Warum performen manche gut ausgebildeten Sängerinnen und Sänger trotzdem nicht verlässlich?

Wir sollten schon unterscheiden, ob es um Live oder Probe oder Studio Sessions geht. Wenn es um die Live-Situation geht - und ich mache das seit über 40 Jahren - kann und darf weder der Gesundheits- noch der Gemütszustand einen zu großen Einfluss auf die Performance haben. Sicher, wenn's einen völlig umgehauen hat, hilft es wohl nichts, dann muss entweder ein Ersatzmusiker her oder der Gig wird abgesagt. Ist mir in all den Jahrzehnten genau zweimal vorgekommen, und ich bin regelmäßig unterwegs. Man sollte sein Stimm-Instrument kennen, wissen, was man ihm zutrauen kann, und wie man es auch angeschlagen noch einsetzen kann. Mach ich nicht, wenn es nicht sein muss, also Proben oder Spaßmucken werden abgesagt, aber Verträge müssen nun mal eingehalten werden. Studio-Sessions kann man ggf. auch verschieben. Was meine Gemütslage angeht, ist Musik eher das, was mich Probleme, schlechte Laune oder Streitereien eher vergessen lässt. Immerhin ist Musik für mich meine Work-Life-Balance, lässt mich abschalten, und das Adrenalin ist eher eine Medizin, die mich wieder aufleben lässt. Ansonsten hätte ich schon vor über 20 Jahren damit aufgehört.

Wenn also jemand - wie im Eingangs-Thread geschrieben - jemand nur inkonsequent performt, sollte man ihn oder er sich selber fragen, ob das sein richtiger Job ist, oder vielleicht auch nur die falsche Band. Music is passion - nichts, wozu man genötigt wird...
 
  • Gefällt mir
Reaktionen: 2 Benutzer
Mich interessiert nur, ob Menschsein automatisch Kontrollverlust bedeuten muss.
Nein, Mensch bzw. Sänger sein bedeutet vor allem, lernfähig zu sein und überhaupt Kontrolle über die Stimme erlangen zu können.

Dass dann nicht immer 100% dieser erlernten Kontrolle abrufbar sind, sollte selbstverständlich sein. Bei keiner täglichen Tätigkeit haben wir 100% Kontrolle, immer rechnen wir damit, dass es schon klappen wird und dass Fehler nicht so bedeutend sein werden. Gestern abend war ich in Köln, da gilt das Rheinische Grundgesetz, das das gut in Worte fasst. Wer fährt 100% ohne Kontrollverlust Auto? Arbeitet fehlerfrei mit Messer und Gabel auf dem Teller? Wählt seine Worte perfekt? Trifft Klaviertasten? Keiner. Ebenso singt niemand immer mit maximal perfekter Kontrolle.

Allerdings kann man natürlich die Stimmkontrolle sehr sehr weit perfektionieren. Wenn du mit Sängern arbeitest, bei denen du Kontrollmangel empfindest, arbeite mit Sängern, die hauptberuflich nichts anderes machen. Profis üben im Idealfall stetig daran, ihre Gesangstechnik zu perfektionieren und zu kontrollieren. Da wirst du das menschlich maximal machbare an Kontrolle erleben. Dann musst du selbst bei deiner Tätigkeit natürlich auf dem gleichen Level sein, wenn eine Zusammenarbeit funktionieren soll.
 
  • Gefällt mir
Reaktionen: 5 Benutzer
ein gewisser Kontrollverlust akzeptiert wird.

Von Kontrollverlust hat bislang niemand gesprochen, lediglich von leicht variierenden Tagesformen. Unter Kontrollverlust verstehe ich sowas wie bei Whitney Houston bei ihrem Comeback-Versuch, als sie ihr die hohen Töne schlicht und einfach wegbrachen. Oder Amy Whinehouse, die manchmal nur noch vor sich hinlallte. Das sind aber Ausnahmen, bedingt durch massiven Alkohol- und Drogenmissbrauch.

Wäre an deiner Theorie oder Beobachtung irgendetwas Allgemeingültiges dran, würde es kaum gelungene Konzerte geben. Ich tippe einfach drauf, dass die SängerInnen, mit du sowas erlebt hast, eben doch nicht so routiniert waren, wie es den Anschein hatte.

gesangstechnisch gut ausgebildet sind und viel Erfahrung haben

Eine gute Ausbildung ist kein Garant für Stressresistenz. Ausbildungen/Studium spiegeln nur selten den Berufsalltag wider. Erfahrung und Routine helfen schon eher.

---
 
Zuletzt bearbeitet:
  • Gefällt mir
Reaktionen: 2 Benutzer
Und noch 'ne Nachfrage.


Bist du sicher, den richtigen Begriff gewählt zu haben? Meintest du vielleicht eher "inkonstistent"?

"Inkonsequent" würde ich es nennen, wenn sich der Sänger estmal rantastet und rumprobiert, sich nicht entscheiden kann. Also noch "auf der Suche" nach der bestmöglichen Interpretation ist.

"Inkonsistent" wäre, wenn die Performance unbeständig wäre, also jedes Mal völlig anders. Bei der Probe noch gegrölt, beim Gig dann nur gesäuselt.

Was verstehst du unter einer "inkonsequenten Performance".

---
 
Zuletzt bearbeitet:
  • Gefällt mir
Reaktionen: 2 Benutzer
Ich glaube, wir sprechen über unterschiedliche Ebenen.

Mir geht es nicht um Totalausfälle oder Extremfälle, sondern um den Bereich dazwischen:
Situationen, in denen grundsätzlich alles vorhanden ist (Technik, Erfahrung, Routine) und dennoch unter Druck nicht das abrufbar ist, was vorher da war.
Ob man das nun inkonsistent, instabil oder anders bezeichnet, ist für mich zweitrangig. Mich interessiert ausschließlich die Frage, ob und wie Abrufbarkeit gezielt trainierbar ist, statt sie als unvermeidliche Schwankung hinzunehmen.

Genau das wollte ich zur Diskussion stellen.
 
Mich interessiert ausschließlich die Frage, ob und wie Abrufbarkeit gezielt trainierbar ist

Die Frage habe ich hier noch nicht gelesen.

Routine Bzw. Abrufbarkeit ist nach meiner Auffassung nicht gezielt trainierbar, die kommt einfach. Aber viel Praxis und Training können sich natürlich positiv auf die Routine auswirken.

Situationen, in denen grundsätzlich alles vorhanden ist (Technik, Erfahrung, Routine) und dennoch unter Druck nicht das abrufbar ist, was vorher da war.

Wenn das alles wirklich in ausreichendem Maße vorhanden ist, kann sowas eigentlich nicht passieren. Ich würde sogar behaupten, dass ein gewisser Adrenalinschub sich eher günstig auf die Performance auswirkt. Bilde ich mir auf mich selbst bezogen zumindest ein. Meine Performance leidet eher, wenn ich mir "zu sicher" bin.

Darf ich fragen, ob du diese Problematik bei dir selbst beobachtet hast oder bei anderen schon so häufig, dass es empirische Relevanz hat? Dieser Thread lässt vermuten, dass du dich ja ganz gut auskennst mit Sängerproblemen.

---
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich verstehe deinen Punkt, und genau dort liegt für mich die spannende Trennlinie.

Mir geht es nicht darum, Routine oder Technik infrage zu stellen. Im Gegenteil: Ich setze beides voraus.

Meine Beobachtung (sowohl bei mir selbst als auch bei anderen Stimmen in anspruchsvollen Kontexten) ist, dass selbst bei hoher Routine unter Druck unterschiedliche Zugriffstiefen auftreten können. Nicht als Totalausfall, sondern als feine Verschiebung von Kontrolle, Präsenz oder Timing.

Dass Adrenalin oft leistungssteigernd wirkt, sehe ich genauso. Interessant wird es für mich dort, wo derselbe Sänger in vergleichbaren Situationen trotz gleicher Vorbereitung nicht immer auf denselben inneren Zustand zugreifen kann, obwohl die äußeren Bedingungen vergleichbar sind.

Ob man das empirisch nennen möchte oder nicht, sei dahingestellt. Mich interessiert weniger die Begrifflichkeit als die Frage, ob genau dieser Zugriff bewusster steuerbar gemacht werden kann, statt ihn ausschließlich der Routine zu überlassen.

Das ist für mich kein Widerspruch zu guter Ausbildung, sondern eine Ergänzung auf einer anderen Ebene der Arbeit.
 
Im Sport redet man ja gerne von "Trainingsweltmeistern", wenn jemand sein grundsätzliches Potential nicht im Wettkampf abrufen kann.

Unter ausgebildeten Musikern sind es meiner Erfahrung nach eher selten "Totalaussetzer" im Sinne falscher Töne und vergessenen Passagen sondern meist eine unterschiedlich intensive Performance; beim Live-Gesang würde ich auch die Bühnenperformance mit in den Aspekt "Ausbildung" involvieren, da habe ich bei ein und demselben Sänger bereits massive qualitative Unterschiede erlebt.
 

Ähnliche Themen

pommes
Antworten
14
Aufrufe
7K
GoodYear
GoodYear
S
Antworten
8
Aufrufe
2K
Broadwoaschd
B
eotsskleet
Antworten
19
Aufrufe
16K
eotsskleet
eotsskleet

Unser weiteres Online-Angebot:
Bassic.de · Deejayforum.de · Sequencer.de · Clavio.de · Guitarworld.de · Recording.de

Musiker-Board Logo
Zurück
Oben