Weltmeister Cantus V - Stimmplatten: handgravierte Signatur

Akkordeonengel
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Guten Tag!

Das Markieren von Stimmplatten ist im Akkordeonbau eine relativ gängige und übliche Vorgehensweise. Von ein paar Strichen in den Ecken der Stimmplatten bis hin zu Buchstaben oder Symbolen. Eines haben alle diese Marken jedoch gemeinsam: sie werden nicht nur mit Hilfe eines Stylus (also nur von Hand, manuell), sondern auch mit anderen Werkzeugen (Lineal, Schablone, Stempelgerät) gestempelt oder graviert. Ausnahmen, bei denen die Markierungen auf den Stimmplatten gleichmäßig sind und über einen langen Zeitraum von der Produktion hinweg ausschließlich von Hand mit Hilfe eines Stylus (Kratzer) erzeugt wurden, sind äußerst selten. Mir persönlich ist nur ein Fall bekannt, den ich Ihnen gerne zeigen möchte. Bitte, es sieht so aus:

mS.png


Dieses Zeichen (mS) findet sich bei den Cantus V-Modellen, die über Stimmplatten eigener Herkunft – hergestellt in Klingenthaler Farbrik – verfügten. Dies zieht sich durch die gesamte Produktion dieses Modells, das den technologischen Höhepunkt der Entwicklung darstellte, auf den leider nur ein allmähliches Ende folgte.

Beispiele:
Modell Nr. 2807 (meine eigene Kiste – Diskant und Bass) von 1989:
mS im Diskant.jpg mS im Bass.jpg

Modell Nr. 1716 (Autor: Lucjan Trojan; Quelle HIER):
490107303_1208480327952727_2896436520711557888_n.jpg

Zwei Modelle: Vergleich von Mensuren: Sondersmensur (Cantus V) versus Supermensur (Cantus V DeLuxe) (Quelle HIER).
bNfDy5q.jpeg

Diese Markierung ("Signatur") findet sich am häufigsten auf den Stimmplatten, die sich auf dem Cassotto-Stimmstock in der Nähe des Registerspalts befinden, oder auf einer der größeren Stimmplatten im Bass. Es kommt (wenn auch nicht immer) bei intakten Instrumenten vor, die keiner Renovierung / Generalüberholung unterzogen wurden. Aufgrund dessen gehe ich davon aus, dass die Person, die sie verwendet hat, im Werk in Klingenthal tätig war. Diese Marke erscheint in großer Zahl auf dem Modell Cantus V (die anderen Modelle habe ich nicht verfolgt), von dem in den Achtzigern und frühen Neunzigern etwa 3.500 Stück produziert wurden.

Nein, ich bin kein Narr, der sich der detaillierten Inspektion von Instrumenten widmet. Ungefähr 90 % meiner Zeit für Akkordeon verbringe ich mit Spielen und Üben, dann etwa 8 % sind Reparaturen (im Rahmen meiner Möglichkeiten oder in der Werkstatt) und nur 2 % sind Sichtprüfungen, bei denen solch was sichtbar ist. Bei Instrumenten des Modells Morino (von Hohner) wird oft behauptet, das Stück sei "vom Venenzio Morino selbst" ( :rofl: ) mit seinen eigenen Händen gefertigt worden. Der Kern dieser (und solcher) Mythologie liegt jedoch in der Qualität und Beliebtheit der Instrumente. Erst im Nachhinein fragt man sich: Wer es entworfen und hergestellt hat? Und wir fragen nie nach dem Namen des Herstellers billiger Gurken. Herr Morino hatte Glück, er lebte im individualistischen Westen. Meister (oder Meisterin?) mS hatte bisschen Pech. Er (oder sie) lebte im anonymen kollektivistischen Sozialismus: in der Deutschen Demokratischen Republik, nahe der Grenze zur Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik. Dies hinderte ihn jedoch nicht daran, an der Herstellung eines Instruments mitzuwirken, dessen Spitzenqualität selbst dreißig Jahre nach Produktionsende die Produkte zeitgenössischer Akkordeonbauer oft in den Schatten stellt! Ich habe keine Ahnung, ob der anonyme "klingenthaler Morino" noch lebt, aber ich möchte die Gelegenheit nutzen, ihm von ganzem Herzen zu danken, dass ich seit meiner Kindheit in einer wundervollen Qualität spielen konnte, für die ich nie gezwungen war, nach einem besseren klanglichen und technischen Ersatz zu suchen. Liebe (lieber) mS, vielen Dank! :hat:

Ich hoffe, ich habe nicht bei allen Besitzern des Cantus V-Modells den Wunsch geweckt, das Instrument jetzt zu öffnen und nach dem Vorhandensein dieser Markierung zu suchen.
:D ;)

Herzliche Grüße, Vladimir
 
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Diese Markierung ("Signatur") findet sich am häufigsten auf den Stimmplatten, die sich auf dem Cassotto-Stimmstock in der Nähe des Registerspalts befinden, oder auf einer der größeren Stimmplatten im Bass. Es kommt (wenn auch nicht immer) bei intakten Instrumenten vor, die keiner Renovierung / Generalüberholung unterzogen wurden.
irgendwie lerne ich immer wieder neues und unerwartetes...

Das sie Stimmungsmeister ihre Initialen auf den Stimmstöcken hinterlassen als Zeichen ihres Wirkens, das kenne ich ja ... aber dass sich die Stimmer auf den Stimmplatten verewigten, habe ich doch noch nicht gesehen...

Da frage ich mich warum dort?

Meister ihre Werkes, wie die Herren Morino oder Gola, hätten sich ja nicht verstecken müssen und hätten sicher ihre Signatur auf dem Stimmstock oder Innenraum des Gehäuses hinterlassen. Von Morino ist mir solches bislang nicht bekannt. Herr Gola hatte seinen bekannten Stempel, der auf den Stimmstöcken aufgestempelt wurde ( und bisweilen auch auf anderen Bereichen des Instruments).

Dass die Hersteller es nicht gern gesehen haben, dass sich ihre Mitarbeiter im Instrument verewigten das nehme ich an, war durchweg überall so. Es haben auch in aller Regel einige Personen daran mitgearbeitet ein Instrument herzustellen... Und hätte dort jeder Mitwirkende seine Singatur hinterlassen, würde das Instrument ähnlich voller Signaturen sein, wie ein Gipfelbuch auf dem berggipfel...

Gab es bei den Stimmern untereinander interne Konkurennzkämpfe? Oder wurde aus Neid und Missgunst mitunter versucht die gute Arbeit eines Kollegen als die eigene auszugeben? .. und der Stimmer hat sich dagegen geschützt indem er die Stimmplatte signierte um nachweisen zu können , dass das Instrument von ihm gestimmt wurde?

Da kann ich mir viele Gründe vorstellen.. nur wirklich wissen tu ich s nicht.. aber vielleicht ist ja jemand dabei der das noch wirklich weiß was da dahintersteckte...?
 
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Hallo,

die Arbeit eines Stimmers in den Fabriken, war eigentlich schon immer die höchste Kunst im Akkordeonbau. Je nach seinem Können/Qualifikation hat der Stimmer dann entsprechende Instrumente stimmen können, bzw. somit auch "dürfen".

Z.B. bei der Fa. Hohner hatte jeder Stimmer eine eigene Nummer, die ihn für seine Tätigkeit als Stimmer identifizierte.
Bei einfachen und mittelklassigen Instrumenten wurden Bass und Diskant auch immer noch von 2 unterschiedlichen Stimmern gestimmt.
Bei den besseren Instrumenten, wie z.B. meist Cassotto-Modellen (wie eben u.a. Morino-Modellen), war nur 1 Stimmer für das Instrument zuständig und verantwortlich.
Der Stimmer stempelte dann nachdem er seine Arbeit gemacht hatte im Innernen meist auf einer der Stimmstöcke seine persönliche Nr. ein.

Dies hatte aber auch u.a. den Hintergrund, das wenn es zu späteren Nachfragen kommen sollte, das der entsprechende Stimmer direkt nochmal zu seinem von ihm bearbeiten Instrument angesprochen werden konnte... sei es zum Tremolocharakter, Grundtonhöhe, Veränderungen in der Stimmung, etc., etc.

Hier ein paar Beispiele, die ich versuche aus möglich langlebigen Internetseiten zu verlinken (sind hier jetzt halt mehr die älteren Modelle von Museumsdokumentationen... gilt aber genauso für modernere HOHNER-Modelle, wie z.B. Student, Concerto, Lucia, Verdi, Tango, Atlantic, Morino N/S, diat., chrom. Knopf, etc., etc., eben alles was in Trossingen gestimmt wurde.

HOHNER Norma III / diat. Club-Modell / ca. 1934
9. Bild: Diskant-Stimmer Nr. 59 (auf I. + III. Stimmstock von oben gezählt, da es auf dem Kopf photografiert wurde) ... wahrscheinlich 2x abgestempelt, da es auf dem I. Stimmstock dem Stimmer nicht ganz leserlich erschien...
15. Bild: Bass-Stimmer Nr. 38 (auf dem Akkord-Stimmstock)

HOHNER Ouverture IV / diat. Club-Modell / ca. 1945
8. Bild: Diskant-Stimmer Nr. 22 (auf III. Stimmstock von oben gezählt, da es auf dem Kopf photografiert wurde)
14. + 15. Bild: Bass-Stimmer Nr. 15 (auf dem liegend verbauten Stimmstock)

HOHNER Club V (Morino) / diat. Cassotto Club-Modell / ca. 1949
6. Bild: Stimmer Nr. 24 für Diskant + Bass (auf II. Stimmstock im Diskant von oben gezählt, da es auf dem Kopf photografiert wurde)

HOHNER Morino III M / Cassotto Pianotasten-Modell / ca. 1952-55
12. Bild: Stimmer Nr. 63 für Diskant + Bass (auf II. Stimmstock im Diskant von oben gezählt, da es auf dem Kopf photografiert wurde)

HOHNER Artiste II S / Cassotto chrom. Knopfgriff-Modell / ca. 50´iger Jahre
8. Bild (Diskant) + 7. Bild (Bass): Stimmer Nr. 36 für Diskant + Bass (auf I. Stimmstock im Diskant von oben gezählt, da es auf dem Kopf photografiert wurde und im Bass noch zusätzlich am Rahmen um die Stimmstöcke)


Natürlich ist nicht immer absolut 100 % eine Stimmer-Nr. fixiert, manchmal auch über die Jahre unkenntlich geworden, etc., somit es nicht immer einen eindeutig erkennbaren Hinweis auf den jeweiligen Stimmer gibt... die Nummern sind, falls vorhanden, zumindestens meines Wissens immer ein-, oder zweistellig für diesen Zweck gewesen.

Beste Grüße
REDO
 
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Guten Tag,

.B. bei der Fa. Hohner hatte jeder Stimmer eine eigene Nummer, die ihn für seine Tätigkeit als Stimmer identifizierte...

lieber @Redo , vielen Dank für die wertvollen Informationen! Ich hatte vor kurzem ein Vorkriegsmodell Club II (1934-1939) in meinen Händen, in dem noch keine eindeutigen Stimmer-Nummern zu finden waren. Es enthält lediglich die Nummer des Stucks (870), den Stimmungstyp (C-F) und den Modellnamen (Club), nichts mehr. Hier bitte Foto - vom Zustand vor geplante Reparatur:
Club II Slowakei.jpg Club II.jpg

Es ist jedoch durchaus möglich, dass Hohner diese Praxis der Stimmer-Identifizierung von Koch übernommen hat, nachdem Hohner 1929 Kochs Fabrik akquiriert hatte. Ich hatte ein Instrument in der Hand, das Koch (zwischen 1908 und 1920) produzierte und das neben der Modellnummer (3229) auch die wahrscheinliche Identifikation des Stimmers im Diskant (Buchstabe A) und des Stimmers vom Bass (Nummer 70) enthält. Wer weiß, vielleicht handelt es sich hierbei tatsächlich um eine Regel aus der Zeit von Andreas Koch? :nix:

Interessant ist auch, wie sich die Substanz, mit der die klingenthaler Stimmer arbeiteten, im Laufe der Zeit veränderte. Bei den Modellen S5 und S4 (vorwiegend 60er-70er Jahre) waren im Inneren italienische Tipo-a-Mano Stimmzungen verbaut. Alle S5-Modelle, die ich im Inneren gesehen habe, wurden ursprünglich mit einem manuellen Schaber (= Stylus) getunt. Bei den Cantus-Modellen, die mit Stimmplatten aus Klingenthaler Provenienz bestückt sind, erfolgte die Stimmung zu 90 - 95 Prozent schon durch Graviermaschine. Dies ist offensichtlich eine Folge der Materialveränderung und vielleicht ein Versuch, die Produktion zu rationalisieren (In diesem Fall war es relativ erfolgreich und ohne negative Folgen im Gegensatz beispielsweise zur bisschen krassen Maschinenstimmung von Hohner…). Abgesehen davon, dass diese Stimmplatten (insbesondere Supermensur) mit ihren Parametern die Qualität italienischer A-Mano-Stimmen erreicht haben, sind sie sehr, sehr robust und langlebig. Ich habe schon viele gebrochene Stimmzungen unterschiedlicher Qualität (und Provenienz) gesehen, aber nie eine gebrochene Stimmzunge von den oben genannten Stimmzungen aus Klingenthal. Als Seltenheit habe ich einmal eine verbogene Stimmzunge (infolge eines Fehlers vom Stimmer) gesehen...

Bei den besseren Instrumenten, wie z.B. meist Cassotto-Modellen (wie eben u.a. Morino-Modellen), war nur 1 Stimmer für das Instrument zuständig und verantwortlich.
Zur Sache: Ich gehe (nur logisch, ohne Beweise) davon aus, dass diese Bezeichnung "mS" nur in den hochwertigen Instrumenten erschien (sicher Cantus und wohl auch Cantora? - diese hatten auch Stimmplatten von Super/Finish-Mensur), wo sie für mich Sinn ergeben würde …

Herzliche Grüße, Vladimir
 
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