Meine Frage ist, ob meine Verwendung der Begriffe ok ist, oder würdet ihr bei einer Subdominate in C-Moll auch von "Mollsubdominante" sprechen?
Ich würde von einer "vermollten" Subdominante oder Mollsubdominate sprechen, wenn sie in Dur auftritt, ansonsten einfach nur von von einer Subdominante (in Moll wäre das natürlicherweise die s bzw. IVm, in Dur die S bzw. die IV).
Die Sicht- und Analyseweise ab ca. der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bezogen auf die Popularmusik, einen Akkord aus einer anderen Tonart zu leihen (MI-Funktion = borrowed chord), hat folglich nichts mit der Entstehung oder gar des Geburtsverständnisses eines Klanges, hier der MSD in Dur, zu tun.
Die vermollte Subdominante in Dur kann man auf zweierlei Weisen erklären: systematisch/didaktisch und historisch
Systematisch/didaktisch würde man von der Durtonleiter ausgehen und den Hauptfunktionen T, D, S. Es werden zunächst nur leitereigene Töne verwendet.
Im nächsten Schritt würde man Moll aus der äolische Molltonleiter bilden. Leitereigen würden sich die Funktionen t, d und s ergeben.
Da d eine kaum akzeptable Dominante darstellt (Leitton fehlt), wird der 7. Ton erhöht, so daß D und harmonisches Moll entstehen.
Die aus äolisch-Moll stammende "Dominante" d wird also zu D "verdurt". Der erhöhte (Leit)-Ton strebt zur Auflösung nach oben.
Symmetrisch kann man in Dur die Subdominante "vermollen"/erniedrigen und erhält dadurch ebenfalls einen Leitton, der jetzt nach unten zur Auflösung strebt ("Gleitton"). Auflösungen von Leittönen erscheinen plausibel, also auch die Auflösung der vermollten Subdominante s zur D oder T.
Der Charakter von Dur wird durch die Vermollung der Subdominante vergleichsweise gering beeinträchtigt, verglichen mit einer Vermollung von D oder T.
Daher wird er als interessante Farbvariante gerne in den Akkordfolgen der Popularmusik eingesetzt:
Elvis Presley - Love Me Tender (1956)
Ken Darby (Bearbeiter):
.................. S..... s........ T
.................. All my dreams fulfilled
George A. Poulton (Komponist des Originals) setzte an der Stelle keine vermollte Subdominante ein:
................... S............... T
Aura Lee, Aura Lee, birds of crimson wing
Frances Farmer - "Aura Lee"
97th Regimental String Band - Aura Lee (Civil War Music)
Beatles:
When I'm Sixty Four with Lyrics
S............. s
Will you still need me,
In My Life- The Beatles [HD] (with lyrics)
.......... S.. s......... T
... all my li--ife though some have changed,
Das Wort "Farbvariante" führt zu dem Begriff
Variantklang, den die klassische Harmonielehre verwendet.
Die Akkordfolge S-s bzw. (IV-IVm oder IV-iv) wird zwar gerne auch aus melodischen Gründen genommen (siehe u.a. obige Beispiele), doch es wird natürlich eine Eigenschaft der Moll-Tonart verwendet. Die Einführung der vermollten Subdominante kann daher auch als Einstieg in Moll-Tonart dienen:
Ivo Robic - Morgen (1959), Komponist:
Peter Moesser (1915-1989)
Der Schlager wurde auch in Amerika gern gehört, wie youtube-Kommentaren zu entnehmen ist:
Matt Reese vor 6 Monaten
A #1 song back in 1959 in Toronto, Canada, believe it or not.
endeavor53 vor 3 Monaten:
I first heard this song when I was a kid, a long time ago, since I'm 61 now in 2014, at my uncles house. His last name was Morgan. I guess that's one reason he had the record. I like it.
Wikipedia: Robić—often referred to as "Mr. Morgen" - US-Cover (Leslie Uggams)
Vers:
...
S....... s ...... T
Gestern, gestern, liegt
...
Chorus:
s
sind wir ...
t
sind wir ...
s
sind wir ...
Eine abschließende Anmerkung zur Harmonielehre von De la Motte:
Er geht darin
historisch vor und sagt auf S. 134, daß der Leitton älter war als Dur und Moll und die obige Sichtweise nicht der geschichtlichen Entwicklung entspricht, sondern eher dem Aufbau von Lehrbüchern "von leicht zu schwer".
Die "Mollsubdominantklänge in Dur sind für die Bachzeit nicht Bereicherung von etwas ursprünglich schlichtem, sondern Übernahme aus früherer bunter Klangfülle". Er belegt dies mit einem Beispiel von Haßler aus dem Jahr 1601.
Beide Betrachtungsweisen habe m.E. ihre Berechtigung im jeweils passenden Kontext.
Viele Grüße
Klaus