Üben?
Nicht die schlechteste Idee...
Was genau, immer wieder einfach was dahin dudeln und dann kommen die Ideen von selbst?
Mir fehlt es genau eben an diesen Ideen für Licks
Wenn Du die Skala gelernt hast, dann fehlt es Dir nicht an Licks, sondern an Ohr.
Du bist vermutlich so sehr damit beschäftigt, sie zu spielen, dass Du sie nicht richtig hörst. Jeder Anfänger kann im Prinzip nach einem halben Jahr frei improvisieren, freilich, so lange es nicht zu komplex wird. Trotzdem scheitern viele und staksen unbeholfen auf dem Griffbrett herum.
Warum ist das so?
Erstmal natürlich der Rhythmus. Klar. Und nicht jeder, der behauptet, er könne 8tel spielen und diese seien für Babies, kann das auch tatsächlich. Was man dann oft hört, sind zwar Notenwerte, die irgendwie schon im Mittel 8tel sind, aber nur selten sind sie so präzise gespielt, dass sie ein Leben als 8tel entwickeln. Die unpräzisen Noten wirken für Zuhörer einfach bloß darübergeschmiert. Und jetzt kommt es: Du bist selbst auch Zuhörer, und Dein eigener Kopf kann sie nicht einsortieren. Sie werden nicht Bestandteil der Musik, über die Du improvisierst. Also kann sich auch keine Melodie bilden, und kein Lick funktioniert.
Dann ist es blöderweise so, dass man sich zwar auf das eigene Spiel konzentrieren muss. Aber die Konzentration darf nicht die Aufmerksamkeit auf alles andere abschneiden. Wenn man sich zu sehr konzentriert, fällt das eigene Spiel auf dem Kontext, weil der Kontext verschwindet. Also bleibt nur: Üben. Und zwar so lange, bis man das, was man übt, nebenbei spielen kann. Irgendwo habe ich zuletzt ein Video von einem MB-Member gesehen, der ein Metal Solo spielte und gleichzeitig nebenher einen Rubik's Cube löste. Das ist schon ziemlich ultimativ, muss nicht unbedingt sein. Aber eine Zeitung lesen oder mit jemandem Quatschen schon
Dann der Kontext.. Ein Stück hat (neben Groove, Tonart usw.) einen Spannungsverlauf. Diesen Spannungsverlauf musst Du wahrnehmen und kannst Du für Deine Improvisation nutzen, indem Du ihn hörbar machst. Wie das geht? Mach Dir mal einen Kopf, was Intensität steigern kann, und was sie verringert. Hoch/tief, schnell/langsam, stakkato/ostinat, wie ist es mit Pausen usw.
Dann mal etwas zur Phrasierung, mal ein zwei Details, die oft unterschätzt werden: Lege Wert auf die letzte Note einer Phrase/eines Licks. Nicht jede letzte Note muss ausklingen. Und die letzte Note muss schon mal gar nicht auf einer vollen Zählzeit liegen. Schaff Dir ein Repertoire an Endings an. Hör Dir hierzu mal Blueser, nicht zwar nicht nur Gitarristen, an.
Was mir schön ganz früh auffiel, ist dieser jazz/blues/gospeltypische verlängerte Auftakt auf den Zählzeiten "und 4 und" zur "1". Das schafft Spannung, es führt zur Eins und erleichtert Dir, Strukturen zu erkennen, Dich in der Musik zurechtzufinden. Es unterstützt das Formgefühl. Es gibt noch weitere Auftakte, z.B. beginnend auf der "und zwei und drei und vier und", kann man auch als Verzögerung einsetzen. Wenn Du Jazz spielst, kommst Du ohne diese Phrasierungsklischees nicht aus.
Zur Artikulation: Da wird es schwer. Weil das nämlich unbedingt(!!) ein gutes Timing voraussetzt. Spontan fällt mir für extraordinare gute Artikulation Gregor Hilden ein, oder auch Robben Ford. Um dahin zu kommen, braucht man viele Jahre, ein außergewöhnliches Talent wirkt natürlich beschleunigend. Hierbei geht es darum, viele Optionen innerhalb einer einzelnen Phrase einzusetzen. Und zwar, ohne das Timing zu verletzen.
Mal ein Beispiel: Eine Option kann Legato sein. Wer heutzutage Legato hört, denkt erstmal meist an Skalengefummel für Metalanfänger. Ist aber nicht so. Legato bedeutet grundsätzlich, dass man Noten bindet, indem man percussive Klanganteile vermeidet. Für Gitarristen heißt das meist: Diese Note ohne Anschlag der rechten Hand. Wenn Du Legato rhythmisch einsetzt, dann bekommst Du einen unglaublichen Reichtum an Klangfarben. Nicht einfach ist allerdings, dabei rhythmisch exakt zu bleiben. Also: Üben
So. Wenn Du nun herkommst, und zwei Noten spielst, sagen wir g und a, und das a liegt auf einer vollen Zählzeit, dann hast Du hiermit schon mal an die 1000 Möglichkeiten, diese beiden Noten zu spielen. Können auch 10000 sein. Ich denke, dass ein Zählen eh unmöglich ist.
Du kannst allein schon zwei Noten so unglaublich vielseitig gestalten. Die Kunst ist, das auch zu hören. Und zwar nicht, was Du hören willst, sondern das, was tatsächlich zu hören ist. Das setzt eine Sensibilität, einen wachen Geist voraus, gute Ohren und ein Gespür für Nuancen. Intellekt hilft natürlich. Denn das zu hören, was man hören will ist bloß ein Trick Deines Hirns um Energie zu sparen: Keine energiefressende Verarbeitung nötig, weil der Klang schon gelernt/bekannt ist. Und es setzt voraus, dass Du jegliches "Ich kann das"-Checkergehabe beseite legst und mit Neugier und einer Art, ich würde sogar sagen: Demut, an das Musikmachen herangehst. Mit Demut meine ich natürlich nicht devote Meisterverehrung, sondern dass Du Dich auf die Musik selbst einlässt.
Grüße Thomas