht so aus: "104 bpm - Zerr-Riff.mp3". Ist es über einen größeren Geschwindigkeitsbereich tauglich, dann auch so: "090-120 bpm - Zerr-Riff". Sowas in der Art half schonmal, um die Sachen dann auch mal hervorkramen und anhören zu können, falls ich an einem Song schraube, bei dem mir irgendwie ein nettes Riff fehlt. ABER: das ist auch nicht die Lösung - für mich zumindestens nicht. ABER: diese Vorgehensweise hilft mir und auch anderen, um das Gefühl zu bekommen: ok, ist notiert, muss ich nicht weiter im Kopf behalten und mich drum sorgen.
Ich empfehle dir, dich mal mit dem Konzept "Getting Things Done" (GTD) zu beschäftigen. Dazu gibt es haufenweise kurze Einführungen in Form von Artikeln oder Videos. Auch Bücher gibt es. Das vom ursprünglichen Autor David Allen ist sicher die Referenz: "Getting Things Done: The Art of Stress-free Productivity".
Hierbei geht es darum, dass man so etwas wie eine Inbox - ähnlich wie bei E-Mails - hat, in die man Ideen und Todos packen kann. Regelmäßig geht man da durch und entscheidet, was man damit als nächstes tun will oder muss. Die Dinge landen auf unterschiedlichen Listen, von denen eine die Elemente enthält, um die man sich als nächstes wirklich kümmern will. Viele Sachen liegen auf einer anderen Liste bereit, und werden vielleicht in Zukunft herausgepickt. Der Fokus liegt hier dabei, dass man Sachen wirklich fertig macht und erst dann schaut, was als nächstes dran kommt. Viele Sachen landen auch in einer Liste, die alles enthält, was man nur vielleicht und irgendwann machen wird (oder auch nie). Klingt nun alles noch nicht ganz schlüssig, aber schau dir mal ein paar Sachen dazu an und du wirst sehen, dass der Ansatz es wert ist, dass man ihn mal ausprobiert.
Zurück zur Musik: ich bin auch extrem frustriert, dass ich zwar viele Ideen habe und auch Songs halb fertig habe usw... Aber so ganz fertig wird selten etwas. Ist wie bei vielen anderen Dingen auch: es gibt immer Aspekte, die einem nicht so viel Spaß machen, irgendwo auf der Strecke ist es auch mal nervig, und letztlich gibt es ja auch keinen Druck. Wenn du eine Band hast, dann ist da z. B. Druck, denn zur nächsten Probe erwartet man vielleicht, dass du dir zu einem Part in einem Song etwas ausgedacht und ausgearbeitet hast. Das macht man dann spätestens am Tag zuvor oder direkt ein paar Stunden vorher, damit es weiter geht. Aber allein zu hause Songs fertig machen? Die ganze "Arbeit" machen, um die sich sonst mehrere Band-Mitglieder kümmern? Das kann eine Menge sein. Oder man fühlt sich mit irgend einem Schritt beim Songwriting nicht so richtig wohl, müsste sich in irgendwas einarbeiten - z. B. Software - und schon ist man abgelenkt und im Internet bei YouTube auf anderen Themen unterwegs...
Ich habe es nun rückblickend jahrelang nicht geschafft, meinen Songwriting-Prozess mit Hilfe meiner DAW, Reaper, effektiv umzusetzen. Irgendwie habe ich den Verdacht bekommen, dass mich das Arbeiten mit dem Bildschirm in der kreativen Phase ablenkt, aus dem kreativen Prozess heraus holt. Ich bin dann schnell von dem Instrument und der Musik weg und wieder mehr auf Computer und Bildschirm fokussiert. Für mich funktioniert es wohl besser so wie vor 30 Jahren: mit Instrument und Aufnahmegerät und Drum-Computer hinsetzen und fertig. Auch einen Pocket-POD habe ich mir vor einer Weile angeschafft und einen portablen Recorder (Olympus LS-14), der auch Overdubbing erlaubt. Mein Problem ist gar nicht, dass mir nicht genügend Riffs usw. einfallen. Wenn ich spiele, dann kommt da schon was. Und dann baut sich das mehr oder weniger automatisch auf. Da kommt irgendwas in meinen Kopf, wie es weiter gehen könnte, und dann fügt sich ein Teil an das andere. Wenn ich am PC sitze, dann ist das nichtdas Gleiche. Ich brauche einfach die Möglichkeit, mich um eine musikalische Idee kümmern zu können, dran zu bleiben, etwas weiter zu entwickeln. Die ganzen Aufnahmen von kurzen Riffs und Melodien ohne Kontext habe ich bisher sehr selten verwendet. Viel mehr Spaß macht es, wenn sich über einen Zeitraum von Tagen oder Wochen wirklich ein Song aus einigen Ideen entwickelt, indem man hier und da noch etwas verfeinert usw...
Vielleicht ist bei all dem Geschreibsel oben ja etwas für dich dabei, was dir hilft, besser mit deinen Ideen umzugehen. Mir hat GTD sehr geholfen und bei der Musik eben ganz gezielt die Distanz zum Computer, solange ich in der "Entwicklungsphase" eines Songs bin. Viel Erfolg! Und vergiss nicht: du bist nicht allein! Millionen Menschen geht es sehr ähnlich wie dir!