Opern - Thread

  • Ersteller Mr. Key
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Die vermittlung von "kunst" (ich wage keine definition), das heißt der weg vom autor bis zum "endverbraucher" ist lang, dornenvoll und störungsanfällig, beim buch oder der bildenden kunst ist er direkt, theater und musik bedürfen des/der interpreten. Der legendäre russische bass-bariton Fjodor Schaljapin beschreibt den vorgang so: wir schießen mit pfeil und bogen auf eine scheibe, manchmal treffen wir die scheibe, oft verfehlen wir sie, selten gelingt der schuss ins schwarze. Das genügt aber noch nicht, denn im zentrum ist ein kleines loch, da muss der pfeil durch. Ein meisterschuss ? Geduld! Dahinter baumelt ein silbernes glöckchen, und - - - - - wenn das getroffen wird und läutet, dann haben wir unser ziel erreicht.
Wie wenig anspruch und wirklichkeit zusammenhängen, beweist das leben des sängers, jedes ideal wird vielfach durch die realität gebrochen wie das sonnenlicht in einem prisma, und so ist jedes künstlerische tun immer ein wagnis und darum immer farbig und interessant.
Was gehört alles zu einem gelungenem opernabend?
Vor dem vorhang:
1.Ein volles haus, bei leeren reihen fühlt man sich unwohl und fragt sich "bin ich hier richtig?", ein "fluidum" braucht eine "kritische masse", damit "der funke überspringt".
2.Eine positive erwartungshaltung, wer "Elektra" für ein modernes sujet hält, wird enttäuscht werden, ein wenig vorbereitung und einstimmung sollten sein, das programmheft in letzter minute ist nur notbehelf.
Hinter dem vorhang:
1.Eine sorgfältige vorbereitung, adäquate besetzung, handwerkliches können in allen sparten, klare und dem stück angemessene regie
2.Soviel lampenfieber wie nötig aber keine hektik, ein umsichtiger inspizient (die unsichtbare seele des ganzen), alle auf ihrem posten
Dazwischen:
1.instrumentengewirr, stille, "a1" der oboe, leises einstimmen, stille

Das licht verlischt, der dirigent hebt den zauberstab (es kann auch ein gewöhnlicher taktstock sein) - - - das abenteuer oper beginnt, wird das glöckchen klingen?
 
Hallo Günter,

es gibt simple physikalische Gründe dafür, warum die Sprachverständlichkeit beim Singen in extremen Lagen (vor allem bei Frauenstimmen) schwindet:
Ein wichtiges Element unserer Sprache sind die Vokale, welche wir aufgrund ihres Frequenzspektrum gehörmäßig identifizieren. Eindeutige spektrale Merkmale sind hier Energiespitzen, die sogenannten (Vokal-) Formanten. Diese bilden sozusagen die Struktur des Klanges und bestimmen dadurch um welchen Vokal es sich handelt.

In hohen Lagen kommt es zu der Situation, daß der gesungende Grundton in das Vokalformantenspektrum vordringt und dadurch die Identifikation des gesungenen Vokals verhindert. Dieses ist vor allem dann der Fall, wenn der Grundton ÜBER dem ersten oder weiteren höheren Vokalformanten liegt. In dem Fall kommt es zu einem Abschneiden des ersten oder sogar weiteren, höheren Vokalformanten. Der entsprechende Vokal ist in der Tonlagen definitionsgemäß nicht mehr singbar. Das hat nichts mit Unvermögen zu tun, sondern ist simple Physik.

Da ich gleichzeitig Sänger (Konzert und Opern) als auch Physiker bin, hat mich das Thema seit längerem beschäftigt.

Grüße
Erdie
 
Die oper entstand in Florenz um 1600 unter literaten und gebildeten musikern - die themen stammten aus der antiken mythologie - der stil war monodisch/rezitativisch (die polyphone madrigal-oper war die ausnahme und von kurzer dauer) - zunächst privat, wurde die oper bald öffentlich zugänglich, die ersten opernhäuser entstanden in Venedig (San Cassiano 1637 und San Marco) - großen wert legte man auf perspektivisch/illusionistische bühnenbilder - das instrumentarium war bunt und nicht eindeutig festgelegt - noch heute werden gelegentlich Monteverdis "Orfeo", "Il ritorno d'Ulisse" und "L'incoronazione di Poppea" in bearbeitungen gespielt -
(Zur hochzeit von Louis XIV. 1660 wurde im Louvre "Jason", eine der 40 opern von Francesco Cavalli aufgeführt.)
Hören wir einen augenzeugen :" Heute abend gingen wir in Venedig in die oper, wo komödien und andere stücke zu rezitativischer musik aufgeführt werden. Ausgezeichnete musiker, vokal wie instrumental, dazu eine fülle von perspektivischen bühnenbildern, flugmaschinen, kurzum, das prächtigste und erfindungsreichste schauspiel, das menschenwitz je ersonnen hat" .

Danach wird oper wird zur "sänger-oper" - virtuoser gesang, prima-donna und primo-uomo geben den ton an, die männlichen hauptpartien werden von kastraten gesungen - im orchester setzt sich mit den "modernen" streichinstrumenten die generalbass-technik durch, sehr praktisch, da wenig schreibarbeit, der die aufführung vom clavicembalo leitende komponist hält alles mit seinen begleitakkorden zusammen - opern werden zu karneval und anderen festlichkeiten bestellt und danach nicht wieder gespielt - wechsel von rezitativ und (dreiteiliger A-B-A) arie - die handlung ist nebensächlich, eher konzert in kostümen und bühnenbild - opernhäuser werden gebaut in Rom und Neapel, nach dem 30jährigen krieg auch in deutschen residenz- und wohlhabenden handelsstädten - die sprache bleibt vorwiegend italienisch - neben die opera seria tritt die opera buffa, die komische.
England ging einen sonderweg, die "masque" war eine groteske mischung von musik und tanz in kostümen, aber unter puritanischem einfluss litt das theater, erholte sich erst nach der restauration und hatte mit Purcell (1690 "Dido") einen bedeutenden vertreter. In Hamburg waren es um die gleiche zeit Keiser, in Dresden Hasse mit seiner frau Faustina als primadonna.
Kurzum: die oper ist die spektakulärste kunstform dieses, des 17.Jahrhunderts und wird es weiterhin bleiben.
 
Kinder und enkel sehen das treiben von vätern und großvätern mit kritischem blick: die immer gewaltiger werdenden perücken, die schwülstige sprache, die überladene architektur, die unnatürlich verschnittenen bäume und sträucher eines parks, die titel- und prunksucht nannten sie "barock", und wenn sich auch höfischer geschmack zum "muschelstil", dem "Rokoko" wandelte, man entdeckte, dass das edle blut der absolut herrschen wollenden durch inzucht und vererbte krankheiten arg verseucht war, dass statt dessen geld wünschenswert und machtverleihend war. In den Niederlanden und England beschnitt man der monarchie die flügel, am ende des neuen, des 18. Jahrhunderts ging man in Frankreich mit hilfe der erfindung des arztes Guillotin noch weiter.
Aber vorher hatte die oper ihren ersten, langlebigen "hit": In Händels komischer oper "Serse" (Xerxes) träumt der persische könig im schatten einer platane "Ombra maì fù", und diese arie ist mit der tempobezeichnung "largo" (breit) versehen.
Irgendwann werden die kastraten knapp, man muss sie durch tenöre ersetzen, in Paris entbrennt ein opernkrieg zwischen Piccinisten und Gluckisten, es geht um eine reform, Christoph Willibald Ritter von Gluck (Mozart hatte den gleichen päpstlichen orden von "goldenen sporn", machte aber nie gebrauch von dem damit verbundenen titel) wollte der dramatischen handlung wieder mehr gewicht verleihen, "Orpheus und Eurydike" wird noch immer gespielt. Allmählich wird der "generalbass" abgeschafft, in Mannheim das orchester reformiert, in Wien beginnt ein neues "goldenes zeitalter", das jahrhundert verabschiedet sich mit der deutschen "Zauberflöte".
 
Auf das 19.jahrhundert werfen wir nur einen blick aus der vogelschau, es ist ja das "Eldorado" der oper. Das bürgerliche publikum erobert die bühne, sie wird schauplatz von nationalen empfindungen und wünschen. Italien und Deutschland konkurrieren mit verschiedenen "waffen", Rossini, Donizetti, Bellini, Verdi einerseits, Beethoven, Weber, Lortzing und andere bis Wagner andererseits, Frankreich entdeckt Goethe (Mignon, Werther und Faust) auf seine art, Russen, Polen und Tschechen mischen sich ein. Ein weg führt zum Musikdrama, zum Verismus, zum orchestralen schwergewicht, in zahlen: ein orchester von 30/40 musikern hat am ende 100/120 !

Das 20. Jahrhundert gebärdet sich eher museal, auf dem spielplan stehen die bewährten stücke, die neue tonsprache bekommt den sängern nicht, der oper auch nicht, sie wird allmählich durch andere medien verdrängt.

Fazit: oper hat viele seiten, wie steht es mit der harmonie des ganzen ? Wer drängt sich wann vor?
1. 17.Jh. gründung durch intellektuelle erwägungen - wiederbelebung des antiken dramas - primat des wortes
später: verschmelzung mit populärer schaulust zu festlichen anlässen, maskenzüge im freien jetzt als spektakel im opernhaus - prächtige dekorationen, götter schweben vom himmel, sterblich hinauf - und alles mit musik !
2. 18.Jh. Die sänger dominieren, sie teilen ihre wünsche den komponisten mit. Wieviel arien, duette mit wem, die gesangskunst erreicht virtuose höhen, darstellung wird vernachlässigt, regie: unbekannt, jeder setzt sich in szene, so gut er kann. In Mozarts meisterwerken (ende des jahrhunderts) ensemble-kunst, gleichgewicht von wort und musik, von gesang und instrumentalem
3. 19.Jh. auftreten von sänger/darstellern (Schikaneder, Lortzing, Milder-Hauptmann, Schröder-Devrient u.a.) - anfänge von regie (Wagner)- mit größerer bedeutung des orchesters, besonders in Deutschland, wachsender, am ende schließlich fast diktatorischer einfluss der dirigenten (Mahler)
4. 20.Jh. zunächst ensemble-, später auch zunehmend gastspielbetrieb, in letzter zeit vorwiegend regie-theater

Irgendeiner versucht immer, sich vorzudrängen, zum nachteil des ganzen, aber das ist ein weites feld und diskussionsbedürftig.
Die einteilung in jahrhunderte ist natürlich schematisch, Mozart gehört z.t. schon in das neue, das 19. reicht bis zum 1.weltkrieg.
 
"Wenn ich allein bin, und in mir die musikalischen Fibern erbeben, bunte, wirre Klänge zu Akkorden sich gestalten, und endlich daraus die Melodie entspringt, die als Idee mir mein ganzes Wesen offenbart; wenn das Herz dann in lauten Schlägen seinen ungestümen Takt dazu giebt, die Begeisterung in göttlichen Thränen durch das sterbliche, nun nicht mehr sehende Auge sich ergießt, – dann sage ich mir oft: welch' großer Thor bist du, nicht stets bei dir zu bleiben, um diesen einzigen Wonnen nachzuleben, statt daß du dich nun hinaus, vor jene schauerliche Masse, welche Publikum heißt, drängst, um durch eine gänzlich nichtssagende Zustimmung die absurde Erlaubniß zur fortgesetzten Ausübung deines Kompositionstalentes dir zu gewinnen!"

"Unmöglich kann es die Pflicht sein, was das Genie zu der schrecklichen Selbstverleugnung treibt, mit der es sich der Öffentlichkeit hingiebt. Hier muß ein dämonisches Geheimniß liegen. Er, der Selige, der Überglückliche, Überreiche, – geht betteln. Er bettelt um eure Gunst, ihr Gelangweilten, ihr Vergnügungssüchtigen, ihr eitlen Eingebildeten, ignorante Alleswisser, schlechtherzige, neidische, käufliche Rezensenten, und – Gott weiß!"

"Kannst du lügen? –
Nein! – –
Nun bist du verfallen, verachtet, wie in England die »Atheisten«. Kein anständiger Mensch redet mehr mit dir! –
Also: hoffe immer, daß dein guter Genius dir das erspart. – Lache, sei leichtsinnig, – aber dulde, und quäle dich: so wird Alles noch gut. Träume! Das ist das Allerbeste! –"

Wer könnte das wohl geschrieben haben?
 
Ihr habt's ja gewusst, an Richard Wagner führt kein weg vorbei.
Die lösung der bangen frage, warum man die arbeit und last, entbehrungen, ja not und krankheit auf sich nimmt, seine einfälle und eingebungen niederzuschreiben, einen harten kampf zu kämpfen, um sie einem widerwilligen publikum vorzuführen zu dürfen, gibt er auch: der künstler, der autor braucht geld und einfluss, nicht nur, um zu leben, sondern auch, um seine hochfliegenden pläne, seine sendung zu verwirklichen, und da nimmt er manches auf sich.
Ist es immer heiße liebe, die eine operndiva und einen milliardär, eine präsidentenwitwe und einen ölmagnaten, eine schöne schauspielerin und einen duodezfürsten, eine hochadlige dame mit einem (möglichen) thronfolger zusammenführen? Im unteren gesellschaftlichen bereich haben wir für leistungen besonderer art gegen entgelt im deutschen nur ein fremdwort, als ob die sprache sich dessen schämte.
Vielleicht stand Wagner auch noch unter dem eindruck einer aufführung von Mozarts "Don Giovanni" in der Pariser großen oper. Während die Grisi und der legendäre Lablache ihn zu tränen rührten, rührte sich keine hand zum beifall, während das hohle pathos des protagonisten, die Zerline, der publikumsliebling, weidlich beklatscht wurden trotz vieler unzulänglichkeiten. Am ärgerlichsten war ihm der tenor, der dann auch seinen berühmten triller anbrachte an stellen, wo er nicht hingehörte. Wagner war damals ende 20, in einem alter, wo man mit einiger bühnenerfahrung sich nicht mehr wundert, aber noch ärgert. Es mag ihm durch den kopf gegangen sein, dass es nicht genügt, auf können und leistung zu vertrauen, sondern dass ein wohlorganisierter fan-club weitaus nützlicher ist. Wagner brachte manches opfer, und manche seiner ideen wurde gründlich verfälscht, nur, um sie realisieren zu können.
Das ist heute natürlich ganz anders!
 
Die Pariser große oper war in geldnöten, ein "event" musste her, und da alle leierkästen den jungfernkranz und melodien von "wald und auen" oder "Bei tante Nudelbeck, da ist der pudel weg" (der populäre text zum bauernwalzer) dudelten, der jägerchor zum parademarsch avanciert war, verfiel man auf den "Freischütz". Zwei große hindernisse waren leicht überwunden: für die unumgängliche balletteinlage instrumentierte Hector Berlioz Webers brillantes klavierstück, "Die Aufforderung zum Tanz" und komponierte rezitative (gesprochen durfte nur in der opéra comique werden), was dann 3mal so lange dauerte und zu gähnender langeweile führte. Die übersetzung ins französische besorgte ein italiener, und wenn Samiel, der teufel in person mit eindrucksvollem backenbart und spanischem kostüm um Max herumscharwenzelte, dann, um festzustellen, in welcher sprache er denn sänge, und glaubte er, das wort "dieu" verstanden zu haben, zitterte er auf kunstvolle weise am ganzen leibe. So jedenfalls der eindruck Wagners, der Weber gekannt und bewundert hatte, für sein werk schwärmte und nun nicht wusste, ob er lachen oder weinen sollte. Die erste garnitur der sänger hatte sich geweigert, das tolle zeug einzustudieren, die zweite waren "kinder der finsternis", den fürsten hatte man türkisch, die jäger chinesisch ausstaffiert (die kostüme waren wohl gerade noch da), die zierlichen entrechats und battements des balletts passten auch nicht recht in die böhmischen wälder, und von der grausigen wolfsschlucht wollen wir lieber nicht reden, es genügt, dass die wilde jagd (des nun dämonisierten göttervaters Wotans heer) durch drei halbnackte knäblein mit pfeil und bogen verkörpert wurde.
Natürlich glaubte das publikum, das alles müsse so sein, und von jenseits des Rheins könne ohnehin nichts gutes kommen, und der opernkasse bekam diese unternehmung ganz und gar nicht.
Ein paar jahre später, da gab es wieder ein kaiserreich, machte Wagner mit seinem "Tannhäuser" an gleicher stelle berichtenswerte erfahrungen.
 
Ein spaßvogel meinte, wenn jemand um 1850 Wagners schulden beglichen und sich dafür dessen autorenrechte gesichert hätte, hätte er ein glänzendes geschäft gemacht. Wagner setzte sich dafür ein, dass die musiker der Dresdener hofkapelle besser bezahlt würden, ja er selbst wollte mit dem dirigenten Reissiger auf eine stufe gestellt werden. Am schlechtesten schnitten übrigens die posaunisten ab, wahrscheinlich weil sie nicht immer zu blasen hätten, und pausen wollte man damals ebensowenig bezahlen wie den bereitschaftsdienst für junge ärzte heute. Die sängerin Wilhelmine Schröder-Devrient (ist flämisch und wird "defrient" ausgesprochen, wovon ich ein schaf von regisseurin bei der "Lockenden Flamme" von Künnecke nicht überzeugen konnte) hatte ihrem kollegen ein darlehen vorgestreckt, aber als sie, die alternde, die Venus im "Tannhäuser" singen sollte, Wagners bezaubernde, junge nichte jedoch die Elisabeth, forderte sie ihr geld zurück, auch große künstlerinnen haben menschliche züge! Als vor ihrem fenster geschossen wurde, soll sie die kämpfenden so laut angeschrieen haben, dass sie erschrocken voneinander abließen.
Ein grund für Wagners pekuniäre nöte war natürlich auch die revolution von 1849. Da hatte er flammende reden gehalten und war auf die barrikaden gestiegen, er soll auch angeregt haben, jagdwaffen zu besorgen, von deren existenz und aufenthalt er wusste. Das wurde ihm besonders angekreidet, denn es wurde wirklich geschossen, die staatsmacht und ihre verbündeten preußischen truppen verloren 20 mann, die eigentliche staatsmacht, der sächsische könig war natürlich rechtzeitig mutig auf die nahe festung Königstein geeilt, die niemals eingenommen worden war und auch nie eingenommen wurde. Die verluste des pöbels, der "crapule" beliefen sich auf ca.200, man war nicht zimperlich, hatte etliche, die sich ergeben hatten, in die Elbe geworfen, um munition zu sparen, auch eine gruppe von verwundeten hatte man "entsorgt". Wagner war über Weimar in die Schweiz entkommen, wurde steckbrieflich gesucht und durfte 12 jahre lang kein deutsches ländchen betreten. Seine werke wurden aufgeführt, geld bekam er nicht. Als er in Straßburg war, bat er den ihm wohlgesonnenen großherzog von Baden, ihn mit einer ordonnanz abholen zu lassen ins nahe Karlsruhe, wo sein "Tannhäuser" aufgeführt wurde. Der großherzog traute sich nicht., und der König von Sachsen verweigerte eine amnestie, Wagner solle sich einem gericht stellen und könne dann vielleicht begnadigt werden. Auf dieses risiko wollte er sich nicht einlassen, waren doch mitkämpfer hart bestraft wurden (der architekt Semper, die Semper-Oper in Dresden kennt jeder, war auch entkommen). Der nun regierende, kunstsinnige König Johann von Sachsen hatte Dantes "Commedia" übersetzt und wusste um das elend seines ebenso geächteten autors, der nie nach Florenz zurückkam. Kaiser Napoleon III. erwirkte schließlich 1860 die erlaubnis für Wagner, sich in deutsche staaten außer Sachsen zu begeben, wenn es um die aufführung eigener werke ging. Ja, mit der justiz war schon damals nicht zu spaßen.
 
Fängt man an, in Richard Wagners schriften zu blättern, fällt das aufhören schwer: Über ein deutsches nationaltheater - Das kunstwerk der zukunft - Kunst und klima - Staat und religion - Über schauspieler und sänger - Publikum und popularität - Das publikum in raum und zeit -, worüber hat er sich nicht gedanken gemacht, aber was hat er nicht alles getan? Er hinterließ ein riesenwerk, sorgte für mustergültige aufführungen von Beethovens und Webers werken, fand und verbreitete eine neue art des dirigierens, legte den grundstein für vieles, was uns heute im "kunstbetrieb" selbstverständlich ist.
Ihm gelangen wunderbar poetische zeilen, er schrieb ja alle seine texte selbst, freilich findet sich auch vieles zeitverhaftete, bei aller vision war er ein kind seiner zeit, ein scharfer beobachter und auch, wenn man seine ansichten nicht immer teilt, welche fundgrube an kulturgeschichtlichen details!
Ich habe eine seiner schriften vergessen? Mitnichten, aber da es die einzige ist, die heute noch erwähnt wird, brauche ich mich nicht damit auseinanderzusetzen. Wer von Wagner nichts anderes weiß, als daß er antisemit war, und dass Hitler seine musik mochte, weshalb sie denn nichts taugen könne, sieht nur ein winziges teil eines breiten spektrums. Auf seite 3 haben wir uns damit oberflächlich auseinandergesetzt, wer will, mag da nachschlagen. Deutsche hörigkeit gegenüber siegern und die ständig zunehmende ohnmacht der pädagogik spielen wohl dabei eine rolle. Die verhältnisse haben sich umgekehrt: als ich meinem ersten klavierlehrer vorschlug, stücke zu spielen, die bei uns herumlagen, runzelte er die stirn und sagte : "NN, ist der nicht jude?". Als ich bei einer überprüfung aus den letzten klavierstücken von Hans Pfitzner spielte, runzelte der direktor des konservatoriums die stirn. Was ich spätheimkehrer nicht gewusst hatte, Pfitzner hatte antisemitische äußerungen getan und war nun verfemt ! Ideologien kommen und gehen, dummheit und geschmeidige anpassungsfähigkeit bleiben. "Mundus vult decipi" (die welt will betrogen werden), Franz Liszt wandelte den spruch um in "Mundus vult schundus!", auch das erfahre ich aus Wagners schriften und habe dem nichts hinzuzufügen.
Über Wagners musik schweige ich, die sollte man sich anhören !
 
Dass der kleine Richard in Leipzig und Dresden viele anregungen erhielt, berichtet er humorvoll selbst: er stand als engel im trikot mit pappflügeln auf der bühne, einige seiner geschwister wurden sänger/innen und schauspieler/innen, sein stiefvater (? -Was das fragezeichen bedeutet, verrate ich nicht) spielte die bösewichter am Dresdener Hoftheater, daheim erklang der "jungfernkranz" und anderes, und C.M.v.Weber ging nach den proben fast täglich am hause vorbei. Entscheidend wurde jedoch ein gastspiel der noch jugendlichen Wilhelmine Schröder-Devrient, sie sang in Leipzig die Leonore, und ihr aufschrei: "Töt' erst sein weib!" mit dem folgenden "Noch einen schritt, und du bist tot" ging ihm durch mark und bein. Das letzte wort pflegte sie zu sprechen, und dieser dramatische augenblick beeindruckte den jungen Richard so, dass er der sängerin einen brief schrieb, den sie gut verwahrte und ihm später wieder zeigte.
Ganz anders war die lage bei dem kleinen, gleichaltrigen Giuseppe im fernen Le Roncole: wie er zur musik , zum musiktheater fand, ist ein wahres wunder. Den geburtsort zu finden, selbst im modernen zeitalter, ist nicht leicht. Wenn plötzlich schilder auftauchen "Le Roncole-Verdi", am ortseingang dann ein riesenplakat mit bild und seinem ausspruch prangt "Hier wurde ich als bauer geboren, und ich werde immer ein bauer bleiben", hat man das dorf in der nähe des großen stromes (Italien hat nur einen) gefunden. Wer je die geschichten um Don Camillo und Beppone gelesen oder die filme gesehen hat, kennt die gegend, Fernandel kehrte bei den dreharbeiten oft bei dem autor Guareschi ein, der sich dort angesiedelt hatte, nachdem ihm von den deutschen und seinen eigenen landsleuten soviel schlimmes angetan worden war. Immerhin, wenn jeder im gefängnis so schöne geschichten erfände oder zu drehbüchern umwandelte - - - ich schweife ab, denn nach dem besuch bei Verdi schwätzte ich mit dem sohn des autors in dem nun zum museum eingerichteten nachbarhaus. *
Ich erzähle hier keine lebensläufe und bespreche keine werke, das kann man anderswo nachlesen, ich versuche, mit persönlich gefärbten schlaglichtern interesse zu wecken, sich weiter zu informieren und zu eigenem gewinn große werke kennen und womöglich lieben zu lernen. Man kann aber jederzeit über dieses und jenes diskutieren, ein forum (wer es "richtig" aussprechen möchte, sagt "forrum", ein gymnasiallehrer suchte in Rom nach dem dortigen "romanum", aber niemand verstand ihn mit seinem "fohrum", kein witz!) ist nicht für monologe sondern gedankenaustausch gedacht, und bisher habe ich nicht zwei personen kennengelernt, die bei gleicher faktenlage in allem gleicher meinung gewesen wären.
Da der winter in Italien kurz ist, richtet man sich wenig auf ihn ein, ich habe niemals so gefroren wie dort, wenn denn der winter einmal kommt wie '45/46, man nur durch eine dünne zeltwand von ihm getrennt ist, spürt man ihn selbst im sonst sonnigen, aber zeitweise verschneiten Neapel, von den passhöhen des Appennin, auf denen immer ein kalter wind pfeift, ganz abgesehen. In vater Verdis kramladen, -landwirtschaftliche produkte aller art, flüssiges am ort zu probieren-, hatte man die stallungen sinnig mit den wohn- und schlafräumen verbunden und genoss bio-wärme. Mir fiel der alte witz ein: "Wir halten die ziege im schlafzimmer" ,"Aber der geruch?", "Daran muss sie sich gewöhnen".
So wuchs also Giuseppino auf, bekam ein tafelklavier, eine ausbildung im nahen Bussetto und im ferneren Milano und, und, und - - - - - machte wie sein kollege in Deutschland eine gewaltige entwicklung durch von den ersten, unbeholfenen anfängen bis zu den reifsten meisterwerken des musiktheaters, denn die alte oper ließen sie beide weit hinter sich zurück.

*wen es interessiert: OT 8 Historikerthread 3, 42/44
 
Ich bin ein mann von grundsätzen, doch ach, die grundsätze ändern sich von fall zu fall. Ich hatte mir vorgenommen, nicht zu rezensieren und nicht zu empfehlen, aber -
Vor jahren hatte mich die wiedergabe des "Requiems" von Verdi tief beeindruckt, Abbado stand nach schwerer krankheit wieder am pult, ein schatten seiner selbst, die Berliner Philharmoniker gaben ihr bestes, ein stark besetzter rundfunkchor würdiger herren und schöner schwedischer damen sang mit sichtbarer und hörbarer anteilnahme, die solisten hörten aufeinander in seltenem einklang. Nun sah ich, dass diese sternstunde auf DVD erschienen sei, bestellte sie, sie kam, wurde gesehen und gehört, und mein damaliger eindruck bestätigte sich nicht nur, sondern wurde weit übertroffen.
Technisch gelungen, vom zartesten ppp bis zum gewaltigen "Dies irae" durchhörbar, an der bildregie will ich nicht herumnörgeln, aber - wir sprachen darüber anlässlich der Uchida - ob chor, ob solisten, ob musiker, ob dirigent, hier waren ausdrucksvollstes musizieren und singen im gleichgewicht mit der körpersprache.
Bei einem requiem geht es um die letzten dinge, wer wünschte sich nicht ewige ruhe und frieden statt höllenqualen oder ewiger seligkeit, und dieser wunsch, diese bitte mit solch dramatischer und auch wieder tröstlicher musik zu hören, wen ließe das unberührt und ungerührt !
Ob holzbläsersoli, fagottklänge, strahlend/prächtiger blechbläserchor, ausdrucksstarke streicher, knallhart und trocken wo nötig, sanft wie windeshauch anderswo, tempi, wie sie nicht anders sein können, man muss es gehört haben. Und wenn sich darüber der sopran der Angela Gheorghiu (auch als rumänin für mich inbegriff italienischer oper) erhebt, eine ebenbürtige mezzosopranistin neben ihr steht, die alle töne vom zartesten zum dramatischsten in der kehle hat, wenn man hohe sangeskunst und unglaubliche portamenti hört und diesem solistenquartett aus nächster nähe zuschauen darf, es ist ein ereignis.
Schaljapins glöckchen hatte keine pause.
 
Das konnte man nach dem krieg an vielen häuserwänden lesen, ja man sieht es bis heute neben vielem anderem: Verdi möge leben, ein volk verehrt seinen genius? Weit gefehlt, die inschrift stammt von royalisten (es gab zwei sorten italienischer partisanen: kommunisten und königsstreue) und sie bedeutet "Vittorio Emanuele Re d'Italia". Das war verständlich, als man sich bedeckt halten musste, die haft auf der festung Spielberg bei Brünn war berüchtigt, Kaiser Franz Joseph in Wien ließ sich in persona täglich berichten, wie es den italienischen patrioten denn dort gehe, legte auch eigenhändig und minutiös ihr tägliches menu fest und wieviel kilo an eisenketten sie an händen und füßen zu tragen hätten. Da hatte er wenig zeit für seine gemahlin Sissi, er regierte auch glücklos, und wenn er gar als feldherr auftrat, war die schlacht schon verloren.
Aufführungen Verdi'scher opern wurden zu manifestationen, der berühmte gefangenenchor wurde berühmt, weil er nicht nur musikalisch gewürdigt wurde. Dass der gedanke an freiheit, womöglich sie selbst sich auf goldenen schwingen verbreiten möge, war der geheime wunsch, die hoffnung lag auf Vittorio Emanuele aus Piemont. Sein denkmal ziert viele plätze, es fehlt die unterschrift "Ecco una merda!" (muss ich das übersetzen?), das soll ihm sein kanzler Cavour zugerufen haben, als er immer noch zögerte, in empfang zu nehmen, was Garibaldi ihm zu füßen legte.
Wer sich heute "Nabucco" ansieht oder anhört, wird enttäuscht werden, das stück ist schwach und der chor eine der "leierkastenmelodien", die Verdi berühmt machten, aber auch in verruf brachten.
Dennoch vollzieht sich das "wunder" Verdi und seine antwort auf die frage, was er denn für sein bestes werk halte, müssen wir nicht ganz ernst nehmen, obwohl das faktum erst- und einmalig ist. Er hatte geantwortet: "Das heim für alte musiker", das er aus den einnahmen aus seinen werken gestiftet hatte, und das heute noch besteht.
 
Bei Babbo und Mamma Verdi gab es schinken, käse, wein, grappa, alles was das großherzogtum (heute die provinz) Parma bis heute an leckeren und nahrhaften dingen hervorbringt, nur bücher gab es nicht, wozu auch, wer hätte sie lesen können? Wo erwarb sich Giuseppe seine bildung, wie wurde sein musikalisches talent entdeckt und gefördert? Er konnte doch nicht wie jemand 111 jahre später unter einem tisch sitzen, Radio spielen, den triumphmarsch aus "Aida" ansagen, um ihn dann lauthals wiederzugeben? Es ist von wandermusikanten die rede, die gelegentlich zum tanz aufspielten, eine orgel muss es auch in der kirche gleich nebenan gegeben haben, denn der 13jährige wurde dort organist mit festem gehalt. Es ist immer dasselbe, will man etwas genau wissen, erfährt man es nicht und stößt in allen quellen auf die gleichen redewendungen, es hat eben einer vom anderen abgeschrieben. Wie äußerte sich ein talent, was dachten sich die eltern? Wir erfahren, dass ein spinett, bei anderen ist es ein tafelklavier angeschafft wurde, es musste repariert werden, als Giuseppe 9 jahre alt war, und der meister bescheinigte dem jungen, damit umgehen zu können. Im nahen Bussetto gab es eine bibliothek, wie das gymnasium in händen der jesuiten, und es gab den kaufmann, dem der junge auffiel (aber wie?), und der ihn nach Mailand schickte, um sich auszubilden. Dort war er "zu alt", um noch richtig klavierspielen zu lernen, für unterricht im kontrapunkt glücklicherweise noch nicht, außerdem war er "ausländer", denn Milano war österreichisch, Parma französisch, warum hätte man ihn fördern sollen?
Die natur produziert in verschwenderischer fülle, um die vielen verluste ausgleichen zu können. Nicht alle samen werden zu pflanzen, nicht alle spermatozoen zu menschlein (horror!). Ein literat namens Ghislanzoni hatte an die 85 opernlibretti geschrieben, aber eines wurde weltberühmt: "Aida". Durch wieviel misserfolge musste sich Verdi - und nicht nur er - im wahrsten sinne durchkämpfen, um zu seinen reifen meisterwerken zu gelangen, was für ein immerwährender lernprozess!
Stalin hatte gut reden: er empfahl seinen filmschaffenden: "macht weniger filme, aber lauter meisterwerke!". Das waren natürlich die, in denen er selbst, schön geschminkt und hochgewachsen (was er in wirklichkeit nicht war, weshalb er sich mit staatsgästen nur sitzend fotografieren ließ), salbungsvolle reden schwingend, vorkam, und wozu Schostakowitsch die musik machen musste.
 
Italien war noch nicht fertig, aber es gab schon ministerien und minister, was tun sie? Sie bilden kommissionen, weihen etwas ein und verleihen orden. Ein ministerium bietet Rossini an, sich als vorsitzender eines zu bildenden gremiums um die konservatorien im lande zu kümmern, in dem veröffentlichen schreiben heißt es "da seit 40 jahren (d.h. seit Rossini nur noch kochte anstatt zu komponieren) in Italien keine oper mehr geschrieben worden sei - - -" , wenig später schlägt der gleiche minister vor, Verdi einen neugeschaffenen orden zu verleihen. Verdi antwortet, man habe sich wohl in der adresse geirrt, wenn der Herr Minister schon nie von Bellini und Donizetti gehört habe, wie käme er, Verdi, zu solcher ehre. Da gäbe es würdigere, die sich um das entstehende vaterland verdient gemacht hätten, z.b. die generale die gerade ein paar schlachten verloren hatten.
Er hätte an Schadows denkmal in Berlin "Unter den Linden" seine helle freude gehabt, wo obenauf der alte Fritz hoch zu pferde sitzt, rundherum auf dem sockel seine dümmlich dreinschauenden generale und unter dem erhobenen schwanz die creme preußischen geistes, Kant, Lessing, Carl Philipp Emanuel Bach. Ein denkmal preußisch/militaristischen ungeistes!
Wagner und Verdi führten die oper zu einsamer höhe, aber welch unterschied! Wagner endet im bühnenweihspiel Parsifal, und aus der höchsten höhe singt ein chor seliger knaben "erlösung dem erlöser!", der junge Verdi hatte mit einer komischen oper und einem misserfolg begonnen, der 80jährige beschließt sein lebenswerk mit einer zweiten quicklebendigen und meisterhaft gestalteten, und wie lauten die letzten worte, in einer fuge so oft wiederholt, dass sie am schluss jeder begriffen hat ? "Alles ist spaß auf erden, und wir menschen sind geborene toren!" Kann man sich einen größeren gegensatz denken?
Höhenluft ist dünn, hohe kunst nicht immer populär, und wenn sich auch die massen in der Sixtinischen Kapelle drängen, weil man ja dagewesen sein muss, aber nur wenige den punkt suchen oder gar finden, von dem aus sich das perspektivische wunderwerk aufrichtet zu voller schönheit, wenn im Louvre trauben von menschen wie ein bienenschwarm vor Leonardos Mona Lisa hängen und wenige schritte daneben einen wunderbaren Watteau keines blickes würdigen, habe ich ein beklemmendes gefühl. Vor einiger zeit gab man in Wien Verdis Requiem, Pavarotti, auf der höhe seines ruhmes, sollte singen, sagte aber ab. Dem publikum wurde das kurz vorher mitgeteilt, es murrte, wollte es Pavarotti hören und das stolz allen bekannten mitteilen, wollte es Verdis wunderwerk, dieses dunkle juwel, hören? Kurz und gut, zur ehre der wiener sei gesagt, der abend nahm seinen verlauf, und der - mir, der ich kein Pavarotti-verehrer war, wesentlich genehmere - "ersatz" wurde gebührend gewürdigt.
 
„Meine herren, ich wollte Sie nicht nur unterhalten, sondern Sie zu besseren menschen machen“, soll Georg Friedrich Händel nach einer aufführung des „Messiah“ gesagt haben. Ob musik diese reinigende wirkung, die katharsis, hat, die man der antiken tragödie zuschrieb, wage ich nicht zu behaupten, wohl aber, dass sie wohltuende wirkungen auf empfängliche gemüter ausüben kann. „Ein mensch, der die musik nicht liebt, neigt zu verrat und niedriger gesinnung“, das kommt aus dem elisabethanischen England. Fest steht, dass der mensch sich von urzeiten an schmückt, ständig schönes schafft, dazu viel zeit aufwendet, mag der begriff des schönen auch noch so unscharf, in allen nuancen schillernd und zeitverhaftet sein. Es ist zu vermuten, dass in uns allen die sehnsucht nach einer besseren, schöneren welt lebt, die sich ausdruck verschafft und uns oft veranlasst, mit unserer gegenwart unzufrieden zu sein.
„Ihrem ende eilen sie zu“, so der un-ebenbürtige Loge Wagners, der Loki der Edda, der kopfschüttelnd das treiben des „göttergelichters“ betrachtet, das er allerdings selbst zu lug und trug angestiftet hat, denn dort sind die götter an allem schuld, sie haben die macht und missbrauchen uns menschen für ihre zwecke.
Das jahrhundert war groß an technischem fortschritt, aber auch an herrschsucht und gier, an entwurzlung und ausbeutung von mensch und resourcen. Das "maschinenwesen", die "spinning Jenny", mechanische webstühle, dampfmaschine, eisenbahn und elektrizität konnten die menschheit befreien von schwerer arbeit, aber das elend der weber, kinderarbeit, kolonialismus, spekulationsgewinn und prostitution, bankiers- und fabrikantenvillen und mietskasernen waren sichtbar vor aller augen, real, "sozial verträgliche maßnahmen" noch unbekannt. Wissenschaftliche erkenntnisse in medizin, physik, chemie konnten das leben länger, leichter, schöner machen. Aber gespenster gingen um im Europa des 19.jahrhunderts, Karl Marx, Schopenhauer, viele schriftsteller wiesen darauf hin, die kunst Wagners und Verdis reagierte wie ein seismograph. Dramatische kunst kann denkmodelle durchspielen, utopien oder die folgen falschen handelns vorführen, sie hält der gesellschaft einen spiegel vor, ist nicht nur larifari, unterhaltung und sinnenkitzel, aber wer will die botschaften hören, wer sie entschlüsseln oder gar anwenden ? Wo bedarf ist, wird er befriedigt, wenn die künstlerischen ansprüche der oper zu hoch werden, bietet man die kleine schwester an, die operette. Da kann man in walzer-, polka-, mazurka, modetanz-seligkeit schwelgen, da "kriegen sie sich" am ende, selbst wenn zwischendurch ein paar tränen der rührung vergossen werden. Je ein schuss komik und laszivität runden das menu ab, und man kann sich nach des tages last und mühen erholen. Das rezept ist bis heute in varianten erfolgreich.
 
Verdi's "La Traviata" war bei der uraufführung 1853 ein misserfolg, warum? Erstmals wurde eine oper im kostüm der zeit gegeben, ging auf eine wahre begebenheit zurück, die sich gerade zuvor ereignet hatte, der realismus hatte die oper erreicht. Marie Duplessis, ein armes mädchen aus der Normandie, war als dienstmädchen wie viele andere nach Paris gekommen, schön, charmant, geistreich machte sie sich freunde und verehrer, Gautier, Liszt, Dumas jr., ein Comte Eduard de Perregaux heiratete sie, aber die ehe ging bald in die brüche, mittellos, hoch verschuldet, starb Marie 23jährig am 3.Februar 1847. "Sie ist die erste nicht!" würde Mephistopheles über sie gesagt haben. Ein roman, ein drama "Die Kameliendame" entstand, Sarah Bernard und Eleonore Duse brillierten in der rolle. Die zensur konnte durch verfremdung überlistet werden, für das publikum war ein solches zeitstück neu, eine prostituierte als heroine, welches bild der gut-bürgerlichen gesellschaft! In der oper wird Violetta, wie sie nun heißt, in ein echtes liebesverhältnis verwickelt, sie opfert sich auf für ihren Alfredo, denn dessen vater hat sich verspekuliert und braucht eine reiche erbin für sein verwöhntes söhnchen. Ihm, dem vater, schreibt Verdi die berühmte leierkastenarie mit ihren entlarvenden holzbläserterzen, als er Gott anruft, um seine "moralischen" wünsche durchzusetzen. Wer verdenkt einem komponisten, wenn er missmutig und sarkastisch wird, wenn seine charakteristiken ständig missverstanden werden? Es gab einen zweiten grund für unangebrachte heiterkeit bei der première: die darstellerin der Violetta entsprach optisch nicht ihrem an TB leidenden vorbild, und das ist in diesem falle unverzeihlich.
Missverständliches war schon im "Rigoletto" geschehen, der tenor hatte um eine zusätzliche arie gebeten, Verdi hatte ihn hingehalten bis zur generalprobe, dann durfte er das liedl auch nur leise einstudieren, damit es wie eine bombe einschlüge. Nach Händels "Largo", Webers "Jungfernkranz" und dem eigenen "Nabucco-chor" war ein neuer hit geboren "La donna è mobile!" "Oh wie so trügerisch!" Verdi wollte diesem charakterlosen nichtsnutz (eigentlich König Franz I. von Frankreich, der sich "amüsiert", indem er die frauen seiner hofschranzen seiner anteilnahme würdigt und sich an der "schande" der zähneknirschenden weidet), dem es egal ist "ob diese oder jene", das banalst/mögliche zumuten mit der verrufenen hm-ta-ta-begleitung, und was wurde daraus? Ein glanzstück aller tenöre mit einem hohen "h" am schluss. Ist doch ärgerlich so etwas!
Ein augenblick, der mir immer gänsehaut verursacht, im "Don Carlos": da regt sich im volk widerstand gegen die grausamkeit im eigenen land und im fernen Flandern, gesandte werden misshandelt, ketzer verbrannt, aber dann beschwört der großinquisitor Gott und alle heiligen, und das volk sinkt demütig auf die knie. So wurden die kriege des kommenden jahrhunderts angezettelt, so funktionierten die diktaturen, mit Gott und manchmal auch ohne ihn, aber immer mit unterwürfiger begeisterung - für eine minderheit sehenden auges - in den abgrund wie die lemminge!
Lassen wir unsere betrachtungen heiter ausklingen, lernt von den "modellen", seid nicht ehrgeizig wie Macbeth, nicht eifersüchtig wie Othello, und vor allem: schreibt nicht den gleichen liebesbrief an zwei miteinander befreundete frauen, sonst ist euch ein bad in der Themse gewiss. Und noch eine lehre aus dem "Falstaff": zwei liebende finden trotz aller hindernisse immer einen verborgenen winkel.
 
Nun holen wir erst mal tief luft und legen eine pause ein. Ein guter pädagoge (was ich nie war) gibt nur anregungen und lässt seine hörer oder leser selbst finden, was bekanntlich viel mehr vergnügen bereitet, als sich belehren zu lassen. Ich habe auch bewusst wenig oder kaum über musik geredet, weil musik zum anhören da ist, und dazu gibt es heutzutage mehr möglichkeiten denn je.
Ich hätte auch viel früher aufgehört, denn eine solche folge von längeren beiträgen ist ja nicht "board-typisch", hätte ich nicht hinter den "hits" ein gewisses interesse vermutet, es kann natürlich auch sein, dass ein einziger "tifoso" 2 000 mal die taste gedrückt hat. Ein beitrag von immerhin 37 wurde sogar positiv bewertet, das war der, wo ich beschrieben hatte, was man in einer oper alles zu sehen bekommen kann. Ich hätte natürlich hinzufügen müssen, dass man das alles nicht in einer einzigen oper geboten bekommt, sondern sich mehrere ansehen muss. In der Komischen Oper in Berlin sah ich z.b. ein werk von Händel, in dem zwei öchslein die hauptrolle spielten und den meisten beifall bekamen, der daneben agierende counter-tenor möge mir verzeihen, aber in dieser angelegenheit teile ich die ansicht Wagners, der noch einen echten kastraten erlebt hat. Kapitale esel habe ich meist an regietischen und auf intendantensesseln gesehen, aber das ist ein anderes kapitel, und die, die ich meine, habe ich überlebt.
Ich werde dem forrum (die schreibweise ist beabsichtigt) treu bleiben, und mich einmischen, wo es lohnt, und wenn jemand eine idee hat, worüber wir in zukunft reden könnten, soll er es sagen. Ich danke für das interesse, und lebten wir noch in barocken zeiten, würde ich unterzeichnen wie Bach mit "Euer aller-untertänigster knecht", aber zum glück haben die zeiten sich geändert. GS
 
Zum wochenende noch ein kleiner nachschlag ("und als sie sich schwingen in munterem reigen, da flüstert er leise, er kann's nicht verschweigen - -", wo ist denn das wieder her? Vielleicht setzt das Haus Hofmann eine prämie aus für die richtige antwort) :
Am 02.05.1872 wird "Aida" in Parma erst-aufgeführt (ein ur-aufführung findet nur einmal statt, erst-aufführungen betreffen einen bestimmten ort (eine sängerin, ich und die programmheftgestalter standen einmal vor der frage, ob wir einen zyklus von a-tonalen klavierliedern des im 1. weltkrieg jung umgekommenen Rudi Stephan ur- oder erst-aufführten, wir entschieden uns bescheiden für das wahrscheinlichere, obwohl nichts genaues zu ermitteln war).
Ein Herr Prospero Bertani aus Reggio-Emilia (aus Reggio kommt der meiste parmesankäse und parmaschinken, aber "Parma" klingt besser, die Provinz nördlich des Appennin, südlich des Po heißt so, weil die alte römerstraße dort, eine von denen, die bekanntlich immer nach Rom führen, "Via Emilia" heißt) fuhr von Reggio nach Parma, es ist nicht weit. Was er dort erwartet hatte, ist nicht bekannt, elefanten auf der bühne, richtige, nicht nur angemalte Äthiopier, die richtig äthiopisch sängen, musik alla Rossini ? Die oper gefiel ihm nicht, und um sein urteil zu bestätigen, denn er hörte sonst nur gutes, wiederholte er seinen besuch zwei tage später. Es fiel ihm schwer, bis zum finale auszuhalten, aber leicht, einen brief an den komponisten zu schreiben:
"Lieber Verdi, es missfällt mir außerordentlich, soviel geld ausgegeben zu haben, zumal ich kein eigenes einkommen habe, sondern bei meinen eltern lebe, ich erlaube mir also in rechnung zu stellen
bahn hin . . . . . . . . . . .2,60 Lire,
bahn her . . . . . . . . . . 3,30 " (Mehdorn würde sich darüber nicht wundern)
biglietto . . . . . . . . . . .8.- .."
abendessen (schlecht) 2.00 "
wiederholung. . . . . . 15,90 "
________________________________________
summe . . . . . . . . . . 31,80 Lire

Von herzen, Bertani

Verdi übergab die angelegenheit seinem verleger Ricordi, bestand aber auf abzug des abendessens und einer erklärung, dass dieser Herr nie wieder eines seiner, Verdis werke besuchen möge, um weitere unkosten und ansprüche zu vermeiden. Es hätte ja statt Parma auch Kairo oder Rio sein können!
 

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