Kirchentonleiter/Modes Frage: Dorisch, Phrygisch, Aeolisch

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hallo!
eine verständnissfrage bzgl kirchentonleitern/modes...
hier in reihenfolge:

1 Ionisch (natürliche dur)
2 Dorisch (moll)
3Phrygisch (moll)
4 Lydisch
5 Mixolydisch
6 Aeolisch (natürliche moll)
7 Locrisch

ich geh mal von den MOLL-Kirchentonleitern aus mit kleiner Terz drinnen

das wären:
Dorisch
Phrygisch
Aeolisch

wenn ich jetzt eine nummer in A-Dorisch habe:
kann ich ja...
A-Dorisch,
B-Phrygisch
und
E -Aeolisch

drüber spielen

weil die noten in der Dorischentonleiter:
1: A (dorisch)
2: B (phrygisch)
3: C (lydisch)
4: D (mixolydisch)
5: E (aeolisch)
6: F# (locrisch)
7: G (ionisch)


soweit so klar!!!!

...JETZT zur konkreten frage:

angenommen ich hab eine nummer, welche nur aus geschlechtslosen powerakkorden besteht. zb. Led Zep - Whole Lotta Love.
die nummer ist in E-moll!

...
ich kann da jetzt ne E-moll pentatonik drüber spielen...
woher weiß ich jetzt aber ob ich mit der Dorischen, Phrygischen oder Aeolischen Tonleiter in E ansetzen muss...

nimmt man in so einem fall einfach die natürliche moll (Aeolisch) und zählt von dort aus "weiter":
dann käme ich auf:
E-Aeloisch
A-Dorisch
H-Phrygisch


wenn ich aber mit E-Dorisch ansetzen würde, käme ich auf:
E-Dorisch
F#-Phrygisch
H-Lydisch


wenn ich mit E-Phrygisch ansetzen würde...gäbe es wieder ein anderes ergebniss!


mit welcher kirchentonleiter fange ich quasi an?
 
Eigenschaft
 
Hab mir den schlüssel gerade angesehen und 4 # entdeckt...stimmt is in Edur.
Bin von Emoll ausgegangen da das solo in emoll und nicht in e-dur gespielt wird.

An der fragestellung ansich ändert sich aber nicht wirklich was.
Ich glaub ich mach da irgendwas komplexer als es ist...
 
Genau, das Stück ist in E-Dur, und wenn ich die E-Moll Pentatonik drüberspiele, dann klingt es nach Blues.

Nehmen wir mal rein fiktiv an, das Stück wäre in E-Moll. Ziemlich am Schluß kommen noch zwei Akkorde, ein D-Dur und ein A-dur Akkord. Der D-Dur enthält ein fis, der A-Dur ein cis. Wenn ich die Em-Pentatonik nehme: e g a h d e und diese beiden Töne fis und cis dazu tue, erhalte ich e fis g a h cis d e, und das ist Dorisch.

Wären da statt D und A ein F-Dur und ein C-Dur Akkord, dann hätte ich als zusätzliche Töne c und f und könnte Phrygisch spielen: e f g a h c d e.

Beim F-Dur Akkord wäre das dann F-Lydisch: f g a h c d e f, beim, C-Dur Akkord C-Ionisch: c d e f g a h c. Beim Spielen denke ich aber gar nicht an diese beiden Skalen, weil das Tonmaterial ja das gleiche ist und sich nur der Grundton ändert.

Es kommt also auf die Umgebung an.


Viele Grüße,
McCoy
 
nimmt man in so einem fall einfach die natürliche moll (Aeolisch) und zählt von dort aus "weiter":

WENN Du schon (gedanklich) die Tonleitern herumschiebst, und Dir das Konzept des GRUNDTONS völlig gleichgültig ist (was ich für äußerst wenig musikalisch halte), dann kannst Du´s Dir ja gleich NOCH einfacher machen, und gedanklich davon ausgehen, daß alles in G-Dur (Weil Parallele von E-Moll) ist ... denn alle von Dir genannten (Moll-)Tonleitern sind ja Modi von G-Dur.

Aber die wirklich wichtige Frage ist die, nach dem gewünschten Tonikasound. Im genannten Beispiel ist das nicht die Alternative zwischen E-Äolisch, A-Dorisch und H-Phrygisch, sondern zwischen E-Äolisch, E-Dorisch und E-Mel.Moll.

Hinweise auf den Sound gibt ev. die Melodie des Songs. Wenn die nicht aussagekräftig in die eine oder andere Richtung ist, dann gibt´s noch die harmonische Struktur des Songs, der eventuell zu einer Modalität besser als zu einer anderen paßt. Wenn Du auch da nicht fündig wirst, dann entscheidet lediglich das Ohr und der persönliche Geschmack, ... denn z. B. MM statt Dorisch zu spielen, ist ja nur eine Änderung der (Klang-)"Farbe", die man bewußt anwenden kann, wenn man will.

Jedenfall würde mir nicht angewöhnen, in so blödsinnigen Kategorien zu denken, wie "E-Äolisch", "D-Dorisch" und "H-Phrygisch" ist "eh alles das gleiche" ...

LG, Thomas
 
Zunächst: Das Wort "Kirchtonleitern" leitet sich, ebenso wie das Wort "Kirche" aus dem Altgriechischen ab. "Kirchtonleitern" bedeutet "Tonleitersammlung", "Kirche" sowas wie "Versammlungsort". Das Wort "Kirchentonleitern" hat, auch wenn es fälschlicherweise in vielen Quellen und im Sprachschatz vieler Musiker vorkommt, keine Bedeutung - die Tonleitern haben nichts mit der Kirche zu tun.

Ich orte hier gleich mehrere Verständnisprobleme, was mir bei dieser Thematik sehr vertraut ist, da ich als Autodidakt lange Zeit kämpfen musste, um aus diesen ganzen widersprüchlichen Definitionen und deren unterschiedlichen Anwendungen schlau zu werden.

Zur Information: "Moll" (wahrscheinlich auch altgriechisch) bedeutet nichts anderes als "weich", und bezieht sich auf den Klang eines Akkords mit kleiner Terz. Von "Molltonleitern" zu sprechen und somit alle Tonleitern, welche eine kleine und keine große Terz beinhalten auf die gleiche Stufe zu stellen ist also auch schon widersinnig und verwirrend.
Dennoch tun das so gut wie alle Musiker. Warum? Weil sie wissen, was im jeweiligen Kontext darunter zu verstehen ist. Und genau so sieht fast die gesamte Musiktheorie aus: Sie ist eine vage, praxisorientierte Beschreibung von Zusammenhängen, die in den meisten Fällen keinen Anspruch auf absolute Richtigkeit und Definitionsgenauigkeit erhebt.

Ich weiß bis heute nicht, was ursprünglich unter den Kirchtonleitern zu verstehen war. Was ich aber weiß ist, dass sie heutzutage unterschiedlich definiert werden.

Nehmen wir als Beispiele Äolisch, Mixolydisch und Lydisch:
Bei der äolischen Tonleiter denkt jeder sofort an "reines Moll". Ein klarer Fall also, will man meinen. A Äolisch = "A Moll", und A ist der Grundton, auf dem Notenblatt notiert in der Tonart C Dur, die der Einfachheit halber auch für "A Moll" steht, denn beide verwenden das selbe Notenmaterial. Wie sieht das in Mixolydisch aus? Ich habe über Rock- und Blues-Stücke schon oft gelesen, dass sie in der Tonart "Mixolydisch" gespielt würden. Also Dur mit kleiner statt großer Septime. Jeder kennt diesen Klang. Aber genauso nennt man auch die Tonleiter, die man über einen Dominantseptakkord spielt, um auf die Tonika hinzuleiten. Es handelt sich somit um zwei Tonleitern, die das selbe Tonmaterial aufweisen, aber völlig unterschiedliche Funktionen haben und daher auch anders gespielt werden. Unter diesem Licht ist auch die Funktion und Bedeutung von "Äolisch" zu betrachten. Ein Stück in "G Mixolydisch" wird zumeist in G Dur notiert, wobei die Septimen jeweils explizit erniedrigt werden. In Anbetracht dessen müssten also Stücke in "A Moll" (Ich komme schon gar nicht mehr mit dem Schreiben der ganzen Anführungszeichen nach - man sieht, dass es wirklich schwierig ist, etwas Faktisches zu beschreiben, wenn man sich des konventionellen Wortschatzes der heutigen Musiktheorie bedient.) eigentlich in A Dur notiert und die Terzen, Sexten und Septimen explizit erniedrigt werden.
Der lydische Modus, oder zumindest die Tonleiter mit den selben Tönen, bei der der erste Ton den Grundtun bildet, kommt in vielen Stücken der klassischen Volksmusik vor. Ein Stück, das ihr wahrscheinlich alle noch im Ohr habt ist jenes, das Winnetouch (oder wie man das schreibt :D) im "Schuh des Manitu" auf der Zither spielt. Dieses "daaaa - dadadadaaaa - dadadadaaaa..." ist eine Sequenz aus erhöhten Quarten und reinen Quinten. Mir ist dieses Stück sofort in den Kopf geschossen, als ich mich mit dem lydischen Modus beschäftigt habe. So kann also eine erhöhte Quarte in einem Ionisch-Dur-(wie auch immer)-Kontext klingen. Unter "lydisch" versteht man jedoch in der Regel (zumindest meiner Erfahrung nach) ausschließlich den Modus auf der vierten Stufe dieser Dur-Tonleiter.

Um diesem ganzen Wirrwarr noch die Krone aufzusetzen werden im Jazz nicht nur die Bezeichnungen, sondern auch noch die funktionellen Bedeutungen dieser eigentlich unterschiedlich zu betrachtenden Tonleitern gleichgesetzt - zumindest in der Theorie. Da heißt es, dass die gespielte Tonleiter einfach nur zu dem Akkord passen muss, der zur selben Zeit erklingt - mehr oder weniger unabhängig vom harmonischen Gesamtzusammenhang.


Auch, wenn die gesamte Musiktheorie aus meiner Sicht unzureichend präzise ist muss man aber ebenso zur Kenntnis nehmen, dass eine bis ins kleinste Detail vordringende Musiklehre nicht von Nutzen wäre. Schließlich geht es in der Musik darum, Musik zu MACHEN - jegliche Musikwissenschaft ist also von vorn herein praxisorientiert. Mit anderen Worten: Es gibt nur angewandte, aber keine theoretische Musik. Mit einem Musiktheoretiker könnte niemand etwas anfangen, denn wer sich wirklich hinter sein Instrument klemmt, der schafft es normalerweise auch irgendwie, die ihm zur Verfügung stehenden Informationen richtig zu deuten und sein Wissen intuitiv zu erweitern. Das scheint mir der Hauptgrund für die vielen Lücken in der Theorie zu sein - bzw. dafür, dass sie niemand schließt.

Daher mein Rat: Lernt alle für euch relevanten Tonleitern, lernt sie zu unterscheiden, lernt ihren Sound in unterschiedlichen Anwendungsgebieten kennen und bildet euer Gehör so gut wie möglich aus. Aber vergesst nie, dass die graue Theorie nur ein Wegweiser zur Schaffung von Musikalität ist, die beim Spielen und Komponieren das bewusste Denken an harmonische Zusammenhänge ersetzen sollte.
 
Zunächst: Das Wort "Kirchtonleitern" leitet sich, ebenso wie das Wort "Kirche" aus dem Altgriechischen ab. "Kirchtonleitern" bedeutet "Tonleitersammlung", "Kirche" sowas wie "Versammlungsort". Das Wort "Kirchentonleitern" hat, auch wenn es fälschlicherweise in vielen Quellen und im Sprachschatz vieler Musiker vorkommt, keine Bedeutung - die Tonleitern haben nichts mit der Kirche zu tun.

Da wäre jetzt mal die Quelle interessant, aus der Du herleitest, daß es Kirch- und nicht Kirchentonleitern heißt. Meines Wissens wurden die alten Gregorianischen Gesänge schon in den verschiedenen Tonarten gesungen, die wir heute als die Kirchentonarten bezeichnen. Lydisch war wohl die Tonart vieler Marienlieder, Oh Haupt voll Blut und Wunden ist in Phrygisch, Christ ist erstanden ist in Dorisch etc. Die Haupttonarten der alten Kirchenlieder und Gregorianschen Gesänge waren meines Wissens Dorisch, Phrygisch, Lydisch und Mixolydisch, und zwar in einer Zeit vom frühen Mittelalter bis etwa zur Zeit Luthers. Von daher macht es schon Sinn, das Wort Kirchentonarten zu verwenden.

Ein Stück in "G Mixolydisch" wird zumeist in G Dur notiert, wobei die Septimen jeweils explizit erniedrigt werden. In Anbetracht dessen müssten also Stücke in "A Moll" [...] eigentlich in A Dur notiert und die Terzen, Sexten und Septimen explizit erniedrigt werden.

Der All Blues von Miles Davis in G-Mixolydisch wird z.B. gewöhnlich ohne Vorzeichen notiert.

Viele Grüße,
McCoy
 
... Oh Haupt voll Blut und Wunden ist in Phrygisch,...

Ich weiß, es ist eine dumme Frage, ... aber ... WARUM ? Ich meine, ich kenne das Lied, und ich kenne (glaube ich) phrygisch. Aber was die beiden gemein haben sollen, will mir nicht in die Birne. Wäre für erhellende Stichworte (die genügen mir) SEHR dankbar.

LG, Thomas
 
Da wäre jetzt mal die Quelle interessant, aus der Du herleitest, daß es Kirch- und nicht Kirchentonleitern heißt.
Das könnte schwierig werden. Ich hab schon so viele Bücher und Texte gelesen, dass ich das nicht mehr zuordnen kann. Bei einem spontanen Blick in die "Neue Jazz-Harmonielehre" von Frank Sikora, in dem interessanterweise von Kirchentonleitern die Rede ist, fällt mir folgender Satz auf: Im Jazz werden über Dur und Reines Moll hinaus eine Reihe von Skalen verwendet, die in Aufbau und Bezeichnung den Kirchentonarten des byzantinischen und griechischen Altertums entsprechen bzw. von diesen abgeleitet sind. Soviel ich weiß leiten sich außerdem die Bezeichnungen dieser Tonarten von den Namen einiger Landesteile des alten (vielleicht auch noch heutigen) Griechenlands ab - Phrygien, Lydien etc.

Die inhaltliche Aussage dieses Satzes finde ich aber weitaus interessanter: Er stellt eigentlich fest, dass die "im Jazz verwendeten Skalen" mit diesen Kirchtonleitern (ich bleib erstmal bei meiner Version) nicht bedingungslos gleichzusetzen sind. Das ist mir damals nicht aufgefallen.


Der All Blues von Miles Davis in G-Mixolydisch wird z.B. gewöhnlich ohne Vorzeichen notiert.

Ich hab mir jetzt zwei verschiedene Versionen von All Blues angehört - eine Live-Version, und eine ganz langsame Studioversion. Ich höre da die meiste Zeit B Lokrisch und D Dorisch, aber auch G Mixolydisch heraus. Was über C gespielt wird bin ich mir nicht sicher. Aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass alles, was über G gespielt wird, zu C leiten soll. Also würde ich auch c als Grundton des Stücks ansehen, und nicht g, so wie es in einem normalen Blues der Fall wäre. Mit anderen Worten: Die Akkorde der ersten 8 Takte klingen für mich von ihrer Funktionalität her irgendwie nach V7-V7-V7-V7 - I7-I7-V7-V7. Aber vielleicht täusche ich mich auch komplett.

Ich hatte in meinem Beitrag jedenfalls gemeint, dass ich schon oft beispielsweise g-a-b-c-d-e-f# über G7 auf der ersten Stufe (also I7) als "G-Mixolydisch" bezeichnet gesehen habe.

Aber kann man überhaupt ein ganzes Stück als "Mixolydisch" oder "Phrygisch" definieren? Sicher, man kann ein ganzes Stück hindurch in einer einzigen Kirchtonart verweilen und dann mit einem offenen Ende schließen, aber ist das nicht eher ein Einzelfall? Ich verstehe das mit "O Haupt voll Blut und Wunden" zum Beispiel auch nicht. Die ersten zwei Takte würd ich auch als Phrygisch bezeichnen, und es endet auch in Phrygisch. Aber "voll Schmerz und voller Hohn!" - ist das nicht sowas wie Lokrisch (6) und das gesamte Stück harmonisch Moll, auch wenn der letzte Teil A Phrygisch ist? Je mehr ich über all das nachdenke, desto mehr verwirrt es mich... :confused:


Übrigens, eine kleine Korrektur:
Dieses "daaaa - dadadadaaaa - dadadadaaaa..." ist eine Sequenz aus erhöhten Quarten und reinen Quinten.
Damit meinte ich erhöhte Quarten und reine Quinten in Bezug zum Grundton. In einer "Sequenz aus erhöhten Quarten und reinen Quniten" müssten ja die Töne dementsprechend weit auseinander liegen.
 
Aber kann man überhaupt ein ganzes Stück als "Mixolydisch" oder "Phrygisch" definieren?

Kann man nur, wenn - Achtung, bin kein Theoretiker ! - die verwendeten Akkordfolgen diatonisch zu der jeweiligen Kirchentonart bleiben. Es gibt zwar eine Akkordfolge, die typisch phrygisch ist und auch eine für dorisch ... aber im allgemeinen lassen sich mit dem Tonmaterial der Kirchentonarten, und zwar NUR mit dem, keine feineren Kadenzen bilden, weswegen sich auch diese Kirchentonarten als wirkliche Tonarten im eigentlichen Sinn nicht etabliert haben. Da bieten Dur und Moll doch erheblich mehr (harmonische) Möglichkeiten ... und selbst da weichen wir immer wieder in die Chromatik aus, weil´s sonst zu fad wird ...

Deswegen betrachte ich die Kirchentonarten vorwiegend als melodische Ereignisse, die einer Melodie über "gewohnter" Harmonik entsprechend Farbe und Würze und Spannung verleihen können.

Thomas
 
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Deswegen betrachte ich die Kirchentonarten vorwiegend als melodische Ereignisse, die einer Melodie über "gewohnter" Harmonik entsprechend Farbe und Würze und Spannung verleihen können.

Ja, das ist genau der Punkt, der mich beschäftigt. Wenn ich etwa eine Passage in A Moll mit einem Bb "würze", dann muss das ja noch nicht bedeuten, dass ich A Phrygisch spiele. Ich spiele A Moll. Und wenn ich in F Dur für längere Zeit A Phrygisch spiele, bin ich aus meiner Sicht immer noch in der Tonart F Dur.
 
Ich denke wir werfen gerade das Konzept und seine Anwendung durcheinander.

Wenn man in einem Buch unter Kirchentonleitern nachschlägt wird einem als erstes die Herleitung über die Stufen der Durtonleiter angeboten. Wenn ich ein diatonisches Stück habe, dann kann ich über den jeweiligen Stufenakkord die entsprechende Skala spielen. Mit anderen Worten: Ich nutze die Töne der Tonart soweit es nur geht. Auch die Klischee-Skalen für Zwischendominanten sind so nah wie möglich an der Tonart gehalten.

Wenn man jetzt Jazz ins Feld führt, muss man natürlich beachten, dass es sich dann oft schon um die Abstraktion der Theorie handelt. In vielen Fällen benutzt man Akkorde an ungewöhnlichen Stellen oder verbindet sie anders. Mit diesem Ausbruch aus der Diatonik verselbstständigen sich also die Akkorde und damit auch die Skalen die man darüber spielt. Das geht dann eben so weit, dass man im modalen Jazz fast nurnoch in "Farben" denkt. (lydische Farbe, phrygische Farbe ...) Natürlich mischen sich modale Formen mit Funktionsharmonik und so findet sich das Farbendenken auch in funktionsharmonischen Zusammenhängen wieder. (Stichwort: Modal-Interchange)

Zurück zur eigentlichen Fragestellung:

Man spielt die entsprechenden Modi immer vom Grundton aus! E-Dorisch und B-äolisch (edit) sind ja das selbe Tonmaterial und wenn der Bass den selben Grundton spielt erklingt eigentlich der gleiche Sound. Stattdessen kann man als Farbe auch mal E-Phrygisch spielen. Man kann über einen Powerchord eigentlich alles spielen was einen Grundton und eine Quinte hat. Das wäre die Modale herangehensweise. Wenn man ein Riff mit mehreren Tönen hat, dann schränken diese Töne die Skalenauswahl weiter ein. Was man genau wählt ist künstlerische Freiheit und der Geschmack entscheidet.

Man kann natürlich auch an den Akkorden vorbeispielen und "Outside" gehen, Strukturen spielen. Oft sind aber solche Soli eher Blues-Bezogen. Die Bluestonleiter lässt sich auch durch die 9 und die 13 erweitern.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich weiß, es ist eine dumme Frage, ... aber ... WARUM ? Ich meine, ich kenne das Lied, und ich kenne (glaube ich) phrygisch. Aber was die beiden gemein haben sollen, will mir nicht in die Birne. Wäre für erhellende Stichworte (die genügen mir) SEHR dankbar.

LG, Thomas

Ich denke, da spielen uns unsere Hörgewohnheiten einen gewaltigen Streich.
Gehen wir mal von diesen Noten aus:
http://www.lieder-archiv.de/o_haupt_voll_blut_und_wunden-notenblatt_300770.html

Wir haben am Anfang eine aufsteigenden Quart. Da sagt unser Ohr gleich: Aha, der obere Ton der Quart ist Grundton. Warum? Weil wir das seit Jahrzehnten so gewohnt sind: Das Wandern ist des Müllers Lust, Im Märzen der Bauer, Trari, Trara, die Post ist da. Immer ist der obere Ton der aufsteigenden Quarte Grundton. Im 4. Takt kommt dann schon wieder dieses verdammte a, dann muß das doch der Grundton sein. Aber muß das schon immer so gewesen sein? Wikipedia sagt, daß Ionisch und Aeolisch erst im 16. Jh hinzugekommen sind zu Dorisch, Phrygish, Lydisch und Mixolydisch. Lokrisch führte schon immer nur ein theoretisches Dasein.

Daraus kann man schließen, daß diese Hörgewohnheit, den oberen Ton des aufsteigenden Quartsprunges in früherer Zeit nicht vorhanden war, sie ist und erst durch das Dur-Moll-System eingepflanzt worden. Von daher kann man versuchen zu Üben, den Anfangs und Schlußton - in unserem Fall das e' - von O Haupt voll Blut und Wunden als Grunton zu hören. Das wird im verlinkten Notenbeispiel durch die picardische Terz im Schlußakkord dann auch noch bekräftigt.

Dabei kann man sich ggf. noch vergegenwärtigen, daß die phrygische Tonart durchaus noch einen anderen Klangcharakter haben kann, als der uns durch die griesche Restaurantmusik oder einschlägige Metalmusik geläufige. Nämlich einen, der besonders in langsam gesungener Melodie zu Tage tritt.

Zum Thema hier noch ein Link zu einem alten Beitrag von Günter Sch.: https://www.musiker-board.de/harmonielehre-analyse-muth/62696-warum-dur-moll.html#post957996


Also würde ich auch c als Grundton des Stücks ansehen, und nicht g, so wie es in einem normalen Blues der Fall wäre. Mit anderen Worten: Die Akkorde der ersten 8 Takte klingen für mich von ihrer Funktionalität her irgendwie nach V7-V7-V7-V7 - I7-I7-V7-V7. Aber vielleicht täusche ich mich auch komplett.

Der All Blues ist eigentlich ein ganz normaler 12-Takte Blues im 6/4 Takt mit den Stufen:

| I | I | I | I |
| IV | IV | I | I |
| V | bVI V | I | I |

Der Grundton ist der erste Ton der Bassline, der im Thema sogar pedalmäßig über 8 takte beibehalten wird.

OT:
Danke übrigens für den Link zum schnellen All Blues, ich habe gerade entdeckt, daß Miles 1964 schon das Thema von Jean Pierre gespielt hat, bei 0:49 :cool:.

Viele Grüße,
McCoy
 
Zuletzt bearbeitet:
OK, danke für die Erklärung ... die ich mir mittlerweile selber auch zusammengereimt habe ... denn anders ergäbe PHRYGISCH ja keinen Sinn ...

Allerdings widerstrebt es meiner persönlichen "Klangwelt" doch sehr, den Anfangston als Grundton zu hören ... und auch in keiner Harmonisierung, die ich je in einer Kirche gehört hätte, war das so ... außerdem ist da noch der "harmonische Rhythmus", der dem - wie ich meine - zuwiderläuft ...

Danke jedenfalls,
Alles Liebe,
Thomas
 
Eine ähnliche Diskussion, bezüglich der Grundtonempfindung hatten wird schon einmal und ich möchte die Erklärung von McCoy bekräftigen.

Man sollte beachten, daß das Lied, das wir heute als "O Haupt voll Blut und Wunden" in der Harmonisierung von Bach (1685-1750) kennen, eine Geschichte hat.

Die Melodie geht zurück auf das Liebeslied "Mein G'müt ist mir verwirret, das macht ein Jungfrau zart" und erscheint 1601 in "Haßlers Lustgarten neuer teutscher Gesäng". Die Melodie hat keinen Auftakt und betont Em, nicht das folgende Am.

Die Dur-Moll-tonale Musik war gerade im Entstehen:

um 1550: Erstmals treten alle drei Hauptfunktionen (T, D und S) auf.
Erst ab 1600: Beginn der Kadenzharmonik (mit dem Generalbass) in Italien und den Niederlanden in der konsequenten Abkehr von der mittelalterlichen Harmonik der Kirchentonarten. Die Verbindung Domiantseptakkord - Tonika wird verwendet.

Ca. 1611 wird Haßlers Komposition zum geistliche Lied gemacht (Kontrafaktur). In der Kirche dominiert die modale Musik.

1613 erscheint es schließlich im Liederbuch "Harmoniae sacrae".
1656 wird es rhythmisch vereinfacht für das Kirchenlied "O Haupt voll Blut und Wunden" verwendet (Text: Paul Gerhardt)

Bach kam erst 19 Jahre später zur Welt, und lebte in einer Zeit, in der sich Dur und Moll etabliert hatten und die Kirchentonarten ziemlich zurückgedrängt waren.

Hier die Fassung von Bach. Sie hat einen Auftakt und einen anderen Grundton als bei Haßler.

Viele Grüße

Klaus
 
Daraus kann man schließen, daß diese Hörgewohnheit, den oberen Ton des aufsteigenden Quartsprunges in früherer Zeit nicht vorhanden war, sie ist und erst durch das Dur-Moll-System eingepflanzt worden. Von daher kann man versuchen zu Üben, den Anfangs und Schlußton - in unserem Fall das e' - von O Haupt voll Blut und Wunden als Grunton zu hören. Das wird im verlinkten Notenbeispiel durch die picardische Terz im Schlußakkord dann auch noch bekräftigt.

Das ist ja eine grauenvolle Vorstellung. Da muss einem ja wirklich alles egal sein, wenn man mit dieser Einstellung noch ruhigen Gewissens Musik machen kann. Das Gehör ist doch unser ein und alles - unser Tor zur musikalischen Außenwelt. Mit einem Gehör, das uns so unpräzise Eindrücke vermittelt Musik zu machen kommt mir vor, wie mit einer Waffe mit verbogenem Lauf in den Krieg zu ziehen. Klar - man kann verschiedene Hörgewohnheiten haben und harmonische Zusammenhänge falsch interpretieren... Aber gibt es nicht trotzdem auch eine absolute Wahrheit - zumindest teilweise?

Kann es sein, dass bei "O Haupt voll Blut und Wunden" der Schlussakkord einfach nicht auf dem Papier steht und der E-Dur-Akkord nur zum Beginn der nächsten Strophe und eventuell in einen nicht notierten Schlussteil leiten soll? Vielleicht war das Stück so in der Messe vielseitiger einsetzbar - man könnte direkt im Anschluss ein weiteres Stück anhängen, oder jeder Chor könnte einen individuellen Abschluss frei gestalten.

Wir haben am Anfang eine aufsteigenden Quart. Da sagt unser Ohr gleich: Aha, der obere Ton der Quart ist Grundton. Warum? Weil wir das seit Jahrzehnten so gewohnt sind.

Nach meinem Verständnis ist es so: Wir hören a als Grundton, weil die Quinte e in der Obertonreihe von a früher dran ist als die Quarte a in der Obertonreihe von e. Kann das früher wirklich so anders gewesen sein?


Der All Blues ist eigentlich ein ganz normaler 12-Takte Blues im 6/4 Takt mit de Stufen:

| I | I | I | I |
| IV | IV | I | I |
| V | bVI V | I | I |

Der Grundton ist der erste Ton der Bassline, der im Thema sogar pedalmäßig über 8 takte beibehalten wird.

Ich kann mir nicht helfen. Ich höre mal eine Zeit lang Passagen, die nach C leiten, dann wieder welche, in denen G der Grundton ist. Ich glaube, dass meine Auffassung von Musik zu verschieden vom modernen Jazz ist, der sich seit den 50er-Jahren entwickelt hat. Einerseits will man die kompliziertesten Verschachtelungen, andererseits widerum so viel Freiheit, dass eh alles irgendwie so oder so gespielt und interpretiert werden kann. Bei so viel Widersprüchlichkeit komme ich nicht mit. Oder irgendetwas geht komplett an mir vorüber. Bei dem Gedanken, meinem Gehör nicht vertrauen zu können, sträuben sich mir jedenfalls die Nackenhaare.

OT:
Danke übrigens für den Link zum schnellen All Blues, ich habe gerade entdeckt, daß Miles 1964 schon das Thema von Jean Pierre gespielt hat, bei 0:49 :cool:.

Gerne!

Gruß,
Andreas
 
Das ist ja eine grauenvolle Vorstellung. ... Mit einem Gehör, das uns so unpräzise Eindrücke vermittelt Musik zu machen kommt mir vor, wie mit einer Waffe mit verbogenem Lauf in den Krieg zu ziehen. Klar - man kann verschiedene Hörgewohnheiten haben und harmonische Zusammenhänge falsch interpretieren... Aber gibt es nicht trotzdem auch eine absolute Wahrheit - zumindest teilweise?
Nach meinem Verständnis ist es so: Wir hören a als Grundton, weil die Quinte e in der Obertonreihe von a früher dran ist als die Quarte a in der Obertonreihe von e. Kann das früher wirklich so anders gewesen sein?

Die Obertonreihe ist Natur, die hat sich nicht geändert. Doch wie wir Musik und Akkordfolgen auffassen, das hängt stark von unseren Hörerfahrunge ab.

Beispiel: Bei der Akkordfolge F - C - G kann C der Grundton sein (C-Dur) mit S - T - D. Es kann aber auch G sein (mixolydisch) sein, mit SS - S - T. (Siehe auch das Kleingedruckte in diesem Beitrag.)

Spielt man nacheinander die weissen Tasten auf dem Klavier (jetzt mal ohne definierten Beginn), so kann man die Tonfolge einmal als ionisch hören oder als äolisch oder oder oder...

Oder nehmen wir einmal statt des Ohrs das Auge:

STRATTON (1896) ging unter der zur Hilfenahme von Prismenbrillen, die das Netzhautbild um 90° drehen, der Frage nach, warum wir aufrecht sehen. Er stellte fest, dass beim Tragen der Brille sich nach einiger Zeit die Wahrnehmung wieder normalisiert. Die Welt sieht wieder normal "aufrecht" aus.
V. Förster, L. Goesmann, H. Plötz, L. Pruß, A. Strehlau: Spiegelzeichnen (Referat Fachbereich Psychologie)
http://www-lehre.inf.uos.de/~jgraf/empra1/spiegelzeichnen_theorie_ausarbeitung.doc
Seite 12

Sowohl beim Ohr, als auch beim Auge liegt es nicht am Sinnerorgan, sondern daran, wie die Nervenzellen danach die Information verarbeiten.

Wie die das machen, hängt von unseren Erfahrungen ab.

Viele Grüße

Klaus
 
Tja. Ich dachte schon, ich hätte nach dem jahrelangen Hin und Her endlich meine Antworten gefunden: Jazzmusiker, die Spannungen offen lassen und Tonleitern, die der Theorie nach zu den Akkorden passen x-beliebig und scheinbar ohne Rücksicht auf ihre kontextuale Funktionalität einsetzen, hätten sich irgendwie das Gehör versaut oder denken sich mehr oder weniger unbewusst die Töne dazu, die für ein stimmiges Gesamtbild nötig wären. Und jetzt wirfst du mir alles übern Haufen, sodass ich wieder am Anfang stehe. Trotzdem vielen Dank! :D
 
Daraus kann man schließen, daß diese Hörgewohnheit, den oberen Ton des aufsteigenden Quartsprunges in früherer Zeit nicht vorhanden war,

Sorry, da ist mir ein Copy/Paste-Fehler unterlaufen: Richtig heißt es natürlich:
Daraus kann man schließen, daß diese Hörgewohnheit, den oberen Ton des aufsteigenden Quartsprunges als Grundton zu hören, in früherer Zeit nicht vorhanden war,

Aber gibt es nicht trotzdem auch eine absolute Wahrheit - zumindest teilweise?

Vor der Renaissance bestand die absolute Wahrheit darin, daß die Erde im Mittelunkt des Universums steht. Die Architekten haben zu Ehren Gottes die wundervollsten Kathedralen in diesen Mittelpunkt des Universums gestellt (hier in Freiburg steht so eine).

Dann kamen ein paar Typen mit Fernrohren, und plötzlich stand die Sonne im Mittelpunkt des Universums. Die Kirchen wurden weniger wundervoll, weil sie ja nicht mehr im Mittelpunkt des Universums standen. Um so schöner wurde die Musik. Die Musiker damals haben wohl verstanden, den verloren gegangenen geographischen Mittelpunkt des Universums ins Innere des Menschen zu verlagern.

Heute ist das Innere des Menschen als absolute Wahrheit eine Ansammlung von Atomen, Molekülen und Synapsen, (hoffentlich bald komplett) erfassbar in Daten aus Blutwerten, elektrischen Enzephalographien, Hirnproteinen, Genen und dergleichen. Die Musik wurde wieder schlechter. Na klar, logisch, der Gott im Inneren des Menschen, dem man musikalisch huldigen konnte, ist verschwunden und hat sich in die Materie verflüchtigt. Die Seele? Ein gasförmiges Wirbeltier, sagte schon Ernst Haeckel. Wem soll man da noch Singen? Bestenfalls dem gewünschten Geschlechtspartner: She Loves You, Yeh, Yeh, Yeh.

Wo ist morgen die absolute Wahrheit? Vielleicht entdeckt man, daß es die Materie gar nicht gibt?

Times, they are a changing. Who cares? Was machen da ein paar Obertöne aus?

Viele Grüße,
MCoy
 
Der Philosoph in mir kann Deiner Anschauung, McCoy, viel abgewinnen. Aber der Musiker in mir, dem es zur stillen Routine geworden ist, Musik immer ( A U C H ) analytisch zu hören, der will doch manchmal wissen, WARUM etwas so wirkt, wie es halt wirkt ...

Obwohl es da schon rasch Grenzen der Wissensdurst bei mir gibt ... : Im konkreten Kontext heißt das, mir ist völlig egal, ob meine Hörerwartung das Proukt der natürlichen Öbertöne, oder das der mitteleuropäischen Musikgeschichte und -Tradition ist, oder gar das meiner eigenen Phantasie ... es genügt mir zu wissen, daß ich eine Hörerwartung HABE, und die die Basis meines musikalischen Tuns ist.

Es ist schwer genug, seine eigene Hörerwartung aufzubauen, zu systematisieren, zu kategorisieren, ... schlichtweg sie weiterzuentwickeln und mit ihr zu arbeiten. Da muß man sich nicht noch mental mit Grenzgebieten, wie deren Herkunft, belasten ... :)

Thomas
 

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