Baubericht "Engineer's Thumb" von Musikding.de - Kompressor im Selbstbau

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JoshOcean
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1. Einleitung

Die (Vor)weihnachtszeit brachte mir in diesem Jahr bis jetzt nicht nur Besinnlichkeit, sondern auch zwei Wochen Resturlaub Anfang Dezember, den es noch abzufeiern galt. Was liegt also näher, als sich mal ein paar Tage samt und sonders dem Hobby zu widmen? Nun, Jamsessions und Übungsmarathon waren leider (obwohl bitter nötig!) nicht drin, da mir ein Muskelproblem in der Schulter eine Entzündung meiner arm- und fingerversorgenden Nerven der linken Seite bescherte. Gitarrespielen war also nicht möglich, stattdessen Schonung, heiße Wickel und Schmerzmedikation angesagt. Als es nach ein paar Tagen besser wurde, kam aber die Langeweile... Freundin muss studieren, alle Kumpels müssen arbeiten... Was liegt da näher, als sich mal wieder durch die länger werdende Liste von Selbstbau-Projekten auf www.musikding.de zu klicken, vielleicht ist ja was dabei? Und tatsächlich wurde ich fündig! Langeweile ade!

Seit Abschaffung meines Multieffekts bin ich dabei, mir alle für mich wichtigen Effekte in Pedalform zu besorgen und, wenn möglich, selbst zu bauen. Dabei habe ich bis jetzt sehr gerne auf die Bausätze von Musikding zurückgegriffen. Warum? Weil ich erstens als Nicht-Elektroniker dankbar für die vorgefertigten Platinen und abgepackten Bauteile bin und weil zweitens die Dinger nicht nur hervorragend klingen, sondern der Bau auch für Laien mit etwas Konzentration ohne Probleme zu bewerkstelligen ist. Zur Fehlersuche steht ein Forum dahinter, dessen Mitglieder unterstützend unter die Arme greifen wenn man sich verrannt hat. Etwas Fachlektüre, um auch zu verstehen was man überhaupt tut ist hilfreich, aber theoretisch kann man nach dem "Malen nach Zahlen"-Prinzip auch einen Bausatz bauen ohne die leiseste Ahnung von Elektronik und Schaltungen zu haben, nur ist man dann bei kleinsten Problemen natürlich aufgeschmissen. Bis jetzt habe ich folgende Bausätze von Musikding gebaut:

Bluelay: Ein Delay https://www.musikding.de/delay_2
3Verb: Ein Hall/Reverb https://www.musikding.de/3verb-reverb-hall
Angel: Ein analoger Chorus https://www.musikding.de/Der-Angel-Chorus-Bausatz
Screamer: Ein Tubescreamer TS808-Klon https://www.musikding.de/Der-Screamer-Overdrive-Bausatz

Die fertigen Pedale habe ich teilweise behalten, teilweise waren sie als Geschenk gedacht. Ich kann ehrlich sagen, dass mich keiner der Effekte enttäuscht hat! Alle waren mit vertretbarem Aufwand zu bauen und klangen, wie ich mir das vorgestellt hatte. Interessantes Detail: Ich habe noch nie irgendwelche analogen True-Bypass-Effekte unter den Fingern gehabt, die ein ähnlich geringes Geräuschniveau aufwiesen, wie das die selbstgebauten tun, vorausgesetzt natürlich, man baut keine Fehler ein. Ob das grundsätzlich an hochwertigeren Bauteilen verglichen mit der industriellen Massenproduktion liegt, an klügerem Platinendesign oder an der "Verarbeitungssorgfalt" kann ich nicht sagen, aber gerade der Screamer hat den Vergleich mit meinem originalen TS808 im Bezug auf Einstreuungsempfindlichkeit und allgemeine Rauschlautstärke haushoch gewonnen, bei nicht unterscheidbarem Klang, den ich hinterher sogar noch ein bisschen meinen Wünschen anpassen konnte... Deswegen blieb er, und der Originale wurde mit Gewinn verkauft :) Übrigens ist Klaus, der Betreiber der Website, superfreundlich und hilft jederzeit weiter, auch wenn es um Extrawürste bei der Bestellung und technische Fragen geht.

Nun aber genug der einleitende Worte. Los geht es mit dem Projekt!

2. Der Bausatz

Entschieden habe ich für folgenden Bausatz:

https://www.musikding.de/Engineers-Thumb-Compressor-Bausatz
Es handelt sich hier um einen klassischen Five-Knob-Kompressor, der die volle Kontrolle über alle Parameter (Attack, Ratio, Level, Threshold und Release) bietet. Die Schaltung wurde von Merlin Blencowe (www.valvewizard.co.uk) entwickelt, der auch beispielsweise mehrere Bücher zum Thema Preamp/Röhrendesign veröffentlicht hat und in UK eine Info-Seite zu dem Thema (eine Empfehlung! Man muss aber des Englischen mächtig sein) betreibt. Hier der Link zu der Kompressor-Schaltung auf seiner Website:

http://www.valvewizard.co.uk/engineersthumb2.html
Er beschreibt ausführlich, was er sich bei dem Design gedacht hat, und warum diese Schaltung trotz langer möglicher Attack-Zeiten keinen "Pump"-Effekt aufweist. Ich bin weder technisch genügend bewandert noch habe ich die Zeit, das alles ausführlich zu erklären, aber wer sich dafür interessiert sollte diese Projektseite lesen!

Es gibt diesen Kompressor auch als kommerziell lizenzierte Version fertig vom Boutique-Hersteller Foxpedal als "Refinery Compressor" zu kaufen:
https://foxpedal.com/products/refinery
Einziger Unterschied ist neben dem Preis der "Bright"-Schalter, der bei sehr starker Kompression den gefühlten Höhenverlust ausgleichen soll. Den kann man natürlich auch beim Selbstbau-Projekt einbauen (sind nur sehr wenige Bauteile die man auch frei verdrahten kann), ich fand ihn aber eher unnötig und habe ihn weggelassen.

Bestellt habe ich nun:
Den Bausatz https://www.musikding.de/Engineers-Thumb-Compressor-Bausatz
Ein Gehäuse https://www.musikding.de/Alu-Gehaeuse-Typ-BB-gelb
Und 5x diese Knöpfe https://www.musikding.de/Bakelit-Knopf-26mm-schwarz-Punkt

Insgesamt habe ich also für Alles zusammen 49,90 Euro bezahlt. Ein vergleichbarer Kompressor neu würde wohl so um die 200 Euro kosten. Ganz nett, allerdings kommt es mir auf den Bauspaß an, finanzielle Vorteile sind eher zweitrangig! Andere meiner Projekte waren sicher vergleichbar teuer mit fertigen Pedants, die kämen allerdings eher aus China, meine sind "Made in Germany" und sehen auch genau so aus, wie ich das möchte :D

3. Der Bauvorgang

Ich habe als allererstes das Gehäuse bearbeitet. Dazu habe ich den Frontplatten-Designer benutzt:
https://www.schaeffer-ag.de/downloads/frontplatten_designer/?no_cache=1
Mit diesem Programm habe ich schon öfter gearbeitet. Einfach die Gehäusemasse eingeben, Bohrungen hinzufügen und man kann sich eine Maske ausdrucken, die ich einfach auf das Gehäuse geklebt habe:

DukATX.jpg


Das hat sich bei mir als genauer erwiesen, als wenn man die Löcher ausmisst und Markierungen macht... Warum auch immer. Kann man aber auch so machen. Die Schrift hat keine Bedeutung, die wurde nur eingefügt, um die Abstände nicht zu klein werden zu lassen. Ich habe für dieses Projekt NICHT das Standard-Gehäuse benutzt, sondern ein größeres BB-Gehäuse, aus rein optischen Gründen. Die Bausätze von Musikding sind eigentlich so aufgebaut, dass sie genau in ein 125B-Gehäuse passen und die Potis, direkt mit der Platine verlötet, schon immer an den richtigen Stellen sitzen. Das ging bei mir durch das andere Format natürlich nicht, weswegen ich messen und Hirnschmalz verbraten musste. Als Anfänger kann man sich aber genau an die Vorgaben von Musikding halten und das passt dann immer.

Nun wurde gebohrt:

fINEf9.jpg


Sieht etwas gruselig aus, das ist aber nur das Papier und der Klebstoff, die Bohrungen an sich waren sauber :D Das war es eigentlich auch schon mit dem Gehäuse, das Ganze wurde dann noch mit einem Lackstift beschriftet, davon habe ich leider keine Bilder, aber schaut euch einfach das fertige Ding an ;)

Nun ging es ans Löten. Ich nutze dafür außer meinem Lötkolben eine einfach dritte Hand für wenige Euros. So sieht der Plan von Musikding aus:

https://www.musikding.de/docs/musikding/engineer/engineer_schalt.pdf

Wie man sieht, eigentlich nur "Malen nach Zahlen": Auf der Platine sind die Nummern aufgedruckt. Dann einfach die Nummer im Schaltplan suchen, das korrekte Bauteil wählen (alle Bauteile von Musikding sind beschriftet und vorselektiert) und los geht es! Am besten fängt man mit den einfachen Widerständen an, da diese am wenigsten "aufbauen" und somit die Zugänglichkeit der größeren Bauteile nicht beschränken. Ansonsten wäre das ein arges Gefummel :)

qnHZAf.jpg


Danach kommen Dioden, Kondensatoren, IC-Sockel und Transistoren mit Sockel. Die "Stadt" wächst dann munter weiter:

nh7l6j.jpg


e3iFKc.jpg


Hier sind schon die Dioden aufgebracht. Zu beachten ist, dass einige Bauteile wie Dioden, Transistoren, Elkos, etc. in einer bestimmten Baurichtung aufgebracht werden müssen. Ist auf der Platine aber alles markiert!

Auch der Fußschalter hat eine eigene Platine, die nerviges Kabelgewirr vermeidet:

0zXUB1.jpg


Die Potis werden normalerweise direkt mit ihren "Füßen" auf die Platine gelötet, die dann auch von ihnen an Ort und Stelle gehalten wird. Wie oben bereits gesagt ging das bei mir durch das andere Gehäuseformat aber nicht, weswegen ich die Potis "klassisch" mit Kabeln bestücken musste:

JcMDXK.jpg


Die Aufkleber für die Potirückseiten (Um Kontakt mit der Platine zu vermeiden) sind ebenso wie die Kabel im Set übrigens enthalten.

Dann ging es an die "Vermählung":

F8NaKh.jpg


Die Beiden LEDs sind übrigens dafür da, um die Schaltung vor Clipping zu bewahren: Bei extrem hohen Pegeln, wenn man z.B. einen Booster vor den Kompressor schaltet, leuchten sie auf und wandeln somit einen Teil der elektrischen Energie in Licht um! Sieht super geil aus, kann man im Gehäuse aber leider nicht sehen :( Jetzt konnte auch erstmal probiert werden, ob alles lief... Alles super!

Dann wurde alles an seinen Platz gebracht:

5vXeFA.jpg


Eigentlich wird die Platine ja von den Potis gehalten. Ich wollte sie darum zuerst auf "Füße" stellen, wofür sie aber nicht vorgesehen ist und auch keine Bohrungen besitzt. Ich habe darum die Gehäuserückseite mit antistatischem Schaumstoff beklebt, der die Platine nach "unten" drückt. Auf der anderen Seite liegt sie auf den gummierten Potirückseiten auf. Hält super, zusätzlichen Maßnahmen sind nicht nötig gewesen! (Man entschuldige bitte die Bildqualität, irgendwas ist da schief gelaufen)

4onoTA.jpg


Beim Zusammenbauen sollte man noch beachten, dass die Gehäuseschrauben sich selbst ihr Gewinde schneiden, also a) nicht über erhöhten Widerstand wundern und b) nach dem Schrauben die Rückseite nochmal abbauen, um den "Staub" aus den Schraublöchern zu schütteln, sonst kommt der noch auf die Idee, sich auf die Platine zu setzten. Dann die mitgelieferten Gummifüßchen unten dran und Tadaa:

ZpSrMW.jpg


uWvaUw.jpg


Das "Symbol" ist übrigens aus einem Flussdiagramm entlehnt, welches ich bei meinem Opa gefunden habe (Er war Ingenieur): Damit wurden ein (hydraulischer) Kompressor bezeichnet. Nicht ganz passend, aber hübsch, und eine schöne Erinnerung an ihn.

Das ganze Projekt hat in etwa einen Nachmittag gedauert. Für jemanden, der so etwas zum ersten mal macht, würde ich aber zwei oder drei Tage einplanen, so lange habe ich mit meinen ersten Projekten auch gebraucht. Zusammenfassend kann ich sagen: War wieder eine schöne Erfahrung, die ich jedem nur empfehlen kann! Es ist ein tolles Gefühl, wenn der selbstgelötete Schaltkreis "erwacht" und irgendwann vielleicht sogar den Weg in eine Aufnahme oder Liveshow findet... Und nebenbei habe ich, zumindest mit diesem Projekt, auch durchaus Geld gespart, wenn man die Arbeitsstunden nicht einrechnet ;)
Ich hoffe, dem ein oder anderen vielleicht Mut gemacht zu haben, sich selbst an so ein Projekt zu wagen. Es macht Spaß und ist auch für Laien, wie ich einer bin, völlig machbar und bereitet um so mehr Freude, wenn man es erfolgreich beendet!

Nun bin ich aber noch Hörbeispiele schuldig, oder? :D Nun, da ich ja wie oben beschrieben im Moment nicht Gitarre spielen kann, bleibt mir leider nichts anderes übrig, als die Hörbeispiele aus diversen Tests des Refinery-Compressors von Foxpedals zu verlinken, der ja, wie gesagt, bis auf den Bright-Schalter mit der von mir gebauten Schaltung identisch ist. Eventuell liefere ich noch was nach, wenn das mit dem Spielen wieder funktioniert :D

 
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