Stimmzungen die auf Zug + Druck reagieren

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catsandsheep
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Hallo,

Ich habe eine Frage zum chromatischen Akkordeonbau.
Üblich sind wohl zwei Stimmzungen pro Ton, eben für Zug und Druck.
Was aber würde man für ein Endergebnis bekommen, wenn es genau eine Stimmzunge gäbe, die sowohl auf Zug UND Druck reagiert?
Würde die Zunge nach dem Ziehen beim Wechsel zu Druck langsam ausschwingen und erst dann wieder an Geschwindigkeit gewinnen?
Wie wirkt sich das auf den Klang aus? Gibt es sowetwas schon bei anderen Instrumenten?


Grüsse :) und Danke
 
Eigenschaft
 
Hallo Catsandsheep,

die Frage, ob man sich nicht eine Stimmzunge einsparen kann ist alt und es gibt sogar ein paar alte Patente darauf.
Das hat sich aber alles nicht durchgesetzt, denn letztenendes ist der Aufwand, um sich eine Stimmzunge einzusparen so groß, dass es in keinem Verhältniss zur vermeintlichen Einsparung steht.

Die Grundeigenschaft, die jede Stimmzunge braucht, ist, dass die flach über der Platte steht, mit nach vorne hin sich leicht öffnenden Spalt. Dass die Stimmzunge oberhalb der Platte sitzt, ist elementar wichtig. Denn nur wenn quer zur Stimmzunge zwischen Stimmzunge und Platte die Luft durchströmen kann, kann sich der für die Schwingung notwendige Saugeffekt einstellen.

Ohne den käme keine Stimmplatte in Schwung und es gäbe erst gar keine Schwingung. Sprich, wenn du eine Zunge nur so anbläst, dass sie sich von der Platte wegbiegt, dann biegt die sich von der Platte weg und bleibt dort stehen! Erst wenn die zur Platte hingezogen wird, kann eine Schwingung überhaupt erst in Gang kommen.

Somit benötigt man für eine beidseitig betreibbare Stimmzunge auch einen oberhalb liegenden Plattenrahmen... und die Stimmzunge müsste auf beide Zungenspalte genauso sauber einjustiert werden. Das ist aber ein nahezu nicht machbarer Aufwand.

Zusätzlich müssten noch weitere bauliche Änderungen eingebracht werden, die für die stabile Funktion wichtig sind. Alles in allem wächst damit der Aufwand extrem an, nur um eine Stimmzunge einzusparen. Das Ganze wird also erstmal deutlich schwerer, deutlich teurer und wegen der vielen Parameter, die gleichzeitig zu beachten sind auch nahezu unkontrollierbar.

.. Und durch den hohen Herstellungsaufwand mit den vielen Toleranzen, die alle aufeinander abgeglichen werden müssen, lässt sich so praktisch kein reproduzierbares Produkt erstellen... und somit sind auch keine zuverlässigen Aussagen zum Klang möglich, da sich der von Stimmplatte zu Stimmplatte sehr wahrscheinlich unterscheiden würde.

Wenn dich die grundsätzliche Funktion einer Stimmplatte näher interessiert, kannst du ja mal z.B. in Wikipedia die einschlägigen Artikel nachlesen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Durchschlagende_Zunge

Gruß, maxito
 
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Hallo,
eine weitere Möglichkeit besteht darin, die Stimmzungen immer nur in eine Richtung zu benutzen. Dazu muss die Luftrichtung durch die Zunge von der Balgrichtung entkoppelt werden. Ein solches Instrument für Akkordeonorchester ohne Bassseite habe ich mal bei Brandoni an der Wand hängen sehen. Der Balg sah aus, wie in der Mitte nochmal zusammengeschnürt und war als zwei Teilbälge ausgeführt. Gespielt wurde in einer Art Wippbewegung (Oben schließen-unten schließen) Durch Ventile wurde immer ein Balg gefüllt und der andere zum Spielen benutzt. War aus der Nachkriegszeit, hat sich aber nicht durchgesetzt.

Ein weiteres Instrument, bei dem man in Zug- und Druck auf derselben Zunge spielen kann, ist die Claviola von Hohner. Da wird die Tonhöhe aber durch eine Resonanzsäule wie bei der Orgelpfeife bestimmt. Trotzdem klingt der Ton auf Zug (Einatmen) etwa einen halben Ton tiefer und irgendwie heiserer. Ich habe mal versucht das sinnvoll zu nutzen, ist mir aber nicht gelungen, da die benötigte Luftmenge auf Zug größer zu sein scheint oder die Lunge auf Zug nicht so viel Differenzdruck erzeugen kann.

Beste Grüße
Sebastian
 
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Hallo

Kleiner Beitrag zu den Monozungen-Threads :

Akkordeonpatent 321359 und Stimmzungen die auf Zug + Druck reagieren 625224

und vielleicht noch andere zum selben Thema.

Die threads sind scheinen vielen alt und abgeschlossen zu sein, aber... Die Idee geistert mit Bestimmtheit mindestens seit 1844 im Handbalg umher. Ob da nichts Neues mehr zu erwarten ist, scheint doch fraglich da bis vor kurzem Patente zur Sache erscheinen.

(Der Einfachheit halber erlaube ich mir den Neologismus Monozunge, der sich im Akkordeon-Kontext von selbst erklärt.)

Zunächst mal die mir bekannten Patente :

Resonanzsäule wie bei den

Ostasiatischen Mundorgeln, Funktions-Erklärung von Charles Wheatstone Patent 1829 n°5803

1995 Ernst Zacharias DE19513363 Erfindung verwirklicht in der Claviola von Hohner.

Doppelbalg Von zwei alternativ wirkenden Bälge wird der Spielwind immer

in der selben Richtung geblasen.

Hergestellt von Fratelli Crosio, sichtbar im Akkordeon Museum Castelfidardo

und auch von Brandoni nach Sebastian75 im thread 625224

Umleitung des Spielwindes

zu einer Kanzelle mit Folienventile

1844 Wheatstone GB10044 Fig. 13

1898 Anton Becker DE115491

1932 August Weiland DE567234 mit Schieber anstatt Folienventile

1951 Charles De Gasero US2662440

1954 Nicholas J. Vento US2820390

2004 Edward Jay GB2410118

zu einem Stimmstock

1988 Andreas Lemmer DE8802598

1988 Andreas Lemmer DE8803301

zu einem Gehäuse

1897 Werner Pätzold DE104584

1939 Richard Lidblom US2230162

1943 André Schaeffer FR893963

1949 Alfredo Brilli US2711666

1949 Benjamin F. Miessner US2640384

1967 Rudolf Körner DE1597034

1991 Fridolin Schönegg DE4101319

2000 Pierre Bonnat FR2811128

2004 Edward Jay GB2410118

zu beiden Gehäuse

1912 Gustaf Anderson DE259800

1954 Corrado Conti FR1120449 Exemplar sichtbar im Akkordeonmuseum Castelfidardo

1991 Arnold Weirig FR2658941

Umschwenkung der Bernoulli-(Saug)kräfte

durch Spezialform der Zungen

Richter in Das Akkordeon DALV Heft 18, Seite 32

1998 Thomas S Tonon US006143968

durch Spezialform der Platten

1934 Anthony Montenare US1985102

1954 John Rumonoski US2696136

durch artikulierte Platte

1939 Conaway P. Beaver US2235276

1984 Ernst Zacharias DE3413385

1989 Alexander Volkov SU1730676

2002 Paul Facq FR2838549



Wichtig jetzt gleich zu sagen, dass alle diese Patente tatsächlich funktionieren, d.h. Klänge generieren. Dann allerdings, gibt es viele viele Mängel an der akustischen Qualität und der musikalischen Brauchbarkeit. Z.B. können die Zungen zum beidseitigem Ansprechen geformt werden, bloss ist die Dynamik hin. Die Umleitung des Spielwindes ist ohne technische Schwierigkeiten zu realisieren. Aber die Umlenk-Kanäle verbieten letzlich globale Platzersparnisse.

Die Stimmbarkeit wird auch erschwert. Usw.

Nun, die Behauptung dass kein Monozungen-System sich bis jetzt durchgesetzt hat, und demzufolge sich das Prinzip als definitif untauglich erwiesen hat, erinnert mich an die Vierrad Ackerschlepper von MAN in den Fünfziger Jahren. Deren Produktion wurde ja schnell eingestellt. Dazu die Erklärung eines Technikers einer damaligen Landwirtschatsschule : Wenn sowas etwas tauge, würden die Amerikaner es ja bauen ! Könnte heutzutage ein Zweiradschlepper überhaupt noch verkauft werden ? Es gibt solche absolte Fehleinschätzungen auch in der Akkordenbranche !

Falls ein Interesse besteht, könnten die verschiedenen Ideen mit kommentierten Graphiken illustriert werden. Das braucht allerdings etwas Zeit.

Grüße slam
 
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Interesse besteht.
 
Hallo @smal ,

herzlich willkommen "am Board"!

Falls ein Interesse besteht, könnten die verschiedenen Ideen mit kommentierten Graphiken illustriert werden. Das braucht allerdings etwas Zeit.

Das wäre großartig! :claphands:(y)


...und jetzt ratschläge für Leser wie mich (d.h. ungeduldig, wollen nicht warten und wollen diese Patente im PDF-Format ab sofort lesen... :)

1. Schritt: Öffnen Sie die Internetsuchmaschine-Modifikation für Patente: Bitte link HIER

2. Schritt: Von der Post-Nr. 4 Wählen Sie die Bezeichnung eines beliebigen Patents aus und geben Sie sie in die folgende Internet-Suchmaschine ein: (z.B.: 1954 Nicholas J. Vento US2820390)
Abb A.jpg

3. Schritt: Das Suchergebnis wird auf dem Bildschirm angezeigt mit der Möglichkeit, eine pdf-Datei herunterzuladen (Beispiel: hier)
Abb B.jpg

Herzliche Grüße, Vladimir
 
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Ansprache beim Bellowsshake ist phänomenal.
 
tatsächlich von allen Einzelzungen Konstruktionen die bisher beste die ich gesehen habe...und funktioniert gut

... Allerdings sieht man hier auch welcher Aufwand getrieben werden muss um das zu realisieren. Und wie immer ist bei Licht auch Schatten.

Dafür dass man 1 Stimmzunge einspart muss man die Stimmplatten deutlich komplizierter gestalten ... und das Ganze dann zusammennieten und abdichten. So richtig Gewicht einsparen wird man hier also nicht.. und platzmäßig wird es so auch nicht kompakter. Aber man spart sich die Ventile - auch schon was!

Das Stimmen würd ich mal sagen ist umständlicher weil man von keiner Seite gut rankommt.Und was hier auch nicht so richtig klar ist, ist wie die Stimmung sich verhält zwischen Zug und Druck. Denn wenn man eine normale Stimmplatte nimmt und umdreht so dass die innenliegende Zunge dann außen liegt. ... Müsste man genauer untersuchen - Allerdings schätze ich mal dass außer den Stimmplatten für dieses Akkordeon nicht viel mehr solche Stimmplatten auf der Welt auffindbar sein werden...
 
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Aber man spart sich die Ventile - auch schon was!
Ja, genau. Viele von uns haben schon einmal die Situation erlebt, dass die Ursache für das fehlerhafte Klang im Ventil lag (letztes Mal polifonico oder ich). Und ich schreibe über die Ventile (in hochwertigen Instrumenten), die optisch nicht schlecht aussahen. Nach einer solchen Erfahrung erscheint eine Stimmplatte, die keine Ventile braucht, wie ein Geschenk des Himmels. Es ist klar, dass diese Lösung das Gewicht des Instruments nicht reduziert und den gleichen Platz auf dem Stimmstock benötigt. Meine Kiste verfügt z.B. allerdings über 588 Stimmzungen, die (bis auf die höchsten Töne) Ventile benötigen. Mit dieser Lösung hätte mein Akkordeon "nur" 294 Stimmplatten mit der gleichen Anzahl Stimmzungen (294) und kein Ventil mehr. Und dazu eine Befestigung der Stimmplatten mit modernen synthetischen Wachsen wäre eine Lösung für den generationsübergreifenden Einsatz des Instruments... Das würde mir gefallen. Schwächen des Systems würden sich natürlich erst in der Praxis zeigen …

Gruß, Vladimir
 
Zwei Patente kommen diesem "Singleton" Konzept am nächsten:

Gabriel J Jacomini (1957) (Quelle: HIER)
1753558777560.png


Montenare Anthony (1962) (Quelle: HIER)
1753558866333.png



Beide zogen jedoch immer noch die Verwendung irgendeiner Art von Ventilen in Erwägung... Bis eines Tages jemand herausfand, dass Ventile dort nicht nötig waren. Und deshalb sind sie im obigen YT-Video nicht mehr sichtbar. Es ist faszinierend, dass manchmal Fortschritte erzielt werden können, indem man einfach eine zuvor unersetzliche Komponente entfernt. :ROFLMAO:

Gruß, Vladimir
___________________________________________________________________________________________________________________
27.07.2025 Nur Nachtrag: Diese Stimmplatten wurden bereits von @smal in seinem Beitrag vor zwei Jahren erklärt. Ich habe also mit meinem Schreiben hier sowohl Zeit als auch Bits verschwendet. Entschuldigung...
:embarrassed:
 
Grund: 27.7.2025 Nachtrag
Zuletzt bearbeitet:
Hallo zusammen,
habe nachdem ich den Artikel gelesen hatte mit Balg telefoniert... und wie nicht anders zu erwarten, hatte Balg sich seine Gedanken gemacht und innerhalb einer Stunde eine verbesserte Lösung zum klingen gebracht. Konstruktion einfacher, kleiner, und leichter zum stimmen.... Es gibt halt noch echte Akkordengurus...
VG aus dem sonnigen Süden ...
MNE989
 
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Hallo MNE989, Zum Klingen gebracht heißt dass ein funktionsfähiger Prototyp von @Balg aufgebaut wurde?
 

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