Das stimmt ja auch alles, ich mein - bei ner Akustik ist das ja genauso, dass eine "temperierte" Stimmung der Fall ist, aber wenn ich irgendnen Funk spiele und die Oktave mit der D&h und der g&e-Saite machen will, wäre eine einigermaßen genaue Oktavreinheit schon wünschenswert...
Hi,
nicht nur eine Akustikgitarre ist temperiert, sondern unser gesamtes Tonsystem - vielleicht habe ich mich da nicht genau genug ausgedrückt. Eine reine Quarte und eine reine Quinte ergeben zusammen schon keine echte Oktave. Bei einem Klavier wird daher praktisch jeder Ton etwas "falsch" gestimmt, damit die Intervalle erträglich sind.
Das Problem bei einer Gitarre, auch bei einstellbarer Otavreinheit für jede Saite, ist aber, dass die Bünde für alle Saiten an der gleichen Stelle sind. Sie werden rein mathematisch verteilt, indem von der Mensur der Leersaite beginnend die Entfernung zum jeweils nächsten Bund bestimmt wird durch den Teiler 17,817152. Leider führt das zwar zu einer ästhetischen logarithmischen Reihe, aber halt nur zu einer
Annäherung an die richtigen Töne unseres Tonsystems. Manche Gitarren klingen bei Einstellung nach Schema F am Besten, aber andere halt leider nicht.
Eine gewisse Möglichkeit zur Verbesserung ist die Verwendung eines kompensierten Sattels - google mal "Earvana". Vielleicht hilft Dir sowas weiter. Paul Reed Smith positioniert meines Wissens den Sattel übrigens auch nicht exakt nach der Standardmethode, aber ohne jede einzelne Saite zu kompensieren. Ein weiteres Stichwort ist da Buzz Feiten mit seinem System, das kann man aber wohl nur bei neuen Gitarren kaufen. Es besteht aus einem leicht versetzten Sattel, einer abweichenden Einstellung der Oktavreinheit (sic!) und man muss die Saiten nach seinem System stimmen - also auch ein wenig "falsch", darf man vermuten.
Will man eine Gitarre mit wirklich korrekten (temperierten!) Tönen an jeder Stelle des Griffbretts, muss man die Bünde für jede Saite einzeln positionieren, nämlich so:
Es gibt eine Firma, die sich darauf spezialisiert hat, nämlich "True Temperament". Die verkaufen entsprechende Hälse zum Nachrüsten und arbeiten zum Teil mit Gitarrenfirmen zusammen. Neben Mattias IA Eklundh (siehe die Caparison auf dem Bild) haben auch Steve Vai, Tommy Denander und einige andere Virtuosen Gitarren mit dieser Ausstattung in ihrer Sammlung. Der Trost ist aber, dass es jede Menge toll klingender Musik gibt, die auf ganz normalen Gitarren gemacht wurde und wird

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Was ich mit meiner Anregung sagen wollte, ist: Die exakte Einstellung der Oktavreinheit bei einer E-Gitarre ist kein Dogma, sondern ebenfalls nur ein Kompromiss. Auch die 100 % "richtige" wird immer dazu führen, dass bestimmte Intervalle besser oder schlechter klingen. Ich kann jedenfalls sagen, dass ich gerade bei Mehrklängen in höheren Lagen mit der in meinem Post beschriebenen etwas angepassten Einstellung wesentlich zufriedener bin. Ich spiele sowas auch gerne verzerrt, und da hört man Unreinheiten sehr stark. Mit der "falschen" Einstellung wurde die Gitarre irgendwie viel gutmütiger, selbst kleine Verstimmungen beim Einsatz des Trems wurden nicht gleich so krass hörbar.
Jemand, der vorwiegend Akkorde mit Leersaiten spielt, wird das vielleicht wieder anders einstellen müssen. Ich gebe aber folgendes zu bedenken: Die Oktavreinheit innerhalb der Saite ist eigentlich für das Ohr längst nicht so entscheidend, da man die Leersaite und den 12. Bund logischerweise nie gleichzeitig hören kann, sondern immer nur nacheinander. Die Oktave, die gleichzeitig auf verschiedenen Saiten klingt, ist viel kritischer für den Zuhörer. Und die wird aus besagten Gründen keineswegs automatisch genauer, wenn die Oktavreinheit innerhalb der Saite genauer stimmt.
Es ist also durchaus sinnvoll, den Akkorden gegenüber einer schematischen Einstellung Priorität zu geben. Bei Studioaufnahmen gibt es z.B. viele Gitarristen, die nicht einfach die offenen Saiten nach dem Stimmgerät stimmen, sondern so, dass die Akkorde, die für den nächsten Song gebraucht werden, möglichst schön klingen.
Zuletzt noch eins: wie Du siehst, hab ich mich mit der Sache auch eine Zeitlang intensiver beschäftigt, bis es fast zum Zwang wurde. Dabei vergisst man leicht, dass man unterbewusst die Mängel der Gitarre etwas kompensiert, indem man z.B. die verschiedenen Töne eines Akkordes unterschiedlich fest greift. Das kann man aber bewusst nie schaffen, weil es viel zu schnell gehen muss. Wenn man sich davon wieder ein bisschen löst und einfach versucht, "schön" zu klingen, wissen die Finger schon besser, was zu tun ist, als man denkt.
Ich gebe zu, dass das alles etwas unbefriedigend erscheint, weil es keine "richtige" Lösung gibt, aber der Umstand, dass die Gitarre mal sauber klingt und dann wieder nicht, zeigt mMn schon, dass es a) kein technisches Problem ist und b) die "korrekte" Einstellung bei Dir nicht wirklich funktioniert. Ein bisschen Experimentieren kann da nicht schaden.
Gruß, bagotrix