Die Terz

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Ray007
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Hi, ich bin neu hier und hätte eine vielleicht etwas sehr theoretische Frage:

Ich hatte mich vor einiger Zeit mal daran gewagt, ein Stück für Soloklavier zu schreiben, und es gibt eine
Stelle, in der die Terz der Harmonie recht lang auf sich warten lässt. Die Harmonie ist also über drei Schläge
lang "terzlos".

Nach vielem Herumprobieren (Austerzen der Melodie, Änderung des Begleitschemas, ...etc) bin ich am
Ende aber trotzdem zu dem Schluss gekommen, dass es so, wie es ist, an der Stelle aber tatsächlich am besten klingt und
am ehesten dem Klang entspricht, den ich im Kopf habe.

Daher habe ich mich gefragt, warum laut Harmonielehre eine Harmonie eigentlich immer eine Terz (oder
ein Terzsubstitut wie None oder Quarte) haben soll.

Und die einzige Begründung, die ich dazu gefunden habe (und die mir auch selber früher beigebracht worden
war) ist: "Um das Tongeschlecht zu verdeutlichen".

Das Tongeschlecht ist an dieser Stelle aber eindeutig, aufgrund des Auftaktes (es ist der erste Takt eines Themas,
und im Auftakt ist die Terz enthalten) und des harmonischen Kontextes drumherum. Also wäre diese theoretische
Forderung ja erfüllt.

Gibt es noch irgendwelche anderen Begründungen, warum eine Harmonie immer einer Terz (oder einen
Stellvertreter) haben sollte?

Viele Grüße
Ray
 
Nein, gibts nicht, Die halbe Rockmusik der Gegenwart besteht aus powerchords, die nur eine Quinte haben und eben genau keine Terz.
 
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Daher habe ich mich gefragt, warum laut Harmonielehre eine Harmonie eigentlich immer eine Terz (oder
ein Terzsubstitut wie None oder Quarte) haben soll.
Ich habe keine Ahnung, was die HarmonieLehre dazu sagt. Aber ich persönlich könnte mir vorstellen:

1) Erstens würde Dein genannter Grundsatz wahrscheinlich ja nicht für jeden einzelnen Takt gelten, sondern ganz allgemein für ein ganzes Musikstück.
2) Und ein ganzes Musikstück ohne Terz erschiene mir doch recht eintönig und langweilig.
3) Es geht bei solchen Lehrsätzen (wenn es denn einer ist) ja immer um Laborbedingungen, die irgendwie einen Idealzustand darstellen sollen.
Wenn ich Harmonielehre erklären will, brauche ich einen Dreiklang. Und wenn ich einen Dreiklang verdeutlichen/analysieren/besprechen will,
brauche ich die Terz.

LG
Thomas
 
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3) Es geht bei solchen Lehrsätzen (wenn es denn einer ist) ja immer um Laborbedingungen, die irgendwie einen Idealzustand darstellen sollen.

LG
Thomas

Hey Thomas, danke für die Antwort, und ja - das sehe ich genauso!

Es gibt da auch noch einen vierten Aspekt: "Klangmalerei". Wenn man an einer Stelle einen "luftigen", "leichten"
und sehr "transparenten" Sound haben möchte, dann kann eine Harmonie ohne Terz eben auch einfach grade genau
der richtige Weg sein.
Beitrag automatisch zusammengefügt:

(Mist jetzt habe ich meine eigene Nachricht gelöscht... :( )

Also, nochmal, danke für die Antwort Schnabelrock! :)

Powerchords sind ein super Beispiel, allerdings sind die ja permanent und nicht nur einen einzigen
Takt lang. Powerchords wären (in klassischen Begriffen) also eine konsequente "Bordun-Begleitung".
Außerdem sind die Melodien / Soli dadrüber meist auch so ausgelegt, dass die Terz permanent ausreichend
beharkt wird - und somit stets genügend präsent ist.

"Das Alte Schloss" von Mussorgski ist mir eingefallen. Hier auch: Begleitung Quinte, Melodie Grundton (siehe
beigefügter Screenshot).
Da könnten kritische Zungen nun aber sagen, dass dieses Stück nun auch gezielt "mittelalterlich" klingen soll,
und im Mittelalter galten eben auch ganz andere Regeln bzgl. Terz.
Es ist also eher eine "Stil Imitation".
 

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Ich kann auch keine Regel erkennen, Terzen immer und durchgängig nutzen zu müssen.
Zumindest heutzutage stehen viele Mittel bereit.
Du muß ja nicht einmal durchgängig mehrstimmig schreiben. Wenn an einer Stelle nur ein Ton nötig ist, dann geht eben auch mal nur ein einzelner Ton.
Weil ich gerade wieder Gustav Mahler höre: Der nutzt auch im großen Orchester die ganze Spannbreite von einzelnen Tönen bis zur kompletten Volldröhnung. Das geht auf einem einzelnen Instrument natürlich auch.

Kommt halt immer auf den Kontext an. Im Barock hätte man Dich vielleicht noch schräg angeschaut, weil da noch andere Ansprüche an Stimmigkeit und Vollständigkeit galten, aber spätestens seit der Wiener Klassik sind gerade auch Kontraste musikalisch gültig. Harmonielehre gibt da nichts vor.
 
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Danke für Deine Antwort - und ja, sehe ich genau so!

Hatte mal einen interessanten Diskurs mit jemandem, über das Regelwerk der Musik und dessen Geschichte.

Es war ja schließlich nicht so, dass die Regeln von jemandem aufgestellt wurden, und dann fingen die Komponisten
an, danach zu schreiben. Sondern umgekehrt.
Die Regeln sind von bereits existierenden Kompositionen abgeleitet worden.
Irgendwann war das Regelwerk dann so umfassend, es gab so viele "Verbote", dass Regeln zunehmend wieder
abgeschafft worden sind, weil man zu viele musikalische Gedanken aufgrund irgendeiner Regel nicht
umsetzen "durfte".

Und hätten sich immer alle Komponisten an alle "Regeln" gehalten, würde die Musik heute noch genau so klingen
wie vor 400 Jahren. Progression bedeutet auch immer Regelbruch. Und es sind auch manchmal eben genau solche
Regelbrüche, die den "Sound" einer speziellen Stilistik aus- und reizvoll machen.

Was die Sinnhaftigkeit, Regeln unbedingt einhalten zu müssen, auch ein wenig in Frage stellt, ist folgendes:
Regelbrüche werden oftmals begründet mit Sätzen wie "Das hat Beethoven auch mal gemacht". (Und ja, ich habe
Regelbrüche auch schon so begründet, ich geb's zu... :) ).
Aber eigentlich ja totaler Quatsch: Denn die Regeln basieren ja auf einem Konsens, dass es "besser" klingt, sie
einzuhalten. Und nur weil ein namhafter Komponist diese Regel einmal gebrochen hat, gilt dieser Konsens nun
plötzlich nicht mehr? Finde ich merkwürdig.

Lange Rede, kurzer Sinn: Ich finde solche Regeln schon sinnvoll, und es ist auch wichtig, sie zumindest alle mal
gelernt und verstanden zu haben - um sich dann, bei Bedarf, aber auch wieder ganz gezielt von Ihnen lösen zu können.
 
Es war ja schließlich nicht so, dass die Regeln von jemandem aufgestellt wurden, und dann fingen die Komponisten
an, danach zu schreiben. Sondern umgekehrt.

Eben. Ist Harmonielehre deskriptiv (beschreibend) oder präskriptiv (vorschreibend)?

Und dann kommt es auf den Kontext an. Was hilft mir das Gerüst der europäischen Kunstmusik bis zum 19. Jhd., wenn ich Blues oder Debussy oder Free Jazz beschreiben will? Garnix. In der Klassik will ich den Septakkord auflösen, der Tristanakkord wird in einen Septakkod aufgelöst, aber den löst man auch nicht mehr auf (ausprobieren!), Debussy benutzt Septakkorde als Klangfarbe und verschiebt sie, der Blueser spielt auf jeder Stufe einen Septakkord und den will er auch nicht auflösen (wozu?).

Grüße
Omega Minus
 
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Regelbrüche werden oftmals begründet mit Sätzen wie "Das hat Beethoven auch mal gemacht".
Oftmals ? Das ist nicht mein Eindruck. Ich selbst würde es auch überhaupt nicht als "Begründung" akzeptieren ;)

Aber wie oben schon erwähnt ist gerade die Zeit im späteren 18. Jhdt. herum bezüglich Regeln anders als vorher. Denn damals war Regelbruch gerade stilbildend.

In früheren Zeiten war das heikler. Da hat man u.U. nicht einfach gegen eine Regel verstoßen sondern gleich die Kirche oder gar das ganze Universum gegen sich aufgebracht. Denn alle Form und Proportion war im Grunde schon von der Welt vorgegeben ... das ist aber zum Glück schon länger her.
 
Da fällt mir wieder zu ein:

"Oh, diese modernen! Das soll noch Musik sein?"
(Zitat aus dem "Speculum musicae" des Jakobus von Lüttich, anno 1350)

Grüße
Omega Minus
 
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"Hätte man Bach eine Beethoven-Symphonie vorgespielt, wäre er schreiend davongelaufen."

(sinngemäß und frei aus dem Kopf)
 
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Was die Sinnhaftigkeit, Regeln unbedingt einhalten zu müssen, auch ein wenig in Frage stellt, ist folgendes:
Regelbrüche werden oftmals begründet mit Sätzen wie "Das hat Beethoven auch mal gemacht". (Und ja, ich habe
Regelbrüche auch schon so begründet, ich geb's zu... :) ).
Aber eigentlich ja totaler Quatsch: Denn die Regeln basieren ja auf einem Konsens, dass es "besser" klingt, sie
einzuhalten. Und nur weil ein namhafter Komponist diese Regel einmal gebrochen hat, gilt dieser Konsens nun
plötzlich nicht mehr? Finde ich merkwürdig.
Die Regeln der musikalischen Harmonik und Stilistik sind weder unverbrüchliche Vorschriften noch Selbstzweck.
Wie schon weiter oben richtig geschrieben wurde, entstanden die Regelwerke historisch betrachtet immer retrospektiv, indem sie das zusammenfassten, was zu dem Zeitpunkt existierte und mehr oder weniger allgemeine Übung war.
Der kreative Schaffensprozess selber war und ist ein stetiger Fluss, eine stetige Suche nach Neuland, nach neuen Ausdrucksformen. Es ist die natürliche Dynamik solcher Prozesse, dass sie das Bestehende erweitern, aufbrechen und überwinden. Dass dabei "Regeln" gebrochen werden (insofern sie als solche denn auch existieren) ist eine unvermeidliche Folge dieses kreativen Voranschreitens. Aber es war eher nie die Absicht von innovativen Komponisten die Regeln zu brechen um des Brechens der Regeln selbst willens. Gemessen an der Gesamtzahl derjenigen, die mal etwas komponiert haben, ist die Zahl der wirklich innovativen Köpfe wahrscheinlich verschwindend klein.

Retrospektiv betrachtet sind diese "Regeln" aber hilfreich, vor allem für jene, die in einem existierenden Stil etwas schreiben oder arrangieren wollen.
Um nur ein paar wenige und punktuelle Beispiele zu nennen:
Wer einen Choral im vorbachischen Stil schreiben möchte, sollte die "Regeln" des Kantionalsatzes kennen, wer im Stile Bachs einen Choral schreiben will, muss explizit dessen strukturelle Elemente kennen.
Wenn du einen irgendwie mittelalterlichen Sound kreieren willst, nimmst du leere Bordunquinten und vorzugsweise eine modale Skala für die Melodie.
Jazz-Harmonik funktioniert nicht mit ausschließlich einfachen Dreiklängen, es müssen mindestens vorwiegend Vierklänge sein.
Mit Quartschichtungen kannst du die frühe Moderne aufscheinen lassen. Usw. usw.

Um auf deine Frage zurück zu kommen:
Auch eine leere Quinte ist ein harmonisches Gebilde und musikalisch gut einsetzbar. Für sich genommen ist sie aber weder Dur noch Moll und schon gar nichts dissonantes. Um aus der Quinte eine tongeschlechtlich eindeutige Harmonie zu machen, braucht es die Terz.
Aber es gibt keine "Regel", die dir vorschreibt, Terzen zu verwenden oder die dir gar leere Quinten verbietet. Wie du harmonisierst, ist alleine deine Entscheidung.
Und wenn deine Harmonik deine Klangidee unterstützt und zum gewünschten Ziel führt, ist doch erst mal alles o.k.
Wenn das dann auch noch deinem Publikum gefällt - was willst du mehr?
 
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Aber es war eher nie die Absicht von innovativen Komponisten die Regeln zu brechen um des Brechens der Regeln selbst willens.

Richtig, das sehe ich genauso.
Es geht bei derartiger Innovation nicht um eine Art "Regel-Anarchie", sondern um das gezielte Lockern von etablierten Regeln, weil
der sich daraus ergebende Klang / die Wirkung an der entsprechenden Stelle reizvoll erscheint.
 
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