Power Chords hoch vs. tief: Choice Overload beim Arrangement (7-/8-String, Digitech Drop Pedal etc.)

Strato Incendus
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Jeder, der auf 7- oder 8-Saiter gewechselt ist, hat dies wahrscheinlich getan, weil er beim Spielen auf dem regulären 6-Saiter nach unten hin immer zu schnell das Gefühl hatte, dass ihm die Töne für tiefe, kraftvolle Power Chords ausgehen - bzw. für Riffs auf der Leersaite. Oder er hatte vorher runtergestimmt, vermisste dann aber die oberen Solo-Töne, die ihm durch Halbton- oder Ganzton-Runterstimmen verloren gingen (insbesondere, wenn man das auf einer Gitarre macht, die ohnehin nur 22 Bünde hat).

Wer aber länger mit 7- oder 8-Saitern spielt - insbesondere, seitdem man deren Tonspektrum durch Pedale wie Digitechs "The Drop" oder die erweiterte Drop/Whammy-Kombination noch weiter vergrößern kann - der kennt vielleicht auch das umgekehrte Problem:
Den gleichen "Choice Overload", den man heutzutage vielerorts erlebt - den die meisten aber daher kennen, wenn man den ganzen Abend durch Netflix stöbert, sich dann aber am Ende für keine konkrete Serie entscheiden kann und schließlich ins Bett geht, ohne überhaupt eine angefangen zu haben.

Gerade im Power Metal, wo ein Großteil der Songs einfach nur aus Power Chords besteht - und nicht etwa aus konkreten Riffs, die nur auf einer bestimmten Saite und damit in einer bestimmten Tonart funktionieren - hat man mit mehr Saiten stets die Qual der Wahl, ob man sein H5, C5, C#5 oder D5 jetzt hoch (=Grundton auf der A-Saite) oder tief (=Grundton auf der H-Saite) spielt:
Tiefe Power Chords klingen kraftvoller, aber auch potenziell matschiger, und das nicht nur wegen der Verzerrung, sondern aus rein physikalischen Gründen, wegen der Interferenzen, die bei tiefen Akkorden stärker sind.
Hohe Power Chords füllen das Klangspektrum mit mehr Gitarren-Anteilen in den Mitten, wo die Gitarre ja eigentlich zuhause ist, nehmen dafür aber auch dem Keyboard den Platz weg bzw. drücken das Keyboard noch weiter nach oben, das im Power Metal ja auch meist dazugehört. Außerdem schließt sich der Bass in der Regel der Gitarre an, d.h. wenn die Gitarren ihre D5 oder E5-Power Chords hoch spielt (=auf der A-Saite), wird wahrscheinlich auch der Bass mit hoch gehen, und dadurch "drückt" es untenrum insgesamt weniger. Lässt man hingegen den Bass auf dem tiefen Grundton (=E- oder H-Saite), während die Gitarren weiter oben spielen, bleibt da eine gehörige Lücke (Spaltklang), weil jetzt ja zwei Oktaven zwischen Rhythmusgitarre und Bass liegen.

Im Power Metal muss es im Allgemeinen zwar generell weniger "drücken" als in härteren Subgenres; daher sieht man hier auch noch recht viele Bands, die nur standard-gestimmte 6-Saiter spielen, oder allenfalls mal einen Halbton runter. Die einzige klassische Power Metal-Band, die seit jeher 7-Saiter verwendet, die mir bekannt ist, sind Nocturnal Rites. Aber auch bei Bands, die man in der Regel nur mit 6-Saitern sieht, wie DragonForce oder Freedom Call, gibt es einige Songs mit 7- oder 8-Saitern, Tendenz gefühlt zunehmend. Unleashed the Archers haben früher auch nur Drop D gestimmt, die habe ich jetzt aber auch schon 7-Strings verwenden sehen.

Je näher eine Band an den Symphonic Metal herankommt - das Subgenre, was mit dem Power Metal am nächsten verwandt sein dürfte - desto eher sieht man 7- oder 8-Strings (Sirenia, Epica), oder eben noch weiter runtergestimmte 6-Strings (Nightwish, Edguy), weil im Symphonic Metal der Bombast eben wichtiger ist, und damit auch wieder das "Drücken untenrum". Bei DragonForce, Rhapsody of Fire und anderen primär für ihr hohes Tempo bekannten Power Metal-Bands hingegen "schnattern" die Rhythmusgitarren mehr, durch das schnelle Rhythmus-Spiel, das meistens aus durchgängigen 16teln oder schnellen Triolen besteht. Und nicht etwa aus synkopischen Palm Mutes in Achtel-Mustern (Nightwishs "Amaranth" oder Edguys "Ministry of Saints" als Beispiel).


Kombiniert man diese eigentlich kleine Arrangement-Entscheidung mit den vielen anderen "Choice Overload"-Szenarien, die man beim Songschreiben und Aufnehmen heute dank der vielen Möglichkeiten hat - dutzende Optionen an Amp Sims und Speaker-Simulationen über Impulse Responses usw. - kann man eine gefühlte Unendlichkeit damit verbringen, sich selbst zu hinterfragen, anstatt sich für eine Option zu entscheiden, dabei zu bleiben und vorwärts zu gehen. Ich nehme dann oft beides auf - ein paar Takes, wo ich die Power Chords hoch spiele, ein paar, wo ich sie tief spiele - um entscheiden zu können, was in der Praxis besser klingt. Manchmal ist diese Entscheidung aber auch dann nicht einfach, denn hoch oder tief klingt nur selten eindeutig besser oder schlechter, sondern eben einfach "anders".

Und ich bin schon jemand, der sich bewusst nie eine Reamp-Box zugelegt hat, sonst bleibt dieses Hinterfragen ja auch nach dem eigentlichen Aufnehmen der Gitarren noch. (Ich beziehe mich da immer auf diese Studie, von der ich im Studium mal gehört habe, wo eine Gruppe von Probanden ihr neues Handy noch eine Weile lang umtauschen konnte, die andere nicht, und letztere mit ihrem Kauf glücklicher waren. :D) Damit würde man zwar nicht ändern, was man gespielt hat, könnte allerdings den Sound jederzeit im Nachhinein nochmal anpassen. Genau, wie wenn man ein Drum Plugin verwendet und somit nach dem Aufnehmen der MIDI-Spur noch den Drum Sound grundlegend ändern kann.
Wer Gitarren mit Amp Sims und/oder Impulse Responses als Plugins direkt in der DAW aufnimmt, der kann natürlich auch die Amp Sim und/oder Impulse Response nach dem Aufnehmen noch abändern, und ist damit in der gleichen Zwickmühle, auch ohne analoges Reamping. Wenn ich meinen Torpedo Captor X verwende, benutze ich zwar separate Impulse Responses (OwnHammer Heavy Hitters), aber verwende nur die PC-App für die Bedienung des Captors, nicht das Wall of Sound-Plugin für die DAW, d.h. ich nehme den Sound aus dem Captor X inklusive der gewählten Impulse Response auf, sodass ich danach NICHT einfach nochmal die Impulse Response austauschen kann, ohne neu aufzunehmen.


Habt ihr eine bestimmte Daumenregel, wann ihr hohe vs. tiefe Power Chords verwendet, sofern ihr denn für einen gegebenen Akkord die Wahl habt? :) Klassische Anwendungsbereiche Strophe vs. Pre Chorus vs. Chorus vs. Solo vs. Bridge vs. Outro etc.
Palm Mutes immer eher tief, offene Power Chords immer eher hoch? Oder auch tiefe offene Power Chords für mehr "Wumms", solange es nicht matscht, und dafür mehr Platz in der Mitte des Frequenzspektrums für Stimme und Keyboard?
Oder auch hohe Palm Mutes, wenn man die gespielten Rhythmus-Patterns besser hören können soll, weil das in den Mitten nun einmal leichter zu hören ist als in den Tiefen?

Ich habe das Thema bewusst auf Power Metal und Symphonic Metal spezifiziert, da ich davon ausgehe, wenn eure Songs hauptsächlich aus tiefen Djent-Riffs bestehen und euch Power Chords zu Mainstream sind, betrifft euch dieses Dilemma nicht. :p
 
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Sobald mir mein Bassist einen auf die Ohren haut, weil ich in seinem Ton-Spektrum wildere, spiele ich die hohen Akkorde.
Ich frage mich sowieso immer, warum ich die tiefen Töne überhaupt spielen soll, wenn es doch einen Bassisten gibt.
Wenn dann auch noch der Keyboarder den gleichen Bass wie ich und der Bassist spielt, klingt das ganze vollend subobtimal.
 
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Es geht ja nicht nur um das Tonspektrum, sondern auch um das Frequenzspektrum. ;) Eine 8-saitige Gitarre deckt auch dann noch andere (höhere) Frequenzen ab als ein Bass, wenn beide in der gleichen Range spielen. Ganz anschaulich mit Equalizer demonstriert hier (ab 0:58):


View: https://www.youtube.com/watch?v=TxaEK6jWGsI&t=19s
 
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Ich ergänze mal ... und setze Ton-Spektrum = Frequenz-Spektrum.

Und ja ... auf einer 8-saitige Gitarre kann man höhere Töne spielen, als auf einem 6-saitigen Bass. Aber warum sollte der Bass die hohen Töne spielen. Dazu ist die Gitarre da.
Gitarre spielt Gitarre, Bass spielt Bass. Nur meine Meinung. Andere mögen das anders sehen.
 
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Nur zur Klarstellung: Mit "hoch" meine ich beim Bass die Grundtöne auf der A-Saite. Ich rede also immer noch nur von den tiefsten beiden Saiten eines handelsüblichen 4-Saiters, wo man für die Töne unterhalb von E ja gar keine andere Wahl hat, als sie in dieser Lage zu spielen. Mit einer 7-saitigen Gitarre hingegen würde man ja üblicherweise 5-saitige Bässe kombinieren, und dann ist von allem von H bis Eb die Frage, wann man es hoch, wann tief spielt.
 
Ich ergänze mal ... und setze Ton-Spektrum = Frequenz-Spektrum.

Und ja ... auf einer 8-saitige Gitarre kann man höhere Töne spielen, als auf einem 6-saitigen Bass. Aber warum sollte der Bass die hohen Töne spielen. Dazu ist die Gitarre da.
Gitarre spielt Gitarre, Bass spielt Bass. Nur meine Meinung. Andere mögen das anders sehen.
Es klingt halt anders. Ein tiefes F# auf einer 8 Saiter klingt anders als das F# auf dem Bass. Andere Saiten, Mensur, Tonabnehmer, Amp, Cab etc. Durch einen durchdachten "Wechsel" kann man schon einen interessanten Sound im Song erzeugen. Das passiert in den meisten Fällen jedoch nich, jedenfalls nicht bei den Bands die ich bisher kennen gelernt habe.

(Das ist nicht auf dich bezogen @boisdelac , sondern allgemein):
Schon witzig finde ich, dass manche Gitarristen den Unterschied zwischen 42er oder 43er Draht im Humbucker hören, aber nicht den Unterschied der oben genannten Faktoren "anerkennen" wollen. Manchmal glaube ich, dass ist einfach ein "aus Prinzip" -Ding.

Ansonsten würde ich bei der Frage, ob tiefe oder hohe Powerchords immer Ohr und Bauch entscheiden lassen. Und zwar durch ausprobieren mit allen involvierten Musikern.
 
Grund: Um Missverständnisse zu vermeiden
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