MIII lernen nach Gusto und Gehör

Muss mich mal kurz einklinken, denn besonders die Arie aber auch viele andere (besonders die langsamen) Stücke aus diesen Variationen sind ein rotes Tuch für mich! Warum in aller Welt suchen sich so viele Spieler ausgerechnet die Sachen aus, die am wenigsten lösbar sind?
Als anderes Negativbeispiel empfinde ich C Dur Präludium aus WK1 ...
Nicht schwer, aber ästhetisch auf Akkordeon katastrophal.
Jetzt hast du mich voll erwischt, @Klangbutter. Was habe ich gespielt, als ich hier nichts gepostet hab? Das Präludium in c-moll aus dem WTK, die Invention Nr. 4 UND genau die Stücke, die ein "rotes Tuch" für dich sind. Freilich glaube ich zumindest beim C-Dur-Präludium schon auch, dass es auf die Interpretation ankommt. Ich glaube, das Stück ist auf Clavichord ziemlich sinnvoll. Die Töne verklingen auf den Sächsischen Clavichorden ziemlich schnell. Wenn man die Melodiebass-Töne etwas kürzer nimmt, kommt man schon in die richtige Richtung denke ich. Zumindest empfinde ich dann, dass aus dem Stück munter die Vögel zwitschern. Nichts anfangen kann ich mit den Interpretationen, bei denen die Basstöne liegenbleiben. Dabei ist es mir egal, ob man das Stück dann auf der Orgel oder auf dem Akkordeon spielt.

Bei der Aria strebe ich an, die Töne tatsächlich wegzunehmen, also "digitalen Murks" zu machen, wie du hier schreibst:
Nimmst Du die Töne irgendwo weg, geschieht dies auf "digitale", ungehobelte Art - auch Murks.

Freilich denke ich mir, dass vielleicht schöne Musik herauskommen könnte, wenn man die Melodie auf der rechten Seite mit einem kleinen Balgvibrato spielt. Irgendwie stelle ich mir das reizvoll vor. Ob es geht, weiß ich freilich noch nicht... Auf jeden Fall hast du mir die Augen für die Schwierigkeiten des Stücks geöffnet, und zwar für beide Interpretationsmöglichkeiten - für die, die die Begleittöne aushält (z.B. Thuriot, Patkovic, Rättyä), als auch für die die die Begleittöne wegnimmt (z.B. Kotuk)
--- Beiträge wurden zusammengefasst ---
auch auf der Orgel
reine Streicherbesetzung
Genau. Streicherbesetzungen sind reizvoll. Ich höre immer auch eine Geige in mir, wenn ich das Stück anhöre, obwohl natürlich realiter ein Klavier spielt.
 
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Als anderes Negativbeispiel empfinde ich C Dur Präludium aus WK1 ...
Nicht schwer, aber ästhetisch auf Akkordeon katastrophal.

Das möchte ich auch relativieren. Und zwar in dem Sinne, dass es nicht ganz leicht ist, dieses Präludium auf dem Akkordeon einigermaßen zum Klingen zu bringen. Ich habe für mich eine Lösung auf meiner Spirit gefunden, indem ich auf der Bassseite ein zartes Register nehme, bei dem der Grundbass weggeschaltet ist. Das Stück lebt vom Zusammenklang der Arpeggien. Das gelingt beim Akkordeon bekanntlich nicht. Ich simuliere das, indem ich das ganze Stück hindurch jeweils links mit dem (zarten) Basston beginne und in der 2. Hälfte des Taktes den zum Arpeggio gehörigen Akkord auf der Bassseite drücke (MII-Akkordeon), der in dem zarten Register recht zurückhaltend wirkt. Erst bei den letzten 4 Takten wird der Grundbass zugeschaltet und etwas Wums gemacht.

Gruß morino47
 
für beide Interpretationsmöglichkeiten - für die, die die Begleittöne aushält (z.B. Thuriot, Patkovic, Rättyä), als auch für die die die Begleittöne wegnimmt (z.B. Kotuk)

Ich habe mir jetzt beide Möglichkeiten angehört - die Melodie legato mit diesem "Klötzchenbass" - also das geht für mich gar nicht! Da stelle ich mir als Bassbegleitung eher ein gezupftes Cello vor.
Oder dann ganz auf dem Cembalo spielen, dort verklingen die Melodietöne auch, und das Ganze ist wieder konsequent und stimmig.

Meine Kommentare zu Nicht-Akkordeon-Varianten:

Wo ich dir, @Klangbutter , zustimmen würde, ist beim Gebrumme. Bei der Orgelinterpretation werden die Töne ja auch ausgehalten, aber das Gebrumme erscheint nicht. Allerdings kann man auf dem Akkordeon das Gewicht aus den Knöpfen nehmen, was bei der Orgel nicht geht - der Ton geht dort beim Entlasten der Taste definitiv weg.
(Das mit dem Entlasten könnte ich selbst mal ausprobieren...)

Die Streicherversion funktioniert auch. Drei unabhängigie SpielerInnen können die Stimmen einzeln gestalten, das finde ich schön.

Mit der Version von Patkovic habe ich Mühe. Er imitiert zwar die Spielweise auf einem Cembalo, aber er übertreibt dabei dermassen, dass das Stück meiner Meinung nach metrummässig fast auseinanderfällt.

@Bernnt : mit dem Auswendigspiel dieser Aria habe ich absolut keine Mühe, ich sehe die Noten gar nicht mehr, es ist alles im Gehör verankert.

Nur so nebenbei: es gibt auch Bach-Stücke, die auf Klavier überhaupt nicht klingen, z.B. das Präludium BWV 899.
Wenn ich beim Zuhören die Noten lese, fehlt mir klangmässig die Hälfte vom Geschriebenen :confused:

Gruss
chnöpfleri
 
Das Stück lebt vom Zusammenklang der Arpeggien. Das gelingt beim Akkordeon bekanntlich nicht. Ich simuliere das, indem ich das ganze Stück hindurch jeweils links mit dem (zarten) Basston beginne und in der 2. Hälfte des Taktes den zum Arpeggio gehörigen Akkord auf der Bassseite drücke (MII-Akkordeon), der in dem zarten Register recht zurückhaltend wirkt.

Es gibt ja immer verschiedene Wege, wie man sich einem Stück nähern kann. Da das Akkordeon seinerzeit ja noch nicht erfunden war, kann man sich mit dem Akkordeon ja den meisten Stücken historisch korrekt gar nicht nähern, sondern muss so oder so Anpassungen durchführen. Mein Ansatz hierzu ist in aller Regel, dass ich versuche zu ergründen, was ist das spezielle des Stücks und welche Emotionen bewirkt es. Und dann überlege ich mir, wie kann ich dies auf dem Akkordeon nachbilden. Da bin ich dann mitunter mit dem Notenkontext durch aus auch mal etwas freier und lasse mitunter Töne einfach weg, oder spiele die bewusst anders und setze mitunter auch die speziellen Fähigkeiten eines Akkordeons bewusst ein, auch wenn das dann nicht dem originalen Notenkontext entspricht.

Die Methode von Morino47 finde ich hierzu ebenfalls für das Akkordeon legitim.

Trotzdem werde ich in Zukunft extrem vorsichtig sein und es mir dreimal überlegen, bevor ich zukünftig ein Stück von Bach unter die Finger nehme.:redface:
 
Ja, da bin ich deiner Meinung. Aber es gibt ja auch ein "Dazwischen", was die Länge der Begleittöne angeht... Zum Beispiel könnte man versuchen, statt einen Akkord aus den drei Begleittönen aufzubauen, nur jeweils zwei Töne ineinanderzublenden und gleichzeitig leiser zu werden.

Mein Ansatz hierzu ist in aller Regel, dass ich versuche zu ergründen, was ist das spezielle des Stücks und welche Emotionen bewirkt es.
Genau, ein Stück beschreibt etwas, versucht Emotionen zu wecken - hat eine Absicht... Das ist auch mein erster Schritt, wenn ich auf ein Stück zugehe.

Trotzdem werde ich in Zukunft extrem vorsichtig sein und es mir dreimal überlegen, bevor ich zukünftig ein Stück von Bach unter die Finger nehme.:redface:
Das war jetzt nicht die Absicht...
 
Genau das ist das Problem. Man hat eine monophone Dynamik in der Hand und möchte aber polyphon spielen.
Der Ansatz "Gewicht" aus den Tasten oder Knöpfen zu nehmen ist natürlich super, funktioniert aber nur in ganz begrenztem Maße,

denn 1. geht das nur langsam.
Ok, ich sprach ja vor allem von langsamen Stücken ... trotzdem braucht man dazu gewisse Winkel in der Fingerstellung, so etwas greift man nicht einfach aus der Luft. Das Verschwindenlassen eines Tons während ein anderer gleich laut bleibt, ist schon akrobatisch und gelingt nicht im Vorebeiflug und mit jedem Ton gleichermaßen. Das ist schon höhere Magie.

2. setzt das Instrument Grenzen. Jeder weiß wie schwierig es sowieso schon ist, Töne "abzuwürgen", also Pitch Bend oder "Tonglissando" zu spielen, bei dem sich das Tuning verändert. Das gelingt nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen. Hier müsste es quasi im Vorbeiflug, oft und schnell hintereinander mit völlig unterschiedlich reagierenden Tönen und unterschiedlichen Fingern erledigt werden. Noch dazu soll das Tuning ja gerade stabil bleiben - man müsste also gerade dann wenn der Ton beginnt abzusacken, doch wieder plötzlich loslassen, damit es nicht verstimmt klingt. Wow .. was für ein Anspruch

Es gibt seit einiger Zeit einige Keyboards, welche diese Modulationsmöglichkeiten (ohne die akkordeonistischen Tuning-Nebenwirkungen) bieten.
Ich habe zwei davon gekauft:
Knopf


Taste

Mit anderen Worten, es ist bei diesen Teilen vorgesehen, polyphon kontinuierliche Dynamik zu spielen. Das klapt auch hervorragend erfordert aber dermaßen viel Übung, obwohl hier viel Platz für die Finger ist. (Nachdrücken, Schieben nach oben unten, links rechts jedes einzelnen Tons ...)

Na - ich schweife ab. Darum gehts hier ja nicht. Ich weiß auch, dass ich hier extrem argumentiere. In gewissem Rahmen kann man natürlich immer etwas machen. Aber ich finde für diese Aria und das C-Dur Präludium reicht dieser enge Rahmen an akkordeonistischen Möglichkeiten nicht aus und mich wundert, dass so viele (gerade auch prominente und sonst klug auswählende) Spieler offenbar anderer Meinung sind.
 
Aber ich finde für diese Aria und das C-Dur Präludium reicht dieser enge Rahmen an akkordeonistischen Möglichkeiten nicht aus und mich wundert, dass so viele (gerade auch prominente und sonst klug auswählende) Spieler offenbar anderer Meinung sind.

Ok - prominent bin ich sicher nicht... aber unabhänging von jeglicher Theorie, haben sich bei mir mittlerweile auch etliche Fassunge der Goldbergvariationen angesammelt und ich beobachte an mir, dass mir manche Akkordeonfassungen deutlich besser gefallen als manche Klavierfassungen von Spielern mit Rang und Namen. Es gibt da einige Stücke, die finde ich da auf Akkordeon deutlich besser gelungen - die gehen mir mehr an die Seele, als die Klavierfassung. Von daher bin(zumindest war) ich geneigt mir das eine oder andere Stück mal näher anzuschauen... Aber Bach vor anderen Zuhörern vorspielen, ich glaube da werd ich in Zukunft extrem sparsam und vorsichtig damit umgehen.

Was die Aria angeht, so habe ich hier die Variante von Patkovic gewählt: Bei den aufbauenden Akkorden am Anfang in der linken Hand den Grundton liegen lassen und und den Ton von Schlag 2 rausnehmen, wenn der Ton auf Schlag drei kommt - gefiel mir besser als reine Arpeggien wie z.B. bei Hussong oder Dimitrik und wirkt auch nicht so dick in der linken Hand, wie aufbauende Akkorde und alle Töne halten. ... Hier hab ich zumindest einen kleinen "Heimvorteil" - anhand der Aufnahme von Patkovic kann ich abschätzen wie der Klang bei meinem Instrument rauskommt:) ...vom spielerischen Können meinerseits war nun allerdings nicht die Rede:redface:
 
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Mich wundert, dass so viele (gerade auch prominente und sonst klug auswählende) Spieler offenbar anderer Meinung sind.
In der Tat: So ziemlich alle akkordionistischen Berühmtheiten, die ich kenne, haben entweder die Aria oder das C-Dur-Präludium aus dem WTK1 im Programm oder sogar aufgenommen. Die bekanntesten Deutschen sind Stefan Hussong, der eine Goldberg-Variationen CD veröffentlicht hat und Mie Miki, die das Wohltemperierte Klavier samt dem genannten Präludium verewigt hat. Du würdest es aus den oben genannten Gründen nicht tun.

Aber was heißt das? Offensichtlich scheint eine 1:1-Wiedergabe der Cembalo-Noten der genannten Werke auf dem Akkordeon ausgeschlossen. Wenn man es trotzdem tut, entsteht zwar keine Wiedergabe aber eine Interpretation (=eine Übertragung). Hier stellt sich dann die Frage, ob das einfach schlecht ist und man darum davon die Finger lassen sollte. Oder gibt es die Möglichkeit einer genuinen Interpretation auf dem Akkordeon, die dem Geist des Stückes gerecht wird? Wenn man den prominenten Akkordionisten nicht einfach musikalischen Unverstand oder nur "Geld ist geil"-Mentalität unterstellen möchte, müsste man wahrscheinlich wohl annehmen, das sie eine genuine Interpretation auf unserem Instrument für sachgerecht halten.

Dann heißt die Frage bei den Stücken nicht "Wie kriege ich die Begleittöne langsam zum Verklingen?", sondern "Welche dem Stück innewohnenden Merkmale kann ich auf dem Akkordeon besser herausarbeiten als auf einem Cembalo?" (Wohlgemerkt: Die Pianisten haben dieselbe Aufgabe, die wenigsten spielen die Goldberg-Variationen auf dem Originalinstrument ein).

Wenn das möglich ist, erklärt sich dann auch das folgende Statement wie von selbst:

manche Akkordeonfassungen deutlich besser gefallen als manche Klavierfassungen von Spielern mit Rang und Namen
 
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Naja, in dem Moment, wo ich nicht mehr das Instrument nutze, für das ein (insbesondere klassisches) Stück ersonnen wurde, habe ich ohnehin eine ganz andere Klangfarbe und verändere das Stück per se schon entscheidend.

Warum also nicht dann die Möglichkeiten dieses anderen Instrument besonders nutzen und das Stück zu einem echten Akkordeonstück/Gitarrenstück/... machen?

Der Charakter wird sowieso ein anderer sein.
 
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Natürlich erhält man ohnehin etwas eigenes. Das ist ja auch positiv.

Aber hier geht es um das Geklimper einer Spieluhr, welches das Kind zum Schlaf bringen soll. Man tauscht es ein mit der Statik einer Drehorgel und meistens bemüht man sich dann doch um das Klangbild der Spieluhr, was nicht gelingen kann.

Schön wenn ihr es gut findet. Ich kann dabei aber wirklich nicht einschlafen.
:)
 
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Ich kann dabei aber wirklich nicht einschlafen.
Vielleicht auch ein Vorteil, wenn man in einem Konzert nicht einschläft. Auf jeden Fall bist du dann schon ganz anders wach, wenn dann die russischen Akkordionisten mit ihrer Bayan einen überlauten überschnellen Variation 1-Goldberg-Düsenjet mit Nachbrenner und Überschallknall durchs "Schlafzimmer" jagen...;):D:evil:

Geklimper einer Spieluhr, welches das Kind zum Schlaf bringen soll
Ah, das Geklimpere höre ich jetzt auch raus - macht Sinn. Ich hörte bisher vor allem im Diskant einen ruhig atmenden Menschen und eine harmonische Begleitung auf der Melodiebass-Seite dazu, keinesfalls aber eine eigenständige Spieluhr. Könnte es sein, dass du polyphon hörst während ich harmonisch höre? Das wäre vielleicht wirklich ein wichtiger Unterschied und vielleicht eine Erklärung dafür, dass ich das Stück mir auch auf einem Akkordeon vorstellen kann, du hingegen nicht.

Aber jetzt kriege aber ich mit dem Stück einen anderen Knoten ins Hirn: Wenn die Goldberg-Variationen ins Schlafzimmer gehören, dann sollten sie langsam und leise gespielt werden, so dass man in den Schlaf fällt (Rosalyn Tureck kam locker auf mehr als 1:30h reine Spielzeit bei jeder ihrer Aufführungen, während Glenn Gould in seiner Einspielung von 1955 die Sache in 40min absolvierte und nach der Konzertpause noch immerhin den ersten Teil des Wohltemperierten Klaviers runterhasten hätten können, so dass man noch vor der Spätausgabe der Tagesschau vom Konzert wieder daheim gewesen wäre). Jetzt werden die aber im Konzertsaal vorgeführt, was dann wohl zwangsläufig bedeutete, wenn man sie richtig spielte, dass die Zuhörer reihenweise zu Mitschläfern werden würden. Wer will seine Zuhörer schon einschläfern? Wer will schon ein "einschläferndes Konzert" anbieten? Also doch ein virtuoser Düsenjet? (Kann man ja aus der Komposition auch machen).:gruebel:
 
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Schön wenn ihr es gut findet. Ich kann dabei aber wirklich nicht einschlafen

sollte das denn tatsächlich ein "Schlaflied" sein? ... so wie die Goldbergvariationen weitergehen hätte ich eher vermutet, dass die Stücke geschrieben wurden um dem armen Grafen seine schlaflosen Nächte mit was sinnvollem zu füllen. Nicht dass er in seiner Schlaflosigkeit vor Langeweile wahnsinnig wird.

Jetzt im Ernst, da wir ja wieder beim historischen Kontext gelandet sind - für welchen Zweck war die Aria denn ursprünglich tatsählich gedacht?
 
Hallo @maxito, viel was man über die Goldberg-Variationen weiß, kommt von Bachs erstem Biographen Johann Nikolaus Forkel. Er schreibt darüber im Rahmen der gedruckten Werke Bachs folgendes:

"5) Clavierübung, bestehend in einer Arie mit verschiedenen Veränderungen fürs Clavicymbel mit 2 Manualen. Nürnberg, bey Balthasar Schmid. Dieß bewundernswürdige Werk besteht aus 30 Veränderungen, worunter Canones in allen Intervallen und Bewegungen vom Einklang bis zur None mit dem faßlichsten und fließendsten Gesange vorkommen. Auch ist eine regulaire 4stimmige Fuge, und außer vielen andern höchst glänzenden Variationen für 2 Claviere, zuletzt noch ein sogenanntes Quodlibet darin enthalten, welches schon allein seinen Meister unsterblich machen könnte, ob es gleich hier bey weitem noch nicht die erste Partie ist.
Dieses Modell, nach welchem alle Variationen gemacht werden sollten, obgleich aus begreiflichen Ursachen noch keine einzige darnach gemacht worden ist, haben wir der Veranlassung des ehemaligen Russischen Gesandten am Chursächs. Hofe, des Grafen Kaiserling zu danken, welcher sich oft in Leipzig aufhielt, und den schon genannten Goldberg mit dahin brachte, um ihn von Bach in der Musik unterrichten zu lassen. Der Graf kränkelte viel und hatte dann schlaflose Nächte. Goldberg, der bey ihm im Hause wohnte, mußte in solchen Zeiten in einem Nebenzimmer die Nacht zubringen, um ihm während der Schlaflosigkeit etwas vorzuspielen. Einst äußerte der Graf gegen Bach, daß er gern einige Clavierstücke für seinen Goldberg haben möchte, die so sanften und etwas muntern Charakters wären, daß er dadurch in seinen schlaflosen Nächten ein wenig aufgeheitert werden könnte. Bach glaubte, diesen Wunsch am besten durch Variationen erfüllen zu können, die er bisher, der stets gleichen Grundharmonie wegen, für eine undankbare Arbeit gehalten hatte. Aber so wie um diese Zeit alle seine Werke schon Kunstmuster waren, so wurden auch diese Variationen unter seiner Hand dazu. Auch hat er nur ein einziges Muster dieser Art geliefert. Der Graf nannte sie hernach nur seine Variationen. Er konnte sich nicht satt daran hören, und lange Zeit hindurch hieß es nun, wenn schlaflose Nächte kamen: Lieber Goldberg, spiele mir doch eine von meinen Variationen. Bach ist vielleicht nie für eine seiner Arbeiten so belohnt worden, wie für diese. Der Graf machte ihm ein Geschenk mit einem goldenen Becher, welcher mit 100 Louisd'or angefüllt war. Allein ihr Kunstwerth ist dennoch, wenn das Geschenk auch tausend Mahl größer gewesen wäre, damit noch nicht bezahlt. Noch muß bemerkt werden, daß in der gestochenen Ausgabe dieser Variationen einige bedeutende Fehler befindlich sind, die der Verf. in seinem Exemplar sorgfältig verbessert hat."

(Johann Nikolaus Forkel. Über Johann Sebastian Bachs Leben, Kunst und Kunstwerke. Vollständiger, durchges. Neusatz bearbeitet und eingerichtet von Michael Holzinger. Berliner Ausgabe, 2013. Seite 48.

Ob die Quelle so stimmt, weiß man nicht. Auf der Wikipedia-Seite werden Zweifel zusammen getragen:
"Dieser Bericht geht wahrscheinlich auf Informationen der beiden ältesten Bachsöhne zurück. Eine weitere Quelle wurde nicht aufgefunden. Zwei wichtige Argumente lassen am Wahrheitsgehalt des Berichts zweifeln: Die gedruckte Fassung der Variationen enthält einerseits keine Widmung, etwa eine förmliche Widmung an Keyserlingk. Zum anderen war Johann Gottlieb Goldberg 1740 erst 13 Jahre alt und damit technisch kaum in der Lage, dieses anspruchsvolle Werk adäquat zu bewältigen. Daher ist der Wahrheitsgehalt von Forkels Bericht umstritten."

Nun ja: Außergewöhnliche Pianisten gab es und gibt es - auch in diesem frühen Alter. Insofern würde ich dieses kritische Argument nicht gelten lassen. Mir fällt darüber hinaus ein, dass die Aria älter sein muss, weil sie ja bereits im Notenbüchlein für Anna Magdalena Bach aufgeschrieben dasteht. Den Beginn der zweiten Ausgabe dieses Büchleins, in der die Aria steht, datiert man aber ins Jahr 1725, während die Goldberg-Variationen erst 1740/1741 herausgegeben werden. Man kann darüber hinaus sagen, dass die Version im Notenbüchlein definitiv eine Abschrift ist, denn es gibt dort definitiv Abschreibefehler (näheres in der Henle-Originalausgabe des Notenbüchleins in den Bemerkungen zur Nr. 26) -also ist die Aria noch älter. Ich habe mittlerweile auch gelernt, dass manche die "Aria" wegen der vielen Verzierungen nicht für eine Bachkomposition halten, Bach hätte nur Variationen darüber geschrieben. Was soll man darüber sagen? Ich meine, das müsste man mit anderen Handschriften belegen. Warum muss man denn an allem zweifeln?

Und für das soll die "Aria" jetzt gut sein? Forkel sagt, gegen Schlaflosigkeit oder gegen Verzweiflung bei Schlaflosigkeit. Nach dem Vorwort in der Henle-Ausgabe des Notenbüchleins heißt es, die Stücke seien "für den Hausgebrauch", also eine Art private Notensammlung zur eigenen Freude. Dort kommt auch der Vorschlag: "Anderes mag im Zusammenhang mit der musikalischen Erziehung der Kinder zu sehen sein." Dass es dort um Ausbildung geht, wird klar, wenn man sieht, dass es im Notenbüchlein auch Ausführungen über einen sachgerechten Generalbass gibt.
 
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Mir fällt darüber hinaus ein, dass die Aria älter sein muss, weil sie ja bereits im Notenbüchlein für Anna Magdalena Bach aufgeschrieben dasteht. Den Beginn der zweiten Ausgabe dieses Büchleins, in der die Aria steht, datiert man aber ins Jahr 1725, während die Goldberg-Variationen erst 1740/1741 herausgegeben werden.
Es wird vermutet, dass die Aria ins Notenbüchlein zwischen 1735 und 1741 eingetragen wurde. Die ganze Anekdote über Goldberg ist vermutlich entweder frei erfunden oder hat zwar einen wahren Kern, der aber im Lauf der Zeit ausgeschmückt und verändert worden ist. Ich finde: die Musik spricht auch ohne diese Anekdoten für sich, sie ist weder zum Einschlafen geeignet noch als Spieluhrgedudel aufzufassen :)
 
sie ist weder zum Einschlafen geeignet noch als Spieluhrgedudel aufzufassen

Ich habe keine Lust mehr jeden Satz auf die Goldbergwaage zu legen.
Überhaupt ist Kritik recht unpopulär und wird von meiner Seite unterbleiben.
 
Überhaupt ist Kritik recht unpopulär und wird von meiner Seite unterbleiben.

Hallo lieber Klangbutter,

populär oder unpopulär ist hier nicht die Frage. Wir sind hier doch keine Politiker, die auf Mehrheiten achten müssen. Ich finde Anmerkungen bzw. Kritiken dann interessant und wertvoll, wenn sie begründet sind. Und das gilt ganz unabhängig davon, ob sie mehrheitsfähig sind oder nicht.

Ich würde es jedenfalls bedauern, wenn Du uns Deine Meinung/ Anmerkung/ Kritik zukünftig verschweigen würdest. Die meisten Akkordeon-Profis ignorieren doch dieses Forum, vielleicht weil sie Sorge haben, sich in unwürdige Niederungen zu begeben, dass sie hier Perlen vor die Säue werfen und gelegentlich ihre Meinung von Laien zu Recht oder zu Unrecht zerlegt wird. Das wollen diese Leute sich nicht antun. Dabei könnte die Menschheit so viel von ihnen lernen, wie wir es schon von Dir getan haben.

Ich habe zum Beispiel zuletzt von Dir gelernt, dass man das C-Dur-Präludium oder die Aria als Spieluhrgedudel hören kann. Das habe ich bisher nie so gehört. Aber Du hast verdammt Recht, bei entsprechender Spielweise kommt das hin. Die meisten Amateur-Musiker - auch die hier im Forum - sind aber froh, wenn sie diese Stücke technisch ordentlich hinkriegen. Und dann werden die Sachen auch entsprechend engagiert oder gar anstrengend dargeboten. Natürlich wollen Amateur-Spieler dann nicht hören, dass sie Spieluhrgedudel produzieren. Für Dich mit Deinen Möglichkeiten ist die Technik bei diesen Stücken nicht die Frage, für Dich sind diese beiden Stücke wahrscheinlich zum Gähnen langweilig zu spielen. Also kannst Du sie ganz entspannt mit Beschreibungen belegen, die Dir eben so eingefallen sind.

Also lass uns an Deinen Meinungen - und natürlich auch an Deinen Sachbeiträgen - weiterhin teilhaben. Wer Deine Meinung nicht teilt, wird sie weiterhin auf dem "Künstlereigenwilligkeitskonto" buchen. Und eine gelegentliche Lastschrift soll Dich nicht grämen.

Viele Grüße

morino47
 
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Ich habe keine Lust mehr jeden Satz auf die Goldbergwaage zu legen.

Um das gehts auch gar nicht. Das Problem stellt sich aus meiner Sicht eher ganz anders dar:

Mit Melodiebass bewege ich mich musikalisch meist im Bereich Klassik /Barock ... und damit in Bereichen, wo für Akkordeon nicht originär geschrieben wurde. Obendrein bin ich spielerisch limitiert, was die Möglichkeiten der Ausdrucksweise ebenfalls einschränkt. Und zu guter Letzt kommt noch dazu dass ich den Musikbereich nicht studiert habe und somit auch wenige bis gar kein Hintergrundwissen zu den Stücken und zur damals üblichen Spielpraxis habe.

Als Folge davon bin ich immer sehr stark verunsichert, was ich da eigentlich mache. Zum einen muss ich Überlegungen anstellen, wie ich das Stück auf Akkordeon adaptieren kann. Zum zweiten bin ich ständig am Grübeln, ob das zulässig ist was für eine Intention ich in das Stück hineininterpretiere. Aus diesem Grund bin ich natürlich auch immer relativ stark vom Feedback bzw. von Aussagen von besseren Spielern bzw. Experten angewiesen. Und weil es obendrein ja hier auch durchaus verschiedene Ansätze gibt, wie man so ein Stück angehen kann (wovon ich wiederum mangels Hintergrundwissen nicht profitieren kann) muss ich für mich irgendwie zu einer Entscheidung kommen.

Aber hier geht es um das Geklimper einer Spieluhr, welches das Kind zum Schlaf bringen soll. Man tauscht es ein mit der Statik einer Drehorgel und meistens bemüht man sich dann doch um das Klangbild der Spieluhr, was nicht gelingen kann.

Also bin ich auf Rückmeldungen und Statements angewiesen. Wenn die dann mit Begründung kommen, warum die Ansicht verteten wird, dann kann ich damit was anfangen. Also wie hier z.B. die Aussage, dass man der Meinung ist, dass man das nicht mit Akko rüberbringt, weil das ganze in der Vorstellung läuft, dass es sich im Prinzip um eine Spieluhr handelt das sind sehr bildhafte Beschreibungen warum und wie die Musik sich anhören sollte und ich kann damit für mich überlegen, ob ich das genauso darstellen will, oder ob ich eine andere Vorstellung davon habe. Das hilft mir auf meinem Weg herauszufinden, ob ich das Stück mit einer bestimmten Weise spielen kann, oder nicht.

Genauso hilft es mir, wenn erklärt wird, wo der Problempunkt liegt - z.B. dass die notierte Notenfolge so nicht klingt, weil das zu dicke klingt. Wobei hier an dem Punkt auch das Instrument mit ins Spiel kommt, denn je nach dem wie die Chöre besetzt sind kann es m.E mit dem einen Instrument funktionieren, und mit einem anderen vielleicht nicht, weil z.B. für eine sinnvolle Interpretation ein einchöriges Register im Melodiebass mit einem obendrein zart klingenden MIII Ton sinnvoll ist. Dann kann ich daraus gut abschätzen, ob das mit meinem Instrument vielleicht nicht geht (weil der MIII Ton immer zweichörig und obendrein sehr kräftig ist, oder ob das vielleicht mit meinem Instrumentarium ein gangbarer Weg sein könnte.

Deshalb bitte ich trotzdem auch weiterhin um Kommentare von besseren und sehr guten Spielern, damit ich als Amateur und Laie für mich eine Abschätzung treffen kann, ob und wie ich weitermache - und sei es nur dass ich zur Erkenntnis komme, dass "Bach" ein gefährliches Pflaster ist und ich mit meinen bescheidenen Fähigkeiten besser andere Komponisten ins Visier nehme.:rolleyes:
 
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trotzdem auch weiterhin um Kommentare von besseren und sehr guten Spielern
Ja, genau. Darum würde ich auch bitten. Uns tut es gut, wenn du dich meldest, @Klangbutter. Und uns tut auch gut, wenn es manchmal unterschiedliche Ansätze gibt, weil man dann sehen kann, aus welchen verschiedenen Perspektiven man Stücke oder Techniken ausführen oder bewerten kann.
 
Ich habe keine Lust mehr jeden Satz auf die Goldbergwaage zu legen.
Überhaupt ist Kritik recht unpopulär und wird von meiner Seite unterbleiben.

Ich finde deine "unpopuläre" Art schlicht genial! :)
 

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