Hallo Musicanne,
ich weiss jetzt nicht, wie fortgeschritten Deine theoretischen Kenntnisse sind, insbesondere in harmonischen Dingen. Ich könnte mir vorstellen, daß es Dich weiterbringt, wenn Du z.B. folgendes übst: Wie fühlt es sich an, wenn ich in einem Dur-Dreiklang den Grundton singe, wie fühlt es sich an, wenn ich die Terz singe, und wie, wenn ich die Quint singe. Eine gute Übung ist z.B. auch, eine langsame Tonleiter zu singen, während ein anderer Sänger (möglichst in der gleichen Stimmlage) den Grundton aushält, und sich dabei in jedes Intervall hieinzufühlen. Wie fühlt sich eine große Sekunde an, wie eine kleine etc. Eine Quint klingt ausgeglichen, eine Quart kräftig, eine große Septime strebt extremst nach oben etc. Man kann z.B. versuchen, zu zweit eine möglichst reine Quint zu singen, man kann aber auch versuchen, absichtlich eine zu kleine oder zu große Quint zu singen, um zu erleben, was sich dabei verändert. Oder zu zweit denselben Ton singen, dann geht einer von Beiden minimal höher, sodaß Schwebungen entstehen. Der andere muß aber dabei den Ton halten (schwer!). Wenn man dann noch ein bisschen was von Akkordverbindungen versteht (z.B. Kadenzen I IV V I, Stufenakkorde etc.), dann mit all diesem Wissen in die Chorprobe geht und im Idealfall noch Noten mit dem kompletten (4-stimmigen?) Satz vor sich hat, beginnt man irgendwann anders zu hören, z.B.: Aha, hier singe ich die Terz der Dominante, die löst sich dann im nächsten Takt in den Grundton der Tonika auf etc.
Eine weitere Frage, die damit direkt zusammenhängt: Wie sauber singt der Chor? Es nützt Dir bzgl. Gehörbildung wenig, wenn Deine Mitsänger Mühe haben, die Intervalle sauber zu singen. Meine Erfahrung ist, daß klassische (Amateur-) Chöre häufig sauberer singen als Jazz-, Gospel- und Pop-Chöre, ganz einfach deshalb, weil die Sänger und Sängerinnen dort zumeist eine anderen musikalischen Hintergrund aus den Familien mitbringen (klassische Instrumentalausbildung) und von daher sozusagen vorgebildet sind, während im Popchor manch einer mitsingt, der einfach den sozialen Kontakt sucht und Klassik "nicht so mag". Das lässt sich natürlich absolut nicht pauschalisieren, es gibt auch den Dorf-Kirchenchor der alten Mütterlein, der schon seit 50 Jahren mit Freuden falsch singt,

so, wie es den hochmotiverten Gospelchor gibt, in dem manch ein Absolvent einer fundierten Gesangsausbildung singt. Gehörbildungsmäßig kommst Du jedenfalls weiter, wenn Du in einem Chor singst, der intonationsmäßig top ist.
Eine Schubertmesse oder ein Mendelssohn-Oratorium ist harmonisch anspruchsvoller als ein Popsong wie z.B. Walking on Sunshine, dafür erfordert der Popsong rhythmisch höhere Präzision.
Einfach nur ein paar Gedanken meinerseits, dessen aktive Chorsingzeit schon eine Weile her ist. Inzwischen versuche ich, Kindern das Chorsingen schmackhaft zu machen, wenngleich mein Kinderchor zahlenmäßig noch viel zu klein ist.
Viele Grüße,
McCoy