Günter Sch.;3260082 schrieb:
Für mich ist wichtig, welche töne einen akkord bilden, wie ich sie schichte, ist eine andere frage.
Na, die Skalentheoretiker bauen halt einfach einen Akkord 1-2-3-4-5-6-7 und zerlegen ihn dann mit 1-9-3-11-5-13-7 - auch nicht schlecht, oder?

(Aber etwas Wahres ist daran...)
Günter Sch.;3260082 schrieb:
Aber ich komme aus der klassischen ecke, meine jazzerfahrungen beruhten auf gleichzeitigem gebrauch von dreiklängen gleicher leitern, aber verschiedener stufen, etwa I+II (C-Dur+d-moll), I+III usw. und beim swing benutzten wir die damalige US-normalität, die akkorde zu benennen ohne funktionscharakter: H7 - e - E7 - A7 - D7 - G etwa bei "some of these days" oder Des - es - As7 - Des bei "The little brown jug", die sexte setzte man bei bedarf automatisch zu, "smear" wurde durch "einen daumenbreit daneben" ersetzt. Auf skizzen war Dur "groß", moll "klein", + war übermäßig, mit -vektor vermindert, das reichte. Vorhalte ergaben sich aus der melodieführung, kirchentonarten waren noch historisch und wurden rein melodisch verstanden.
"I+II" - das geht auch mit T+Sp, dann kann man auch gleich einen Charakter zuordnen - kein Witz, im Prinzip mache ich das aber auch so...
Allerdings bin ich auch kein Skalentyp...
Der Vorteil bei den funktionalen Bezeichnungen ist aber, daß man gleich weiß, welchen Akkord man wie umbauen kann, ist nur wichtig, wenn man halt mehr als eine Sexte oder None dazufügen will - Stichwort Tritonussubstitution sei da auch noch erwähnt, die geht halt so nur über die Dominate, und dann ist es ziemlich blöd, wenn man nicht weiß, was die Dominante ist.
Die Analysen macht man aber v o r dem Spielen solch eines Stückes, oder man hat halt viel Erfahrung, dann kann man das oft in Echtzeit auch bei unbekannten Stücken. Das setzt aber auch ein gehöriges Maß an Gehörbildung voraus, die dann doch etwas über die Pop-Harmonik bzw. Mozart-Harmonik hinausgeht.
Wenn Stücke gut analysiert sind - damit ist auch der formale Aufbau uvm. gemeint - hat man auch mehr Möglichkeiten, ein Stück zu reharmonisieren. Da ist es sicher einfacher, wenn alle Musiker die gleiche Tonleiter benutzen, und hier ist die Skalentheorie klar im Vorteil. Allerdings auch auf Kosten der Kreativität, denn die Möglichkeiten werden damit drastisch eingeschränkt - meiner Meinung nach kollidiert das frontal mit dem ursprünglichen Jazz-Gedanken... - mir ist aber klar, daß jedes "geschriebene" - also ausnotierte - Jazzstück ebenso davon betroffen ist...
Die "alten" Akkordbezeichnungen reichen natürlich völlig aus - es sei denn, das Voicing soll explizit vorgeschrieben werden. Eigentlich könnte man das auch einfacher als Noten niederschreiben, es sieht halt aber technischer und somit wissenschaftlicher aus, wenn da ein Wust an Zahlen steht... - früher nannte man das "Stimmführung", heute sind das "chromatic passing chords" und so...
Das ist wie mit dem "Hamburger" - früher was das ein Frikadellenbrötchen und es hat bestimmt mindestens genausogut geschmeckt als beim Gasthof zum Güldenen Bogen, nicht?
Harmonielehre ist ja nur ein Hilfskonstrukt, um sich irgendwie durch den Tonraum zu hangeln. Wer sich darin auch ohne sicher bewegen kann, braucht sie auch nicht. Und wer sich mit ihr sicher bewegen kann, muß lernen, daß es auch ohne sie geht...
Trotzdem sollte man sich mit ihr ausgiebig beschäftigen, gerade wenn man erst mit der Musik anfängt: Weil Musik ja eigentlich nicht greifbar ist.
Was ist denn Musik? Die physikalische Betrachtungsweise hilft hier nicht weiter. Denn dann wäre sie nur berechenbar, das könnte heute ja jeder Rechner mit einem geeigneten Programm. Dem ist eben nicht so.
Es ist auch erstaunlich, daß sich kein Rechner der Welt über Musik freut. Oder zwischen "guter" und "schlechter" Musik unterscheidet und das wird er auch nie lernen.
Na? Eben. Deshalb ist Musik keine Mathematik, auch keine Physik, sondern schlicht ein Phänomen, das keiner bisher wirklich erklären kann. Selbst wer gewisse Erkenntnisse darüber gewonnen hat, kann jene nicht wirklich vermitteln, und immer schwingt so etwas Religiöses mit, sei es der Star-Kult (in jeder Form, den gibt´s von Pop über Jazz bis hin zur Klassik, und das nicht erst seit heute), sei es die Musik an sich oder ihr Verwendungszweck in irgendeiner Art, und wenn´s im Kaufhaus oder im Fahrstuhl ist.
Auf der anderen Seite liegt wohl hier auch der Schlüssel für das Verständnis ihrer Wirkungsweise...