Also erstmal: Deine Probleme sind mal absolut sowas von typisch für einen Mann (auch und gerade was die von dir genannten Tongrenzen angeht) und du singst wirklich schon ziemlich gut. (haben die anderen ja auch schon geschrieben aber ich wollt's nochmal bestärken

)
Jetzt zu meinem Problem.
Immer wenn ich meine Lieder üben möchte. Muss ich die Töne von D4 - F#4 ziemlich "quetschen" was natürlich auch sehr bescheiden klingt. Ich mach dann Pause und denke einfach nicht mehr weder an das Lied noch an Musik selbst. Danach ist der Bereich nicht nur voller sondern auf kräftiger, aber man merkt es halt ein wenig durch ein leichtes Kratzen bei langen Tönen ohne vibrato, dass ich vorher über die Stränge geschlagen habe.
Mal zu den Tongrenzen. Es gibt verschiedene "Übergänge" in der Stimme. Diese Übergänge gibt es in zwei Geschmacksrichtungen. Zum einen, wenn etwas an den Stimmlippen passiert (ein Wechsel des Schwingungsmodus oder Registers) und zum anderen, wenn stärkere Anpassungen des Vokaltrakts vorgenommen werden müssen (auf höheren Tönen muss der gesamte Stimm-Mechanismus etwas "verkleinert" werden, gleichzeitig aber auch der Raum zwischen Zunge und Kehlkopf (Pharynx) vergrößert werden). Die Registerübergänge sind dabei abhängig vom Stimmfach, während die Übergänge der "Vokaltraktform" für alle Stimmfächer nahezu gleich sind.
Die typischen Übergänge hast du so ziemlich alle genannt.
- Zwischen B3 und D#4 liegt für die allermeisten Männer da sogenannte untere Passaggio, das ist der Ton, ab dem abgeschlankt wird, also die Vollstimme mehr zur Randstimme hin verschoben werden muss.
- Bei E4 liegt ein Vokaltraktübergang. Hier beginnt der Bereich, in dem nach klassischem Vokabular "gedeckt" gesungen wird. Dabei wird der Kehlkopf etwas stärker gesenkt und die Zunge etwas stärker gewölbt und leicht nach vorne verschoben. Es fühlt sich dann so an als wäre der Gesang vom Stimmsitz her im Bereich der Pharynx "eingseperrt" und würde nicht mehr offen durch den Mund nach außen dringen. Das ist für viele zunächst etwas seltsam. Was helfen kann ist, sich vorzustellen, dass man nicht aus dem Mund, sondern aus den Augen oder aus der Stirn singt. Tatsächlich haben gerade viele Männer Probleme mit dem gedeckt singen, aber es macht den Unterschied in diesem Tonbereich zwischen normalem "Rufen"/"Schreien" und Singen.
- Bei F#4/G4 liegt der nächste Übergang, diesmal wieder ein stimmlippenbedingter. Hier ist für die meisten Männer das Ende der Bruststimme. Normales Rufen ist hier in der Regel am Ende. Ein "nicht-gedecktes" Singen ist fast unmöglich.
- Bei etwa A#4 liegt dann wieder ein Vokaltraktübergang. Hier muss umgeschaltet werden auf "maximale Weite", d.h. sehr viel "Gähnstellung", Zunge schön gewölbt und Zungenrücken möglichst weit vorne. Dieser Übergang wird oft mit einem Registerwechsel verwechselt, tatsächlich wechseln untrainierte Männer hier auch oft ins Flageolott (die berühmte Pfeifstimme). Aber deine Kopfstimme ist hier noch nicht zu Ende, wahrscheinlich fehlt dir nur die richtige Anpassung des Vokaltraktes.
- Dann kommt wieder ein Registerübergang, nämlich der von der "verschlankten" Vollstimme in die Randstimme. Dieser ist wieder Stimmfachabhängig und kann bei sehr tiefen Stimmfächern (Bässen) auch vor dem eben genannten Vokaltraktübergang liegen. Dieser Registerübergang liegt genau eine Oktave über dem "unteren Passaggio", also für die meisten Männer zwischen B4 und D#5.
- Dann kommt bei E5 wieder ein Vokaltraktübergang in die sogenannte "Pfeifresonanz". Unabhängig vom Stimmlippenmodus bekommt der Gesang hier einen pfeifenden Charakter, die Stimmlippen schließen nicht mehr vollständig, die Pfeifstimme wird sozusagen "beigemischt".
- Dann kommt wieder ein Registerübergang und zwar wieder Stimmfachabhängig und wieder genau eine Oktave über dem vorherigen, nämlich der Übergang in die reine Pfeiffunktion, der bei den meisten Männern entsprechend zwischen B5 und D#6 liegt.
Jetzt habe ich die Wahl.
a) Sing bis F#4 mit in leicht angekratzter Stimme und belasse es dabei. Kann also nicht höher als F#4 damit.
b) Schaltet ab E4 auf Kopfstimme um. Klingt halt sehr sehr hell ( wie ein anderer Mensch). Das Umschalteten fällt mir halt anfangs sehr schwer.
1.) Soll ich a oder b wählen?
Das oben hört sich jetzt vielleicht reichlich kompliziert an, aber das ist es gar nicht, denn im Prinzip kannst du das alles gleich wieder vergessen. Es ist lediglich die Erklärung dafür, warum deine Probleme gerade an den Stellen auftreten, die du genannt hast. (Und soll dir den Trost spenden, dass es den meisten Männern an genau diesen Stellen ähnlich geht

)
Für die Praxis hat es sich für mich persönlich sehr gelohnt, überhaupt nicht "in Registern" zu denken. Stell dir beide Veränderungen, sowohl die Änderung des Stimmlippenmodus (Registers) als auch die Änderung des Resonanzmodus (Vokaltraktanpassung)
als Kontinuum vor. Es gibt keine "Übergänge", sondern nur eine graduelle Veränderung. Die "Wahl" des Registers sollte nicht als solche getroffen werden nach dem Motto "Ich will diesen Ton jetzt in der Vollstimme/im Falset singen", sondern eher so: "Ich will diesen Ton laut/leise oder schmetternd/sanft" singen.
Es klingt jetzt vielleicht komisch, aber im Prinzip sind deine Alternativen beide nicht wünschenswert. Ich habe so ziemlich genau dieselben Probleme gehabt wie du und gerade diese Fehleinschätzung, dass man die Register "wählen" müsste stand mir dabei ziemlich im Weg. Möglichkeit a) ist nicht wünschenswert, weil wenn es kratzt und bei F#4 Schluss ist, singst du wahrscheinlich mit zu viel Masse. Möglichkeit b) ist auch nicht wünschenswert, weil wenn es "sehr hell" und "wie ein anderer Mensch" klingt, ist es wahrscheinlich zu wenig Masse.
Du hast schlicht und einfach die richtige "Mischung" noch nicht gefunden, dass führt natürlich direkt zu der Frage...
2.) Wie übt man den die Brust , Kopf und die mixed Voice ein? Erst Brust, dann nur Kopf und dann den Übergang? Also die Reihenfolge. Mir ist nicht klar , was am Schonensten ist.
Atem und Haltungsübungen, und die Mund/Lippen/Gähn-Übungen mache ich vorher jedenfalls. Hab mir auch schon abertausend Sachen über Gesang, Aufwärmübungen, Register, etc gelesen und Beispiele angehört. Aber wenn ich jetzt Tonleitern hoch übe komme ich nicht sehr weit da quetscht meine Stimme sogar noch eher. Ich kann nur Anhand meiner eigenen Lieder die Stimmbereich üben, scheint wohl eine Kopfsache zu sein. Hmm.
Es gibt hier verschiedene Ansätze. Wie ich oben schon angedeutet habe, bin ich kein Fan davon, die Register getrennt zu üben, noch nicht mal davon überhaupt in getrennten Registern zu denken. Wichtig ist deshalb sowohl das kontuierliche "Abschlanken" als auch das kontinuierliche Anpassen des Vokaltraktes zu lernen.
Das Abschlanken ist mMn untrennbar verbunden mit der sogenannten AES-Konstriktion. Dazu werde ich noch ein Video machen (habe ich bisher leider noch nicht geschafft), weil das hier schon öfter für Verwirrung sorgte. Aber hier mal eine Übung die ähnliches bewirkt und vielleicht einfacher verständlich ist (wenn du so viel gelesen und Beispiele gehört hast, sollte die dir auch bestimmt schon untergekommen sein).
Geübt wird dabei auf dem Laut "NG". Dazu kannst du z.B. das Wort "Hang" sagen und auf dem "NG" am Ende stehen bleiben. Übe auf diesem Laut aufsteigende und absteigende Tonleitern, beachte dabei folgendes:
- Singe immer mit der Vorstellung "nach vorne" oder "in die Weite" zu singen. Fixiere z.B. ein Fenster mit den Augen und singe da hinaus.
- Versuch dir vorzustellen aus den Augen oder aus der Stirn nach vorne zu singen nicht aus dem Mund
- Wenn dir höhere Töne auf NG nicht gelingen, senke deinen Unterkiefer, indem du ihn einfach runterklappen lässt ohne ihn dabei großartig anzuspannen.
Was jetzt kommt ist noch
ganz wichtig: Wenn du nun einen bestimmten Ton üben willst, singst du ihn auf NG an bis er angenehm "sitzt" und öffnest dann in einen Vokal, z.B. "NG-AAAA". Mach das zunächst
leise. Du wirst auf hohen Tönen mit dieser Methode wahrscheinlich im Falsett landen. Das ist aber nicht schlimm, denn das bedeutet einfach nur, dass das Falsett für die Lautstärke, auf der du singst, der "passende" Gesangsmodus ist. Wichtig ist nur, dass das Falsett nicht übermäßig hauchig ist, d.h. dass du nicht das Gefühl hast Luft dabei zu verlieren.
Danach kannst du versuchen lauter zu werden, indem du bereits auf dem NG die Atemspannung erhöhst und erst
danach in einen Vokal öffnest. Gerade bei lautem Singen ist es extrem wichtig die obigen Punkte zu beachten, also immer "nach vorne" und "in die Weite" singen. Pendel den Ton schon auf dem NG durch das Senken des Unterkiefers so ein, dass er angenehm sitzt. Auf sehr hohen Tönen wirst du natürlich auch hier im Falsett landen, irgendwann ist halt einfach Schluss mit der Vollstimme. Es ist auch normal, dass gerade das laute singen mit dieser Übung nicht auf anhieb klappt und dass sich die Töne, die du noch ohne Falsett produzieren kannst, mit der Zeit erweitern. Da gilt halt einfach: Übung macht den Meister. Gerade auf hohen Tönen ist die Koordination, also die genau Abstimmung von Abschlanken und Resonanzanpassung sehr schwierig, da bewegt man sich wirklich auf Messers Schneide, weshalb es sehr viele Sänger gibt, die über F#4 fast immer "sweet and soft" singen. Die schon genannten Xavier Naidoo und Ville Valo gehören dazu, obwohl letzterer gerade seit dem letzten Album doch schon öfter noch höher geht.