Hallo Stift,
Du suchst Kriterien um Musik zu bewerten. Wie oben schon angedeutet wurde, haben sich diese Kriterien im Laufe der Geschichte der Musik ständig gewandelt:
Platon wollte in seinem Idealstaat nur bestimmte Tonarten und Musikinstrumente zulassen. Die Lydische Tonart lehnte er wegen ihrer demoralisierenden Wirkung ab.
http://de.wikipedia.org/wiki/Platon#Kunstverst.C3.A4ndnis
Das Christentum bestimmte maßgeblich die Funktion der Musik in unserem Kulturkreis. In der Bibel heißt es u.a.:
"Lasst in eurer Mitte Psalmen, Hymnen und Lieder erklingen, wie der Geist sie eingibt. Singt und jubelt aus vollem Herzen zum Lob des Herrn!" (Eph 5,19)
http://de.wikipedia.org/wiki/Gregorianischer_Choral
Nur, welche Musik war zum Lob des Herrn und welche des Teufels?
Bach soll gesagt haben:
Musik solle "nur zu Gottes Ehre und Recreation des Gemüths seyn. Wo dieses nicht in Acht genommen wird, da ists keine eigentliche Music sondern ein Teuflisches Geplerr und Geleyr."
http://de.wikipedia.org/wiki/B-A-C-H
Zu Bachs Zeiten galt der Tritonus als der "Teufel in der Musik" (diabolus in musica).
In der Wiener Klassik und Romantik ist man von der "reinen, absoluten Tonkunst" überzeugt. Die absolute Instrumentalmusik deutet auf das "Unaussprechliche" hin, auf unbestimmte Gefühle im "Geisterreich der Töne" (E.T.A. Hofmann).
Von dieser mitunter überbordende "Gefühlsästhetik" - Nietzsche spricht vom Ziel der "größtmögliche Vermittlung von Gefühlsinhalten" - wendet man sich später immer mehr ab. Auch Nietzsche erteilt schließlich der Gefühlsästhetik eine radikale Absage. Die Form des Kunstwerks bekommt gegenüber dem Inhalt die Oberhand.
Im 20. Jahrhundert wird die vorangegangene Musik in Frage gestellt. Es kommt zur "Emanzipation der Dissonanz", die "Zweite Wiener Schule" lehnt z.B. die Tonalität ab. Es bilden sich in der Folge viele unterschiedliche Richtungen aus, die jeweils ihre eigenen Gestaltungsgesetze haben.
Man ist heute der Ansicht, daß die Musikästhetik nicht weiter normativ verfahren darf (also Werturteile mit dem Anspruch auf wissenschaftliche Gültigkeit verbreiten; Zitat Kneif im u.g. pdf-Dokument).
Detaillierter kann man die Thematik z.B. hier nachlesen:
http://de.wikipedia.org/wiki/Musik%C3%A4sthetik
http://www.fzmw.de/2005/2005_2.pdf
Also, die Kriterien für Werturteile haben es inzwischen sehr schwer und es gibt ja auch folgende Aussagen bekannter Künstler:
Joseph Beuys:
"Jeder Mensch ist ein Künstler...", "...damit sage ich nichts über die Qualität. Ich sage nur etwas über die prinzipielle Möglichkeit, die in jedem Menschen vorliegt...Das Schöpferische erkläre ich als das Künstlerische, und das ist mein Kunstbegriff."
http://www.kunstmarkt.com/pages/kue/kuenstler_portraitbericht.html?id=34000
John Cage:
"If you celebrate it, it's art, if you don't, it isn't"
"Ich habe nichts zu sagen, und ich sage es, und das ist Poesie, wie ich sie brauche."
http://www.youtube.com/watch?v=hUJagb7hL0E
http://de.wikipedia.org/wiki/John_Cage
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/langenacht/292289/
Also was bleibt an Bewertungskriterien? Irgendwie müssen (angehende) Kompositionsstudenten und Kunststudenten ja bewertet werden. Auch die staatlichen Gelder zur Förderung der Kunst sollten nach bestimmten Kriterien vergeben werden.
Keine einfache Aufgabe. Auch das Bundesverfassungsgericht ist gezwungen zwischen Kunst und Nicht-Kunst zu unterscheiden und machte folgende Aussage:
Der Lebensbereich "Kunst" ist durch die vom Wesen der Kunst geprägten, ihr allein eigenen Strukturmerkmale zu bestimmen. Von ihnen hat die Auslegung des Kunstbegriffs der Verfassung auszugehen. Das Wesentliche der künstlerischen Betätigung ist die freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden. Alle künstlerische Tätigkeit ist ein Ineinander von bewußten und unbewußten Vorgängen, die rational nicht aufzulösen sind. Beim künstlerischen Schaffen wirken Intuition, Phantasie und Kunstverstand zusammen; es ist primär nicht Mitteilung, sondern Ausdruck und zwar unmittelbarster Ausdruck der individuellen Persönlichkeit des Künstlers.
http://sorminiserv.unibe.ch:8080/tools/ainfo.exe?Command=ShowPrintVersion&Name=bv030173
Tja, hilft das bei Deiner Fragestellung weiter? Vielleicht etwas.
Im Zeitalter des Internets (des erleichterten "copy and paste") und von (ehemals Dr.) Guttenberg müßte man wenigstens folgende Kriterien anlegen können:
- Handelt es sich bei dem musikalischen Werk um ein Plagiat?
- Handelt es sich bei dem Komponisten um einen
Epigonen? (unbedeutender Nachahmer oder "Trittbrettfahrer")
- oder hat der Komponist etwas wesentlich neuartiges geschaffen?
Also: Wie originell ist sein Werk?
Man sollte jedoch eines nicht vergessen:
"Als ein Wesen von Fleisch und Blut wehre ich mich im Namen von Emotion und Empfindung gegen all das, was nichts anderes als interessant und intelligent ist. Ich habe einen Horror vor intelligenten Leuten, die interessante Sachen machen. Wenn ich ins Konzert gehe, dann will ich, daß mir die Tränen kommen; wenn ich nicht weine, bedeutet das: Es war nicht gut."
Olivier Messiaen
Prüfe also die Komponisten und ihre (bedeutendsten) Werke daraufhin, ob sie in Ihrer Zeit originell waren und die Kunstverständigen bewegt haben.
Noch ein drittes Kriterium scheint mir wichtig:
Es gibt viele musikalische Werke, die es erreicht haben, über alle Veränderungen der Wertmaßstäbe hinweg, auch nach Jahrhunderten noch als Kunstwerk anerkannt zu bleiben.
Die Dauerhaftigkeit der Wertschätzung als Kunstwerk, also eine relative Unabhängigkeit von Zeitströmungen scheint ebenfalls ein wichtiges Kriterium für die Qualitiät von Kunstwerken zu sein. So etwas läßt sich natürlich nur bei älteren Werken feststellen.
Ich hoffe, meine Ausführungen haben Dir etwas weitergeholfen!
Viele Grüße
Klaus
Nachtrag eines neueren BVG-Urteils:
Entscheidung zum "Anachronistischen Zug" aus dem Jahre 1984:
a) Den bisherigen Versuchen der Kunsttheorie (einschließlich der Reflexionen ausübender Künstler über ihr Tun), sich über ihren Gegenstand klar zu werden, läßt sich keine zureichende Bestimmung entnehmen, so daß sich nicht an einen gefestigten Begriff der Kunst im außerrechtlichen Bereich anknüpfen läßt. Daß in der Kunsttheorie jeglicher Konsens über objektive Maßstäbe fehlt, hängt allerdings auch mit einem besonderen Merkmal des Kunstlebens zusammen: die "Avantgarde" zielt gerade darauf ab, die Grenzen der Kunst zu erweitern. Dies und ein weitverbreitetes Mißtrauen von Künstlern und Kunsttheoretikern gegen starre Formen und strenge Konventionen sind Eigenheiten des Lebensbereichs Kunst, welche zu respektieren sind und bereits darauf hindeuten, daß nur ein weiter Kunstbegriff zu angemessenen Lösungen führen kann.
b) Die Unmöglichkeit, Kunst generell zu definieren, entbindet indessen nicht von der verfassungsrechtlichen Pflicht, die Freiheit des Lebensbereichs Kunst zu schützen, also bei der konkreten Rechtsanwendung zu entscheiden, ob die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG vorliegen.
BVerfGE 67, 213 = NJW 1985, S. 261. (
hier zitiert)