Nach Gefühl spielen oder Auswendig lernen?

  • Ersteller Nick1996
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Bei uns inner Band läuft's so:
Ich bin Skalenfreund, d.h. ich spiel Pentatonik rauf und runter und mache mich jetzt an harmonisch Moll (Ionische Skala) ran, weil mir Pentatonik auf Dauer zu "lieb" klingt.
Der andere Gitarrist (spielt schon ein paar Jahre mehr als ich und ist echt gut) hat sich sowas nie wirklich angeguckt, neulich hab ich ihn gefragt, wie er improvisiert - Antwort: Er hat vor Jahren einfach drauflos gespielt und hat's jetzt einfach im Gefühl.

Das sorgt für ne super Konstellation: Er kann schneller und effektiver irgendwelche neuen Riffs & Melodien ausm Hut zaubern (dauert bei mir länger), weil er nicht in so eingeschränkten Bahnen denkt. Ich kann dann diese Melodien dann super erweitern, die Harmonien dazu spielen oder halt begleiten, weil ich mit meinen Kenntnissen schnell sehe, was er da eigentlich spielt und in welcher Tonart er ist (wovon er dann wieder weniger Ahnung hat). Teilweise höre ich für in bei Backingtracks die Tonart raus und sage ihm grob, mit welchen Tönen er anfangen kann/soll.
Soli spielen tu ich aber auch, nicht, dass hier jetzt einer denkt, ich klampfe nur Powerchords :p

Also Ergebnis: Beides geht, beides ist möglich, beides hat seine Vor- und Nachteile ;)
 
harmonisch Moll (Ionische Skala)

herp derp...
godzilla-facepalm.jpg
 
Gnarf - woher hab ich das? :D Grad nochmal recherchiert, voll daneben :D Ich lass es trotzdem mal stehen, damit man's nachvollziehen kann^^ Ich meine jedenfalls harmonisch Moll, was ja NICHT der ionische Modus ist :redface:
 
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Das mag jetzt ein wenig herablassend klingen aber unter der Last meiner doch schon zahlreicheren Jahre als der TE traue ich mich es mal: Ich hab nach ca 5-6 Jahren auch nur nach Gefühl gespielt und dabei im Prinzip Ionisch, Dorisch und Mixolydisch ohne viel Wissen von der Theorie gespielt, auch typischerweise improvisiert. An einem gewissen Punkt ist es mir dann aber fad geworden und ich habe angefangen, Theorie nachzuholen und mal die E-Gitarre einige Jahre zugunsten der A beiseite gelegt. Hat am Anfang die Kreativität fast sogar ein wenig eingeschränkt, aber inzwischen bin ich total glücklich über diese Erweiterung meines Horizonts, obwohl ich immer noch am Weiterarbeiten bin und die "schrägen" Dinge wie Fusion-Gitarre sich mir noch nicht erschlossen haben.

Was ich damit ausdrücken will: Solange man glücklich ist soll man so spielen wie es einem passt, aber zumindest bei mir kam die Zeit wo ich mich an die Theorie wagen musste, damit ich nicht "steckenbleibe".
 
Ich bin ganz happy, dass mein Gitarrenlehrer mich vor 25 Jahren über das ganze Griffbrett gescheucht hat, Pentatonik, Erweiterung um Durchgangs- und Übergangstöne in fünf Lagen plus diverse Kombinationen mit Überstreckung der Finger, dazu noch Dur- und natürliche Molltonleitern - bis dahin kann ich es im Schlaf, horizontal, vertikal, egal. Melodisch und harmonisch Moll bau' ich mir dann zurecht, wenn ich es brauche auch kein Problem. Es ist ein recht großes Vokabular, auf das ich zurückgreifen kann, und ich kann es nach Rock, Pop, Funk, Country, Blues oder (mit Einschränkungen) nach Metal klingen lassen. Sehr hilfreich, das.

Und manchmal schiebe ich das ganze einfach auf die Seite und mache mich unbelastet von aller Theorie auf die Suche nach der nächsten Note, die der Song erfordert.

Beim Entwickeln von Songs improvisiere ich zuerst auf die eine oder andere Art, bis sich eine paar zwingende Licks oder Melodien ergeben, die ich dann in den Song einbaue. Dazwischen sind immer wieder improvisierte Parts. Wenn ich eine meiner bisherigen Bands auslasse, war nur ein einziges meiner Solos durchkomponiert. Bei dieser einen Band jedoch waren etwa die Hälfte der Solos von unseren rund 20 eigenen Songs durchkomponiert (müsste mal überlegen, warum das so war - irgendwie waren es fast alles "zwingende" Melodien).

Schliesslich und endlich: Würde auf der Bühne das schlimmste passieren und ich einen totalen Blackout haben, könnte ich dank abrufbarer Skalen und Tonleitern immer noch etwas improvisieren, was nicht daneben ist. Ich jedenfalls finde das ungemein beruhigend.

Viele Grüße
Jo
 
Ich vergleiche das immer gern mit einer Fremdsprache: Natürlich kann man nach Gefühl z.B. englisch sprechen. Aber halt nur soweit, wie man bestimmte Vokabeln und Wendungen kennt. Darüber kommt man nicht hinaus. Will man sich differenzierter äußern, muss man halt auch mehr mühsam Gelerntes und Geübtes zum (dann) automatischen(!) Abrufen bereit haben.

Die allermeisten heute wirklich "guten" Musiker haben denjenigen, die sie nur kopieren und immer fragen "wie machen die das?" eines entscheidend Voraus: Die wissen genau was sie tun -auch wenn sie das beim Spielen nicht direkt intellektuell abrufen müssen. Aber sie könn(t)en spätestens hinterher genau erklären, was sie da gespielt haben.

Deshalb für alle, die sich nicht sicher sind, ob und wie sie diese Balance zwischen "Bauch und Kopf" handeln können, mal folgender Tipp: Das ganze umkehren. Von der Praxis zur Theorie und wieder zurück.

Sucht euch auf einer Aufnahme von euch einen Part raus, den ihr besonders gelungen empfindet und spielt ihn (euch selbst) nach. Stellt euch dann vor, ihr hättet einen Schüler, dem ihr erklären wollt, was ihr da getan habt. Schafft ihr es, die Wirkung zu erklären: z.B. "hier bin ich besonders oft auf der None/Septime gelandet, weil die hier für eine bestimmte besondere Spannung und Stimmung sorgt." Oder: "Den Akkord 7#9 bringe ich hier, weil er einfach mehr Spannung und Geilheit bringt". Oder: "Das war geil, weil ich da offenbar Triolen/die 16tel gespielt habe, die super auf den Punkt gekommen sind ...

Und schon ist die Verbindung geschafft: Theorie -> Kopf -> Praxis -> Bauch -> Praxis -> Bauch -> Theorie: Das ist im Leben mit oder ohne Musik ein lebenslanger Kreislauf. Wenn man das so akzeptiert und sich immer bewusst macht, an welcher Stelle des Karussels man gerade ist und einsteigt, muss einem nie bange sein, zu verkopft oder zu verbaucht zu sein.

Zum Abschluss mal wieder Scott Henderson = Wieviel die Profis bis ins Detail verstehen und erklären, was sie tun. Oder: worin sich der Mörtel vom Architekten unterscheidet. "Graue" Theorie als Basis für praxisgeile Sounds (wenn man denn ausreichend geübt und gehört hat). UNd Übungsstoff für Jahre in 15 Minuten:


http://www.youtube.com/watch?v=Sm_VSjadCiU
 
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@Hans_3: Prima Beitrag. Genau so ist es. Und selbst wenn ich Hendersons schräge Stücke nicht mag, aber von ihm lernen können wir alle.
 
@Hans_3: Prima Beitrag. Genau so ist es. Und selbst wenn ich Hendersons schräge Stücke nicht mag, aber von ihm lernen können wir alle.

Es geht mir auch gar nicht mal speziell um ihn (SH) und um seinen Style. Das Video sollte man stilunabhängig betrachten, denn es ist einfach ein Beispiel dafür (es gibt sicher auch noch viele andere), dass die meisten Profs spontan spielen können, aber auch genau wissen, was sie da tun/getan haben, wenn man sie danach fragt. Das ist halt der Unterschied zum reinen Rumdaddeln mit Zufallsergebnissen. Oder: Wer mehr Vokabeln gelernt hat, spricht halt entsprechend vielfältiger und zielsicherer.
 
Eine Freundin, die Musik studiert ist der Meinung, dass es gut sei, entweder garkein Theoriewissen zu haben oder sehr viel. Sie sagt, sie habe Probleme mit dem Songwriting, seitdem sie tiefer in die Materie eingestiegen ist, weil sie nun immer weiß, welcher Akkord kommen "muss" und auf diese Weise alles nach Standardschema klingt.
Was mich betrifft, ich habe eher ganz wenig Theoriewissen und es wird aus Faulheit wohl auch so bleiben. Es ist Segen und Fluch gleichzeitig, denn einerseits wüsste ich manchmal ganz gerne, welcher Akkord denn nun kommen müsste, andererseits bewahre ich mir so aber auch die Unbedarftheit, die es mir erlaubt, ein bisschen außergewöhnlicher an die Sache ranzugehen und manchmal eben ausgefallenere Harmonien zu finden. Was ich aber mal angefangen habe (und wegen der besagten Faulheit nicht weiter verfolgt habe) ist, mein Gehör zu schulen, denn ich denke, dass viele große Musiker sich hauptsächlich auf ihr Gehör verlassen haben. Ich kann mir z.B. kaum vorstellen, dass frühe Jazzmusiker so akademisch an ihre Musik herangegangen sind, wie man es heute tut. Hätten sie das gemacht, hätte dieser Musikstil meiner Meinung nach nie entstehen können.
 
...Ich kann mir z.B. kaum vorstellen, dass frühe Jazzmusiker so akademisch an ihre Musik herangegangen sind, wie man es heute tut. Hätten sie das gemacht, hätte dieser Musikstil meiner Meinung nach nie entstehen können.

Oder sie wussten es und sind (daher) bewusst "ausgebrochen"? ;) (Mag sein, dass du recht hast, ist mir so aber zu pauschal formuliert... Ich kenne die Biographien der einzelnen "frühen" (Welche und wie früh?) Jazzmusiker nicht, um das zu beurteilen...

Ich finde, ähnlich wie Hans_3 in seinem ersten Beitrag, dass die Fragestellungen nicht wirklich zusammenpassen...

Spiele ich Stücke (womöglich 1:1) nach, ist mir vielleicht das originale Solo wichtig (hatte Vester schon geschrieben). Wie ich das Stück lerne, um es nachzuspielen (Noten, Tabs, Heraushören, Abschauen vom Lehrer) ist egal und die theoretische Kenntnis von Tonleitern hat damit nichts zu tun...

Und die anderen Aspekte haben die Anderen ja schon angesprochen... je nach persönlichen Vorlieben oder Mentalität des Musikers und dem musikalischem Umfeld in dem er sich bewegt, ist es eben unwichtig, vorteilhaft oder absolut notwendig...
 
Erstmal finde ich es erstaunlich und bemerkenswert, wenn man in der Lage ist, ganz ohne Kenntnis von Pentationik und anderen Skalen zu improvisieren und dass dann auch nach Rock, Blues, etc. und nicht nach expermientellen Free Jazz klingt.
Nach fast 30 Jahren hobbymäßiger Beschäftigung mit der Gitarre würde ich es mir wünschen, wenn mir auf der Gitarre das Gleiche gelingen würde, was ich mit meiner Stimme oder mittels simplen Pfeifen kann: Nämlich eine Melodie, die ich im Kopf habe, fehlerfrei auf Anhieb nachspielen zu können.
Könnte ich dass, wären für mich Scalen viel unwichtiger, denn was ich gerne spielen würde, weiß ich in der Regel schon, nur aus welchen Tönen das konkret zusammengesetzt ist, ist dann das Problem.
Die Kenntnis von Scalen und Tonleitern erleichtert da die "Suche" enorm. Auch beim "Ausprobieren" was gut klingt, erhöht sich die Chance etwas "Gescheites" zusammen zu spielen sehr, wenn man innerhalb der bekannten Tonleitern bleibt.

Um auf die Frage des TE zurückzukommen:
Ich denke, ob die Kenntnis von Scalen, einem beim Musik machen hilft oder nicht, hängt sehr davon ab, wie begabt bzw. wie man gestrickt ist. Ausnahmemusiker, die (übertrieben aber anschaulich gesagt) Tone in Farben sehen, absolutes Gehör und ein besonderes Händchen für ihr Instrument haben, werden theoretische Schemata vielleicht eher als begrenzend und einengend empfinden. Für den nicht so musikalischen (eher) "Handwerker", geben Tonleitern (und Harmonie Le(h)ere ;)) Rezepte, mit denen er sich musikalisch auf "sicherem" Boden bewegt und auch sein Vokabular erweitert, mit dem er sich ausdrücken kann. Zwischen diesen "Extremen" gibt es alle möglichen Schattierungen und daher ist es auch IMO unmöglich, jemandem da etwas hilfreiches zu empfehlen, ohne ihn selbst genauer zu kennen.
 
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