Kirchentonleitern: Frage für wirklich tief Denkende

Ursprünglich und für recht lange Zeit wurde ja nur einstimmig gesungen, also rein linear musiziert ohne Harmonik, ja selbst auch ohne Zweiklänge.
Ich bitte schon im Voraus um Verzeihung, wenn ich als musiktheoretischer Legastheniker (im Sinne von: ich habe die Theorie gelernt, praktisch wenig davon umgesetzt), aber als Musiker mit gewissen Spiel-Erfahrungen, kurz reingrätsche:

Das kann nicht sein. Es würde bedeuten, dass Musiker sich "Ursprünglich und für recht lange Zeit" festen Regeln unterworfen hätten. Musik fand aber immer und überall statt, wo Instrumente gespielt und wo gesungen wurde. Da sangen also abends im Freien am Feuer oder später in der Ritterburg oder im Kloster alle einstimmig? Über lange Zeit? Kein Musiker kam mal auf die Idee, zur Grundmelodie eine zweite Stimme zu singen/zu spielen? Das widerspricht völlig meiner Vorstellung davon, wie sich Kirchentonarten entwickelt haben könnten.

Ich störe mich besonders am Wort "ursprünglich".
 
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Musik fand aber immer und überall statt, wo Instrumente gespielt und wo gesungen wurde. Da sangen also abends im Freien am Feuer oder später in der Ritterburg oder im Kloster alle einstimmig?
Man müsste jetzt erstmal klären, was "ursprünglich" und "lange Zeit" konkret heißen soll. Vor den Ritterburgen hab es ja schon ein paar Jahrtausende, von denen uns nichts überliefert ist.

Anzunehmen ist denke ich, dass die musikalische Entwicklung wie alles andere von einfachen zum komplizierten verlief. Vielleicht waren Vogelstimmen die erste Musik. Vielleicht Schlaf- oder rituelle Jagdlieder. Auch Kinder singen erstmal einstimmig, und viele nicht so musikalisch aktive Menschen sind sich auch heute noch der Mehrstimmigkeit vielleicht gar nicht so bewusst. Ich denke schon, dass vermutlich erstmal lange einstimmig gesungen wurde. Irgendwann vielleicht Wechselgesang.

Im Vergleich zu unserer Musik in Europa sind manche Lieder der Inuit vielleicht noch relativ ursprünglich und geben eine Vorstellung davon, wie Anfänge der Zweistimmigkeit gewesen sein könnten ... (0:00 und 4:20)


View: https://www.youtube.com/watch?v=_Q005ElC2Ew

Edit: wie es der Zufall will, lese ich gerade ein Interview mit Prof Susan Rogers

ZEIT Wissen: Haben unsere Vorfahren gesungen, um sich Geschichten zu erzählen?


Rogers: Das ist umstritten. Es gibt starke Argumente dafür und dagegen. Die Gegenargumente sagen: Musik ist nur ein Nebenprodukt unseres Sprachzentrums. Aber neuere Forschung aus der Neurowissenschaft deutet darauf hin, dass unser Gehirn tatsächlich ein musikalisches Gehirn ist. Ein starkes Argument dafür ist der soziale Zusammenhalt. Stellen Sie sich eine Gruppe unserer Vorfahren vor, die zu groß für ihr Revier wird. Eine Untergruppe muss sich abspalten und woanders Nahrung finden. Wie unterscheidet sich diese Gruppe von der alten? Sie könnte ein eigenes Lied erfinden.


ZEIT Wissen: Eine Nationalhymne.


Rogers: So ähnlich. Sie entwickelt vielleicht einen eigenen Tanz, eine eigene Art zu singen oder eigene Rhythmen. Sie braucht einen Namen, eine Sprache, die zeigen: Wir sind wir. Und sie muss der nächsten Generation ihre Geschichte erzählen. "Wir kamen von dem großen Fluss, und der Fluss hieß soundso. Reim und Metrik halfen den Menschen dabei, sich solche Geschichten zu merken, lange bevor es Schrift gab.
Sowas war sicherlich einstimmig.
Natürlich alles auch nur Vermutungen ...
 
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Das kann nicht sein. Es würde bedeuten, dass Musiker sich "Ursprünglich und für recht lange Zeit" festen Regeln unterworfen hätten. Musik fand aber immer und überall statt, wo Instrumente gespielt und wo gesungen wurde. Da sangen also abends im Freien am Feuer oder später in der Ritterburg oder im Kloster alle einstimmig? Über lange Zeit? Kein Musiker kam mal auf die Idee, zur Grundmelodie eine zweite Stimme zu singen/zu spielen? Das widerspricht völlig meiner Vorstellung davon, wie sich Kirchentonarten entwickelt haben könnten.
Im nachhinein wundert man sich wie man dermaßen offensichtliches übersehen konnte.

Die Ägypter haben über Jahrtausende die Perspektive nicht entdeckt. Früher hat man trotz offensichtlicher Beweise, am Horizont verschwindet erst der Rumpf und später die Mastspitzen, an eine flache Erde geglaubt. Oder man wähnte Erde als Mittelpunkt statt Sonne.

Man erkennt wie Menschen nach mehr Farben in ihrer Ausdruckspalette suchten und sie auch fanden. Ich denke Drohnen sind die ersten Versuche einer Harmonie.

Hat man etwas entdeckt, dann glaubt man, das hätte jeder sehen können.

Zum Thema:

KI sagt Modes aus Dur Tonleiter wäre eine Entdeckung, keine Erfindung gewesen. Klingt für mich plausibel. Erinnert mich an Quintenzirkel. Sie war eine Entdeckung, keine Erfindung.

Man hat versucht bereits vorhandenes Phänomen zu beschreiben und stellte fest, dass das Grundgerüst tragfähig genug ist, um noch weitere Phänomene mitzutragen.

Erinnert mich an Einstein. Er fand E=mc^2 und plötzlich hatte man Antworten auf unzählige Rätsel.
 
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Die ersten gesungenen Laute unserer Vorfahren haben wahrscheinlich mit der Mutter-Kind-Beziehung zu tun. Forscher nehmen an, dass Kleinkinder mittels "Singsang" von ihren Müttern beruhigt wurden wenn. So gesehen neulich in einer Doku über die Geschichte der Musik. MMn. macht das Sinn. Auch das Nachmachen von Tierlauten und Paarungsverhalten wurden in dieser Doku als mögliche Ursprünge der Musik erwähnt. Dabei war aber keiner der Forschenden.
Die Ägypter haben über Jahrtausende die Perspektive nicht entdeckt.
Dafür hatten sie aber warscheinlich schon Erkenntnisse über akkustische Phänomene.
Tempel mit auffällig mehr Abbildungen von Instrumenten als bei anderen waren so gebaut, dass das Puplikum außerhalb die Geräusche die im Inneren erzeugt wurden über ziemlich große Entfernungen vernehmen konnten. Diese Tempel hatten, bzw. haben (es gibt ja noch einige davon) Öffnungen an einer Seite, unterhalb des Daches. So wurde ein Tempel quasi zum Resonanzkörper. Für das Puplikum draußen dürfte die Wirkung einigermaßen übernatürlich gewirkt haben.
 
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KI sagt Modes aus Dur Tonleiter wäre eine Entdeckung, keine Erfindung gewesen.
KI sagt alles mögliche. 🤐
Meines Wissens entstanden die KTL nicht aus der Durtonleiter.
Nachmachen von Tierlauten und Paarungsverhalten wurden in dieser Doku ..
Bestimmt eine interessante Doku. Auch der direkte Zusammenhang mit Kirchentonleitern dürfte einige erfreuen. 😁
Beitrag automatisch zusammengefügt:

Erinnert mich an Quintenzirkel. Sie war eine Entdeckung, keine Erfindung.
Interessante Frage, den Quintenzirkel gibt es ja in der Natur nicht (pyth. Komma). Er ist ein vereinfachendes, hilfreiches Modell. Entdecken kann man ja eigentlich nur etwas was schon da ist. Aber das ist vielleicht auch Wortklauberei.
 
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Interessante Frage, den Quintenzirkel gibt es ja in der Natur nicht (pyth. Komma). Er ist ein vereinfachendes, hilfreiches Modell. Entdecken kann man ja eigentlich nur etwas was schon da ist. Aber das ist vielleicht auch Wortklauberei.

Ist Mathematik entdeckt oder erfunden? Platon würde sagen: entdeckt. Erinnert mich ein bisschen an den Universalienstreit.

Grüße
Omega Minus
 
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Das älteste bisher entdeckte Musikinstrument ist eine Knochenflöte, Fund aus einer Höhle in der Schwäbischen Alb.

Eine These früher Mehrstimmigkeit ist mehr als gewagt, wenn man allein die Phantasie aus heutiger Persepektive spielen lassen kann.
Selbstverständlich kann sich alles Mögliche ausdenken, nur behaupten sollte man das in ernsthaften Diskussionen erst dann, wenn man auch auf Belege hinweisen kann.


View: https://www.youtube.com/watch?v=vKUIsBXMMvA

Gruß Claus
 
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Ist Mathematik entdeckt oder erfunden? Platon würde sagen: entdeckt. Erinnert mich ein bisschen an den Universalienstreit.
Auf die Gefahr hin, abzudriften:
Bei einer Diskussion zuerst Begriffsklärung.

Eine Entdeckung ist die Auffindung dessen, was schon vorhanden, aber noch nicht bekannt war.
Eine Erfindung ist eine schöpferische Leistung, durch die eine neue Problemlösung, also die Erreichung eines neuen Zieles mit bekannten Mitteln oder eines bekannten Zieles mit neuen Mitteln ermöglicht wird. ...
Das Atom: entdeckt. Klar, war schon vorher da, wir wussten es nur noch nicht.
Das Rad: Erfindung, gab es so noch nicht.

Diskutieren kann man nun bei Modellen, die nichts Gegenständliches sind, sondern als Mittel zur Erklärung oder Weiterentwicklung des Wissens dienen.
Das Atommodell: Das gab es nicht vorher. Also wohl keine Entdeckung.
Der Quintenzirkel: ist auch ein Erklärungsmodell, was Teile der Realität ausblendet, aber als "Werkzeug" gerade dadurch nützlich ist. Das würde ich definitiv als Erfindung sehen.

Mathematik ist insofern auch etwas abstraktes, nicht real greifbares, ein Modell der Wirklichkeit. Dass 3 + 4 gleich 7 ist, kann man nur anhand realer Objekte "entdecken". Die Zahlen als abstraktes Konzept sind für mich eine Erfindung. Mathe ist natürlich auch sowas wie unendliche Reihen, Differentialgleichungen, Funktionentheorie. War das Skalarprodukt eines Hilbertraumes schon immer da? :unsure: Oder ganz einfach, das Konzept der Null - da spricht man ja soweit ich weiß auch von der "Erfindung".
Mathe ist ja auch keine Naturwissenschaft, liefert aber Konzepte und Werkzeuge für diese. Von daher wäre ich da schon für Erfindung, solange da nur Zahlen und keine Einheiten stehen.
Aber ja, Platon würde das anders sehen ... die Mathe-Philosophie streitet sich glaube ich noch. ;) --> Link

Und bei Musik würde ich sagen: Vorrangig eine schöpferische Leistung, also: Erfindung.
Aber sicher ist das grenzwertig. Wenn ich vier Singvögel höre, die einen Eb7#9 krähen, dann hab ich ihn wohl eher entdeckt und nicht erfunden ... :)

Insofern, um zum Thema zurückzukommen, sind Kirchentonleitern entdeckt oder erfunden? Für mich ist das erfunden. Ein Konzept, zu sagen, ich teile die Frequenzen so und so ein, und beginne dann mal hier und mal da mit dem Zählen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Aber ja, Platon würde das anders sehen ... die Mathe-Philosophie streitet sich glaube ich noch. ;) --> Link

Ich bin ja auch aus der Abteilung 'erfunden'.

Bei 'gefunden' kommt man in Teufels Küche. Stichworte: Gödel, Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre (ZF), Auswahlaxiom (C).

Auswahlaxiom: Ich kann aus jeder beliebigen (auch unendlichen!) Menge ein Objekt auswählen.
Ich kann nicht innerhalb ZF beweisen, dass ZF widerspruchsfrei ist, aber ich kann schauen, ob es neue Widersprüche, je nach dem ob das Auswahlaxiom hinzugefügt wurde oder nicht. Zeigt sich: beides, man kann wählen. Preisfrage an die Platoniker: Existieren dann beide Versionen (ZF und ZFC), obwohl sie sich widersprechen? Existiert jetzt das Auswahlaxiom oder nicht?

Für mich als Nominalisten ist das kein Problem, man hat die Wahl der Qual (beim Auswahlaxiom, welche Ironie!).

Und so ist es auch für mich mit Musik.

Grüße
Omega Minus
 
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Schönes Beispiel, bei dem mir gleich nochwas eingefallen ist. Es gibt ja verschiedene sich widersprechende Theorien zur Entstehung und weiteren Existenz des Universums.
Wären diese Theorien "entdeckt", dann würde das ja eine reale Existenz, also die Wahrheit dieser Theorien voraussetzen. Es kann aber im Falle eines Widerspruchs zwischen den Theorien nur eine richtig sein - auch wenn wir noch nicht wissen welche.
Ist also eine davon "entdeckt", die anderen "erfunden" - das schiene mir ganz im Sinn von Schrödingers Katze? ;)

Wahrscheinlich haben sich darüber auch schon schlauerer Leute Gedanken gemacht ...

Bei Musik geht es mir grade geistig durcheinander.
Wenn ein Schüler gerade mal einen Dur-Septakkord kennt und beim Herumklimpern herausfindet, dass eine #11 dazu cool klingt - ist das erfunden? Oder entdeckt? Hängt es davon ab, ob er vielleicht schon mal irgendwann als Baby im Radio Take the A-Train gehört hat oder nicht?
Letztlich glücklicherweise wohl ein unwichtiges Problem ...

Das Konzept der Kirchentonleitern scheint mir aber schon ein Modell zu sein, denn man kann das alles wahrscheinlich auch in ein anderes (wenn auch in sich nicht so stimmiges) theoretisches Konzept packen ...
 
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Das kann nicht sein. Es würde bedeuten, dass Musiker sich "Ursprünglich und für recht lange Zeit" festen Regeln unterworfen hätten. Musik fand aber immer und überall statt, wo Instrumente gespielt und wo gesungen wurde. Da sangen also abends im Freien am Feuer oder später in der Ritterburg oder im Kloster alle einstimmig? Über lange Zeit? Kein Musiker kam mal auf die Idee, zur Grundmelodie eine zweite Stimme zu singen/zu spielen? Das widerspricht völlig meiner Vorstellung davon, wie sich Kirchentonarten entwickelt haben könnten.

Ich störe mich besonders am Wort "ursprünglich".
Ich will mich gerne bemühen, diese Verwirrung um den Begriff "ursprünglich" in diesem Kontext etwas aufzuklären.

Tatsächlich stammen die frühesten schriftlichen, also überlieferten Aufzeichnungen in unserem Kulturkreis alle aus Klöstern. Nur dort gab es Personen, die des Lesens und Schreibens kundig waren, aber selbst unter den Mönchen war das noch lange eine Minderheit.
Und die derart überlieferte Musik war über sehr lange Zeit einstimmig.
Die Rede ist von den sog. "Gregorianischen Chorälen" - weiter oben hatte ich dazu schon zum Reinhören das "Graduale Project" verlinkt, wo die (nach wie vor gebräuchliche) Sammlung dieser Choräle gesungen wird mit mitlaufenden Noten (hier aber in der schon ´moderneren´ Quadratnotation, die ganz frühen Aufzeichnungen geschah in "Neumen") - hier nochmal der Link dazu: Graduale Project

Die frühesten auffindbaren Aufzeichnungen mehrstimmiger Musik finden sich im 9. Jahrhundert in dem Text „Musica Enchiriadis“ (griech.: „Enchiridion“ = Handbuch).
Dort werden vor allem das Quint- und das Quartorganum beschrieben, hier dazu ein kurzes Hörbeispiel mit Noten: Organum
Grundlage dieser Organum-Gesänge waren wiederum die einstimmigen Choräle, zu denen sich eine noch sehr simple zweite Stimme gesellte, die aber weitgehend zur Melodie in Quarten und Quinten parallel lief. Diese Zweistimmigkeit wurde wohl weitgehend improvisiert.
In diesem Text für die Schule findest du einige Erläuterungen dazu: https://www.lernhelfer.de/schuelerlexikon/musik/artikel/organum

Spätere Beispiele gehen etwa auf das Jahr 1160 zurück, diese Epoche ab ca. 1160-1250 wird heute als "Schule von Notre Dame" bezeichnet. In dieser Quelle: "Notre Dame" kannst du dazu etwas nachlesen, auch über die Unsicherheit der Quellenlage, weil nun mal sehr viele Auszeichnungen verschollen sind.
Die frühe Mehrstimmigkeit ist hauptsächlich kontrapunktisch, also mit einer mehr oder weniger großen Selbständigkeit der Einzelstimmen, eine Harmonik wie wir sie heute kennen existierte damals noch nicht.
Hier aus dieser Zeit ein Beispiel von Perotin (Mönch und Komponist aus der sog. Notre-Dame Schule), basierend auf der Melodie des "Viderut Omnes": Viderunt
Tatsächlich ist besonders die frühe Kontrapunktik sehr Regel-basiert wie die erhaltenen alten Lehrwerke dazu zeigen.

Vielleicht kannst du jetzt besser nachvollziehen, was ich mit "ursprünglich" meinte. In dem Kontext, aus dem die Modi/Kirchentonleitern stammen, können wir erst mal nur die einstimmigen Gesänge der "Gregorianischen Choräle" nachweisen, und die frühesten Beispiele von Mehrstimmigkeit dürften auch kaum die Erwartungen erfüllen, die heute jemand spontan mit diesem Begriff verbindet.
Mit "ursprünglich" wollte ich auch ausdrücklich die Verwendung der Modi in moderner Zeit abgrenzen, wie sie etwa im Jazz auftauchen. Dort sind sie selbstverständlich auch harmonisch ausgedeutet und überhaupt Grundlage harmonischer Konzepte.
Das ist aber ein großer Unterschied zum - eben - historisch ursprünglichen Kontext.

Wie die volkstümlich gespielte und gesungene Musik in der damaligen Zeit klang, darüber kann man mangels schriftlicher Aufzeichnungen nur spekulieren. Ob sie in der Mehrstimmigkeit weiter entwickelt war als die klösterliche Musik von der wir alleine Aufzeichnungen haben? Wer weiß. Die Rekonstruktion früher mittelalterlicher volkstümlicher Musik orientiert sich zum einen an den schriftlich vorhanden Quellen der "Kunst"-Musik (z.B. auch Minnegesang, Troubadours usw.) als auch den damals existierenden Instrumenten und ihren Möglichkeiten. So hatten z.B. die Drehleiern immer die konstanten Bordun-Basstöne, üblicherweise eine Quinte, waren also weder mehrstimmig noch harmonisch flexibel.


Was den Ursprung des Musizierens im Allgemeinen angeht, so sind wir doch in der Natur von Klängen und Tönen allenthalben umgeben (sofern der Artenschwund nicht schon einiges davon zum Verstummen gebracht hat!). Ob es das Tirilieren der Vögel, das Muhen der Kühe oder die Wal"gesänge" sind, die Natur ist reichlich klangerfüllt.
Inwieweit jemand das als Musik im weitesten Sinne ansehen mag, muss jeder selber entscheiden.
Vieltönig ist es sicher, mehrstimmig im msikalischen Sinne wohl eher nicht.
In diesen Klangreigen werden auch die frühen Hominieden mit eingestimmt haben, sie hatten ja einen Kehlkopf und Stimmbänder, wenn auch der Stimmapparat noch nicht zum Sprechen geeignet war. Das kam erst viel später.
Insofern hat der Mensch wahrscheinlich eher gesungen (jedenfalls so ähnlich) bevor er Sprechen konnte.
 
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Im Vergleich zu unserer Musik in Europa sind manche Lieder der Inuit vielleicht noch relativ ursprünglich und geben eine Vorstellung davon, wie Anfänge der Zweistimmigkeit gewesen sein könnten ... (0:00 und 4:20)
Sehr interessant. Klingt erstmal befremdlich, dann aber sofort irgendwie konsumierbar: Das Rhythmusgefühl ist wohl elementar. Ab 4:20, ich meine das unironisch, das ist ja schon nahe am bayrischen Schuhplattler.
 
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Wobei, in so exotische Region und so weit zurück muss man gar nicht gehen.

In Korea werden noch heute Studiengänge für Kayagum, Geomungo, Pansori, etc. angeboten. Speziell Pansori ist überraschend. Das kenne ich nur als Gesang für ältere Damen. Dann kommt so eine 18 jährige und kling wie eine 80 jährige Dame. :)
 
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Und bei Musik würde ich sagen: Vorrangig eine schöpferische Leistung, also: Erfindung.
Ich bin ja auch aus der Abteilung 'erfunden'.
Bin einverstanden, sofern es um die Feinheiten der Notation und deren Weiterentwicklungen geht (Thema hier). Etwa die, wenn ich richtig verstehe, nicht überall schlüssigen Intervalle/Akkorde (Beispiel Wolfsquinte).
Eine Ausnahme würde ich unbedingt machen:
die Oktave. Man hört einen Ton, dann dessen Oktave und fühlt sofort: alter Bekannter. Die wurde doch nie und nimmer erfunden?! Da geht es um mehr als die Halbierung einer Saite? Ist in meinen Ohren etwas Fundamentales, bis in die Synapsen vom Hirn.
Ich will mich gerne bemühen, diese Verwirrung um den Begriff "ursprünglich" in diesem Kontext etwas aufzuklären.
Danke für die Ausführlichkeit. Da kann ich was lernen.
Was den Ursprung des Musizierens im Allgemeinen angeht, so sind wir doch in der Natur von Klängen und Tönen allenthalben umgeben (sofern der Artenschwund nicht schon einiges davon zum Verstummen gebracht hat!). Ob es das Tirilieren der Vögel, das Muhen der Kühe oder die Wal"gesänge" sind, die Natur ist reichlich klangerfüllt.
Inwieweit jemand das als Musik im weitesten Sinne ansehen mag, muss jeder selber entscheiden.
Vieltönig ist es sicher, mehrstimmig im msikalischen Sinne wohl eher nicht.
In diesen Klangreigen werden auch die frühen Hominieden mit eingestimmt haben,
Das letztere meinte ich, wenn wir sehr weit in der Zeit zurückgehen, da drängt sich mir auf, dass es Mehrstimmigkeit schon immer gegeben haben muss. Es sei denn, man definiert sie sehr eng an kulturell verbindliche Regeln gebunden. Die gesellschaftliche Oberschicht hält sich daran, das gemeine Volk trötet, flötet, trommelt vor sich hin, wie es gerade kommt.
Ich stelle mir eine Gruppe von kleinen Kindern vor, wie sie jeden Tag neue Spiele erfinden (entdecken?). Das soll bei Erwachsenen früher beim Musikmachen nicht so gewesen sein?
 
die Oktave. Man hört einen Ton, dann dessen Oktave und fühlt sofort: alter Bekannter. Die wurde doch nie und nimmer erfunden?! Da geht es um mehr als die Halbierung einer Saite? Ist in meinen Ohren etwas Fundamentales, bis in die Synapsen vom Hirn.

5s googeln:
"...
Nach Ansicht der Forscher spricht dies dafür, dass der Sinn für die Verwandtschaft von Tönen, die genau durch eine Oktave getrennt sind, offenbar nicht kulturübergreifend vorhanden ist. “Es kann zwar sein, dass es eine biologische Prädisposition für die Vorliebe für Oktavenbeziehungen gibt, aber diese scheint nur dann zum Tragen zu kommen, wenn man häufig Musik hört, die auf einem Oktaven-basierten System beruht“, erklärt Co-Autor Josh McDermott vom Massachusetts Institute of Technology (MIT).
..."

Grüße
Omega Min us
 
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Hast Du das nicht falsch interpretiert?

Die schließen doch gerade nicht aus, dass der Sinn vorhanden ist. Er ist mglw nur nicht so trainiert wie bei uns.

Interessant wäre gewesen, wenn sie Frauen, Männer und Kinder gebeten hätten, einen (den gleichen) Ton nachzusingen. Dann müssten die ja oktavieren, oder halt nicht ...
 
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Ich denke schon, dass der "Sinn" bei uns vorhanden ist. Das ergibt sich m.E. daraus, dass das Hören usner einziger Sinn ist, mit dem wir messen können.
Die Bestimmung von zwei aufeinanderfolgenden Tönen einer rein erklingenen Oktave kannn durch die allermeisten Laien ohne jede musikalsche Ausbildung erfolgen. Innerhalb kurzer Zeit können die meisten Menschen auch weitere einfache Intervalle bestimmen lernen, komplexer wird es erst beim Zusammenklang und Akkorden.

Gruß Claus
 
Das ergibt sich m.E. daraus, dass das Hören usner einziger Sinn ist, mit dem wir messen können.
Ist das wirklich so ?

Sehen: Längen, Geschwindigkeiten
Spüren/Fühlen: Gewichte
Und es gibt sicher noch andere Beispiele.

Oder ich habe den Sinn Deiner Aussage nicht richtig verstanden.

LG - Thomas
 
Die schließen doch gerade nicht aus, dass der Sinn vorhanden ist. Er ist mglw nur nicht so trainiert wie bei uns.

Der ist halt antrainiert, nicht inhärent physiologisch oder so. Das war aber die Vermutung.
Das ist antrainiert wie Dur-Tonleiter. Die ist auch nicht in der DNA codiert.

Grüße
Omega Minus
 
dass der Sinn für die Verwandtschaft von Tönen, die genau durch eine Oktave getrennt sind, offenbar nicht kulturübergreifend vorhanden ist. “Es kann zwar sein, dass es eine biologische Prädisposition für die Vorliebe für Oktavenbeziehungen gibt,
Aber das widerspricht sich doch. Ohne einen Sinn kann es gar keine biologische Prädisposition geben.

Für mich ist der Artikel nicht schlüssig, da müsste man mal die Studie lesen. Es kann ja genauso sein, dass die das zwar könnten, aber es halt für sie keinen Wert ergibt, das zu tun.

Dh. man könnte es mal mit ihnen üben. Wenn sie keinen "Sinn" - was auch immer konkret damit gemeint sein soll - dafür hätten, müsste es ihnen ja unmöglich sein, Oktavverwandschaft zu erkennen und anzuwenden.

Dass sie das nicht spontan tun, heißt noch gar nichts. Wenn jemand bei Rot über die Ampel geht, kann man auch nicht schlussfolgern, das er rot-grün-blind ist.

Das ist antrainiert
Ich kann nur etwas antrainieren, wofür ich einen Sinn, also ein Sinnesorgan und die Fähigkeit zur Verarbeitung der Impulse, habe. Niemand könnte mir zB das Erkennen von Radiowellen oder Röntgenstrahlen antrainieren.
 
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