anleitung zum tonalen hören

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da ich hier im forum und sonstwo immer wieder leute treffen, die endlos intervalle hören üben, aber dann bei melodiediktaten trotzdem scheitern, habe ich mich entschlossen, mal eine kleine anleitung zum tonalen, also grundtonbezogenen hören, zu schreiben.

grundsätzlich geht es darum, die beziehung der töne in einer tonart untereinander hören zu lernen. also "wie klingt eine sechste stufe in dur?" "wie klingt eine dritte stufe in moll?"

genauso grundsätzlich funktioniert jede gehörbildung am besten, indem man singt. am instrument muss man im zweifel nur eine taste drücken und der entsprechende ton erklingt, egal, ob man ihn sich vorher vorgestellt hat oder nicht. wenn man einen ton singen will, ist man gezwungen, ihn sich vorher vorzustellen. daher funktioniert das folgende nur, wenn man bereit ist, zu singen. was man singen kann, kann man auch hören.

die stufenzuordnung dem man zunächst den tönen in c dur liedanfänge zuweist. also "fuchs, du hast die gans gestohlen" für c, "yesterday" für d, "schlaf, kindchen, schlaf" für e, für f kein liedanfang, sondern die gleittonstrebigkeit zum e, für g "hänschen klein", für a "laterne, laterne" und für h die leittonstrebigkeit.

allgemeiner gesagt gilt in dur: I - fuchs, II - yesterday, III - schlaf, IV - gleitton, V - hänschen, VI - laterne, VII - leitton.

zum thema (g)leittonstrebigkeit: sing die tonfolge c-d-e-f-g-a-h. du wirst merken, dass du an der stelle nicht aufhören, sondern zum c hochgehen willst. das h leitet (in c-dur) nach oben, wird also als leitton bezeichnet. ähnlich funktioniert das ganze mit dem f: spiel einen g-dur akkord und singe die kleine septime f dazu. hier wirst du merken, dass du das f nach unten ins e auflösen willst. das f "will" nach unten gleiten, wird also als gleitton bezeichnet. zu dem e sollte dann der akkord c-dur klingen.


was kann man damit nun anstellen?

beispielsweise kann man telefonnummern singen, wobei die 0 der leitton unter dem tiefen c ist und die 9 das hohe d. die restlichen zahlen entsprechen den stufen. anfangs sollte man am instrument kontrollieren, ob das, was man singt, stimmt. später hat man das im gefühl und kann das ganze überall mit einem aus der luft gegriffenen grundton machen.

man kann sich zunächst auf die tonart c-dur einschwingen, indem man sich die tonleiter einmal vorspielt, danach spielt man blind eine weiße taste an einem tasteninstrument und versucht, deren stufe herauszuhören.

man kann versuchen, lieder, die man auswendig kann, aufzuschreiben, indem man sich die stufen der töne klarmacht.

man kann beim musikhören versuchen, stufen zu identifizieren.

beim singen wirst du vielleicht feststellen, dass vierte und siebte stufe schwer zu treffen sind. hier hilft der umweg über den auflösungston: wenn du zur vierten stufe willst, geh erst zur dritten und dann bewusst die kleine sekunde zum gleitton hoch. analog dazu findest du die siebte stufe, wenn du zur ersten gehst und dann den schritt hinunter zur siebten gehst. diesen zwischenschritt wirst du irgendwann nicht mehr brauchen, für den anfang ist er hilfreich.



soweit so gut, aber was passiert, wenn man nicht in dur, sondern in mixolydisch oder moll ist?

für kirchentonarten oder moll muss man sich klarmachen, was sich gegenüber dur ändert. bei moll sind beispielsweise die dritte, sechste und siebte stufe tiefalteriert. eins, vier und fünf hören sich genau so an wie in dur.

bei mixolydisch ist nur die siebte stufe tiefalteriert, der rest klingt wie dur.

für die anderen kirchentonarten müsstest du selbst nachschlagen, dazu bin ich gerade zu faul :D

im prinzip gilt hier das gleiche: versuch wieder, telefonnummern zu singen. als vorstufe kannst du aber auch leichtere lieder (alle vögel sind schon da, bruder jakob ...) in den verschiedenen modi singen.



und wie ist das mit leiterfremden tönen? oder wenn moduliert wird?

für leiterfremde töne gibt es eine methode. sie funktioniert, ähnlich wie bei IV und VII, über strebewirkung. spiele dir einen c-dur-akkord. singe ein c und gehe dann bewusst zum des hoch. du wirst merken, dass du wieder zum c herunter willst. da heißt es, starr beim ton bleiben, sich vielleicht den ton zur hilfe am klavier geben und danach den akkord möglichst laut spielen und gesanglich dagegenhalten.

genauso funktioniert es mit den anderen akkordfremden tönen: das dis will ins e, das fis will ins g, das as ebenso. f und h hatten wir weiter oben schon.

eine ausnahme bildet das b: durch diesen ton wird c-dur zum dominantseptakkord, das b strebt also zum a oder zum as, also der terz von f-dur bzw. f-moll.

das prinzip bleibt das gleiche: singe den auflösungston, dann den akkordfremden ton und halte diesen gegen einen möglichst laut gespielten akkord.


bei modulationen musst du dir klarmachen, über welche töne moduliert wird, beispielsweise über das fis nach g-dur oder über das b nach f-dur. wenn die modulation geschehen ist, musst du umdenken: das c ist dann nicht mehr der fuchs (I), sondern entweder hänschen (V in f) oder gleitton (IV in g). die anderen töne ändern ihre rolle entsprechend.

damit sind wir bei der anderen seite der medaille: wenn du die stufen hören kannst, hast du schon einen großen schritt getan. dieser schritt bringt dir aber nichts, wenn du dann noch ewig überlegen musst, welcher ton nochmal die sechste stufe in fis-dur ist oder wie der leitton zu as heißt*. hier gibts nur eins: auswendig lernen im sinne von "a-dur ist a-h-cis-d-e-fis-gis-a" usw.

eine sache zum singen noch: ich habe mir angewöhnt, für gehörbildungszwecke alles singend auf c dur herunterzubrechen. wenn ich also in ges moll bin und ges as bb des f ges geschrieben steht, singe ich diesen gesmollmajormitgroßerneun (diese aufsteigende tonfolge in g harmonisch oder melodisch moll) auf den silben a ha ce e gis ha. das muss man nicht so machen, aber wenn ich statt dessen auf anderen lauten singe, ergeben sich anchteile. bei einfachen vokalen fehlt der zwang, mitzudenken. stufenziffern sind gut zu singen, aber was mache ich, wenn moduliert wird? "kreuzvier" lässt sich schlechter singen als "fis". funktionen sind zu lang auszusprechen und deshalb unbrauchbar. die echt klingenden tonnamen stehen ja (zumindest beim vom blatt singen) da, stellen also keine herausforderung dar. so kann man außerdem bei jeder musik, die man irgendwo hört, erst einmal annehmen sie sei in c dur / a moll und loshören, ohne dass man dazu absoluthörer sein müsste.


ich hoffe, das hilft dem ein oder anderen. wenn ja, würde ich vorschlagen, das ganze zu pinnen. wenn etwas unklar geblieben ist, fragt bitte nach.

viel spaß beim üben,
bs

* die töne heißen dis und g.
 
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Super Geil! Danke :)
 
Wenn ich das richtig verstehe, hat Dein Ansatz eine ganze Menge mit der relative Solmisation gemein, oder? Bin bei weitem kein Experte (nur interessierter Anfänger), und verstehe es so, dass bei der relativen Solmisation den Dur-Tonstufen die Sing-Silben Do Re Mi Fa So La Ti zugeordnet werden (unabhängig, welche Dur-Tonleiter man nun gerade betrachtet). Bei Deiner Methode nimmst Du dann statt dieser Sing-Silben die C-Dur Tonnamen.
http://de.wikipedia.org/wiki/Solmisation#Relative_Solmisation
Dein Beitrag motiviert mich auf jeden Fall, das mal für mich auszuprobieren. Wie gesagt, ziemlicher Anfänger (an der Gitarre und mit aktiver Musik überhaupt), tue mich mit dem hörenden Intervallerkennen echt schwer.
Danke auf jeden Fall, werde beim Nikolaus ein gutes Wort für Dich einlegen :)
 
ja, das mit der solmisation stimmt. allerdings halte ich die liedangfangssache für zeitgemäßer, denn kaum jemand kennt noch den hymnus, aus dem die solmisationssilben stammen. daher sind die erstmal ein umweg - über den man das ziel auch erreichen kann, aber mit mehr aufwand.. die stützlieder haben dagegen den vorteil, dass man den klang direkter im ohr hat - zumindest, wenn man sie kennt. wenn nicht, kann man sich ja andere suchen.

apropos intervallerkennen: darum geht es ja gerade nicht. wenn du in einem stück irgendwo eine siebte stufe hörst, ist es egal, über welches intervall diese stufe erreicht wurde. im zusammenhang klingt es als VII, egal, ob vorher I, V oder III dran waren.
 

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