50til50, Part 44
BREATHE
Vor ein paar Jahren war ich in Norwegen. Es war Sommer, die Sonne hing um Mitternacht an ihrem tiefsten Punk, weit über dem Horizont, und ich wusste nicht weiter. Alles war auseinandergebrochen: meine Ehe, mein Beruf, meine Sicht auf mich und die Welt. Eine nicht enden wollende Unruhe wogte in mir und als einziges Mittel dagegen hatte ich nur das Laufen. Ich rannte durch die helle Nacht auf einem Wanderweg hinauf auf einen Berg. Nach dem ersten Kilometer bergauf brannte meine Lunge, nach dem zweiten Kilometer zitterten meine Muskeln, danach schmerzten die Knie und nach fünf Kilometern hatte ich den Gipfel erreicht. Vor mir der Atlantik, hinter mir die Berge, und in mir – endlich! – ein Gefühl von Frieden: Ich hatte einfach keine Kraft mehr für Gedankenschleifen und sinnloses Ruminieren.
Ich stand auf dem Berg und atmete. Der Atem kam und ging, erst automatisch und dann zunehmend kontrolliert. Einatmen, ausatmen, einatmen, ausatmen. Ich fühlte, wie eine Ruhe in mich einzog.
Später lernte ich eine simple Mediationstechnik: Sitze aufrecht, konzentriere dich auf deinen Atem und denk an nichts. Letzteres ist der schwere Teil. Wer schon einmal versucht hat, an nichts zu denken, weiß, wie schwer das ist. Immer neue Gedanken wollen durch deinen Kopf schießen. Sie kommen, aber du musst sie ziehen lassen, ohne sie weiterzudenken. Also fokussierst du dich auf den Atem. Einatmen, ausatmen, einatmen, ausatmen.
Der Fokus auf den Atem kann helfen, den Kopf frei zu machen, Gedanken zu ordnen, sich über Dinge klarzuwerden, die noch unklar und ungeordnet sind. Dein Körper braucht den Atem zum Leben, der Geist braucht Ordnung, um zu atmen.
Bei meinem neuesten Song musste ich lange daran arbeiten, dass alles darin seinen Raum zum Atmen bekam. Alle seiner Parts waren mir wichtig. Ihr Klang war mir wichtig. Aber ich merkte, dass alles zusammen schnell zu viel wurde. Ich musste den Mix aufräumen, damit jeder Teil zur Geltung kommen konnte, ohne den anderen Parts Platz wegzunehmen. Ich musste den einzelnen Spuren Platz zum Atmen verschaffen.
Es war ziemlich aufwändig. Zum Glück hilft einem die Technik dabei. Ein Instrument wird leiser, wenn ein anderes spielt. Jede Spur hat Frequenzbereiche, die für sie wichtig sind, die dann bei anderen Spuren leiser gestellt oder ganz stumm geschaltet werden. Automation, Kompression, Sidechain – all die Zauberwörter der Musikproduktion kommen zum Einsatz.
Jetzt bin ich zufrieden mit dem Resultat. Jetzt habe ich das Gefühl, dass der Song atmen kann.
BREATHE ist der 44. Song. Ich bin schon fast auf der Zielgeraden…
Was hilft euch, den Kopf frei zu bekommen und zu atmen?
View: https://open.spotify.com/intl-de/track/75nB8CHkbC6qv4XN30ciH9?si=06ed586b086e4cd6
View: https://youtu.be/t35_6CfQG6k?si=VrPOVURaqxGg7jgD
#50til50