Frage zum Korpus von Streichinstrumenten

Janita
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Huhu liebes Forum!

Vorhin im Auto, als ich an der Ampel auf Grün wartete, kam mir eine Frage auf.
Wieso wird bei Streichinstrumenten der Ton tiefer, je größer der Korpus gebaut ist? Ich dachte immer, dass es an den Saiten liegt: je dünner und gespannter sie ist, umso höher der Ton. Was passiert also, physikalisch gesehen, in einem Korpus, dass der Ton tiefer bzw. höher wird je nachdem wie groß oder klein der Korpus ist? Mir ist klar, dass selbiger als Klangkörper dient, aber was passiert mit der Luft/Schwingung/keine Ahnung was im Inneren? :confused:

Liebe Grüße,
Janita
 
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Hallo Janita,

gerade eben als ich auf dem Stuhl saß, hatte ich eine Idee für die Antwort:

Der Korpus ist nicht entscheidend für die Höhe des Tones. Die Tonhöhe wird bestimmt von Masse, Länge und Spannung der Saiten. Der Korpus verändert seine Größe ja nicht. Allerdings brauchen die tiefen Töne einen größeren Resonanzraum um darüber "verstärkt" zu werden. Und die Saiten müssen für die tiefen Töne auch länger sein, weswegen ja Bratsche, Game Cello und Kontrabass entsprechend "wachsen". Ohne Klangkörper schwingen Saiten in der Luft und sind vorwiegend sehr leise (z.B.: Gerippe-E-Geige). Über den Steg werden aber die Saitenschwingungen auf den Korpus übertragen, über den Stimmstab auch auf die Untersaite. Der Korpus schwingt nun und gibt eben über die größere Fläche mehr Energie an die Luft ab, als die Saite alleine hätte packen können. Nun eine Frage an die Physiker: mit oder ohne Korpus braucht die Saite gleich viel Energie zum Schwingen - warum kann das überhaupt unterschiedlich laut sein und wohin "verschwindet" die Energie ohne Korpus???
 
Hey Leute,

ich bin zwar kein Physiker, hab aber vielleicht trotzdem was für euch.

Die größe eines Resonanzkörpers von Streichinstrumenten orientiert sich, wie wir ja wissen, an dem Frequenzspektrum.
Ein Resonanzkörper funktioniert als mechanischer Klangverstärker: er koppelt die Saitenschwingungen durch seine Größe
besser an die Luft an, als wenn eine Saite z.B. nur zwischen zwei Wände gespannt wäre. (in diesem Modell bewegen sich die Wände nicht.)

Also die Saite selber bewegt nur wenig Luft, eine Klangplatte dagegen ein Vielfache dessen -> lauter.
Die Energie der Saite wird also an die Luft abgegeben und das dämpft die Schwingung -> die Saite schingt nicht so lange,
der Ton verklingt nach kürzerer Zeit.

Das Menschliche Gehör nimmt Frequenzen unterscheidlich stark wahr.
Für tiefe Frequenzen benötigt man deutlich mehr Energie, als für hohe.
Das kann man z.B. sehen an unterschiedlichen Verstärkern. Ein Gitarrenverstärker braucht nicht so viel power,
wie ein Bassverstärker, damit der Mensch beides gleich laut hört.
Bassverstärker brauchen also viel power und große Membranflächen, um viel Luft zu bewegen.
(Bsp. PA: 100 W für Topteile und 500 W für die Basslautsprecher..)

Analog dazu, kann man dieses Modell auf Streichinstrumente übertragen.
Die Korpusse von Streichinstrumenten sind generell unterdimensioniert. Einzig die Geige liegt am Optimum.
Bratschen müßten deutlich größer sein, Celli müßten fast ein Volumen von einem Kontrabass haben und Kontrabässe müßten,
physikalisch gesehen, viel, viel größer sein, als sie es sind. Hier wird es natürlich schwierig mit der Bespielbarkeit.
Deshalb haben wir heute die Größen, die wir haben - aber sie sind zu klein.

Bei Streichinstrumenten kommt noch etwas hinzu, was andere Instrumente nicht können:
Die beiden Klangplatten, Decke und Boden, arbeiten gegeneinander. Das heißt, der Korpus arbeitet wie eine Luftpumpe
und das verstärkt den Klang nochmal mehr, als beispielsweise bei einer Gitarre.
Der Grund ist das Zusammenspiel von Steg und Stimmstock. Kein Stimmstock -> der Klang fällt deutlich ab, vor allem
in der Lautstärke.

Ein sehr effizientes, mechanisches System ist das.


cheers, fiddle
 
"Hey Leute,

ich bin zwar kein Physiker, hab aber vielleicht trotzdem was für euch."

Hi fiiddl, so geht's mir auch :D. Und an Janita: Es gibt keine dumme Fragen, nur dumme Antworten, aber Deine Frage möchte ich doch als ausgesprochen "intelligente Frage" einordnen :great:. Nur mit Deiner Schlußfolgerung "Wieso wird bei Streichinstrumenten der Ton tiefer, je größer der Korpus gebaut ist?" habe ich so meine Probleme. Eigentlich sehe ich es umgekehrt, nämlich daß der Korpus umso größer ist, w e i l der Ton tiefer ist. Vergleich wir mal Kontrabaß, Mensur 105 cm, mit einer Violine, Mensur 30 cm, Faktor 3,5. Jetzt nehmen wir eine hypothetisch entsprechend lange G-Saite der Violine und spannen sie auf einen Kontrabaß um die gewünschten 196 Hz zu erhalten, das würde eine Erhöhung der Saitenspannung um den Faktor 3,5 erfordern. Klänge - mal angenommen die Saite würde dem Zug standhalten - sicherlich recht brilliant, trotz des "eigentlich" zu großen Resonanzkörpers. Greifen wir das G mit 196 Hz in der VII. Lage (Saitenhalbierenden) auf der G-Saite einenes Kontrabasses, so bekommen wir immerhin auch einen recht brauchbaren Ton. Als nächstes nehmen wir die H-Saite (ca. 29 Hz) eines 5-saitigen Kontrabasses und spannen diese auf eine Violine, natürlich auch wieder um den Faktor 3,5 verändert, diesmal allerdings gelockert. Wird wohl ein Resultat liefern, das man als etwas "lasch" bezeichnen könnte. Wenn wir das aber bei 50 Instrumenten gleichzeitig machen und anspielen, könnte auch wieder ein durchaus brauchbarer Klang entstehen. (Phil Jones verfolgt ja dieses Konzept, indem er seine Baßboxen mit vielen 5"-Lautsprechern ausstattet.)

Korpusgröße und Transmission tiefer Töne: E-Baß am Oszillographen, H-Saite angeschlagen: Was? Hat der sowas, sieht fast aus wie Nulllinie bei 29 Hz... handelsübliche Boxen erreichen die 40 Hz allenfalls mit Mühe und Not. Oktobaß, der Vorführer streicht die Subkontra C-Saite. Gewaltig! Nur: Hören kann die 16 Hz kaum noch jemand. 5-Saiter am Stimmgerät, egal welcher Preisklasse, das Display zeigt... Fis! Zweiter Partialton, also eine Oktave plus Quinte höher. Also, "bringen" tun's die Instrumente wirklich nicht. Zudem werden sehr tiefe Töne vom menschlichen Ohr sehr viel leiser wahrgenommen als höhere Töne. Gut, dann sind wir halt Tieftonkrüppel, die Tiefstreicher unzulänglich - aber was rauskommt ist noch immer sehr gewaltig. Wir sollten nicht immer auf Unzulänglichkeiten fixiert sein sondern, uns an dem erfreuen was wir haben und das auch noch spielbar ist!

Zwischendurch möchte ich mal anmerken: Der Klang - der kommt von der Saite. Und sonst von gar nix. Das Instrument, das ist "lediglich" ein Resonator im allgemeinen und eine Vorrichtung um die Tonhöhe mittels Greifen im besonderen zu verändern. (Etwas polemisch und für die Geigenbauer hier schon fast blasphemisch - ist aber so. Basta.) Das bringt mich auch zum letzten Satz von Stollenfiddler: Stichwort Energieerhaltungssatz. Eine Saite auf einem Monochord wird lange, sehr lange schwingen, primär gebremst durch die Reibung mit der Luft. Die selbe Saite mit identischer Länge und Stimmung auf einem Instrument wird sehr viel lauter aber gleichzeitig kürzer schwingen, in beiden Fällen haben wir aber eine identische Umformung der Schwingungs- in Wärmeenergie nebst mehr oder weniger Wellen in Form von Akustik. Vergleich: Sportwagen aus Tempo 200, im ersten Fall nehmen wir "nur" den Fuß vom Gas und kuppeln aus, das Auto rollt minutenlang aus; im zweiten Fall Vollbremsung in 7 sec auf Null - spektakulär, aber für die Wärmebilianz völlig unerheblich, im ersten Fall wird vornehmlich die Luft erhitzt, im zweiten Fall die Reifen und der Straßenbelag, und zwar auf eine identische Energiesumme (!).

"...aber was passiert mit der Luft/Schwingung/keine Ahnung was im Inneren? :confused:" Ja Janita, sie (die Luft) schwingt. Aber das hat zunächst keine so große akustische Bedeutung, weil die Schwingung dort verbleibt. Viele Menschen glauben der Klang käme aus den F-Löchern. Das ist aber falsch, die F-Löcher nehmen Spannung von der Decke und ermöglichen es ihr freier zu schwingen und das ist auch gut so. Aber letztlich schwingt das ganze Instrument, auch die Schnecke gibt noch Schall in die Umgebung ab.

Nebenbei mal eine Theorie, die bisweilen diskutiert wird: Danach soll ein Streichinstrument wie ein Zwei-Komponenten-Lautsprecher arbeiten, der Korpus sei der Tieftöner und der Steg der Hochtöner. Nun nehme man mal eine Stimmgabel, halte sie auf einen demontierten Steg und danach auf einen Korpus. Was überträgt den Schall wohl besser? (Meine Freundin mag es nicht, wenn ich manchmal etwas brüsk das Wort "Quatsch" ausstoße...)

Und da es mir gerade so wohl ist, begebe ich mich auch noch aus Glatteis: Lieber fiddle, damit habe ich meine Probleme:
"Der Grund ist das Zusammenspiel von Steg und Stimmstock. Kein Stimmstock -> der Klang fällt deutlich ab, vor allem
in der Lautstärke." Meine Erfahrungen von Instrumenten ohne Stimmstock sind die, daß sie eher l a u t e r sind. Aber das kann auch ein subjektiver Eindruck sein. Über die bescheidene, sehr blecherne Klangqualität und enorme Belastung der Decke ohne Stimmstock brauchen wir hier nicht diskutieren, darüber herrscht wohl Konsens.

Grüße

Thomas
 
Hi Thomas,

ich könnte mir vorstellen, daß wir Janita mit bereits mit unseren physik-akustischen Abhandlungen bereits überfüttert haben. :D

Vermutlich ist es recht unfruchtbar, über die Effekte mit und ohne Stimmstock zu überlegen, solange keiner von uns ein
ausgereiftes Klanglabor mit etlichen Raum-Mikrofonen besitzt.
Ich könnte mit vorstellen, daß dein beobachteter Effekt eine Verschiebung der eingesetzten Enerie in die tiefen Frequenzen verursacht.
Ohne Stimmstock entfällt der Scharnier-punkt (Stimmstock) ab dem die Decke zur Übersetzung zu Schwingungen in Faserrichtung versetzt wird
- also die höheren Frequenzen, sprich Obertöne.

Schwieriges Thema.

cheers, fiddle
 
Wow... das war mal interessant. (Meine ich ernst!)
Die Frage allein ist schon sehr kreativ aber die Antworten haben es nochmal in sich. :D Danke für diese Ausführungen. Jetzt bin ich schlauer.
 
Apropos Obertöne: Ein Baß wird auch deswegen so gut wahrgenommen, weil dessen Obertonreihe für uns viel besser hörbar ist (vorausgesetzt man spielt rein). Das hängt natürlich dann auch wieder mit der Bauart zusammen - ich wüsste momentan nicht wie stark die Obertöne auf eine Bass- bzw. normalen Gitarre wahrgenommen werden.

Gruß
 
Hallo allerseits,

vielleicht noch ein 2 wichtige, physikalische Details (ich bin zwar auch noch kein "echter" Physiker, aber fast...):

1) Die Schwingungsfrequenz einer Saite ist im Wesentlichen bestimmt durch die WURZEL aus dem Quotienten der Saitenspannung und der linearen Massendichte, d.h. die 3,5 Faktor Beispielrechnung stimmt nicht ganz, aber fast. (Das Prinzip stimmt natürlich schon).

2) Ein entscheidender, physikalischer Einfluss bei Klangkörpern sind die stehenden Wellen im Korpus (Resonanzfrequenzen). Wenn man einen schlichten Quader als Korpus (oder auch Konzert-Raum) nimmt, dann gibt es genau 3 Grundmoden (d.h. Wellen mit bestimmter Grundfrequenz), die sich zwischen den gegenüberliegenden Wänden ausbilden können, zusätzlich natürlich auch noch die passenden Obertöne. (Das ist in der Quantenmechanik übrigens genauso, wen es interessiert siehe "Teilchen im Kasten" bei Wikipedia). Je größer der Raum, desto länger können die Wellenlängen (=desto kleiner können die Frequenzen) der Grundmoden sein. Daher rührt das Prinzip "je größer desto tief". Wenn man nun keinen Quader mehr nimmt, sondern z.B. einen Streicherkorpus, dann wird die Rechnung mit den Grundmoden beliebig kompliziert, aber das Prinzip bleibt erhalten.

Wer das mal selber ausprobieren will, muss sich einfach nur in ein nicht zu großes Badezimmer mit gefliesten (also vor allem glatten) Wänden stellen und mit der Stimme "gleitend hochsingen". Dann wird man merken, dass man sich bei bestimmten Frequenzen deutlich lauter hört, obwohl man natürlich mehr oder weniger den gleichen Output geliefert hat (Stichwort Energieerhaltung, man verliert weniger Schallenergie durch destruktive Interferenz).

Und ja, natürlich ist diese Sichtweise sehr, sehr, ..., sehr vereinfachend, aber gibt vielleicht einen kleinen Hinweis auf die Physik hinter der Musik :).

Man kann die Resonanzfrequenzen eines Instrumentes mit eingebautem Tonabnehmer übrigenz relativ einfach qualitativ bestimmen (habe ich im Rahmen einer Physikvorlesung schon mal mit meinen Instrumenten ausprobiert, klappt ganz gut):

1) Man nehme ein Instrument mit eingebautem Tonabnehmer.
2) Man nehme ein PC Audio Programm (z.B. Cool Edit Pro, Adobe Audition oder ähnliches, Logic & Co gehen natürlich auch), mit dem man Töne generieren kann. Damit erzeugt man einen Ton, der das hörbare Frequenzspektrum logarithmisch durchfährt.
3) Man hänge das Instrument vor einem (möglichst linearen) Lautsprecher möglichst schwingungsentkoppelt auf und dämpfe die Saiten z.B. mit einem Staschentuch am Steg ab, die verfälschen das sonst.
4) Man spiele das Testsignal ab und zeichne gleichzeitig das Signal des Tonabnehmers am Instrument auf.
5) Man sieht dann schon, dass bei manchen Frequenzen ein Signal am Tonabnehmer (der Korpus schwingt) ankommt, bei manchen nicht. Wenn man nun eine Frequenzanalyse (FFT Analyse) der Aufzeichnung macht, bekommt man das Resonanzspektrum des Instrumentes. den Peakhöhen darf man aber nicht trauen, die hängen noch viel zu viel von anderen Dingen (Aufnahmeraum, Dämpfung, Abspiellautstärke usw.) ab.

Das sieht dann in etwa so aus (hier Beispiel für meine Violine):
Vio_ÜF.jpg
 
Hallo Janita, für die Höhe des Tons sind ausschließlich Spannung und Saitenlänge verantwortlich. Der Korpus dient der Klangqualität - Qualität heißt wörtlich "Beschaffenheit" und ist wertneutral. Grüße! Roderich
 
Hi Roderich!

Zunächst mal herzlich willkommen im Forum! Zu Deinem ersten Beitrag habe ich aber noch eine kleine Ergänzung: Für die Höhe des Tons sind Spannung, Saitenlänge (Mensur) und Masse einer Saite verantwortlich.

Grüße

Thomas
 

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