Oktavrein einstellen hält immer nur kurz

  • Ersteller therealkickers
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Hier noch ein paar Ergänzungen, die für den einen oder anderen evt. nützlich sind. Ich hoffe, meine langen Ausführungen langweilen euch nicht ...

Wenn man bei einem Qualitätscheck messtechnisch herausfinden möchte, ob die Bundstäbe an der richtigen Stelle sind, stimmt man die Gitarre so, dass der 2. Bund einer Saite korrekt intoniert, d.h. idealerweise ±0 Cent Abweichung vom Soll-Ton hat. Auf der H-Saite müsste also ein Cis ±0 Cent angezeigt werden, wenn der 2. Bund gedrückt wird. Am besten hier eine Phrase spielen und auf dem Cis landen, damit der Krafteindruck stimmt und reproduzierbar ist. Dann werden die Reiter an der Brücke so eingestellt, dass der 12., 13. oder 14. Bund derselben Saite ebenfalls korrekt intoniert, idealerweise ±0 Cent. Auch hier wieder eine Phrase spielen und auf dem Zielton landen. Dann testet man alle Bünde und notiert sich größere Abweichungen. Im Idealfall gibt es keine, und man liegt irgendwo zwischen ±3 Cent bei jedem einzelnen Bund. Wenn die Bundstäbe sehr präzise gesetzt wurden, kommt man auch wie in dem oben verlinkten Video auf ±1 Cent ran, was dann ziemlich perfekt aber nicht unbedingt notwendig ist.

Auch hier nochmal der Hinweis auf den Vorredner, der darauf hinwies, dass es alte oder manchmal sogar defekte Saiten gibt, die nicht mehr richtig intonieren. Falls es komische Werte gibt, zuerst immer neue Saiten drauf und an den Knickstellen/Auflagen leicht runterdrücken.

Wenn danach einzelne gedrückte Bünde immer noch stark abweichen (z.B. 10-15 Cent höher/tiefer) und ihr alles richtig gemacht habt, ist die Gitarre i.d.R. fehlkonstruiert. Auch wenn sich die Oktavreinheit nicht richtig einstellen lässt, habt ihr ein Problem (bei Gibson-Type Brücken kann man, wie Vorredner erwähnt haben, oft die Böckchen umdrehen, dann geht es meistens). Dieser Test ist umso aussagekräftiger, desto niedriger der Abstand Unterseite Saite > Bundkrone ist (ohne zu schnarren), denn erst so werden Verstimmprobleme durchs Saitendrücken auf ein Minimum reduziert. Siehe oben. Wenn die Untersaite eurer Saiten jedoch 1 mm oder mehr von der Bundkrone entfernt ist, braucht ihr diesen Qualitätstest erst gar nicht zu machen und solltet das zuerst beheben lassen, was beim Servicetechniker schnell geht und nicht viel kostet. Besteht allerdings darauf, dass die Saiten nicht schnarren dürfen ;-)

Nachdem ihr geprüft habt, dass die gedrückten Saiten korrekt intonieren, prüft ihr jetzt die Intonation der Leersaiten. Zum Glück lassen sich Probleme mit den Leersaiten gut lösen, denn deren Tonhöhe wird von der Lage des Sattels (oder Nullbunds) bestimmt, und den kann man ohne Riesenaufwand verschieben bzw. befeilen. Einen Nullbund kann man gut durch einen kompensierten Sattel ersetzen. Vergleicht also die Tonhöhe der Leersaite mit derjenigen der gegriffenen Saiten. Hier sollte es idealerweise sehr genau übereinstimmen, d.h. 1., 2. und 3. Bund und Leersaite sollten so genau wie möglich intonieren. Erst dann klingen Akkorde in den unteren Lagen mit Leersaiten und gegriffenen Saiten wirklich sauber – zumindest so sauber, wie eine gleichschwebende Temperierung eben "sauber" klingen kann, d.h. Quinten sind in der gleischwebenden Stimmung immer etwas zu tief, Terzen etwas zu hoch etc., genau wie beim Klavier; siehe auch
https://de.wikipedia.org/wiki/Gleichstufige_Stimmung
https://de.wikipedia.org/wiki/Stimmung_(Musik)

Oft sind die Leersaiten etwas zu tief, da der Sattel nicht korrekt positioniert ist. Lösungsmöglichkeiten:
  • kompensierter Sattel, der etwas über das Griffbrett übersteht; Nachteil: der Überstand muss genau im Griffbrettradius befeilt werden, damit er auf dem Griffbrett aufliegt, was ziemlich aufwändig ist; es gibt aber auch einige Fertigprodukte wie Earvana, die allerdings mit Vorsicht zu genießen sind
    setitupbetter.com.jpg

  • kompensierte Einlage unter den Saiten; ist ziemlich einfach zu erstellen und oft das Mittel der Wahl, wenn der Sattel zu weit weg vom 1. Bund ist
    (http://www.goeldo.de/en/accessories/accessories/3008/s.o.s.-nut-compensation zeigt, wie so etwas aussehen kann)
    SOS.jpg

  • Verkürzen des Griffbretts mit kompensiertem Sattel
    so habe ich es realisiert: NN AS93 Sattelkompensation klein.jpg
    Man sieht, dass ich das Griffbrett um 3 mm (!) kürzen musste bei einer Ibanez AS93; leider gab es keinen Tusq-Rohling in der Größe, daher auch der noch nicht aufgefüllte Zwischenraum über dem Sattel; Knochen bietet sich also an, das Zeug bekommt man in jeder Größe.
    Hier mal ein professioneller aussehender Sattel: Sattelkompensation Beispiel.jpg
Wenn die Leersaiten jedoch nicht zu tief, sondern wider erwarten zu hoch klingen, ist das super, denn dann müsst ihr lediglich den Sattel befeilen (lassen), um die Auflagepunkte der Saiten zurücksetzen.


Noch ein Hinweis zu den Fertigprodukten:
Hier wurde bereits auf Earvana hingewiesen, und oben seht ihr die Einlage von Göldo. Die Idee dahinter ist gut, nur leider sehen sämtliche Kompensationen, die ich messtechnisch bei meinen Gitarren erzeugt habe oder bei anderen gesehen habe deutlich anders aus (insbesondere die G-Saite!). Ich bin mir sicher, dass die Fertigprodukte wie Earvana es verbessern, aber man wird niemals das Optimum bzw. Machbare erreichen, da die Kompensation sowohl von Saitenstärke und Saitenmarke also auch Saitenabstand als auch Druckstärke des Spielers abhängt. Ausschließlich marketingtechnisch interessant ist der Ansatz von Buzz Feiten, der in seinem (leider zu unrecht) patentierten Verfahren mangelndes Know-how und Voodoo vermischt mit wirksamen Maßnahmen (der Sattel wird verschoben) sowie dem Umstimmen bestimmter Saiten auf "patentierte" Art und Weise; so monetarisiert man Bullshit und profitiert von mies konstruierten Gitarren ... Immerhin weist Feiten seit Jahrzehnten darauf hin, wie mies die meisten Gitarren (insbesondere Gibson und deren Nachbauten) intonieren, das kann man ihm zugute halten.

Es gibt auch sowas wie eine True Temperament Bundierung (bei youtube nach "just intonation guitar" o.ä. suchen oder http://www.truetemperament.com/faq/). Ich halte das wiederum nur für so einen (für den Anwender sehr teuren) Marketing-Trick, da man m.E. ein gleichwertiges Ergebnis mit einem kompensierten Sattel wie oben beschrieben erzielt (sofern die Bünde präzise gesetzt sind). Hässlich ist es auf jeden Fall. Ich hatte so ein Instrument allerdings noch nie in der Hand, für bestimmte Anwendungen wie Alternative Stimmungen (Drop-D oder so) oder irgendwelche Spezialitäten ist das vielleicht sogar das Optimum. Ich bezweilfe das aber stark. Vielleicht gibt es jemanden hier, der sich dazu äußern mag.

Das Einzige an Fertigprodukten das ich kenne, was wirklich ernstzunehmen und auch klanglich interessant ist, sind klassische Gitarren mit einzeln einstellbaren Bünden, so dass man verschiedenste Stimmungen realisieren kann:
 
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Danke für deine wirklich erhellenden Beiträge!

Allerdings würde ich es für besser halten, wenn du das als eigenes Thema im Forum "Modifikation, Technik, Gitarrenbau" behandelst anstatt das hier in einem fast schon "antiken" Thread hier zu verbergen. So hast du die Möglichkeit, eine aussagekräftige Überschrift und Schlagwörter zu verwenden. Das erhöht die Möglichkeit stark, sowas in Zukunft durch eine Suche zu finden.
 
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ja, hast schon Recht. Vermutlich ist der TE auch gar nicht technisch so interessiert, dass er das in dieser Tiefe wissen möchte, ich bitte ihn mal per PN, sich zu äußern, ob sein Problem gelöst ist oder ob wir ihm zumindest weiterhelfen konnten. Ich poste hier ja eh nicht sehr viel und weiß daher nicht, wer schon was zum Thema Intonation wann gesagt hat und hatte auch keine Lust das zu recherchieren. Hier sind ja eine Menge kompetenter Leute unterwegs, und es ist ja auch nicht so, dass irgendwas von dem, was ich geschrieben habe, neu wäre. Trotzdem habe ich als kleine "Mission", dass möglichst viele Leute gut intonierende Gitarren spielen. Deshalb konnte ich mir die Ausführlichkeit nicht verkneifen. Man muss einfach auch an die Ohren der anderen denken, selbst wenn man Intonationsprobleme nicht feststellen kann. Es gibt immer Leute, die wesentlich besser Tonhöhen unterscheiden können als man selbst, und die muss man nicht ärgern (das müssen ja nicht mal Musiker sein).

Immerhin kann man ja auf den Thread an anderer Stelle hinweisen, meine Vorredner haben ja auch viele sehr gute Hinweise zu dem Thema gegeben, insofern deckt der Thread jetzt das Wesentliche ab, was es zum Thema "Intonation auf der Gitarre" zu sagen gibt.
 
Ich habe noch nie solche kleinen Helfer wie die Sattelkorrektuen verwendet. Aber früher oder später werde ich das auch mal ausprobieren.
Aber ich frage mich manchmal, wie signifikant der Effekt beim Spielen ist.
Wenn ich eine perfekte Intonation eingestellt habe, dann ändert sich der Ton tortzdem ein wenig je nachdem ob ich ihn kurz und hart anschlage oder eher seicht ausklingen lasse. Es ist ja auch nicht gewollt immer gelcih anzuschlagen.

Die True Temperament Bundierung habe ich bisher nur vereinzelt bei Custom Gitarren gesehen. Selbst die bekannten "krassen Gitarrennerds" spielen auf normalen Instrumenten. Ich glaube schon, dass die Bundierung ihr Versprechen hält, aber zweifel (rein intuitiv) an, dass es verschiedene Anschlagsstärken usw. aufwiegen kann.
 
@ChP
Der Effekt ist hochgradig signifikant, es hängt aber wie schon gesagt von der eigenen Fähigkeit ab, Tonhöhenunterschiede zu hören. Der Effekt, dass bei einem harten Anschlag die Töne etwas höher klingen. ist dagegen meiner Erfahrung nach ziemlich irrelevant, da ja alle Töne des geschlagenen Akkords etwas höher klingen. Der Akkord an sich klingt mit einem kompensierten Sattel (oder so ein sauteurer und m.E. überflüssiger und schwer wartbarer Truetemperament Hals) nach wie vor in sich sauber, und das macht den Unterschied aus. Außerdem klingen (zumindest meine) Saiten bei hartem Anschlag nicht wirklich viel höher, das sind vielleicht 5-8 Cent, die auch recht schnell wieder nach unten pendeln. Bei Leuten mit härterem Anschlag mag das mehr sein, aber das ist jetzt keinesfalls ein Achtelton (=25 Cent) oder so.

Bei den krassen Gitarrennerds muss man natürlich auch schauen, was die genau spielen. Powerriffs à la Grundton-Quinte-Grundton ohne Leersaiten sind sehr viel unkritischer als unverzerrte Jazzakkorde (sowas spiele ich). Am kritischsten ist ganz klar Fingerpicking oder Folk-Begleitung mit Leersaiten. Für mich klingen die meisten professionellen Gitarristen übrigens ziemlich sauber (z.B. bei Bendings, aber auch generell). Diese Cracks haben auch sicher in der Regel gut eingestellte und mit Silikonfett oder Graphit geschmierte Sättel, in denen keine Saiten festklemmen, kombiniert mit einer niedrigen Saitenlage. Und sicher gibt es auch immer mal wieder Techniker, die die Sattelposition verändern, damit es sauberer intoniert. Die Änderung der Position des Sattels (falls dieser nicht korrekt positioniert ist) kann schon 80-90% des Effekt bringen, aber 100% erreicht man eben nur mit einer saitenweisen Kompensierung. Einer der Gründe, warum so viele Profis Martin und Taylor spielen liegt mit Sicherheit daran, dass diese ziemlich gut intonieren – auch ohne kompensierten Sattel. Ich habe gerade eine Cimar Gitarre (aus den Ibanez-Werkstätten der 80er-Jahre) hier in der Mache, deren Sattel auch sehr gut platziert ist. Klasse Gitarre mit der Martin Dreadnought-Form, vermutlich sind die Maße direkt von Martin übernommen worden. Demgegenüber kann ich die Takamine EG540, die ich besitze, ohne Kompensation nicht spielen, ohne schlechte Laune zu bekommen. Was mir sagt, dass bei Takamine niemand mit Einfluss arbeitet, der Gitarre spielen kann und Tonhöhenunterschiede gut hört, sonst würden die niemals solche Instrumente fertigen.
 
Edit: habs gerade mal nachgemessen, tatsächlich ist (bei einer Westerngitarre von mir) ein Ton bei sehr hartem Anschlag um die 25 Cent höher, also deutlich mehr als ich dachte, fällt dann aber innerhalb von Sekundenbruchteilen auf die "normale" bzw. gestimmte Tonhöhe ab. Weiß einer von euch, warum ich keine Beiträge editieren kann, muss man dafür irgendwie freigeschaltet werden?
 
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Du kannst nur eine gewisse Zeit nach Schreiben des Beitrags diesen editieren.

Ich habe zumindest unter den Metalern schon Gitarristen gesehen, die mit ständigem Anschlag (nicht übetrieben) Stimmen, damit bei den schnellen Rythmen der Ton passt.
 
o.k. danke. Ja, klingt auch logisch. Wenn die Spieltechnik dazu führt, dass die Gitarre höher gestimmt klingt ist es sinnvoll, sie etwas tiefer zu stimmen, damit es dann beim Spielen passt.
 
Die Gitarre war dreimal im selben Laden, um eingestellt zu werden, und die haben jedes mal keine frischen Saiten aufgezogen?
 
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