Gibt es Spieltechnik für schwache Finger?

Ja, beinah beschämend, aber ich bin nun mal kein begnadeter Musiker, und deshalb habe ich ein Jahr täglicher Übung gebraucht, bis meine Tonleitern vom Gekloppe zum Klavierspiel wurden.

da ich kein KL bin und wie gesagt autodidaktisch unterwegs bin, kann ich natürlich nur meine subjektive (und angelesene, bzw. von anderen übermittelte) Sicht auf guten Unterricht darlegen.
Von daher: beschämend? Vermutlich ja, dann aber sicherlich nicht für dich...;)
Ich bin der festen Überzeugung, dass jeglicher Musikunterricht nicht mit 90% "Technik-Einbimsen" in Form von "mechanischer Fingergymnastik" beginnen sollte, sondern vor allem damit, dem Schüler erst mal Gehör und Rhythmus und Grundzüge der Musiktheorie zu vermitteln.
Mit einem musikalisch geschulten Gehör, welches die Finger führt, laufen die Tonleitern mit Sicherheit besser.

Keine Ahnung, wie die Profis und Lehrer hier das sehen.
 
(...)
Ich bin der festen Überzeugung, dass jeglicher Musikunterricht nicht mit 90% "Technik-Einbimsen" in Form von "mechanischer Fingergymnastik" beginnen sollte, sondern vor allem damit, dem Schüler erst mal Gehör und Rhythmus und Grundzüge der Musiktheorie zu vermitteln. (...)

Ja, da hast Du sicherlich recht; vielleicht sollte ich diesen Punkt etwas präzisieren.

Meine KL wußte, daß ich über 30 Jahre lang Gitarre spielte (Hausmusik-Niveau, habe mir selbst beigebracht als Begleitung zu meinem Gesang), sie hat mich gleich zu Anfang vorsingen lassen (spielte etwa 15 Minuten lang irgendwelche Tonfolgen aus 8 Tönen vor, ich habe es gleich nachgesungen), dann habe ich ein Lied meiner Wahl gesungen, sie hat mich auf dem Klavier begleitet. In der Range C-e' singe ich stimmsicher.
Rhytmus-Klopfen war bei mir auch OK, ebenso Taktzählen.
Die Tonleitern hat sie mich rhythmisiert spielen lassen (unterschiedliche Rhythmen, sie hat den Rhythmus vorgegeben).

Für Musiktheorie war ich nicht so empfänglich, ich verstehe die Terminologie nicht, und ich weiß mit dem theoretisch Erklärten in der Spielpraxis nichts anzufangen, aber ich konnte die Melodie, die ich im Kopf hatte (oder die sie vorgesungen hatte) gleich mit der RH (Einklänge) auf dem Klavier nachspielen, ohne zu wissen, in welcher Tonart ich spiele.

@LoboMix hat es genau auf den Punkt gebracht:
Entscheidend bei alledem ist immer noch der schon erwähnte Aspekt, ob dein Denken über den Anschlag grundsätzlich in die Tasten intendiert ist, und inwieweit es auch ein Denken bei dir gibt, mit dem Finger wieder aus den Tasten zu kommen.

Meine Finger haben lange nicht begriffen, was es bedeutet "wie ein Häuschen" oder "wie ein welkes Pflänzchen" oder "einen Apfel halten" oder "rund" (das sind statische Begriffe); sie haben es versucht, aber sie sind eben kein Pflänzchen und kein Häuschen - sie sind Finger. Und sie haben aufmerksam und neidisch zugleich die Finger der KL beobachtet, aber sie wußten es nicht nachzuahmen.
Dann versuchte ich Begriffe zu finden, die meine Finger verstehen: auf den Tasten hüpfen (dynamischer Begriff, da steckt Bewegung drin) - bedarfsgerecht runter (auf die Taste), dann gleich definiert hoch und dann ruhig warten (Taste halten) oder wieder weg (Taste verlassen). Und da weiß mein Finger gleich: hüpfen bedeutet "runter und hoch", bedarfsgerecht bedeutet "leicht" oder "stärker" oder "ganz kräftig" und definiert bedeutet "so viel, daß die Taste etwas hoch geht, aber der Ton noch klingt" (diese Portion muß geübt werden: der Finger macht, das Ohr führt/korrigiert).
Einzeln als Übung geht es schon sehr gut, auch bei den Tonleitern.
Jetzt müssen die Finger auch im Fluß des Spieles verinnerlichen, daß ein einziger Anschlag ein dynamischer Prozeß ist, und nicht nur das Jetzt, sondern auch das Danach berücksichtigen.

Ja, es ist das präzise Denken, das die Finger erlernen müssen, mit Begriffen, die sie natürlich verstehen und dementsprechend auch praktisch umsetzen können.

Der gedankliche Dialog mit dem Kleinfinger meiner LH ist im Moment recht einseitig; am Montag will ich langsam wieder anfangen, ihn ins Spiel zu bringen, und dann schauen wir, ob und wie er hüpfen wird.

Gruß, Bert
 
Die Gitarre hatte ich vor etwa 20 Jahren meiner Tochter "geschenkt" (zur Verfügung gestellt), und seitdem habe ich nur extrem selten gespielt (Weihnachts- bzw. Betriebsfeier, wenn unser "Starpianist" verhindert war).

Musiklaien fanden mein Spiel/Gesang zwar schön (meist spielte ich langsame Balladen), aber technisch gesehen hätte ich mit meinem Gitarrenspiel keinen Blumentopf gewonnen. LH spielte nur Akkorde - offen nur im 1. - 3. Bund, höhere Lage spielte ich immer mit Barre, so daß mein kurzer Kleinfinger seinen Platz im übernächsten Bund bequem erreichen und halten könnte, RH spielte eines von etwa 12 Zupfmustern, die ich im Repertoire hatte (meist bei R. Mey abgeguckt). Für jedes Lied habe ich mir 6-7 Akkorde und ein passendes Zupfmuster überlegt, und nach etwa 1-2 Stunden konnte ich das Lied fehlerfrei spielen. Bereits nach zwei Jahren spielte ich Hunderte von Liedern und habe mich so gut wie nie verspielt, kein Finger hat gequengelt oder schlappgemacht, immer klare Töne, alles lief wie am Schnürchen.

Auf dem Klavier habe ich diese Lernleichtigkeit nie erreicht; ich brauche viele Stunden/Tage/Wochen, bis ich ein einfaches Stück/Lied fehlerfrei erlerne, und selbst dann verspiele ich mich immer wieder (falsche Taste getroffen, falscher Griff, falscher Fingersatz ...).
Vermutlich hemmt mich das Wissen über meine Spielunsicherheit auch bei dem richtigen Anschlag; die Konzentration auf die einzelnen Elemente (Notenlesen, Akkordegreifen, Fingersatz, Sprünge, Phrasierung, Dynamik ...) verbraucht bei mir wichtige Ressourcen, die mir dann beim Denken (wie es @LoboMix treffend beschrieben hat) für den Anschlag fehlen.

Jetzt habe ich mein altes Hausaufgabenheft vor mir; die zwei häufigsten Bemerkungen meiner KL lauten (ich soll machen): runde Finger (in den ersten zwei Jahren), starke Finger (alle fünf Jahre).
Wegen Corona hörte meine KL auf zu unterrichten, und ich mache jetzt allein weiter. Das letzte Halbjahr habe ich (natürlich Tonleitern geübt) vor allem die alten Stücke aufgefrischt und ein paar neue Stücke erlernt - insgesamt habe ich etwa 20 Stücke, die ich gerne spiele/übe, und werde sehen (die Finger gründlich beobachten), wie weit ich komme, immer noch in der Hoffnung, daß auch bei mir irgendwann der Knoten platzt, denn sonst höre ich in meinem Ohr nur noch (Zitat aus dem Film Lara mit Corinna Harfouch):
Vielleicht doch lieber Trompete?

Gruß, Bert
 
Also wenn die Probleme auch altersbedingt sind, dann ist es doch wohl eher unwahrscheinlich, dass sie sich dauerhaft beseitigen lassen. Wie wäre es denn mit einem Digitalpiano, das eine leichtgängigere Tastatur hat? Wenn die Kraft nachlässt, dann werden Gelenkprobleme auch in den anderen Fingern, aufgrund von Überlastung, im Laufe der Zeit wahrscheinlicher.
 
(...) Wie wäre es denn mit einem Digitalpiano, das eine leichtgängigere Tastatur hat? (...)

Zu Hause habe ich nur ein Digitalpiano (Yamaha P-155) mit "Graded Hammer"-Effekt. Technisch habe ich von E-Musikinstrumenten keine Ahnung, aber in dem Handbuch steht:
(...) Tastatur mit einem echten Anschlagsgefühl entwickelt, das von dem einer echten Tastatur kaum zu unterscheiden ist. (...) haben die Tasten in tieferen Lagen einen schwereren Anschlag (...) während die höheren Tasten leichter und schneller auf den Anschlag reagieren.

In der Musikschule spielte ich auf einem akustischen Klavier (mal Flügel, mal "normales" Klavier) und habe das unterschiedliche Anschlagsgefühl sofort sehr wohl gemerkt, doch an meinem Spiel habe ich keinen Unterschied gemerkt; ich spielte in der Musikschule auf dem akustischen Klavier genauso gut (Tonleitern) oder schlecht (Stücke) wie zu Hause auf dem E-Piano.

Deinen Vorschlag finde ich insofern interessant, als daß meine KL meinte, für einen optimalen Anschlag bräuchte ich zu Hause ein echtes akustisches Klavier; auf dem E-Piano sei es nur so wischi-waschi, und da könne man nicht gefühlvoll spielen. Doch in unser Haus paßt keine Nadel mehr, von wegen denn ein Klavier.
Nun, mein Yamaha hat die Option, die Anschlagsempfindlichkeit der Tastatur zu variieren; ich spiele in der medium Stufe, und könnte entweder hard oder soft wählen. Diese Funktion habe ich nur für ein paar Minuten ausprobiert (vor ein paar Jahren; damals auf hard), habe aber keinen gigantischen Unterschied feststellen können, vielleicht merkt man das nur bei einer bestimmten Spielweise oder erst nach einer längeren Zeit.

Dein Vorschlag :great: soll jetzt für ein paar Tage praktisch umgesetzt werden - probieren über studieren, ich probiere die Stufe soft aus.

Gruß, Bert
 
Mir fehlt gerade die Zeit für eine ausführlichere Antwort. Für dein Lob will ich mich aber bedanken, wobei ich das Kompliment aber posthum an G.O. van de Klashorst weitergeben möchte, der als Begründer der "Dispokinesis für Musiker" der Ursprung dieser so dezidiert von mir geäußerten Hinweise und Gedanken ist. Van de Klashorst hat sich wie niemand sonst den ich kenne mit der Disposition der Musiker und vor allem allen nur erdenklichen Aspekten der Instrumentalmotorik und der Ausdrucksmotorik beim Musizieren beschäftigt und dabei alles auf eine Weise auf den Punkt gebracht, die ich gerne mit genial bezeichnen möchte.

Jetzt habe ich mein altes Hausaufgabenheft vor mir; die zwei häufigsten Bemerkungen meiner KL lauten (ich soll machen): runde Finger (in den ersten zwei Jahren), starke Finger (alle fünf Jahre).
Wie gesagt im Moment nur in aller Kürze, aber diese beiden Bemerkungen ließen mir denn doch keine Ruhe. Zu generalisierenden Anweisungen, "runde" oder "gerade" Finger zu machen habe ich schon weiter oben einiges geschrieben.
Den Ausdruck "starke Finger" möchte ich aber ganz deutlich kritisieren. Ausdrücke wie diese entlocken (sicher ungewollt) nur allzu leicht grobmotorische Bewegungsmuster und eben - übertriebenen Krafteinsatz. Van de Klashorst hat immer von den "motorischen Wortladungen" gesprochen und diesbezüglich zu größter Umsicht gemahnt. Klavierspielen ist weit davon entfernt, mit Kraft zu tun zu haben, wie etwa einen Schwamm oder eine Zitrone aus zu pressen.

Über positive Wortladungen, die die ´gute Bewegung´ "entlocken" (Zitat van de Klashorst) können, und vor allem über das Fühlen, die Sensomotorik, schreibe ich dann später.
 
Mir fehlt gerade die Zeit für eine ausführlichere Antwort. (...)

Du hast mir schon wichtige Antworten gegeben, die ich verstanden habe, und dafür danke ich Dir sehr.

Es ist genau der Punkt: Wie wir sprechen (auch mit uns selbst); Van de Klashorst (bzw. seine Gedanken/Abhandlungen) kenne ich nicht (das werde ich schnell nachholen), aber ich habe Werke anderer Autoren, die das Thema "Einfluß der Sprache auf unser Handeln" diskutieren und analysieren, gelesen, und diese Ausführungen sind meinem Ohr gut zugänglich (ich verstehe, was sie meinen, und ich finde/erkenne ihre Beobachtungen bzw. ihre Deskriptionen in meiner Umwelt wieder).
Mit Deinen Stichworten werde ich auch die entsprechende Literatur finden. Hab vielen Dank.

Noch etwas zu den runden bzw. starken Fingern.

Meine KL spielt sagenhaft Klavier (es ist eine Wonne, ihr zuzuhören und zuzuschauen), aber dieses Können hat auch seine Schattenseiten - sie hat seit ihrem vierten Lebensjahr ihr Leben auf das Klavierspielen und Musik nicht nur konzentriert, sondern auch (fast) reduziert. Durch ihre intensive Beschäftigung mit Klavierspielen und Musiktheorie blieb ihr wenig Zeit, sich mit anderen Sachen zu befassen, wodurch sie auf bestimmten Gebieten in gewissen Erfahrungsrückstand geriet. Sie hatte mir zwar verbal erklärt, wie ich was spielen soll, aber sie verstand nicht, daß ich ihren Worten etwas Anderes entnehme, als sie mir tatsächlich vermitteln will, weil für mich diese Worte etwas Anderes bedeuten.

Dennoch bin ich für jede Unterrichtsstunde mit dieser KL dankbar, denn ich habe sehr wohl erkannt, daß ich nicht immer u/o nicht ganz genau verstehe, was sie mir vermitteln will. Mehr noch, ich habe erkannt, daß sie es mir nicht verständlicher/differenzierter erklären kann. Und so habe ich keine starken Finger gespielt, weil ich keine solchen Finger habe; aber ich habe verstanden, daß mein Anschlag deutlich verbessert werden muß, damit ich beim Spielen jeden Finger einzeln differenziert kontrollieren kann. So kenne ich das Ziel meines Weges, und das ist schon was. Jetzt muß ich noch den Weg suchen und finden.
Vielleicht meinte sie mit starken Fingern, daß ich die Tasten zu sanft streichle, daß die Finger mehr Impuls auf die Tasten übertragen sollen.

Gruß, Bert
 
Für mich als Mathematiker gibt es immer mind. zwei Möglichkeiten das Problem zu lösen (z.b. Klavierdeckel zu und das Problem ist auch erledigt ... )
1.) Die genaue Ursache für den Schmerz finden und da würde ich die Ernährung nicht ausschließen, Gelenks und Gliederschmerzen deuten hier oft auf einen Mangel hin, aber das ist nur so für mich hingeschrieben.
2.) Die Voraussetzungen ändern, den Fingersatz an die Voraussetzungen anpassen. Also ich kann problemlos die Oktave auch mit dem 4. Finger greifen und spielen, wenn der 5. nicht so will, eben das einsetzen was funktioniert (der 4.) oder zumindest den 5er ab und zu damit entlasten. Muss man neu lernen, aber der Körper hat sich der Musik unterzuordnen und nicht umgekehrt, das Hirn wird eine entsprechende Lösung finden.
3.) Ich kann nur berichten was ich erlebt habe, ich habe bewusst (warum auch immer) begonnen meinen Griff zu trainieren, (das geht ganz einfach, z.b. beim Spazierengehen einen Stein tragen, oder eine (kleine) Flasche Wasser) und bewusst dabei die Finger abwechselnd anheben). Es hat sich jedenfalls positiv auf mein Spiel am Klavier und Orgel ausgewirkt.
4.) Man kann auch zuviel üben, speziell wenn es motorisch über der Grenze liegt. Hier wäre es angemessener diesem 5.Finger eben zumindest jene Regeneration zu gönnen die er braucht (nur jeden zweiten Tag).
5.) Als Sänger würde ich dir berichten, "das ist ganz normal" da zwickt immer irgendwas, ist nicht so locker wie es soll und es ist die Technik so zu verändern, dass sich das eben löst. Das dauert von Wochen über Monate bis Jahre (oder es geht sich in diesem Leben nicht mehr aus), aber wenn man konsequent und intelligent daran arbeitet kommt man darüber hinweg. Konsequent allein genügt hier nicht.
 
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Den Sprach-Hinweis von @LoboMix kann ich nur unterstrichen, als Hintergrundlektüre hat mich vor Jahrzehnten dazu (m.E. ebenfalls genial) Lew Wygotski, Denken und Sprechen sehr beieindruckt.

Gedanken zur Motorik sind mit (minimalen) Bewegungsimpulsen aufgrund entsprechender Hirnaktivität verbunden. Wenn man sich beim Üben nun das Spielen fortwährend mit der inneren Stimme negativ kommentiert oder gar grobschlächtig attribuiert, dann braucht man sich auf Dauer über die "erfolgreiche Verwirklichung" dieser Gedanken nicht wundern, Frustrationsgefühle inklusiv.

Empfehlenswert finde ich, sich für die zu spielenden Stücke jeweils konkrete Hörvorbilder zu suchen und hörend zu verinnerlichen. Weiteren Nutzen bietet, dazu die Noten zu lesen und sich das eigene Spielen in dieser wohlklingenden Weise vorzustellen.

Gruß Claus
 
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Mir liegt es fern, @MusikBert, deine Klavierlehrerin schlecht zu machen, das verbietet alleine schon die Tatsache, dass ich sie nicht kenne und mir daher keine Aussage über sie als Person erlauben kann. Worauf ich mich aber beziehen kann, sind die von dir hier überlieferten Aussagen, und auch diese von dir gegebene Beschreibung weckt in mir Assoziationen an mir sehr bekannte Vorgänge:
Dennoch bin ich für jede Unterrichtsstunde mit dieser KL dankbar, denn ich habe sehr wohl erkannt, daß ich nicht immer u/o nicht ganz genau verstehe, was sie mir vermitteln will. Mehr noch, ich habe erkannt, daß sie es mir nicht verständlicher/differenzierter erklären kann. Und so habe ich keine starken Finger gespielt, weil ich keine solchen Finger habe; aber ich habe verstanden, daß mein Anschlag deutlich verbessert werden muß, damit ich beim Spielen jeden Finger einzeln differenziert kontrollieren kann. So kenne ich das Ziel meines Weges, und das ist schon was. Jetzt muß ich noch den Weg suchen und finden.
Vielleicht meinte sie mit starken Fingern, daß ich die Tasten zu sanft streichle, daß die Finger mehr Impuls auf die Tasten übertragen sollen.
Ich glaube dir, dass sie eine tolle Pianistin ist, denn ich unterstelle dir ein entsprechend gutes Urteilsvermögen. Als Klavierpädagogin teilt sie aber - soweit ich das deiner Beschreibung entnehmen kann - den Mangel, den gar nicht so wenige sehr gute Musiker als Lehrer/Dozenten/Professoren haben, ganz vorneweg vor allem viele Naturtalente: sie haben weder die motorischen Details noch das Wesen des Lehren wirklich reflektiert und durchdrungen. Diese "Anweiser" arbeiten daher oft mit stereotypen Konzepten, pauschalen Vorgaben und schablonenhaften verallgemeinernden Formulierungen. Auf der Ebene der musikalischen Gestaltung mag das dann wieder anders sein und ist oft auch viel fundierter.

Unterricht, insbesondere jeglicher Intrumental- und Gesangsunterricht ist immer ein Dialog, ein Kommunizieren, ein Beobachten und Selbstbeobachten - und daraus folgt, dass es eine Anleitung zum Selbst-Beobachten des Schülers sein muss. Van de Klashorsts zentrale Frage war stets "wie fühlt sich das an?" (bzw. eingedenk seiner holländisch-deutschen Redeweise stets verkürzt "wie fühlt das?", was den Schüler auf eine unnachahmlich anregende Weise immer noch in eine leichte, aber in diesem Fall sehr konstruktive Verwirrung brachte, die ihn animierte, noch genauer hin zu fühlen). Denn genau darum geht es: jeder muss sein je eigenes Bewegungsgefühl am Instrument entwickeln, angepasst an seine individuellen anatomisch-physiologisschen Gegebenheiten.
Dabei ist das Ziel, eine disponierte, freie, ungehemmte Spielmotorik zu entwickeln, denn nur wenn die Motorik frei ist, kann der vorgestellte musikalische Ausdruck frei über die Bewegungen an das Instrument weiter gegeben und von ihm in Klang umgesetzt werden. Das gilt auch für die Atmung, die Bläser und selbstredend Gesang.
Die Voraussetzung dazu ist eine aktive, spannkräftige - aber nie verspannte! - Haltung, denn zum Musizieren als aktive Tätigkeit gehört eine aktive Haltung. Den Bodenkontakt als Ausgang und Grundlage einer spannkräftigen, aufgerichteten (nicht "geraden" - das ist Mechanik) Haltung, die auch erst die Arme, Hände, Finger usw. frei macht, hatte ich in einem vorigen Beitrag schon erwähnt.
Ob es sich aber frei anfühlt, kann nur jeder selber fühlen. Deshalb ist die Sensomotorik und ihre tiefe Entwicklung so eine wichtige Voraussetzung, aber auch gleichzeitig Quelle für die Spielmotorik.

Deshalb kommen auch die Wortladungen und die Beobachtung/Selbstbeobachtung so gewichtig ins Spiel: Mit "starke Finger" kann in passenden Kontexten durchaus etwas sinnvolles gemeint und gesagt werden, der Lehrer sollte sich aber der im Wort "stark" liegenden Gefahrenzone sehr bewusst sein und durch Beobachtung des und Dialog mit dem Schüler gut kontrollieren, ob seine Wortwahl die erwartete und auf keinen Fall eine negative Wirkung entfaltet.

@MusikBert, du hast die beachtenswerte Gabe, den Mut und die Intelligenz, die Wortwahl deiner Lehrerin erstens zu hinterfragen und zweitens deine eigenen Gedanken dagegen zu stellen. In dem folgenden Satz:
Dann versuchte ich Begriffe zu finden, die meine Finger verstehen: auf den Tasten hüpfen (dynamischer Begriff, da steckt Bewegung drin)
steckt mehr motorische Entlockung zu aktiven Fingern und der Chance, ein feinmotorisches Spielgefühl zu finden als es die (zitierte) Wortwahl deiner Lehrerin vermag. Chapeau!

Wer das nicht reflektiert, nicht hinterfragt, aber auch den Mut dazu nicht hat, läuft bei so einer Lehrerin Gefahr, auf Dauer fest zu laufen ("Lehrerin" hier nur verallgemeinernd und beispielhaft, nicht persönlich gemeint wie eingangs geschrieben). Leider kenne ich solche Geschichten vor allem von Studenten, aber auch Musikern im Beruf, zuhauf. Bei vielen waren es späte Auswirkungen durch diese eingeprägten falschen Vorstellungen, niemals durch das eigene Gefühl kontrolliert. Dann kommt irgendwann der Moment, wo sich das Gewebe wehrt, wo es endgültig überlastet ist. Wenn es "zwickt" macht man etwas falsch, das ist ein Alarmsignal des Körpers, dann muss man etwas unternehmen. Viele sind dann regelrecht nach van de Klashorst ´gepilgert´ und er hat unzähligen Musikern wieder zur Ausübung ihres Berufes - und ihrer großen musikalischen Liebe und Leidenschaft verholfen. Was aber eine intensive Mitarbeit und Eigenverantwortung der `Patienten´ (die sie in diesen Fällen tatsächlich waren) erforderte.

Der gute Gebrauch seines Körpers unter Vermeidung von Überspannungen, Verspannungen, unnützer Kraft, indisponierenden Haltungen und vor allem instrumentalen Fehlbewegungen, unterstützt den Körper und hält die Gelenke und das Gewebe gesund. Im besten Fall kann es sogar heilend wirken und die vielen Beispiele sehr guter Musiker, die bis ins höchste Alter auf höchstem Niveau musizierten geben gute Beispiele dazu ab (ich erwähne dazu gerne als Beispiel den von mir hoch geachteten Vladimir Horowitz).
Degenerative und krankhafte Veränderungen wie z.B. Gicht oder Rheuma setzen natürlich leider Grenzen, die man auch mit der besten Disposition und Spieltechnik nicht wirklich überwinden wird können. Aber wenn es gelingt, mit einem kleinstmöglichen Aufwand z.B. Klavier zu spielen, wird man auch als von solchen Krankheiten Betroffener deutlich länger Musizieren können als mit einer festen, verspannten, grobmotorischen Technik. Diese wird im Gegenteil viel schneller ins Aus führen.

Hier noch zwei Beispiele, einmal für eine Entlockung und zum anderen der von van de Klashorst entwickelten Anschlagsübung am Klavier für eine ezentrische, offene, freie Fingerbewegung, bei der die Aktivität und Spannung des Anschlags wieder aufgehoben und der Finger damit frei wird für seine nächste Aktion, den nächsten Ton ("aus-der-Taste-kommen").

Entlockung einer festen und im Gegensatz dazu einer weichen aber aktiven und offenen Hand:
Man stelle sich vor, jemand legt einem einen schweren Stein in die Hand (nur vorstellen, nicht wirklich tun) - wie fühlen sich die Hand und die Finger an?
Nun weg mit dem Stein. Jemand legt einem ein frisch geschlüpftes kleines Küken in die Hand, das man vorsichtig beschützend in seiner Hand bergen will - wie fühlt sich die Hand und die Finger jetzt an?
Welche der beiden Hände wäre für das Klavierspiel besser geeignet?

Zum Schluss ein kleines Video, in dem ich die Grundübung für den offenen Anschlag am Klavier zeige:


Wichtig daran ist das aus-der-Taste-kommen durch die öffnende Bewegung des Fingers selber, im Ganzen also ein Anschlag, der aus dem Finger selber kommt und bei dem die Fingerspitze sozusagen der "Chef" der Bewegung ist, da sie die Richtung vorgibt.
Am Schluss habe ich das durch das weg-Schnippen eines leichten Radiergummis nochmal gegenständlich versucht zu demonstrieren (fast ein bischen zu heftig). Bei der Übung sollte man versuchen, leise Töne zu erzeugen, da das pp die größte feinmotorische Herausforderung darstellt. Es ist dabei egal, wenn mal Töne weg bleiben, weil man zu wenig in die Taste gegangen ist. Es gilt, die Grenze auszuloten.
Und ganz wichtig: Sitzen mit Bodenkontakt, guter Spannkraft und insgesamt aktivem Körperausdruck.
 
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Vielen Dank, @LoboMix, für Deine sehr informative Ausführung.

Dazu kommen mir einige Erinnerungen an meine Versuche, der Anschlagstechnik auf die Spur zu kommen.

Mit Verspannung oder gar Verkrampfung habe ich (vom Gefühl her) keine Probleme, und auch meine KL beobachtete meine Schultern und Handgelenke als locker. Ich bin ein beruflich routinierter Feinmotoriker - Präzisionsarbeiten an zerbrechlichen Gelen ohne jegliche Stütze der Hände oder Arme, oder mit einem Skalpell eine ein paar Moleküle dünne Schicht abzustreifen, ohne die Oberfläche darunter zu verletzen, war mein tägliches Brot; aber diese außergewöhnliche Feinmotorik gilt nur für die Finger 1, 2, 3 meiner beiden Hände, insbesondere der 4. und 5. Finger meiner LH dienten nur als stumme Halter - nicht nur bei der Arbeit, beim Schreiben auf der Tastatur hielten sie die Steuerungstasten (Shift, Strg, Alt, Fn).
Meine Spannkraft am Klavier (Arme, Rücken, Gesäß, Beine, Füße ...) ist mir nicht so bewußt, die werde ich aufmerksam beobachten und nachfühlen.

Dein Video klärt viele meiner Fragen der letzten Jahre (was mache ich denn falsch?).
Auf der Suche, aus der Taste zu gehen, versuchte ich, die Taste direkt nach dem Anschlag ganz kurz/fein nachzustreicheln; die Taste ging ein Stückchen in den Finger zurück und der Ton klang weiter, so dachte ich: Jetzt habe ich's - kontrollierter Anschlag. Doch als ich in einer Unterrichtsstunde eine schnelle Passage spielte, hielt mich meine KL an: Nicht wischen! Laß den Finger auf dem Punkt, den du angeschlagen hast. Im langsamen oder mäßigen Spiel hatte sie mein Nachstreicheln nicht bemerkt, aber im schnellen Spiel habe ich es wohl etwas übertrieben. Und wie es so ist - ein Wort in die Tat umgesetzt, mein Finger blieb nach dem Anschlag wieder sitzen, er kam nicht aus der Taste.
Erst jetzt, nach vielen Jahren, sehe ich auf deinem Video den Unterschied, und was ich damals falsch gemacht habe - ich bin nicht in die Taste gegangen (nach unten und nach vorn gerichtet), sondern auf die Taste (nur nach unten gerichtet) und streichelte sie in die andere Richtung (zu mir) nach.

Nun werde ich meine Übungen nach Deinem Video gestalten, und versuche, gerichtet in die Taste und aus der Taste zu gehen. Mein erster Versuch/Anschlag hat den Radiergummi etwa 2 cm nach vorne geschubst (weg von mir), die Taste ging von alleine unter dem Finger ein bißchen hoch, der Ton klang weiter - ich könnte Dich umarmen!:claphands:

Hab vielen, vielen Dank.

Gleich morgen wird jeder Finger mit dem Radiergummi spielen dürfen.

Gruß, Bert
 
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Von der Radiergummi-Methode bin ich so begeistert, daß ich hier über diesen Versuch kurz und bebildert berichten möchte.

Die Übung mit dem Radiergummi habe ich etwa 8-10 Minuten gemacht, jeder Finger beider Hände durfte sich mehrfach ausprobieren und bis auf wenige tonlose Ausnahmen hat es wunderbar geklappt. Auf die Lautstärke der Töne habe ich nicht besonders geachtet, die Töne waren zwar unterschiedlich laut, aber alle im Bereich von mittel-leise.
Dann habe ich noch ein paar Übungen ohne Radiergummi gemacht, auch mit beiden Händen (jede Hand einzeln), dabei habe ich die angeschlagene Taste beobachtet, ob sie unter dem Finger hochgeht. Ja, auch das klappt ganz gut. Bei allen Übungen spielte der Kleinfinger meiner LH selbstverständlich mit, und er hat überhaupt nicht gequengelt; selbst bei der für ihn "unlösbaren" Aufgabe, eine Taste zu halten, während andere Finger spielen (wie ich in meinem ersten Beitrag beschrieben hatte) hat er ruhig mitgemacht - völlig schmerzfrei. Ich konnte es nicht glauben.

Von den Übungen mit der LH habe ich Bilder gemacht, um diesen Vorgang sichtbar zu machen.

Erste Übung: Die Finger der LH spielen nacheinander die einzelnen Töne c-d-e-f-g-f-e-d-c (Bereich: C3-G3).
Fingerhaltung vor dem Anschlag:

Anschlag_01.jpg


und dann die einzelnen Finger (pro Anschlag ein Bild):

Anschlag_02.jpg


Anschlag_03.jpg Anschlag_04.jpg Anschlag_05.jpg Anschlag_06.jpg Anschlag_07.jpg Anschlag_08.jpg Anschlag_09.jpg Anschlag_10.jpg

Die zweite Übung wurde auf den gleichen Tasten gespielt, nur in einer anderen Variante; jeder Finger hält die angeschlagene Taste im Klang, bis alle Finger durchgespielt haben. Auf den anhaltenden Klang habe ich sorgfältig geachtet. Die Tonfolge: c-g-f-e-d, Finger 5, 1, 2, 3, 4.

Anschlag_11.jpg

Anschlag_12.jpg Anschlag_13.jpg Anschlag_14.jpg Anschlag_15.jpg

Die letzte Übung wurde wie die zweite gespielt in der Tonfolge: c-d-e-f-g, Finger 5, 4, 3, 2, 1.

Anschlag_16.jpg

Anschlag_17.jpg Anschlag_18.jpg Anschlag_19.jpg Anschlag_20.jpg

Die zweite und dritte Übung konnte ich seit Tagen gar nicht mehr spielen, weil der Kleinfinger dabei schmerzte (und ich wollte ihn nicht weiter quälen). Und jetzt spielt er einfach, hält die Taste und denkt zu den anderen Fingern: nehmt euch ruhig die Zeit, die ihr braucht, bei mir läuft alles Bestens.

Ich konnte es nicht glauben - der c-Ton klang über die ganze Übung, ohne daß der Kleinfinger ermüden würde, und es fühlt sich alles leicht und locker an.
:juhuu:

Mit dieser Freude habe ich die Übungen beendet, morgen werde ich sie wiederholen (und jeden weiteren Tag) - immer nur 5-10 Minuten, und wenn alles glatt laufen wird, werde ich versuchen, die Tonleitern und die Stücke mit diesem Anschlag zu spielen.

Selbstverständlich bin ich für kritische Kommentare offen; falls jemand einen gravierenden Haltungs- oder Anschlagfehler sieht, bin ich für jede Korrektur dankbar.

Gruß, Bert
 
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@MusikBert, es freut mich, dass dir diese ersten Übungen schon helfen konnten!
Ich werde dazu noch einiges ergänzen, werde aber frühestens morgen oder am Wochenende Zeit dafür finden.

Gruß, Jürgen
 
... falls jemand einen gravierenden Haltungs- oder Anschlagfehler sieht ...
Denke mal nicht so stark in Fehler-Kategorien, sondern betrachte die Dinge lieber unter dem Aspekt der Effizienz. Selbst wenn du die Taste mit der Nase herunterdrückst, wäre das im Sinne des gewünschten Ergebnisses (nämlich einen Ton zu produzieren) nicht falsch, aber eben nicht effizient.

Ich sehe allerdings bei deinen Fotos etwas, was den Eindruck erweckt, dass du das Halten von Tasten allein durch Fingerdruck und ohne Armgewicht zu bewerkstelligen suchst. Die niedergedrückten Tasten haben eine unterschiedliche Höhe, was nicht passieren sollte, wenn die haltenden Finger als passive Verlängerung des Armes dienen und einfach nur dessen natürliches Gewicht auf die Taste übertragen. Für einen nicht am Spielgeschehen beteiligten Arm sprechen auch dein relativ statisches und im Verhältnis zu den Grundgelenksknöcheln tiefliegendes Handgelenk und die Armposition, die aussieht. als ob sich die Ellbogen deutlich unterhalb der Tastenebene befinden. Das läßt sich aber bereits durch eine etwas höhere Hockerstellung oder eine aufgerichtete Körperhaltung regulieren.

Anschlag_20.jpg


Sobald der Ton ausgelöst wurde, ist der Drops gelutscht und es ist der Taste egal, was sie unten hält - sei es reiner Fingerdruck, das Armgewicht oder ein Backstein. Da der Backstein im Regelfall ausscheidet, bedarf es keiner weitreichenden physiologischen Kenntnisse, um die verbleibenden Lösungen nach ihrer Effizienz zu beurteilen. Und da schneidet aktiv zu leistender Fingerdruck gegenüber dem jederzeit verfügbaren passiven Armgewicht einfach schlechter ab.

Versuche also mal, bei Haltetönen das Armgewicht "durch die Finger hindurch" auf die Tasten fliessen zu lassen - das müsste sich deutlich anders anfühlen, als das von dir offensichtlich gepflegte Spiel mit reinem Fingerdruck und einem weitgehend inaktiven Arm. Die mit einem inaktiven Arm verbundene muskuläre Haltearbeit bindet zudem Kräfte, die dann nicht mehr für die Tonproduktion zur Verfügung stehen.
 
@OckhamsRazor

Vielen Dank für deinen Kommentar.

Nun, nach ein paar Minuten kann von einem Beherrschen der Methode keine Rede sein, ich habe es lediglich ausprobiert und gleich festgestellt, daß sie für mich (in ihrem Prinzip) gut geeignet ist; ich kann das nicht verbalisieren, aber bei dieser Methode verstehe ich die Richtung (nach vorn und nach unten) des Anschlags und habe das Gefühl, daß sein Ablauf meiner Natur entspricht, meinen bisherigen Anschlag empfand ich eher als "künstlich erlernt".
Das Schubsen muß ich wohl noch lange üben, im Moment ist der Schubser sehr übertrieben dominant/lang/auffällig, das will ich noch in eine kurze, kontrollierte Bewegung "verschmelzen" lassen.

(...) Die niedergedrückten Tasten haben eine unterschiedliche Höhe, was nicht passieren sollte, wenn die haltenden Finger als passive Verlängerung des Armes dienen und einfach nur dessen natürliches Gewicht auf die Taste übertragen. (...)

Ja, die unterschiedliche Höhe der gehaltenen Tasten ist mir aufgefallen, und ich habe auch vor, es zu verbessern; im Moment ist der Schubsanschlag noch sehr ungleichmäßig, die richtige Dosis muß ich noch üben.
Über die Vorgänge im Arm kann ich nichts sagen (es ist mir nicht bewußt), wenn ich mit dem Kleinfinger eine angeschlagene Taste im Klang halte, empfinde ich die Ambition, bei dem Schubser das Gewicht des Armes auf die übrigen Finger differenziert zu verteilen eher als Überforderung, denn mein Arm wird in dem Moment von dem Kleinfinger getragen. Ein Fingerdruck ist mir so, wie Du es beschreibst, nicht bewußt; ich schubse und halte - das schluckt meine Konzentration. Wenn ich diesen Vorgang einwandfrei beherrsche, kann ich auch auf andere Komponenten (Arme, Beine ...) achten

(...) dein relativ statisches und im Verhältnis zu den Grundgelenksknöcheln tiefliegendes Handgelenk und die Armposition, die aussieht. als ob sich die Ellbogen deutlich unterhalb der Tastenebene befinden (...)

Meine KL korrigierte manchmal mein Spiel mit "das Handgelenk flach/tief halten", so bemühe ich mich (gegen meine Natur), das Handgelenk flachzuhalten.

Mein Ellenbogen befindet sich beim Klavierspielen etwa 0,5 - 1,0 cm über dem Niveau der Oberfläche der weißen Tasten. Aber ...
Um die Bilder anzufertigen, hielt ich, während die LH spielte, in der RH den Fernauslöser meines Fotoapparates, und es kann sein, daß ich meinen Körper etwas nach links zu Seite "gedrückt" habe, um den Empfänger zu erreichen, was zu Folge den sinkenden Ellenbogen gehabt haben könnte. Auf jeden Fall wirkt sich eine solche (mir fremde) Tätigkeit negativ auf meine ganze Körperhaltung, aber ich wollte diese Bilder als Dokument haben.

Diesen neuen Anschlag werde ich noch lange üben müssen - jeden Finger einzeln, bis ich auf diese Art auch eine kleine Tonfolge flüssig spielen kann, aber ich bin am Ball.

Gruß, Bert
 
Für einen nicht am Spielgeschehen beteiligten Arm sprechen auch dein relativ statisches und im Verhältnis zu den Grundgelenksknöcheln tiefliegendes Handgelenk und die Armposition, die aussieht. als ob sich die Ellbogen deutlich unterhalb der Tastenebene befinden.

dem kann ich nicht so recht folgen.
Rein physikalisch betrachtet, müsste eigentlich mehr Armgewicht auf die Tastatur übertragen werden können, je tiefer der Arm ist.
Man kann ja einen übertriebenen Extremfall ausprobieren:
sich so hinstellen, dass der entspannte Arm so hoch ist, dass die Fingerspitzen gerade noch die Tasten berühren.
Danach setzt man sich vor dem Klavier auf den Boden und legt die Finger bei entspanntem Arm auf die Tasten.
Wo wird wohl mehr Gewicht auf die Tasten übertragen?
Seymour Bernstein z.B., der sehr viel Wert darauf legt, den Anschlag aus dem Arm und über Handgelenksrotation zu steuern, empfiehlt übrigens, sich so ans Klavier zu setzen, dass sich der Ellenbogen unterhalb der Tastenoberfläche befindet. (Faust machen und diese mit der Handkante auf die Tasten legen, jetzt sollte sich der Ellenbogen etwas unterhalb des Niveaus der Tastenoberfläche befinden!)
Er ist beileibe nicht der einzige, der eine tiefere Armposition empfiehlt; siehe auch bspw. Peter Feuchtwanger...

Die als ideal empfundene Sitzhöhe mit entsprechender relativer Position des Handgelenks und Ellenbogens kann natürlich individuell völlig unterschiedlich sein, aber ich persönlich spiele deutlich entspannter mit tiefem Ellenbogen.
Von daher ist es mir schleierhaft, wie ein Daniel Barenboim mit einer dermaßen hohen Sitzposition umd Armhaltung so virtuos spielen kann.
 
Rein physikalisch betrachtet, müsste eigentlich mehr Armgewicht auf die Tastatur übertragen werden können, je tiefer der Arm ist.
Das ist absolut korrekt. Im konkreten Fall (und nur darum geht es hier) ging es mir aber darum, dass 1. überhaupt erstmal der Faktor Armgewicht einbezogen wird und dies 2. so diskret geschieht, dass der möglicherweise vorgeschädigte Kleinfinger nicht auch noch das spürbar höhere Gewicht eines hängenden Armes kompensieren muss. Ohne Kontrollmöglichkeiten "vor Ort" besteht die Gefahr. dass sich die Leute bei tiefem Arm regelrecht an der Tastatur festkrallen, während bei etwas erhöhtem Arm das Gewicht geringer ist und es schlimmstenfalls zu einem leichten Abstützen auf den Fingern kommt - was auch nicht optimal ist, aber immer noch besser als Fingerhakeln an der Steilwand. Ich werde den Teufel tun und einem ohnehin verunsicherten Spieler Ratschläge geben, deren Auswirkungen ich ohne unmittelbare Diagnose- und Korrekturmöglichkeit nicht absehen kann.
 
Ich hatte ja versprochen, noch einige Ergänzungen zur Anschlagsmotorik zu bringen. Heute bin ich dazu gekommen, noch ein paar weitere Videos zu erstellen.

Die "Radiergummiübung" ist mehr als Entlockung gedacht, wobei man sie aber auch gut als eine Trockenübung anwenden kann, z.B. auf einer Tischplatte. Am Klavier ist es sinnvoller, mit einem konkreten Anschlag und mit Ton zu üben (wobei es wie gesagt egal ist, wenn mal ein Ton nicht anspricht, wenn man die Grenze zum pp auslotet). Hier ein kleines Demovideo zur Trockenübung:

Es muss also auch kein Radiergummi sein, ein Korken oder eine Praline tut es auch (die kann man sich dann als Belohnung gönnen :)).

Diese Grundübung eines den Finger (und die Hand) öffnenden Anschlags, bei dem die zum Anschlagen des Tones nötige Muskelspannung der Beuger unmittelbar wieder aufgelöst wird, kann man noch weiter variieren. Hier zwei Beispiele, mit dem Daumen und dem kleinen Finger, wo sie bei einem mit einem anderen Finger gehaltenen Ton (auf den minimalen Aufwand achten!) verschiedene Töne ansteuern und diese anspielen. Das ist eine schöne Übung, auf eine motorisch freie Weise sowohl die Orientierung als auch die Weite der Handspanne zu verbessern. Wobei diese Übung niemals mit Übertreibung und forciert gemacht werden soll. Hier ein kurzes Video dazu:

Das kann man auf eine spielerische Weise mit allen möglichen Fingerkombinationen machen, auch mit den schwarzen Tasten.

Das Thema Tonleitern führt zu dem Punkt "Daumenuntersatz" und dazu möchte ich einleitend etwas zu "adzentrischen" und "ezentrischen" Haltungen und Bewegungen erläutern [ursprünglich benutzte van de Klashorst die Begriffe "konzentrisch" und "exzentrisch", hat diese Begriffe aber Anfang der 90-er Jahre durch diese beiden neuen Wortschöpfungen ersetzt, da sich die alten Begriffe als zu stark mit anderen Bedeutungen besetzt und daher missverständlich erwiesen].
Adzentrische Bewegungen sind Bewegungen, die ihr Ziel zum Körper hin gewendet haben, ezentrische Bewegungen sind nach außen gerichtet (sehr vereinfacht ausgedrückt). Adzentrische Bewegungen und vor allem Haltungen sind klein machend, eng, verschließend, ezentrische Haltungen und Bewegungen sind öffnend, in den Raum gehend, haben ihr Ziel nach außen gerichtet. Die zentrale Frage dabei ist, welche Haltungs- und Bewegungsform für die jeweilige Situation, Tätigkeit und den dazu gehörenden Ausdruck die angemessene ist. Ein Mensch, der trauert, wird üblicherweise einen adzentrischen Haltungsausdruck zeigen, in sich gekehrt, sich abschirmend, oft sich von der Welt abwendend, er will mit sich alleine sein.
Ein Pastor, der das Segenszeichen macht, wird den Segen nur mit einem ezentrischen Haltungsausdruck überzeugend ´rüber bringen. Mit offenen Armen und Händen, abgebend, verströmend, der Gemeinde offen zugewandt.

Musizieren ist nun per se eine aktive und ezentrische Tätigkeit, definitiv vor Publikum. Ich will als Musiker den Menschen ja auch etwas geben, der Klang meines Instrumentes, meiner Stimme, meine Musik soll in den Raum strömen. Das impliziert grundsätzlich einen ezentrischen Haltungs- und Bewegungsausdruck, und eine spannkräftige Haltung, die erst die Voraussetzung für freie Bewegungen schafft. Wer wie ein schlaffer Sack auf dem Klavierstuhl sitzt, wird sowohl mit seiner Spieltechnik als auch mit dem Ausdruck in seiner Musik Probleme bekommen - und für das Publikum auch wenig überzeugend wirken.
Dabei ergibt sich das - scheinbare - Paradox, dass auch eine musikalisch traurige Passage mit ezentrischem Haltungs- und Bewegungsausdruck gespielt werden soll. Denn adzentrische, enge und klein machende Bewegungen sind für die Spieltechnik kontraproduktiv, der Spieler läuft mit ihnen über kurz oder lang fest.
Doch dieses Paradox ist wie gesagt nur scheinbar, denn der Musiker muss (und soll) nicht selber traurig sein um den musikalischen Ausdruck von Trauer wiederzugeben. Er muss der Trauer in der Musik stattdessen den Ausdruck von Trauer geben, seine Vorstellung von Trauer in Klang umsetzen (bzw. die Vorstellung des Komponisten), wozu ich mir aber den kompositorisch beabsichtigten Ausdruck - hier die Trauer - vorstellen, ihn erfühlen können muss.

Der Daumenuntersatz bietet nun ein gutes Beispiel dafür, wie sich gar nicht so wenige normalerweise unbeabsichtigt eine adznetrische, kleine Hand einüben, indem sie den Daumen so unter die Innenhand bringen, dass die Hand klein und eng wird. Über die Zeit kann sich ein übles Fehlstereotyp entwickeln und der Spieler muss immer mehr Aufwand machen auch mehr üben, da die Sicherheit nachlässt statt sich zu verbessern, und läuft irgendwann fest - mit der Folge großen Frusts und Traurigkeit über sein Unvermögen.
Der Rat, einfach nur mehr zu üben ist bei Vorliegen adzentrischer Fehlhaltungs-, aber vor allem Fehlbewegungsstereotype massiv kontraproduktiv!

In dem folgenden Videoclip habe ich im ersten Teil versucht, diese enge Hand durch den adzentrischen Daumenuntersatz zu demonstrieren.
Im zweiten Teil deute ich die von van de Klashorst entwickelte Übung für das Tonleiterspiel an. Auf den Daumenuntersatz wird in dieser Übung bewusst verzichtet, stattdessen wird die Hand versetzt. Angeleitet wird dieses Versetzen durch die Daumenspitze selber, die zielgerichtet ihre Ziel-Taste ansteuert. Dieses Ansteuern beruht auf der natürlichen Zeigefunktion, die unsere Finger haben (typischerweise der Zeigefinger - nomen est omen -, aber jeder andere Finger und auch die Daumen können diese Zeigefunktion übernehmen).
Ein Beispiel dazu: Man befindet sich in einem Gespräch mit einem Bekannten und plötzlich setzt sich auf einem Baum in der Nähe ein schöner Vogel auf einen Ast. Auf diesen Vogel möchte man den Bekannten hinweisen und so zeigt man spontan mit dem Finger in die Richtung des Vogels.
Wer leitet nun diese Bewegung an? Der Unterarm, der Oberarm, der Ellenbogen, das Handgelenk, der Handrücken? Natürlich nichts von alledem, sondern die Fingerspitze geht voran, was auch sonst. Die Hand, das Handgelenk, der Unterarm, der Ellenbogen, der Oberarm, ja sogar die Schulter folgen der Fingerspitze wie von alleine. Dieses Prinzip hat Van de Klashorst die "motorische Kette" genannt. Diese sollte immer an dem Punkt beginnen wo die Initiative der Bewegung sinnvoller- und natürlicherweise liegen sollte um das Ziel der Bewegung zu erreichen.
Das Ziel des Zeigefingers liegt bei dem zu zeigenden Vogel und so begibt die Fingerspitze sich in genau diese Richtung. Es ist im übrigen normalerweise kein nennenswerter Aufwand, den Arm eine Weile so zu halten, wenn der Bekannte z.B. den Vogel erst nicht finden kann im Baum.
Frage zur Selbstbeobachtung: Wo liegen nun beim Klavierspiel die Ziele? Mit welchem Punkt am Körper werden diese Ziele immer angesteuert um den Ton zu machen?

Hier das Video:


Die Finger sind zusammen mit der Hand die eigentlichen Akteure beim Klavierspiel. Eine ezentrisch entwickelte Spielweise/Spieltechnik ist genau die Spielweise, die Finger und Hand immer frei hält, offen macht und offen hält. Damit sie bereit sind für den nächsten Ton, die nächsten Töne. Die Spielweise, die dafür sorgt, dass das Spielgeschehen immer nur mit dem minimal dazu nötigen Aufwand erfolgt und dass sich nach dem erfolgten Anschlag die Spannung auf das nur noch minimal nötige Maß reduziert um die Taste unten zu halten (wozu im übrigen ein Denken in Millimetern oder quasi mit der Schieblehre nicht wirklich hilfreich ist).
Diese Spielweise ist im besten Sinn feinmotorisch und entledigt sich aller negativen grobmotorischen Einflüsse (die wieder nur geeignet sind, auf Dauer alles fest laufen zu lassen).

Jetzt könnte man natürlich fragen, wie man denn ein ff oder gar fff spielen können soll wenn man nur aus den Fingerspitzen denkt und agiert? Diese Frage kommt tatsächlich regelmäßig, wenn ich über die hier erwähnten Dispokinetischen Details und Zusammenhänge referiere. "Das muss dann doch aus dem Arm kommen, die Finger haben doch gar nicht genug Kraft" oder so ähnlich wird dann gefragt.
Die Antwort lautet: Nicht aus dem Arm muss der Anschlag kommen, der Arm muss dazu kommen.
Motorisch spielt sich dann folgendes ab, wenn die Initiative auch beim ff/fff in den Fingerspitzen liegt und die motorische Kette nach wie vor dort beginnt: Die im Unterarm liegenden langen Fingermuskeln und weitere Muskeln der Arme kommen als Synergisten zum Einsatz, also als unterstützende, helfende Muskeln. Die Intensität bestimmt die Vorstellung, wie laut das ff/fff sein soll. Reflektorisch spannen sich dabei die kurzen Fingermuskeln und das Handgelenk so an, dass dort beim ff/fff-Anschlag nichts einknickt und die ganze Energie in der Taste, im Ton, im Klang landet. Aber wegen der Initiative in den Fingerspitzen bleibt das ganze trotzdem ein feinmotorisch gesteuerter Bewegungsablauf (die kurzen Fingermuskeln sind dabei die Agonisten, also sozusagen die "Chefs" der Bewegung. Mit dem Ergebnis, dass auch hier nach dem Anschlag die Spannung sich bis auf das Mindestmaß auflöst, die nötig ist, die Tasten für die Dauer des Tones unten zu halten.
Das ganze System Finger/Hand/Arm bleibt frei und reaktionsbereit. "Ready to go" war van de Klashorsts geflügeltes Wort (u.a.) dafür.

Käme die Initiative aus dem Arm, wo auch immer, würde die motorische Kette nicht mehr in den Fingerspitzen beginnen, sondern an der jeweiligen Stelle weiter zum Arm hin (dort lägen jetzt die Agonisten), und der Bewegungsabaluf würde damit zwangsläufig immer stärker grobmotorisch dominiert, also fester und weniger frei. Wiederum mit der Gefahr des Festlaufens, z.B. bei längeren ff-Passagen.


Weil es erwähnt wurde und in den Zusammenhang passt, will ich noch auf das "Armgewicht" eingehen. In der Dispokinesis wird der Begriff nicht im Zusammenhang mit Spieltechniken benutzt. Er ist wegen der ihm inne wohnenden zum passiven Ausdruck und überhaupt zur Passivität neigenden Wortladung ein sehr problematischer Begriff, und leider kommen durch diesen zu allem Übel auch noch diffusen Begriff viele erst so richtig in die Probleme. Eben weil sich bei Ihnen dadurch die motorische Kette zu falschen Gliedern hin verschiebt.
Dazu ein Beispiel:
Man stelle sich vor, man hätte sich länger in der Kälte aufgehalten und möchte nun seine Finger an einer warmen Heizquelle aufwärmen. Die Bewegung dazu ist leicht vorstellbar, die Finger/Hände bewegen sich in den warmen Luftstrom und suchen die wohligste Stelle, nicht zu warm, nicht zu kalt. In dem Maße, wie die Hände sich aufwärmen wird man die Position immer mal wieder variieren. (Zufälligerweise stimmen diese Positionen in dem vorgestellten Bild, das man bitte auch praktisch nachstellen möge, in etwa mit der Position überein, wo sich üblicherweise die Klaviatur vor einem befindet, man kann dieses Bild gerne auch am Klavier sitzend nachstellen.)
Wie ist dabei das Gewichtsgefühl der Arme? Ändert sich dieses Gefühl mit der suche nach der guten Position?

Nach dieser Bild-Übung dann bitte die Arme seitlich frei hängen lassen, ganz entspannt und passiv (wenn der Stuhl dabei im Wege sein sollte, bitte dazu aufstehen).
Wie fühlen sich die Arme jetzt an, wie teilt sich das Armgewicht mit?

Eigentlich sollten die Arme sich beim passiven Abhängen doch am schwersten anfühlen, werden sie doch nicht mehr gehalten. Das würde auch jeder Partner so bestätigen, den man bittet, die schlaff hängenden Arme mal anzuheben. Für ihn werden die Arme dann mit Abstand am schwersten sein. Die Arme über der Wärmequelle werden sich für ihn hingegen ziemlich leicht anfühlen.
Tatsächlich jedoch hat sich das Armgewicht nicht im geringsten verändert, wie denn auch, die Arme wiegen immer gleich wenn sie nicht gewachsen, geschrumpft (z.B. nach längerer Zeit in einem Gips) oder fett geworden sind.
Das Armgewicht ist für die Eigen-Wahrnehmung (Propriorezeption) eine unzuverlässige Größe. Wir fühlen, ob unsere Arme locker, angespannt (z.B. wenn wir einen schweren Kasten Wasser tragen), aktiv oder passiv sind und vor allem ihre Lage und Postition im Raum*. Das Gewicht selber ist keine Kategorie in der Propriorezeption.
Wenn wir wollen, dass der Partner mehr oder weniger Armgewicht spürt, wenn er unseren Arm anhebt, müssten wir entweder selber den Arm leicht anheben (dann wird er für ihn leichter) oder nach unten drücken (dann wird er für ihn schwerer).
Das Augenmerk auf das Armgewicht zu lenken kann also (im wahrsten Sinne des Wortes) schwerwiegende Folgen am Klavier haben. Um das Armgewicht zu spüren werden sich viele veranlasst sehen, ihn mehr passiv zu machen oder gar nach unten zu drücken - wieder mit der fatalen Konsequenz des Fest-Werdens. Auch die Passivität führt in die Spiel-motorische Sackgasse, da wir einen aktiven, aber freien Arm brauchen, der die Finger und Hände frei über den Tasten schweben und vor allem agieren lassen können. (Hier folgt wieder der obligatorische Hinweis, auf die gute eigene Spannkraft zu achten, auf den Bodenkontakt und die Unterbauchspannung, aus der die freie Aufrichtung wie von selbst folgt - bzw. sollte sie wie von selbst folgen).

Für die hier von mir vorgestellten Übungen spielt das "Armgewicht" nicht die geringste Rolle, bitte also nicht daran denken.
Besser wäre etwa eine Vorstellung wie die, man möchte mit seinen Händen die Klaviatur "segnen" um in die gute Ausgangsposition für diese Übungen zu kommen.

Und noch etwas: Die Finger, die nichts zu tun haben, sollten bei den hier vorgestellten Übungen am besten nur auf ihren Tasten ruhen ohne sie abzusenken. Sie können aber auch wie bei der "Trockenübung" zusammen mit der Hand über den Tasten schweben. Beides geht bei diesen Übungen. Die aktive, wache Hand bleibt also immer "ready to go", sei es mit oder ohne Berührung der nicht spielenden Finger zu ihrer Taste.

Gruß, Jürgen


*)
Hier noch zur Eigenwahrnehmung ein Beispiel: Man schließt die Augen und sucht sich einen Finger aus, mit dem man die Nasenspitze berühren will. Es mag sein, dass man nicht auf Anhieb trifft, aber nach nur ganz wenigen Versuchen wird man das leicht schaffen. Das ist das Wesen der "Porpriorezeption" - diese ist für die Orientierung an der Klaviatur im übrigen ein ganz entscheidender, wenn nicht der entscheidende Helfer.
Diese Treff-Übung kann auch für einen einfachen Vergleich dienen, wie hilfreich eine gute Spannkraft ist. Diese Übung dazu einfach mal mit Spannkraft (Bodenkontakt etc.) und im schlaffen Zustand machen (geht im Sitzen am besten, aber dann beide Formen im Sitzen). Und dann die Trefferquote und das Bewegungsgefühl im Arm vergleichen.
 
Zuletzt bearbeitet:
@OckhamsRazor

Dein Kommentar zu meiner Armhaltung gab mir keine Ruhe, schon deshalb, weil meine KL meine Armhaltung bzw. -arbeit von Anfang an gut fand (so gut wie keine Korrekturen) und auch das Handgelenk wurde nur selten korrigiert.
Die Bilder der ersten Übungen (im Beitrag #33) sind jeweils nach dem Anschlag gemacht; wahrscheinlich nimmt der Arm immer die gleiche Position ein, so daß es den Eindruck erweckt, er habe sich gar nicht bewegt.

Um das zu klären, habe ich noch zwei Bildsequenzen gemacht - in meiner gewohnten Position und Spielweise, wobei ich versuchte, den Schubser in den Anschlag einzubauen. Dabei habe ich die RH genommen, weil ich meine RH aus dieser Perspektive nie gesehen hatte und weil das Licht von der Seite die Armbewegung etwas deutlicher macht.
In der ersten Sequenz spiele ich einen C-Dur-Akkord und habe dabei das Gefühl, daß mein Arm arbeitet, auch wenn seine Bewegung (in der Vertikale und in der Horizontale) etwas "dezent" ist, dennoch für mich wahrnehmbar, und in den Bildern auch sichtbar. Ob diese Armarbeit nun technisch korrekt ist, vermag ich nicht zu beurteilen.

Akkord_1.jpg

Akkord_2.jpg Akkord_3.jpg Akkord_4.jpg Akkord_5.jpg Akkord_6.jpg

Der Dreiklang ertönt gleichzeitig, und auch der Anschlag beobachte ich (klaviertechnischer Laie) als synchron/gleichzeitig, ebenso den anschließenden "Schubser". Doch in der Loslassen-Phase gehen die Finger unterschiedlich stark/schnell hoch; diese Phase ist mir beim Spielen leider nicht bewußt - ich kann nicht erfühlen, was ich genau mache - ich hebe die Hand von der Tasten hoch.

Auch in der zweiten Sequenz ist die Armarbeit sichtbar (und beim Spielen für mich spürbar); ich spiele die Tonfolge c, d, e, f, g. f. e. d. c (C5-G5), wobei ich diesen neuen Anschlag mit dem Schubser versuche, doch spiele ich diesen neuen Anschlag noch nicht gut.

Schubser_01.jpg

Schubser_02.jpg Schubser_03.jpg Schubser_04.jpg Schubser_05.jpg Schubser_06.jpg Schubser_07.jpg Schubser_08.jpg Schubser_09.jpg Schubser_10.jpg Schubser_11.jpg Schubser_12.jpg Schubser_13.jpg Schubser_14.jpg Schubser_15.jpg Schubser_16.jpg Schubser_17.jpg Schubser_18.jpg

Ganz deutlich sieht man die Einschränkung des Kleinfingers; an diesem Kleinfinger kann ich die Beugung des distalen Fingergliedes nicht kontrollieren (das habe ich seit etwa 10 Jahren und es wird nicht mehr besser). Das Gelenk zwischen den Fingergliedern mediales und proximales kann ich gut kontrollieren, aber ich kann mit dem Kleinfinger nicht rund anschlagen. Der Finger tut nicht weh, ich kann ihn halt nicht vollständig beugen, beim Spielen fühlt er sich arbeitend an, aber nicht verspannt. Manchmal überlege ich, ob ich nicht zurück zu flachen Fingern wechseln sollte.

@LoboMix

Vielen Dank für Deine Zeit, Deine Beiträge zu diesem Thema finde ich nicht nur interessant und informativ, ich denke, daß auch viele andere Klavierschüler und -spieler, die auf diesem Gebiet Fragen oder Probleme haben, in Deinen Beiträgen die passenden Antworten und Lösungsansätze finden.

Wie ich bereits angedeutet hatte, über die Klavier-Armarbeit habe ich mir keine großen Gedanken gemacht, weil ich mich beim Klavierspielen nicht sehe, weil meine KL mit meiner Armhaltung zufrieden war, und ich selbst kann die Arbeit meiner Arme weder verbalisieren noch so detailliert/differenziert erkennen; eigentlich bin ich davon ausgegangen, daß sie intuitiv tun, was sie tun sollen. Nun werde ich mich mit Deinem Beitrag und den Videos etwas intensiver beschäftigen, ob ich darin auch meine Pappenheimer erkenne und ihnen ein bißchen auf die Sprünge helfen kann. Auf jeden Fall werde ich dann darüber berichten.

Ein ganz kleines leises Stimmchen in mir fragt mich, warum ich sechs Jahre lang Klavierstunden in teuren Musikschulen bezahlt und zu Hause dann Tausende Stunden geübt habe, wenn ich nicht mal die allerersten Grundlagen erlernt habe, ja, mehr noch - ich habe es nicht mal bemerkt. Wahrscheinlich war es der einzige Weg, zu dieser Erkenntnis zu gelangen.

Gruß, Bert
 

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