Ist Klassik "unantastbar"?

  • Ersteller Sssenning
  • Erstellt am
Musik braucht Interpretation, sonst wird sie zu einer exakten Wissenschaft und widerspricht der Idee der Kunst.

Musik wird ständig interpretiert, auch wenn der Interpret sich exakt an das Original halten sollte. Allein durch seine persönliche darstellung der Kunst, ergibt sich weiterentwicklung.

Ich finde, man sollte durchaus nicht am Originalwerk des Künstlers herumpfuschen, das wäre, als würdest Du Dir ein Bild von Rembrandt kaufen, und irgendwelche Blumen oder Häschen hineinmalen, weil es Deiner Meinung nach so schön hinein passt...

Gruß
Hank
 
Musik wird ständig interpretiert, auch wenn der Interpret sich exakt an das Original halten sollte. Allein durch seine persönliche darstellung der Kunst, ergibt sich weiterentwicklung.

Ich finde, man sollte durchaus nicht am Originalwerk des Künstlers herumpfuschen, das wäre, als würdest Du Dir ein Bild von Rembrandt kaufen, und irgendwelche Blumen oder Häschen hineinmalen, weil es Deiner Meinung nach so schön hinein passt...

Gruß
Hank

So einen ähnlichen Vergleich wollt ich auch bringen.

Wenn man so ein Bild nachmalen kann und dann seine eigenen Schlenker reinbringt ist das völlig legitim.
Aber das Originalbild bitte in Ruhe lassen. ;)

Nochwas zum Thema:
http://www.youtube.com/watch?v=HZRB-x5LNgw&feature=fvw

Die Aufnahmen dieses Mannes sind umstritten. Manche verehren ihn (wie ich), manche finden seine Interpretationen grauenhaft, aber eins steht fest: Eine starre klassische Interpretation ist das nicht, eher eine Art Mikrokosmos des Interpreten.
 
Zuletzt bearbeitet:
So einen ähnlichen Vergleich wollt ich auch bringen.

Wenn man so ein Bild nachmalen kann und dann seine eigenen Schlenker reinbringt ist das völlig legitim.
Aber das Originalbild bitte in Ruhe lassen. ;)

Nun, ich denke da gibt es schon einen wesentlichen Unterschied. Ein Bild ist ein abgeschlossenes Kunstwerk eines (oftmals) einzelnen Künstlers. Eine Komposition dagegen ist lediglich ein künstlerisches Teilprodukt, welche eines Interpreten bedarf um tatsächlich zur klingenden Musik zu werden. Es gibt hier also nicht einen einzelnen Werkautor, sondern eine Kollaboration zwischen verschiedenen Künstlern zu verschiedenen Zeiten welche zum eigentlichen musikalischen "Werk" führt. Einen Vergleich mit einem Kochrezept fände ich daher passender: Die Frage hier wäre also in wiefern es legitim ist, eine Speise nach Rezept eines bekannten Meisterkochs zuzubereiten, es aber zu modifizieren und das Resultat trotzdem as "Rezept von Koch X" zu bezeichnen.

Diesbezüglich ist vor allem festzustellen, dass weder ein Kochrezept noch eine Komposition jemals völlig adäquate Repräsentationen klingender Musik sind. Jegliche Form von Notation solcher Dinge ist stets nur eine vage Annäherung mit vielen Mängeln und starken Vereinfachungen. (Weswegen ja die ersten Anfänge musikalischer Notation von den musikbewahrenden Geistlichen auch vehement abgelehnt wurden, da die orale Weitergabe deutlich genauer und weniger "verfälschend" war.)

In Musik, welche uns zeitlich und kulturell sehr Nahe steht können wir oft davon ausgehen, dass wir aus dem Notentext deutlich herauslesen können, was der Komponist auf eine sehr bestimmte Art wollte, aber je weiter wir in die Vergangenheit gehen, desto unklarer wird das. Das fängt bei der Wahl der Instrumente an, bei Agogik, bei Fragen der Intonation und Stimmung etc., aber beinhaltet zum Teil selbst die Wahl der Rhythmik (siehe zum Beispiel die Praxis der "notes inégales" im Barock, welche dem Swing recht nahe kommt) und ganzer melodischer Gesten (z.B. in Louis Couperin's Préludes non mesurés).

Und dies sind nur die offensichtlich unklaren Elemente. Daneben gibt es aber auch zahllose Praktiken der Interpretation welche ganz bewusst darauf basieren ein Musikstück auf eine Weise zu spielen, wie es der Komponist mit Sicherheit nicht wollen konnte. Glenn Gould wurde ja gerade erwähnt - besonders zu Beachten in dieser Hinsicht ist aber die Wahl des Instruments (moderner Konzertflügel) und dessen Stimmung (gleichschwebend Temperiert), welche beide mit historischer Sicherheit nicht Bachs Vorstellungen entsprachen (da sie schlicht damals nicht existierten). Genau so verhält es sich, wenn wir heute ein Mozart Hornkonzert auf einem Ventilhorn spielen, bei freier Verwendung von Klavierpedalen, bei Gebrauch von orchestralem crescendo und diminuendo in Barockmusik, die Verwendung anderer Tempi als vom Komponisten angegeben etc. Dies sind alles ganz bewusste Verfälschungen des Originals, welche wir jedoch in vielen Fällen als legitime Interpretationen hinnehmen. Die Frage stellt sich daher, wieso es plötzlich ein absolutes Tabu sein sollte eine einzelne Tonhöhe in einem Stück zu verändern, ohne das ganze Stück gleich als "Bearbeitung" verkaufen zu müssen. (Insbesondere wenn wir beachten, dass die Tonhöhen in einem bestimmten Rahmen durch verschiedene Stimmungen/Intonationen ohnehin verändert werden und ein bestimmter harmonischer Kontext je nach Stimmung sehr verschieden klingen kann.)

Ich denke nicht, dass es dafür eine Patentlösung gibt. Für mich wesentlich ist aber nicht ein sklavisches Einhalten des Notentextes, sondern eine Interpretation welche den Notentext achtet. Es mag daher durchaus legitim sein, eine Note in einem Stück von Debussy zu verändern, meiner Meinung sollte dies aber ein bewusster, überlegter Akt sein, und nicht einfach ein "irgendwie Daherspielen wie es gerade gefällt". Klar, keine Komposition ist je "perfekt" und kaum eine interpretatorische Entscheidung ist undenkbar. Aber die Grundhaltung sollte meiner Meinung nach sein, erst zu versuchen, dem geschriebenen Text etwas abzugewinnen, selbst in Passagen welche uns fremd oder gar fehlerhaft vorkommen mögen - da wir auch davon ausgehen müssen, dass die Mehrzahl der Komponisten sehr viel Erfahrung, Reflexion, Zeit und Aufwand in jede Komposition stecken. Ich fände es daher "anständig", als Interpret ebenfalls bereit zu sein, die eigene Interpretation gründlich zu hinterfragen und sich klar darüber zu werden, wieso man eine bestimmte Stelle so und so spielt, und vielleicht anders als im Notentext angegeben. "Das hat mir halt beim Spielen gefallen" finde ich da etwas dürftig.
 
Dein Text ist nachvollziehbar und bringt (zumindest mir) neues Licht in das Thema.

Ich möchte aber an der Stelle betonen, dass ich nicht ganz so blauäugig mit dem Thema umgegangen bin, wie du es hier darstellst.

"irgendwie Daherspielen wie es gerade gefällt"
"Das hat mir halt beim Spielen gefallen"

Ich habe schon erwähnt, dass mir meine Veränderung deshalb gut gefallen hat, weil durch den einen verschobenen Halbton Moll entsteht und der Wandel von diesem Moll-Akkord in das auflösende Dur, gepaart mit dem Debussy-typischen, schwebenden Klang, einfach interessant klingt - vor allem weil der einleitende Charakter dieser Passage so noch verstärkt wird.

Klar, dass die Veränderung der Partitur nicht meine Intention war, ist völlig richtig - aber ich habe dann nachgeschaut, was durch diesen Fehler harmonisch eigentlich passiert und warum ich die Version überhaupt interessant finde.
 
Ich möchte aber an der Stelle betonen, dass ich nicht ganz so blauäugig mit dem Thema umgegangen bin, wie du es hier darstellst.
Klar, meine überspitzten Formulierungen waren auch nicht persönlich gegen dich gerichtet. Keine Sorge ;)
 
Ich habe es auch nicht persönlich genommen, ich wollte damit halt nur klarstellen, wie an die Sache rangegangen bin.
Schriftlich kann sowas gerne mal falsch rüberkommen.

Ich möchte mich nochmal bei allen bedanken, die hier was zum besten gegeben haben, mich haben die verschiedenen Argumente und Ansichten ein gutes Stück weitergebracht. :great:
 
Zu dem Beitrag von Szrp (Post 23):

Den Vergleich mit einem Kochrezept halte ich allerdings für sehr fragwürdig.
Wenn der Meisterkoch ein Kochrezept für Hühnchen in einer Honig- Senf- Soße vorstellt, ich mir aber, da ich Erdnussgeschmack mag, den Senf weglasse und statt dessen den Honig mit Erdnussbutter mische, habe ich substanziell etwas verändert, weil ich es gern so esse. Ich denke mal der Meisterkoch wird mir deswegen nicht böse sein, wenn er es erfährt, es war eben nur ein mögliches Rezept, das man variieren kann.
(In der Musik so was wie eine musikalische Form, ein Muster).


Ging es in der Alten Musik noch überwiegend darum, einer Gattung kompositionstechnisch gerecht zu werden, also beispielsweise eine Fuge mit dem entsprechenden handwerklichen Können "richtig" zu komponieren , so wird doch spätestens in der Ästhetik der Klassik und Romantik der Maßstab angelegt, dass jede Komposition ihren individuellen, unverwechselbaren Charakter haben muss. Werktreue ist hier mMn wichtiges Prinzip.
Die historische Aufführungspraxis wird ja von nicht wenigen Dirigenten und Musikern bevorzugt. Unsere heute gebräuchlichen Orchesterinstrumente sind ab ca. Mitte des 19. Jahrhunderts in der Entwicklung schon so weit gediehen, dass keine grundlegenden Veränderungen im Klangbild feststellbar sind (ausgeschlossen natürlich alle elektronischen Instrumente). Noch einfacher ist die Sache, wenn Interpretationen von Musikwerken durch den Komponisten selbst auf Tonträger vorliegen (20.Jahrhundert).

Ich würde eher einen Vergleich zu einem Theaterstück/Schauspiel ziehen, um die Lebendigkeit einer Komposition zu demonstrieren. Der Schauspieler erweckt den geschriebenen Text auf allerlei Weise zum Leben: Tonfall, Artikulation, auch Gestik und Mimik spielen hier eine bedeutende Rolle, er "inszeniert" und interpretiert das Geschriebene auf seine persönliche Weise, weil er sich mit dem Text, Inhalt und Gehalt des Stückes intensiv befasst hat, aber er nimmt keine Änderungen am Text vor.
Dass der Notentext - ähnlich wie der geschriebene - erst zum Leben erweckt werden muss, sehe ich ganz genauso. Und hier sind wir völlig einer Meinung, dass die Beschäftigung mit dem Notentext gründlich sein muss, dass der Musiker im besten Falle musikwissenschaftliche Erkenntnisse bei seiner Interpretation berücksichtigt. Und so wie der Schauspieler keine Änderungen am Text vornimmt, so sollte der Musiker meines Erachtens ebensowenig in den Notentext eingreifen.
 
Edit.

Ich hätte den beiden Dirigenten unrecht getan.
 
Effjott: Klar, der Vergleich mit einem Theaterstück passt auch. Aber es ist ja nicht so, dass sich Theaterinszenierungen immer an den originalen Wortlaut halten. Schon allein die vielen Aufführungen von Theaterstücken in Übersetzungen machen das ganz deutlich. Man könnte hier sagen dass bei einer Übersetzung der "Inhalt" immer noch unverändert ist, aber eigentlich sollte ja klar sein, dass in jeder literarischen Gattung Form und Inhalt nie klar getrennt sind und somit Sprache immer auch inhaltlichen Charakter hat. Es ist wohl Ansichtssache, aber persönlich empfinde ich es als einen weitaus grösseren Eingriff, ein Shakespeare Drama auf Deutsch aufzuführen als einen einzelnen Ton in einer Komposition zu verändern (kommt natürlich auch auf die strukturelle Bedeutung dieses Tons an…).

Und ich halte immer noch am Vergleich mit einem Kochrezept fest. Der einzig wesentliche Unterschied ist, dass sich in unserer Kultur die Kochkunst nie so richtig als eigenständige Kunstform auf gleicher Ebene wie Literatur, Musik und Bildender Kunst durchsetzen konnte - einen essenziellen Unterschied sehe ich aber nicht. Ein Kochrezept eines bestimmten Meisterkochs mag durchaus einen sehr individuellen, von dieser Persönlichkeit geprägten Charakter haben, welcher beim Weglassen von Senf und beim Hinzufügen von Erdnüssen einfach nicht mehr vorhanden wäre. Ob der Meisterkoch dir deshalb böse wäre wenn du das Resultat dann immer noch als "Rezept von Koch X" verkaufst bleibt dahingestellt und hängt wohl von dessen Persönlichkeit ab - ähnlich wie bei einem Komponisten. Ein Brillat-Savarin würde dir wohl bei gewissen "kulinarischen Verstössen" mit dem Kochlöffel auf die Finger hauen und ein blosses "so schmeckt es mir halt" nicht einfach so hinnehmen. Wie gesagt, der einzige Unterschied ist, dass in unserer Kultur das Kochrezept nie einen so hoch angesehenen "Kunststatus" erlangt hat, wie die Komposition. Das ist aber lediglich ein bestimmter kultureller/modischer Zustand, welcher sich je nach Situation ändern könnte. Ich denke nicht, dass eine Komposition grundsätzlich einen anderen Stellenwert als ein Kochrezept haben muss.
 
Ich denke nicht, dass eine Komposition grundsätzlich einen anderen Stellenwert als ein Kochrezept haben muss.

Ich stimme Dir in weiten Teilen zu, was die Problematik von Übersetzungen z.B. eines Schauspiels von Shakespeare angeht. Hier ist man sicherlich näher am Original, wenn man es in der Sprache verfolgen kann, in der Shakespeare es selbst verfasst hat, wobei ich allerdings der Meinung bin, dass es hervorragende Übersetzer gibt, die in der Lage sind, kongenial Texte in eine andere Sprache zu übersetzen.

Ich verstehe auch Deinen Einwand bezüglich des Meisterkochs, der auf seinem Original-Rezept besteht.

Zu Deinem oben zitierten Schluss-Satz allerdings habe ich eine andere Auffassung: Für mich hat eine Komposition eines Meisters der Musik einen deutlich höheren Stellenwert als ein wunderbares Rezept eines Meisterkochs. Und ich esse sehr gern und genieße gutes Essen, das kannst Du mir glauben ;).
Aber das ist natürlich subjektiv und insofern auch gar nicht diskutabel.
 

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