Rhythmusbestimmung, und: wie zählt man das praxisgerecht?

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Hallo,

hätte eine Frage im Auftrag einer Saxofonistin, die sich mit dem folgendem Rhythmus schwertut.
Es geht um die fünf Melodietöne ab Takt 7 Schlag 2, bei 0:12 (das Motiv wird kurz vor Ende des Ausschnitts noch mal wiederholt):



Ich find das auch heftig und bin mir total unsicher. Quartolen gegen 7/2-3-4? Quintolen gegen 7/2-3-4 8/1?
Gibt es Meinungen dazu und hat jemand evtl. Tipps und Tricks wie man dazu am besten zählen könnte, um sich den Rhythmus raufzuschaffen?

Danke und viele Grüße,
taste89
 
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Ok, 2 Teile: Teil 1 - Analyse, Teil 2 - Zählung

TEIL 1 - ANALYSE
Zur Analyse verwende ich den Sonic Visualizer, denn da kann man das Timing "sehen" ... wenn man weiß, wie. Von oben nach unten:
  • fraglicher Ausschnitt als Audio-Wave
  • grün: eine Frequenzdarstellung
  • dunkel: eine weitere
Oben: rot-zu-rot = 1 Takt (bar), Dauer 2 Sekunden / schwarze Linien: Metronomtakt
Phrase besteht, wie man sieht, aus 2 Takten. Interessant ist der erste Takt.

Mitte: zeigt i.W. die Metronomtakte UND die Sax-Einsätze. Besser sieht man sie ...

Unten: Dort lese ich folgende Einsatzzeiten UND Differenzen (Tonlängen) ab:
  • Zeitpunkte: 12,47 / 12,81 / 13,13 / 13,46 / 13,82 sek
  • Differenzen: 0,34 / 0,32 / 0,33 / 0, 36 sek
Wieviele Töne der Länge von ca. 0,33 Sek passen in einen Takt der Länge 2 Sek? Ja: 6 Töne.

Das ist übrigens nahezu perfekt im Timing gespielt :great:

1633292718663.png


TEIL 2 - ZÄHLUNG
Das ist dann einfach:
  • der Takt hat 4 Viertel
  • in dessen Zeitdauer sollen 6 gleich lange Töne passen
  • nun sind
  • 4 = 2 * 2
  • 6 = 2 * 3
  • KGV (kleinstes gemeinsame Vielfache) ist also 2 * 2 * 3 = 12
Zum polyrhythmischen Zählen braucht man also die Unterteilung des EINEN Taktes in 12 Zähleinheiten. Das kann man auf verschiedene Weisen tun. Hier sind zwei.

ALT-1:
  • Metronom langsam klicken lassen
  • Zählen auf Klick von 1 bis 12 ist 1 Takt
  • der 4/4 Takt liegt dann bei den Zählern 1 - 4 - 7 - 10
  • das Sax liegt dann auf: 1 - 3 - 5 - 7 - 9 - 11 (wobei 11 Pause, also lautlos ist)
  • geht auch mit 2 mal 6er-Teilung
  • oder: 3 (Sax) über 2 (Viertel-Klicks) für den halben bzw. 6 über 4 (Polythythmus) für den ganzen Takt
ALT-2:
  • 12-er Teilung durch 4 Wiederholungen der gesprochenen gleichlangen Silben ta-ki-te
  • 1 Takt = ta-ki-te ta-ki-te ta-ki-te ta-ki-te
  • 4/4-Klick durch Betonen der ta's:
  • TA-ki-te TA-ki-te TA-ki-te TA-ki-te
  • die 6 Sax-Töne (inkl der letzten exakt zu spielenden Pause, also 5 laute + 1 leise:
  • TA-ki-TE ta-KI-te TA-ki-TE ta-KI-te
  • WOBEI die "Pause" hier schlicht ein Halten in den nächsten Takt hinein ist ...
  • ... und wo das Halten im 2. Takt endet ... nun ja, das ist dann eher intuitiv (oder eben halt kurz nach dem 2. Viertelschlag des Metronoms, also mit Beat 3 (siehe oberste Wave-Darstellung)
Das "unterschiedliche Durchlaufen" ist typisch für Polyrhythmen.

Gespielt wären dann die 5 von 6 Tönen so zu zählen oder bei den betonten Stellen zu klatschn:
  • TA-ki-TE ta-KI-te TA-ki-TE ta-ki-te
  • wer zu früh mit dem Zählen aufhört, versemmelt den 4/4 Takt ...

SCHLUSSBEMERKUNG
In jedem autentischen Spiel kann und sollte es leichte Abweichungen dazu geben. Aber das zeitliche Grundgerüst sollte stehen.

Viel Erfolg :cool:
 
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Sehr cool,

herzlichen Dank für deine Mühe. So macht das alles Sinn.

So müsste es dann richtig sein, 6 über 4, Anfang auf die 2 verschoben.

6 über 4.png

Gruß,
taste89
 
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Kürzer gesagt: Es handelt sich um Vierteltriolen, die auf Zählzeit 2 beginnen. Notiert sieht das dann so aus:

1633303640377.png

Intuitiver lesbar wäre Takt 7 wahrscheinlich so, aber das wäre nicht korrekt notiert:
1633304298065.png


Korrekt zählen würde man das in Achteltriolen und dabei die fett gedruckten und unterstrichenen (bzw. roten) Silben spielen: (einerlei zweierlei dreierlei viererlei | eins). Welche Vokalisen man zum Zählen nimmt, bleibt dabei der eigenen Vorliebe überlassen (einerlei, takedi, one-e-ee etc.) Weil das aber im dem Tempo relativ schwierig ist, empfiehlt es sich, einfach mal Vierteltriolen zu üben, die auf Zählzeit 1 beginnen, und diese dann später, wenn man das kann, auf Zählzeit 2 umzuswitchen. Z.B.:

1633304694468.png


Viele Grüße,
McCoy
 
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Super,

auch dir vielen Dank, gebe ich so weiter. Ich denke mit der Dreierunterteilung könnte ich das dann auch zählen.

Viele Grüße,
taste89
 
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Wenn wir die Passage "europäisch" denken, wird sie in der rhythmischen Notation zu kompliziert und zu sehr um die Ecke gedacht. Mein Vorschlag ist eine"afrikanische" Timeline-Hörweise, zumal die Motivik das auch stilistisch hergibt:
Grundlage ist eine 8er-Timeline mit betonter 4. und 8. Zählzeit (Cowbell), d.h. der erste Metronomschlag der Originaldatei ist als markierter Auftakt zu hören, wobei in der Notation jeweils 2 Takte eine 8er-TL ergeben. Dadurch kommen alle Einsätze in der Notation leicht lesbar auf die Takteins. Das Saxophon ist polymetrisch gedacht (3 gegen 4, d.h. nicht triolisch 3:2+3:2, sondern als "große" Takttriole mit der Phrasierung 2+2+2 gegen 4), was ebenfalls stiltypisch ist:
afrikanisch-1.png

Den Cowbell-Akzent als Auftakt zu hören, ist hier allerdings schon wieder eine europäisch gedachte Vereinfachung: Ein afrikanischer Timekeeper hört hier "seine Eins", während die restlichen Stimmen ihre Einsätze als "ihre Eins" auffassen, allerdings um einen Schlag versetzt, d.h. phasenverschoben. Dazu kommt dann noch als weitere Schicht die 3:4-Polymetrik, die hier zwar nur in den letzten Takten hörbar wird, aber vom Spieler meist durchgehend wahrgenommen wird. Das Saxophon sollte daher versuchen, sich schon vor dem Einsatz, d.h. möglichst von Anfang an in die Dreierbewegung einzuschwingen, dann wird der Ablauf wesentlich spannungsvoller und organischer.

... hat jemand evtl. Tipps und Tricks wie man dazu am besten zählen könnte, um sich den Rhythmus raufzuschaffen?

Nicht zählen, sondern die Zeitspanne intuitiv "füllen"! Den ersten Schlag des Originals als Auftakt auf der 4 zu hören, ist hier bereits sehr hilfreich.

Der/die Saxophonist/in auf der Aufnahme wirkt auf mich noch zu verkopft - das ist zwar korrekt, aber es klingt sehr "gewollt", es fehlt also noch der charakteristische polyrhythmische Grove einer zwar zum Rest synchronisierten, aber trotzdem auch körperlich immer noch eigenständig empfundenen Linie.
Eine gute Übung wäre z.B., sich zu einem konstanten Viererbeat in einem Walzerschritt zu bewegen, wobei dann nur die jeweilige Takteins synchron ist. Oder unter Beibehaltung gleicher zeitlicher Abstände zwischen den Takt-Einsen abwechselnd Vierer und Dreier klatschen, bis sich ein sicheres Gefühl für die konstante, aber unterschiedlich gefüllte Zeitspanne einstellt.

Eine Notlösung ist der Weg über den afrokubanischen Cinquillo-Rhythmus (4/4 = 8/8 mit 2+1 - 2+1 - 2 - Aufteilung = Viertel+Achtel - Viertel + Achtel - Viertel = 5 Töne). Wenn das sitzt, kann man versuchen, diesen Rhythmus etwas schleppender zu spielen, so dass sich Viertel und Achtel immer mehr angleichen.

(Anbei noch eine auf afrikanisch getrimmte MIDI-Datei der Passage und ein Klangbeispiel mit Wechsel vom 4/4-Cinquillo zum polymetrischen Triplefeeling)
 

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  • Afr polymetr.mid
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Großartig,

und nochmal herzlichen Dank. Auch das werde ich weitergeben, und sobald ich selbst etwas mehr Zeit habe, auch mir in Ruhe zu Gemüte führen. Sehr interessant.

Der/die Saxophonist/in auf der Aufnahme wirkt auf mich noch zu verkopft - das ist zwar korrekt
Evtl. handelt es sich um ein Übungsbeispiel, in dem bewusst rhythmische Klarheit den Vorrang vor Musikalität und Ausdruck hat. Könnte ich ja mal klären :) .

Gruß,
taste89
 
Äh... Fängt das Stück nicht mit 2 Vierteln Auftakt an? Also 4 Achteln... Bei McCoy ein Achtel nach hinten, dann geht auch die große Triole auf. Auf eins oder zwei find ich kompliziert... Oder bin ich da zu klassisch?
 
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Die anderen Achtel... ohne Fähnchen :crutch:
Sorry, Viertel natürlich, hoffe Du hast trotzdem verstanden, was ich meine :hat:
 
Sorry, Viertel natürlich
Alles klar.

Ich habe das als europäische Rhythmusübung angesehen und deshalb den hohen Metronomklick auf der Eins geortet. Das kann man natürlich auch anders machen: Hoher Klick auf 2, 3 oder 4. Oder der Metronom-"Spieler" denkt es auf einer anderen Zählzeit als der Saxophonist. Solange kein Bass oder Harmonieinstrument dabei ist, kann man nicht entscheiden, wo die Eins ist. Das Grundprinzip der Vierteltriolen ändert sich dabei nicht. Und egal, für was man sich entscheidet: Die letzte Triolennote landet nie auf dem Beat.

Viele Grüße,
McCoy
 
Das haben Triolen ja so an sich.
Aber eine eins oder hilfsweise drei höre ich ganz klar mit der ersten langen Note. Für ein ganzes Lied mit leeren Einsen bin ich musikalisch zu schlicht geprägt :cry:
 
Das ist ein ungeschriebenes Gesetz unter Latinmusikern: Wer die Eins spielt, hat verloren ...:rofl:

Viele Grüße,
McCoy
 
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Oder der Metronom-"Spieler" denkt es auf einer anderen Zählzeit als der Saxophonist.

Das deckt sich mit meiner Ansicht - zumal diese "afrikanische Denke" der "individuellen Eins" durchaus Parallelen zur Isolationstechnik im Jazz-Dance/African Dance hat, d.h. jeder Körperteil folgt einem eigenen Metrum. Das würde auch zum Backbeat-Prinzip passen, da die Betonungen des 4/4-Kopfmotivs dann exakt auf 2 und 4 liegen.

Die letzte Triolennote landet nie auf dem Beat.

Nur dass es sich hier eben nicht um zwei Triplets (3+3 gegen 2+2) handelt, sondern um Polymetrik mit 3/2 : 4/4 (= 2+2+2 Viertel gegen 4 Viertel), was ich an der Motivik bzw. Phrasierung des Saxophons festmache, wobei die Tieftöne (g-f-g) dann jeweils exakt auf dem beat eines 3/2 liegen.
Ich habe den entsprechenden Takt einmal als Loop isoliert, und den 3/2 mit einem Klick markiert, dann wird es vielleicht besser nachvollziehbar, was ich hier zu hören meine:


:
afrikanisch-1.png
 
Ich hatte den Thread nur überflogen, bevor ich in das Beispiel aus Post #1 hinein gehört habe.
Spontan habe ich den hohen Klick auf der "4" empfunden, war für mich viel organischer als diesen auf die "1" zu setzen, wie ich es dann versuchsweise auch noch probiert habe.

Nebenbei: Ich höre da kein echtes Sax, sondern einen Keyboard Sax-Sound. Ich denke daher, dass diese Passage auf einem Keyboard/E-Piano gespielt wurde. Für die rhythmische Analyse ist das aber ein sehr nebensächliches Detail.
 
Für alle Interessierten hier ein Eindruck aus einem Livekonzert (Keyboard, Bass, 2x Drums/Percussion, ca. 15 Bläser) - ohne die Diskussion neu anfachen zu wollen.
Besagte Stelle bei ca. 0:47 / 1:02.


Viele Grüße,
taste89
 
Okay, das wird eine Standard-Big-Band-Besetzung mit 4 Trompeten, 4 Posaunen, 2 Altsaxophonen, 2 Tenorsaxophonen, Baritonsaxophon, Klavier, Gitarre, Bass, Drums + Percussion sein. Das ist ein Afro-Cubano-Groove (zumindest wird er in Big-Band-Literatur so genannt) und wird oft (aber nicht immer) im 12/8-Takt notiert. Ich höre das hier:
Afro-Cuban-Saxes.png



Das ist recht nahe an McCoys Transkription dran, nur dass er Swing-Achtel schreibt, wo ich die 12/8-Notation verwende. In Takt 7 höre ich die Altsaxophone nach oben gehen, die Tenöre und das Bariton spielen die untere Linie.
Das heißt aber auch, dass die Saxophonistin aus dem Eingangsposting eigentlich Noten vor sich liegen haben müsste, wo der Rhythmus genau drinsteht. Oder wird in dieser Band nach Gehör gespielt? Hat die Band einen Namen oder das Stück einen Titel?
 
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Hallo Harald,

danke für deinen Input. Mit der 12/8 Notation kann ich mich hier nicht anfreunden - ich höre insbesondere am Melodieanfang (c-eb-f-eb) vier gerade Achtel, das f klar in der Taktmitte (in deiner Notation auch, aber eben vorher zwei Achtel c-eb). Oder ist das eine Swingnotation - in einem Dreiertakt Viertel + Achtel anstelle zweier punktierter Achtel zu schreiben?

In der Unterstimme ab Takt 7 sind m.E. ebenfalls alle Noten gleichlang, und das letzte C landet m.E. nicht auf der 1, sondern dem letzten Triolendrittel von Takt 4, also auf der 12 in obiger Metrik, bzw. dem "4-er-lei" in McCoys Notation.
Das was du aufgeschrieben hast, ist im Prinzip das, was ich im Eingangspost etwas salopp als "Quartolen gegen 7/2-3-4" bezeichnet hatte, was aber wohl nicht ganz hinkommt, da die Phrase eben nicht exakt auf der 1 von Takt 8 endet.

Ich weiss über die (Hobby)Bigband sehr wenig. Sie heißen KAMA Orchester und kommen aus Potsdam. Dieses Stück ist glaube ich eine Eigenkomposition. Ich kann mir schon vorstellen, dass bei so vielen Leuten und wenig Probenterminen nicht immer vor einem Konzert alles schön in Einzelstimmmen vorliegt :) . Weiss ich aber nicht. In diesem Fall hier gab es jedenfalls keine Noten.

Viele Grüße,
taste89
 
In der Aufnahme hört man deutlich, wie die Band zu swingen anfängt, sobald der Drummer die 2 und die 4 auf der Snare spielt (bzw. die 4 und die 10, wenn man im 12/8 denkt). Zu Anfang swingen die Bläser fast gar nicht, in der in Beitrag #1 geposteten Aufnahme swingt auch nichts.

Das ist eine vertrackte Sache, was der Afrocuban 6/8 oder 12/8 mit dem Swing zu tun hat. ich habe es von einem Rastafari-Trommelmeister aus Trinidad gelernt. Vielleicht hilft dieses Video etwas. Der Swing kommt ganz am Schluß:



Viele Grüße,
McCoy
 
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Ich weiss über die (Hobby)Bigband sehr wenig. Sie heißen KAMA Orchester und kommen aus Potsdam. Dieses Stück ist glaube ich eine Eigenkomposition. Ich kann mir schon vorstellen, dass bei so vielen Leuten und wenig Probenterminen nicht immer vor einem Konzert alles schön in Einzelstimmmen vorliegt :) . Weiss ich aber nicht. In diesem Fall hier gab es jedenfalls keine Noten.

Ah, danke, interessant. Dann heißt die Nummer "Drop of Illusion" und ist von Kai Mader komponiert.



Meine Notation ist eine von mehreren denkbaren Varianten, man kann das durchaus anders hören und aufschreiben.
 
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