Neuland - klassisches Orchester und Chor

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Aloha zusammen,

ich habe schon längere Zeit keine Berichte mehr von Veranstaltungen geschrieben, die ich betreut habe. Zwar war ich (abgesehen von meiner gesundheitsbedingten Zwangspause in der zweiten Hälfte des Jahres 2017) durchaus nicht müßig, aber es war irgendwie nichts Neuartiges dabei, höchstens mal leichte Variationen bereits bekannter Themen. Und wenn ich zu lange keine Herausforderungen bekomme, dann sticht mich ein wenig der Hafer. Daher habe ich zugesagt, als letztes Jahr das Telefon klingelte und ein Bekannter (eigentlich ein Rockmusiker) mich für die technische Betreuung eines Chorkonzertes mit Begleitung durch ein kleines klassisches Orchester anfragte. Zwischenzeitlich ging mir da schonmal der A****werteste auf Grundeis und ich fragte mich, worauf ich mich da eingelassen habe. Dann ein kleiner Infekt kurz vor der Veranstaltung, der mich ziemlich bei den Vorbereitungen behindert hat. Und trotzdem: Wir haben es durchgezogen, und gestern war der Tag der Tage: Aufbau, Soundcheck und Probe am Freitag, am Samstag dann Soundcheck zweier weiterer (kleinerer) Gruppierungen, nochmal eine kurze Probe, und abends dann Showtime. Ach ja, wenn ich sage "wir", dann meine ich neben mir noch den weltbesten aller Aufbauhelfer und Assistenten und meine - wie soll ich das nennen? - Praktikantin: Eine Freundin meiner Frau, die sich beruflich nochmal vollkommen umorientieren möchte, und die einfach Spass am Betreuen von Veranstaltungen hat.

Was ward musikalisch geboten? Der "Hauptact" war zum einen ein Chor von 32 Personen - im Alt ein wenig unterbesetzt, im Bass und Tenor noch schwächer. Da mussten wir von Seiten der Technik ein wenig gegensteuern, das war explizit so gewünscht. Das begleitende Orchester zum anderen bestand aus 11 Personen mit folgender Besetzung: 1. Geige (2 Personen), 2. Geige (2 Personen), Bratsche, Cello, Kontrabass, Querflöte, Piano, Pauke (die sich als großes Standtom entpuppte) und eine große Konzertharfe.

Die beiden anderen Acts waren vier singende Damen aus Salzburg und ein Jazz-Duo, bestehand aus Gitarre und Gesang.

Zur Architektur bzw. insbesondere zur Akustik in der kleinen Halle, in der das ganze stattfand: Es handelte sich um eine recht neue Mehrzweckhalle - etwa drei Jahre alt, für Sportveranstaltungen aber auch Musikdarbietungen gebaut, Stein, Glas, Holz am Boden und im Dach. Von der Größe der teilbaren Halle her waren es zwei kleine oder ein großes Hallenfeld, also ca. 17 * 30 Meter, bestuhlt passen 400 Leute rein. An einer der kurzen Seiten war die Bühne aufgebaut - schätzungsweise 3m tief und 6m breit, in drei verschiedenen Höhen, also nach hinten ansteigend für den Chor.

Das besondere an dieser Halle ist die Schallabsorbtion, die dort eingebaut ist: Bis zu einer Höhe von ca. 2,5m ist die Wand mit gelochten Holzplanken vertäfelt, hinter denen ein Material zur Absorption des Schalls eingearbeitet ist. Für eine Halle dieser Größe ist es darin sehr leise (wir kamen an, als grade noch für ein paar Minuten der Sportunterricht lief und bekamen daher einen Eindruck, wie die Halle sich bei schreienden Kindern verhält, die begeistert Völkerball spielen). Recht trocken also die Akustik. Natürlicher Hall ist vorhanden, aber sehr leise und auch nicht besonders lang. Für Sportveranstaltungen, Rock- und ähnliche Konzerte ist das spitze, für Chor und Orchester eher kontrapoduktiv, denn die beziehen den natürlichen Raumhall (teils unbewusst) in ihre Klanggestaltung mit ein. Der andere überraschende Effekt: Obwohl das Orchester DIREKT vor der Bühne des Chores steht, die nächsten Musiker sitzen wirklich keinen Meter entfernt, hört man das Orchester auf der Bühne so gut wie gar nicht. Also haben wir drei Monitore auf die Bühne gestellt, bzw. davor auf drei Hocker, welche dafür eine gute passende Höhe hatten.

Technisch gingen wir es wie folgt an: Kleinmebran-Kondensatormikros, soweit das Auge reicht! Wir hatten:
- 4 Rode NT5 für den Chor
- 3 LineAudio CM3, je eines für das Piano, für das Paar erster Geigen und für das Paar zweiter Geigen (also immer ein Mikro für zwei Geigen)
- 1 weiteres NT5 für die Bratsche
- 1 weiteres NT5 war für das Cello geplant, aber die Cellistin hatte einen passiven Kontakttonabnehmer von Schaller dabei, der an einer aktiven (!) DI-Box so gut kam und dabei so feedbackunempfindlich war, dass wir es glücklich dabei belassen haben
- 1 audio technica Pro37R für den Kontrabass (ein Getüm in echter 4/4-Größe)
- 1 weiteres Pro37R für die Harfe
- 1 Sennheiser e905 für die Querflöte
- 1 Sennheiser e904 an der "Pauke"

Die vier Damen haben über zwei der Chormikros gesungen.

Das Jazz-Duo haben wir mit einem von der Sängerin mitgebrachten Neumann KMS-105 abgenommen; wegen ihrer recht tiefen Stimme hat sie dieses einem 104 vorgezogen. Dank leiser Bühne gab es keine Rückkopplungsprobleme. Seine Gitarre (ein echtes Traumstück, eine Gibson L4 oder ein ganz ähnliches Modell, Archtop, etwas kleinerer Korpus, florentinisches Cutaway) ging über eine Funke von Line6 in den Amp, einen kleinen alten Fender-Combo, und wurde dort mit einem Sennheiser e606 abgenommen: LoCut bei 100 Hz, HiCut bei 6 oder 7 kHz und eine minimale Absenkung um 350 Hz.

Für die Moderation, die alle zwei oder drei Stücke etwas sprach, gab es ein Sennheiser e945 an der D1-Funkstrecke, welche die ganze Zeit über einwandfrei funktioniert hat. Desweiteren wurden eine Rede des Bürgermeisters sowie zwei Solostücke damit übertragen. Alles gut hier.

Drei Überraschungen habe ich im Lauf der beiden Tage erlebt:
- die breite Niere des CM3 funktioniert für die Abnahme von zwei nebeneinanders sitzenden Geigen wirklich gut; da die Akustik vergleichsweise trocken war, habe ich mir auch nicht allzuviel Raumhall eingefangen (das war bei einem Choreinsatz in einer stark hallenden Kirche vor ein oder zwei Jahren ja mein großes Problem mit desen Mikros); auch am Piano, das ich normalerweise mit zwei Kleinmembranern abnehme, hat ein einzelnes CM3 wirklich gute Arbeit geleistet - für mich sind die CM3 damit quasi rehabilitiert, wenn man den passenden Einsatz und den passenden Raum (!) dafür hat; für die Kirche oder andere hallige Räumlichkeiten sind sie eher nichts
- die Rode NT5 haben gut funktioniert, solange es von Seiten des Chores zivil zuging; die vier singenden Damen dagegen sangen deutlich kräftiger und mit wesentlich mehr Dynamik, und wenn es dort mal lauter wurde, kamen die "Chinahöhen" der NT5 dann leider doch unangenehm zum Tragen; ich bin dem durch Absenken der Höhen ab 3 kHz um ca. 6 dB begegnet, dadurch wurde es dann ganz annehmbar; allerdings hält mich diese Eigenart dann doch endgültig von einem Kauf ab (darüber hatte ich eine zeitlang nachgedacht)
- der Tonabnehmer für das Cello (sieht aus wie der Schaller Oyster 723) hat an der aktiven DI-Box bestens funktioniert, klang gut (etwas viel Kratzanteile vielleicht, toll für moderne Musik, aber für Klassik habe ich dann zwischen 2 und 3 kHz etwas gebremst)

Auch unerwartet war, dass wir eigentlich die ganze Zeit über VOR dem Zeitplan hergelaufen sind - durch das Nichtauftreten von nennenswerten Problemen (die wir aber erwartet und in den zeitlichen Ablauf des Wochenendes eingeplant hatten) hatten wir jede Menge Zeit und kamen so zu den beiden ersten Biergartengängen des Jahres. Da hier um München rum ja fast an jeder Ecke ein Biergarten liegt, ist das wie in Berlin an die nächste Dönerbude gehen oder im Ruhrgebiet kurz am nächsten Currywurststand einchecken.


Die ganzen Signale liefen in mein Presonus StudioLive 16.4.2, von wo wir über FireWire einen Mitschnitt gemacht haben. Zwei RCF ART 412a stellten wir für die Front und drei RCF ART 408a für das Bühnenmonitoring. Die Anlage lief WEIT unterhalb ihrer Möglichkeiten, also quasi kurz oberhalb von Standgas.

Licht gab es auch, ein kleines Pult, zwei kräftige warmweiße Strahler für die Frontaufhellung und acht RGBAWUV für Chor und Orchester, die aber nur vom Boden her statisch eingestelltes Licht abgegeben haben - die Musiker wurden nervös, sobald sich da was änderte, also blieb alles konstant.


Der Raum wurde vor Probenbeginn mit Musik eingemessen und nach dem ersten Probentag nochmal genauer eingepfiffen, da wir im Lauf der Probe doch mal etwas mehr Pegel geben sollten, was uns bis kurz vor die Koppelgrenze gebracht hat. Das ganze natürlich noch mit leerem und unbestuhltem Raum. Am Tag der Aufführung (möglicherweise durch die Bestuhlung und die rund 300 PAX) hat sich die Resonanzfrequenz des Saales etwas nach unten verschoben, und wir hatten eine neue Koppelfrequenz in den tiefen Mitten. Es hat nicht wirklich gestört, aber nach dem Einmessen hatte ich ab Maximalpegel ca. 4 oder 5 dB GBF, am Tag der Aufführung ab Maximalpegel waren es nur noch 1 oder 2 dB. Merkwürdig, eigentlich sollte Publikum nochmal stärker dämpfen.

Alle Mikros haben einen LoCut verpasst bekommen, und die meisten Kleinmembraner eine Höhenabsenkung, die mal mehr, mal weniger dezent ausfiel. Das Cello bekam die erwähnte Absenkung zwischen 2 und 3 kHz, die Jazzgitarre zwischen 300 und 400 Hz. Als einzige Instrumente bekamen der Bass und die Pauke eine Anhebung bei ca. 80 Hz - aber nur bei einem einzigen Stück aus Game of Thrones, wo die beiden Instrumente für eine bedrohlich wirkende Athmosphäre sorgen sollten. Bei allen anderen Stücken nahm ich diese Anhebung zurück. Interessant finde ich aber, dass ich die meisten Mikros im Mitteltonbereich neutral durchlaufen ließ.

Über zwei Kritiken habe ich mich besonders gefreut: Der ehemalige Leiter des Chores, ein Profiorganist, der mir von mehreren Leuten als gnadenloser Kritiker mit Luchsohren beschrieben wurde, hatte nur Lob über den Sound, die Klarheit und Verständlichkeit bis ganz nach hinten im Saal, und vom Ehemann einer der Orchestermusikerinnen (ebenfalls ein Profimusiker) hiess es, dass man angeblich die Verstärkung gar nicht wahrgenommen hätte und es klang wie in natura - nur halt lauter. Okay, mit der Einschränkung der "Chinahöhen" bei lauten/dynamischen Passagen des Gesangs über die Chormikrofone, möchte ich anfügen. Aber im großen und ganzen lief es überraschend gut und reibungslos. Bei all den versammelten Kleinmembranern und Abnahme der Instrumente teils aus einiger Entfernung hätte ich deutlich mehr an Feedbacks erwartet.

Yup, soviel mal wieder von mir.

Gruß,
Jo
 
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Das Wort „Mehrzweckhalle“ lässt mir regelmäßig kalte Schauer den Rücken runter laufen. Dass du einen akustisch halbwegs brauchbaren erwischt hast ist wunderbar. Du hast nicht zufällig die Veranstaltung lichtbildtechnisch dokumentiert?
 
Leider nein - meine Frau hat auch schon mit mir geschimpft deswegen. Aber marketingtechnisch bin ich kein Naturtalent.
 
Hallo,

...interessanter Bericht :great: Aus Chorsängersicht kenne ich nebst der von Dir beschriebenen sorgfältigen, musikerdienlichen Vorgehensweise leider auch aus mehrfach leidvoller Erfahrung das andere Extrem. Mein Horroszenario: Open-Air-Bühne, Chor mit 52 Personen, "Abnahme" erfolgte über 2 SM58, die fünf Meter vor dem Chor standen. Das war auch noch ein Chorfestival... keine Ahnung, was sich der Veranstalter damals gedacht hatte...

Viele Grüße
Klaus
 
Das kann ich mir tatsächlich nur für eine sehr amateurhafte Aufnahme vorstellen (habe sowas Ähnliches mit einem SM57 gehört, das klingt überraschend wenig shice). Denn für die Abnahme eines so großen Chores mit Verstärkung im Saal tut man mit zwei SM58 nämlich so ziemlich genau gar nix.
 
Ich war zu meiner Studienzeit in einem Jazz-Chor. Bei einem Auftritt wurden wir auch mal mit 4 SM58 - eines pro Stimme bei gut 40 Personen Chor - abgenommen und verstärkt. Das muss beim Publikum grauenhaft geklungen haben. Das war kurz vor der Pfeifgrenze aber kam trotzdem kaum was rüber. Auf Distanz hat das SM58 ja komplett seine Rückkopplungsfestigkeit eingebüßt und seine Tiefmitten und Tiefen auch. Die Boxen taten vermutlich ihr Übriges dazu.

Dein Bericht ist übreigens sehr interessant!
 
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