Wirkung einer Harmonie <> Wirkung des fertigen Stücks

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BraunerSenf
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Hallo allerseits,


ich habe Schwierigkeiten damit die Wirkung/Bedeutung einzig und allein einer Harmonie - ohne deren musikalische Umsetzung - in Worte zu fassen, das ist mir letztens wieder am Klavier aufgefallen, speziell wenn's in'n dissonanten Bereich (teils Bitonalität?) geht. "Ambivalenz" ist dann immer das Schlagwort, aber was konkret damit gemeint ist, ist mir nicht so ganz klar.

Als Beispiel habe ich mal ein Stück, bzw. die ersten Skizzen der Umsetzung einer am Klavier entstandenen Harmonie [Es-Dur (mit kl. Septime) mit Oktave -> übermäßiger D-Dur Akkord mit gr. Septime], die im Stück in der ersten Hälfte immer wieder bei Vibraphon und pizz. Celli zu hören ist. Jetzt aber erstmal zur gerade erwähnten Harmonie an sich.
Da geht's nämlich schon los, füge ich eine Taktart/einen Rhythmus hinzu, erhält sie doch schon Charakter und wird zu einem Stück. Wie aber beurteile ich die Harmonie auf eine gerechtfertigte Art und Weise, ohne dass ich ihr Instrumentation und Rhythmus zufüge? Letztendlich kann ich doch nur so schwammige Begriffe wie "spannungsreich" oder "aufreibend" verwenden, auf Inhalt aber nicht eingehen. Und damit könnte ich mir nicht wirklich vorstellen zu arbeiten, weil es einfach auf zu viele Szenen passen würde. Oder wie geht ihr an so eine Sache heran? Habt ihr euch ein Repertoir an Harmonien gesammelt, die ihr dann bei entsprechend passender Situation einfach alle mal durchgeht?

Wie beschreibt man eine Harmonie gerecht, das wäre eigentlich so meine Frage; und wie ihr speziell diese Harmonie charakterisieren würdet.


Hier nun das Stück (nur 40 Sek.):
http://soundcloud.com/midgetorchestra/die-spieluhr-und-das-ei-soundtrack


Das ist eigentlich nur entstanden, weil ich die Bedeutung dieser Harmonie am Klavier nicht beschreiben konnte und ich ausprobieren wollte, zu was für Szenen sie in instrumental-umgesetzter Form passen könnte. Mittlerweile sehe ich den ersten Teil des Stücks (bis ca. 2/3 der zeitl. Länge) in einer Szene, bei der eine graue eintönige Stadt gezeigt wird, in der kein wirkliches Leben mehr steckt und jeder gleichgültig-gelangweilt Tag für Tag durch seinen alten Trott geht, ohne jegliches Interesse an neuen Erfahrungen. Der Zuhörer ist dabei fast schon genervt von dieser Eintönigkeit, gerade immer wieder durch diesen gleichen Ton und dadurch Dissonanz im zweiten Akkord. Grafisch/bildlich gesehen ist das alles in einem Karrikatur-Animations-artigen Stil in 2D-3D-Mischmasch. Auch als ein quicklebendiger frischer Junge fröhlich vorbeigetanzt kommt (die Glockenspiel-Melodie, wirkt der Harmonie entgegen, passt irgendwie nicht rein), ändert sich daran vorerst nichts. Irgendwie wirkt dieses nun neue Element magisch, was denke ich aber durch das Instrument des Glockenspiels bedingt ist. In der zweiten Hälfte des Stücks (prächtiger, pompöser Marsch-Charakter) blickt die Kamera nun auf den Jungen, der irgendetwas besonderes macht, vielleicht einen kleinen Zaubertrick vollführt. Damit endet auch das Stück, über einen weiteren inhaltlichen Verlauf habe ich mir noch kaum Gedanken gemacht. Vielleicht mache ich das noch und versuche diese Ideen dann weiter zu vertonen - wäre sicherlich keine schlechte Übung.
Soweit so gut, das sind natürlich alles nur MEINE Assoziationen, nochmal zur Erinnerung, das Stück ist nicht anhand einer bewussten Idee entstanden, sondern durch's "Erkunden" von Harmonien am Klavier. Die (bewussten) Assoziationen kamen erst danach. In Hinblick auf die oben genannte Harmonie an sich hat sie also eine ... ja, was für eine Wirkung hat sie? Ist es wirklich schon dieses fast schon genervt gleichgültige, eintönige und zugleich magische Element? Oder bin ich bei dieser Aussage schon zu sehr vom Stück beeinflusst? Oder decken sich eure Eindrücke überhaupt erst gar nicht mit meinen?


Über einen regen Austausch würde ich mich sehr freuen :).

Achja: wie das Stück euch persönlich gefallen hat, würde mich auch sehr interessieren - und was für Assoziationen IHR dabei habt!


Gruß,


Julian
 
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Was willst du an einer Harmonie beurteilen? Willst du sie durch deine Assoziationen rechtfertigen, oder wie meinst du das?

Um mal nur auf deine zwei Akkorde zurückzukommen, liegt die Rechtfertigung, warum es funktionieren kann, eigentlich ziemlich nahe. Akkorde müssen harmonisch nicht unbedingt erklärt werden können, es kann auch einen anderen Grund geben, warum sie passen. In deinem Fall scheint es melodisch zu sein. Es ändern sich ja nur zwei Töne und auch nur einen Halbtonschritt, es entsteht also schlimmstenfalls ein Orgelpunkteffekt. Und das wird da wahrscheinlich auch der Fall sein.

Und ein Repertoir an Harmonien zu sammeln für bestimmte Szenen scheint mir keine gute Idee zu sein. Die Harmonie an sich ist für sowas ja bedeutungslos, es geht um den Platz, den sie in einem Stück einnimmt, ihre Funktion nämlich. Und die ändert sich auch je nachdem wie man eine Harmonie/Akkord einsetzt. C-Dur kann in C-Dur die Tonika sein, C-Dur kann aber auch in G-Dur die Subdominante sein. Und je nachdem in welchem Kontext sie erklingt hat sie klingend auch eine subdominantischen Charakter (oder welchen grade auch immer). Du kannst dir höchstens Dinge merken wie zB das der Neapolitaner eine Signalwirkung hat oder das die Dominante unruhig/strebend ist usw.
 
Was willst du an einer Harmonie beurteilen? Willst du sie durch deine Assoziationen rechtfertigen, oder wie meinst du das?
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Und ein Repertoir an Harmonien zu sammeln für bestimmte Szenen scheint mir keine gute Idee zu sein. Die Harmonie an sich ist für sowas ja bedeutungslos, es geht um den Platz, den sie in einem Stück einnimmt, ihre Funktion nämlich. Und die ändert sich auch je nachdem wie man eine Harmonie/Akkord einsetzt. C-Dur kann in C-Dur die Tonika sein, C-Dur kann aber auch in G-Dur die Subdominante sein. Und je nachdem in welchem Kontext sie erklingt hat sie klingend auch eine subdominantischen Charakter (oder welchen grade auch immer). Du kannst dir höchstens Dinge merken wie zB das der Neapolitaner eine Signalwirkung hat oder das die Dominante unruhig/strebend ist usw.

Ja ich glaube, dass ich mich da ein bisschen missverständlich ausgedrückt habe, ich meinte mit einem "Repertoir an Harmonien" eigentlich nur den Schritt von einem Akkord zu einem zweiten. Die Tonlage ist dabei variabel, lediglich die Intervalle bleiben die selben. Meine Frage ist dann, ob sich die Wirkung solcher Übergänge universell charakterisieren lässt - erstmal unabhängig vom Akkord, der unmittelbar zuvor erklingt -, oder ob das ein völlig falscher Ansatz ist. Eine Assoziation ist ja meist bildlich, und das würde denke ich schon zu weit gehen, eher im abstrakten Sinne dachte ich mir.
Oder wie gehst du an so eine Sache heran, letztenendes bist du dir doch auch bestimmter Harmonieübergänge - je nach dem, in welchem Kontext du dich gerade befindest - bewusst, die du dann auf kreative Art und Weise anwendest oder? Oder gehst du mit einem völlig anderen Ansatz daran, dir beispielsweise also bestimmte Eigenschaften bewusst bist und dann jedes mal einen Harmonieübergang neu erfindest?
 
Ja ich glaube, dass ich mich da ein bisschen missverständlich ausgedrückt habe, ich meinte mit einem "Repertoir an Harmonien" eigentlich nur den Schritt von einem Akkord zu einem zweiten. Die Tonlage ist dabei variabel, lediglich die Intervalle bleiben die selben. Meine Frage ist dann, ob sich die Wirkung solcher Übergänge universell charakterisieren lässt - erstmal unabhängig vom Akkord, der unmittelbar zuvor erklingt -, oder ob das ein völlig falscher Ansatz ist. Eine Assoziation ist ja meist bildlich, und das würde denke ich schon zu weit gehen, eher im abstrakten Sinne dachte ich mir.
Oder wie gehst du an so eine Sache heran, letztenendes bist du dir doch auch bestimmter Harmonieübergänge - je nach dem, in welchem Kontext du dich gerade befindest - bewusst, die du dann auf kreative Art und Weise anwendest oder? Oder gehst du mit einem völlig anderen Ansatz daran, dir beispielsweise also bestimmte Eigenschaften bewusst bist und dann jedes mal einen Harmonieübergang neu erfindest?

Das was du meinst, ist wahrscheinlich eine Progression? Eine Abfolge von Akkorden. Aber so wie du es beschreibst, also die Schritte von einem Akkord in den nächsten, lässt sich die Wirkung der Übergänge nicht universell charakterisieren. Wie ich in meinem vorherigen Post schon angedeutet habe, kann sich der Sinn der Abfolge ändern, je nachdem in welchen Kontext du es packst. In deinem Beispiel ist es entweder so wie ich es sagte, dann könntest du es melodisch nach der gleichen Logik weiterführen, indem du die Töne weiter chromatisch abführst (oder du folgst einer anderen melodischen Linie/Logik) oder du könntest es harmonisch im Nachhinein erklären lassen, indem du den Akkord als einen Vorhaltsakkord oder vielleicht Durchgangsakkord (was ja melodisch wäre, das ist nur die harmonische Bezeichnung) darstellst. Das sind die Möglichkeiten, die mir spontan einfallen. Genauso kann man auch nicht immer eindeutig sagen, ob eine Note eine Synkope ist oder nicht, wenn man nicht weiß, in welchem Timefeeling man sich befindet.
Ich würde übrigens sagen, dass Assoziationen meistens eben nicht bildlich sind. Viel stärker ist die Assoziationen mit Gefühlen o.ä.

Es ist wesentlich einfacher, wenn man die ganze Harmoniegeschichte einfach übt, sodass man sich sogut auskennt, mit allen Wirkungen, dass man das alles intuitiv hinkriegt. Du setzt dich hin, denkst beispielsweise an ein bestimmtes Feeling und legst los. Wenn du einen bestimmten Stil treffen willst, dann schaffst du dir eben erstmal ein paar Klischees drauf. Wenn du das Wesen oder meinetwegen das Feeling der Klischees begriffen oder intus hast, dann kannst du auch eigene Floskeln entwerfen. Man ist auf diese Weise auch erstmal in der Lage, etwas neu zu erfinden, indem man kleine, unerwartete Überraschungen einbaut. Ein Stück wird dann interessant, wenn du mit den Erwartungen des Hörers gekonnt spielen kannst.

Edit: Deine letzte Aussage trifft also eher zu. Man erfindet natürlich keine neuen Hauptfunktionen oder so, dadurch ergibt sich schon öfter mal die gleiche Progression, aber genausogut kann man alles auch Reharmonisieren (Akkorde durch Akkorde gleicher Funktionalität ersetzen/substituieren) und es funktioniert immernoch. Guck dir mal Richard Wagners Tristan-Akkord aus Tristan und Isolde an. Der Akkord ist von einer "gewöhnlichen" Funktioin auch entfernt, kann aber trotzdem als Dominante oder Subdominante gedeutet werden (Ich fasse ihn eher als Dominante auf).
 
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Hallo Julian,

zunächst mal Kompliment, finde Dein kleines Tonbeispiel wirklich reizvoll und kenne das Gefühl auch, scheinbar zufällig über eine Akkordfolge gestolpert zu sein, deren Wirkung man kaum in Worte fassen kann und die einen immer wieder in ihren Bann zu ziehen vermag. Sicher empfindet jeder Musik anders und sicher hat auch jeder seine ganz eigene Vorgehensweise in der Musik mit Akkordmaterial umzugehen. Auf keinen Fall sollte man vernachlässigen, daß die Empirik hierbei eine große Rolle spielt, das heißt, mit welcher Musik man sich intensiver auseinandersetzt und was man häufig hört... das "schult" das Ohr doch ungemein und kann sehr schnell auch die eigene Empfindung von dissonant und konsonant verändern. Aber (Dein Interesse mal vorausgesetzt) teile ich auf diesem Weg gerne meine eigene Erfahrung mit Dir.

Zunächst stimmst Du sicher mit mir überein, daß man irgendwann an dem Punkt ist, in dem einen die "traditionelle Harmonielehre" mit ihrem steifen Konstrukt von Tonika, Subdominante und Dominante nicht mehr weiterhilft. Ich persönlich stiege spätestens in Texten aus in denen sich kryptische Zeichenfolgen wie "Db7sus4" etc befinden. Spätestens hier wird die Unzulänglichkeit dieses Systems klar, vor allem, wenn man versucht, daraus ein Hörempfinden abzubilden. Deswegen machte ich mich auf die Suche nach alternativen Systemen, die in meiner eigenen musikalischen Arbeit nützlich waren.
Nun weiß ich natürlich nicht um Deinen "Wissensstand" im weiten Dschungel der Harmonielehre und gehe nun einfach mal aufgrund Deines Vokabulars (Kenntnisse um den Neapolitaner sind ja schon fast Profiwissen... ;) ) von einem fundierten Wissen in Notenschrift und eben traditioneller Harmonielehre aus (richtig?).
Zunächst wage ich Dir einmal zu widersprechen, denn sowohl Lage von Akkorden, als auch Rhythmus und Instrumentation sind absolut nicht von diesen zu trennen. Alleine aus der Grundlage der Akkustik kann man das erkennen. Wenn Du einen Akkord sehr weit fächerst, befinden sich die in den hohen Lagen gelegenen Töne in einem viel dichteren Geflecht der mitschwingenden Obertöne der tieferen Töne, als wenn Du ihn eng schichtest und vielleicht in einem eher mittleren Bereich des Tonumfanges ansiedelst. Versuche dies einfach mal mit einem Akkord aus 5-6 verschiedenen (!) Tönen. Gehe beispielsweise von einer "Grundform" aus, bei dem Du sehr tief und mit großen Intervallen (Duodzime etc.) und nach oben die Intervalle immer kleiner werden lässt. Spiele dann die selben Töne indem Du umgekehrt kleine und dann immer größer werdende Intervalle übereinander schichtest, aber immer noch bei den gleichen Tönen bleibst. Dann lege die Töne so eng wie möglich zusammen und probiere vielleicht übereinanderfolgenden Wechsel von kleinem und großen Intervall... macht das für Dich auch einen Unterschied? Für mich imens. Im Endeffekt hängt es aufgrund der Obertöne immer auch vom tiefsten Ton ab, dazu aber unten mehr (Theorietip 2).
Da die Obertöne und entstehenden Schwingungen eine wichtige Rolle spielen, ist auch die Instrumentation von tragender Bedeutung, denn jedes Instrument bietet ein anderes Obertonspektrum, einen anderen Dynamikumfang und prägt nicht unwesentlich die Klangfarbe.
Auch Rhythmus spielt eine Rolle, so wie beim Medium Film die Geschwindigkeit der Einzelbilder z.B. entscheidet, ob wir eine Bewegung als Flüssig wahrnehmen oder nicht, unterliegt auch unser Ohr nicht letztenendes abhängig vom Hall der Umgebung und dem Nachklang des Instrumentes meiner Erfahrung nach einer Art "Trägheit". Akkordfolgen werden ab einem gewissen Abstand auch vom Ohr nicht mehr aufeinander bezogen.

Noch unerwähnt aber immens wichtig ist auch die beigefügte Melodie. Das wird in Deinem eigenen Beispiel deutlich. Die Akkorde nimmt man anfangs als sehr weit "logisch voneinander entfernt" wahr, als Rückung und trotzdem irgendwie mit Gegenbezug. Die Melodie schafft hier später die Verbindung, indem sie von einem zum anderen Akkord zu "führen" vermag. "Leitton" und "Führungston" sind hier zwei Elemente, die wesentlich zu der Wirkung der Akkordfolge beitragen (gehört unten zum Theorietip 2).

Ein für mich nahezu magisches Beispiel eines extravagnten Akkordkonstruktes sind z.B. die ersten 33 Sekunden von Martinus erster Symphony:



Man muß es vielleicht ein paar mal hören und wird dabei jedesmal auf den "einrastenden" Akkorden neue Nuancen und Schwebungen wahrnehmen und sich nach und nach auf andere Töne konzentrieren, aber immer eine kadenzierende Wirkung (zusteuern auf einen Grundton) wahrnehmen. Wenn schon nicht beim Hören wird spätestens beim Studium der Partitur jegliche Harmonielehre auf die Probe gestellt... und wenn man sich dann der traditionellen Lehre bedient hat man hinterher ein kryptisches Sammelsurium von Buchstaben, Zahlen und Zeichen, die nicht im Mindesten einen Ausblick auf die Wirkung geben.

Zwei Theoriewerke haben mir persönlich sehr geholfen, mich freier und mit mehr Verständnis in den Harmonien zu bewegen:

1) Olivier Messiaen "Technik meiner musikalischen Sprache"
Messiaen Theoriewerk ist nicht nur eine exquisite Grundlage, sein Euvre zu verstehen und deuten, sondern hilft auch die kleinen technischen Wege nachzuvollziehen, die die durch und durch charakteristische Klanglichkeit seiner Werke ausmacht. Folgende Erkenntnisse habe ich daraus gezogen: Manchmal ist der Akkord nicht so wichtig, wie sein "Gestus". Ein nahezu percussiv geschmetterter dichter Cluster in der tiefsten Klavierregion hat kaum eine andere Wirkung durch die Veränderung eines Tones (soviel auch dazu, daß die Lage und Instrumentation eine Akkordes sogar charaktergebender sein kann, als die exakte bestimmung seiner Einzeltöne).
Mit Dur, Moll, Tonika und Dominante kommt man nicht weit. Dinge wie die sogenannten "Kirchentonarten" erweitern schon den Horizont, aber auch nicht bis zum Limbus. Am besten verabschiedet man sich komplett von Begriffen wie "Tonleiter" und "Grundton" und denkt einfach in Skalen. Messiaens "Modi mit begrenzter Transpositionsmöglichkeit" haben mir zumindest gezeigt, daß es weder eines D7 Akkordes noch einer Dur-Terz in der Tonika Bedarf um ein tonales Zentrum wahrzunehmen. Und einmal befreit von diesen Zwängen nimmt auch die eige verwendete Harmonie völlig neue Formen an.

2) Paul Hindemith "Unterweisung im Tonsatz"
Hier findet man für meinen Geschmack eine unkomplizierte Methode, Akkorde schnell nach einem wahrnehmbaren Muster zu analysieren oder zu konstruieren. Sie hilft, das tonale Zentrum in komplexen Akkorden und Akkordfolgen zu finden und ebensolche zu konstruieren. Wo uns die traditionelle Harmonielehre zwingt, einen wunderschönen Klang mit Hilfe von Sexten und Septen auf einen gar nicht wahrnehmbaren Grundton zu beziehen "weil ein Akkord nunmal eine Übereinanderstaplung von Terzen und Quarten ist" lernt man hier nach Gehör zu gehen und mithilfe der deutlichsten Intervalle, die wir nunmal aufgrund der mitschwingenden Obertöne wahrnehmen, das tonale Zentrum zu finden, daß wir durch Experimentieren mit Dopplung oder in der Dynamik des Tones, auch wirklich so hören können.
Außerdem beschreibt sie Akkorde als eine Folge von Elementen mit verschiedenem Spannungsgehalt und hilft sogar, diese grafisch wie mit crescendo-decrescendo-Gabeln optisch sichtbar zu machen. Sogar Musik ohne jegliche Durakkorde lassen sich damit komponieren und mit Hilfe ein paar ganz einfacher Schritte mit einer wahrnehmbaren kadenzierenden Wirkung versehen. Und das ermöglicht Hindemith mit einer beleibigen Reihung an verschiedenen Spannungsverläufen quer durch alle Akkordarten. Und mit ein bisschen Übung und ein paar Leit- und Führungstönen kann man auf wunderlichen Wegen wandern... heim in ein tonales Zentrum. Ein Werk von Hindemith, daß zwar noch sehr gemäßigt frei, aber mit für mich sehr überraschenden Wendungen in der Tonalität ist und diesen theorien folgt, findest Du hier:
http://www.youtube.com/watch?v=XzrHLcmmRJI&hd=1


Die Studien dieser Theoriewerke und dazu natürlich auch der Stücke der beiden Komponisten waren mir zumindest ein Befreiungsschlag meiner eigenen "Tonalität".

Vielleicht hilft es Dir auch ein wenig weiter?

Würde mich freuen wenn...

Liebe Grüße
Thorsten

PS: Laß doch wissen, wenn das von Dir gestellte Stück im Tonbeispiel größeren Umfang angenommen hat... bin sehr gespannt!


Thorsten Singer
dep[art]ment of CompagEL

aktuelle Arbeiten in Partitur und Tonbeispielen:
http://www.scoreexchange.com/profiles/ThorstenSinger
 
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