Wäre es in der Theorie möglich, ein Lied mit Hilfe eines Programms auf gewisse Charakteristiken hin (Rhythmus/Ablauf/etc.) zu definieren?
O.K., betrachten wir das Problem theoretisch und gehen davon aus, daß die Formate, in denen ein Lied vorliegt (MIDI, Audio-Formate) keine Rolle spielen soll. (Programme wie das von zonquer erwähnte Melodyne erwerben gerade die Fähigkeit, Audio in MIDI zu konvertieren.)
Gehen wir also davon aus, daß ein Lied schon computergerecht in Einzelteile zerlegt vorliegt, also praktisch eine Art Partitur gespeichert ist.
(Charakteristiken eines Liedes, wie Tempo, Tonart, Instrumentierung (teilweise) lassen sich heute schon erkennen. Es gibt auch schon Programme, die sich darum bemühen, die zugrundliegenden
Akkorde herauszufinden.)
Jetzt kommen wir zum Knackpunkt:
Das bedeutet: Lieder charakterisieren und nach Ähnlichkeit sortieren
Das Charakterisieren von Liedern oder auch allen möglichen anderen Dingen, wie z.B. Tierarten, ist eine Fähigkeit, die der
Kognitionspsychologie zuzuordnen ist. Diese befasst sich mit der Analyse der menschlichen Informationsverarbeitung, die bekanntlich sehr komplex ist.
Wir kategorisieren die Dinge in der Welt. Dadurch ist uns eine bessere Interaktion mit der Umwelt möglich. Schon bei den Tieren bedeutet dies einen Überlebensvorteil (Einteilung in Freude und Feinde). Die Kategorisierung ist hier jedoch noch nicht besonders fein: Bereits Silhouetten von Greifvögeln halten kleine Vögel auf Distanz. Das berühmte "rote Tuch" bringt den Stier in Rage.
Der Mensch schafft sich, aufgrund seiner Erfahrungen, eine Reihe von "Prototypen", mit denen er die realen Dinge vergleicht.
In unseren Breiten ist z.B. der "Spatz" ist ein typischerer Vertreter der Kategorie "Vogel" als der Pinguin oder der Strauss.
Der Spatz kann bei uns als Prototyp eines Vogels gelten.
Im Umfeld der Songs der Populärmusik, wären die Songs, die das gemeinsame einer Kategorie (Genre) am besten abbilden, die entsprechenden Prototypen.
"Rock Around the Clock" (Bill Haley) wäre ein Prototyp des "Rock 'n' Roll", "I Can't Get No Satisfaction" (Rolling Stones) ein Prototyp eines "Rock"-Songs.
Der Grad der Zugehörigkeit eines Songs zu einer bestimmten Kategorie kann natürlich ganz unterschiedlich sein.
Nun sind für die einzelnen Kategorien ganz unterschiedliche Merkmale eines Songs entscheidend. Eine große Rolle spielt sicher der von $corli erwähnte Rhythmus. (Rock verwendet z.B. eher gerade Rhythmen, Rock 'n' Roll auch ternären Rhythmus, wie meist im Blues.)
Die Instrumentierung spielt für die Genres eine wichtige Rolle (Gitarren? Blasinstrumente? Streicher? Schlagzeug? akustischer Baß oder E-Baß?). Wie wird gesungen? (Gutturaler Gesang? Bel Canto? mehrstimmiger Harmoniegesang? usw.)
Wie ist die Musik harmonisch aufgebaut? (einfach? komplex?). Spielen Licks eine bedeutende Rolle? Solos? (welche Instumente?)...
Ein große Zahl von Merkmalen können eine Rolle spielen und es werden immer wieder neue geschaffen.
Man müßte also in einem entsprechenden Programm möglichst viele Merkmale von Songs definieren und diese auch im Hinblick auf die Kategorien "up to date" halten.
Dann müßte man errechnen, welchen Grad von Typikalität ein bestimmter Song für verschiedene Genres hat. Damit könnte man auch eine Ähnlichkeit von Songs bestimmen.
Die Definition von Kategorien (Genres) mit ihren Merkmalen ist erforderlich, denn an Ihnen würden wir uns beim Festlegen der Ähnlichkeit während des Musikhörens orientieren.
Fazit: In der Theorie wäre es möglich, ein Lied mit Hilfe eines Programms auf gewisse Merkmale hin zu definieren und eine Ähnlichkeit zu bestimmen. In der Praxis sind wir technisch noch nicht ganz soweit und es wäre keine geringe Aufgabe, die einzelnen Merkmale der aufzustellenden Kategorien aufzulisten.
Ich fürchte der Unterschied zwischen Theorie und Praxis ist in der Praxis größer als in der Theorie.
Viele Grüße
Klaus