Dissonante Klassik

als erstes gebe ich mal zu, dass mir Hans-Joachim Hespos nix sagt, Google möge mir helfen...

Also: Meiner Meinung nach darf man Musikepochen nicht einer - egal wie großen - Anzahl von Komponisten zuordnen. Und umgekehrt auch nicht.
Schönes Beispiel ist Arnold Schönberg (12ton-Musik IST ja wohl dissonant) und seine (nicht zu dissonanten) Gurre-Lieder.

Wenn ich so drüber nachdenke: "Dissonante Klassik", was ist das eigentlich? Ist das Schönbergs von Weberns und Bergs 12ton-Musik? Oder ist das Messiaens Skalen-Musik? Oder ist es ein "Atmosphere" oder ein "Lux aeterna" von Ligeti? Oder Bachs chromatische Fugen (oder so..)? Wo ist die Abgrenzung?
 
Wenn ich so drüber nachdenke: "Dissonante Klassik", was ist das eigentlich? Ist das Schönbergs von Weberns und Bergs 12ton-Musik? Oder ist das Messiaens Skalen-Musik? Oder ist es ein "Atmosphere" oder ein "Lux aeterna" von Ligeti? Oder Bachs chromatische Fugen (oder so..)? Wo ist die Abgrenzung?

Das hängt davon ab, wen man fragt.
Als ich anfing, Bartok zu spielen (Mikrokosmos), meinte eine Nachbarin: "Sag' mal, Du spielst aber in der letzten Zeit aber viele falsche Töne." Unser Hund mochte Bartok auch nicht: sonst kam er immer an und lauschte meinem Klavierspiel, bei Bartok zog er mit eingekniffenem Schwanz ab. Man könnte daraus schliessen, dass unsere Nachbarin von Musik so viel verstand wie unser ... ach lassen wir das!

Ich kenne jedenfalls Leute die finden Mozart klasse (obwohl die den Unterschied zwischen Dur und Moll nicht hören ... egal), aber mit Wagner schon hoffnungsvoll überfordert sind.

Ich denke, man muss(?) da einfach unterscheiden zwischen
a) "dissonanten Intervallen/Akkorden" (da gibt's 'ne Reihe Untersuchungen zum Thema Obertöne, kritische Bandbreite usw.), die auch physiologisch vorgegeben sind
und
b) wie die Leute es wahrnehmen.

Die Grenzen sind fliessend ...

Grüße
Roland
 
@Günter Sch.:

Mal ne Frage, hörst du eigentlich auch mal "normale" Musik, also Rock/Pop/Jazz etc., oder langweilt dich schon alles, was eingängig ist? Bei enormer Hörerfahrung ist das ja durchaus vorstellbar...und Schlager, Grand Prix und Boy Groups hast du ja schon mal zerschlagen.
 
Musik hat vielerlei facetten, ist meist funktional und an ein bestimmtes "ambiente" gebunden, vom jazzkeller bis zum opernhaus.
Wer musik professionell betreibt, gönnt seinen ohren ruhe in der freizeit, sein "musikkonsum" ist nicht "normal".
Wer klavier spielt, spielt keine musik, die auf gitarrensound beruht. Es gibt mehr klaviermusik, als man in einem langen leben spielen kann, und je höher man steigt, umso dünner wird die luft.
In einem gewissen alter sind disco-besuche nicht mehr angebracht, gehörprobleme ergeben sich leider von selbst.
Die gefahr der langeweile besteht in allen genres, wenn man die strickmuster kennt, aber wenn lebendig musiziert wird, springt der funke über, und man glaubt, ein stück zum ersten mal zu hören.
Das niveau der "Bildzeitung" gibt es auch in der musik, ebenso die akzeptanz. Da springt mir in der bahn oder am kiosk eine schlagzeile ins auge, das genügt, ansonsten ist die zeit zu schade.
Bin ich "normal"? Ich hoffe, nein!
 
Es ist sicherlich auch eine Frage der Gewöhnung und der Bereitschaft, sich überhaupt auf Ungewohntes weitestgehend vorurteilsfrei einzulassen. Irgendwann wird dann "dissonant" wohl auch als "interessant" empfunden, vielleicht aber trotzdem nicht unbedingt von jedem. Jedenfalls, wenn ich so was zufällig im Radio höre (meist auf HR2), dann stelle ich immer die Ohren auf, drehe lauter, während mich viele andere Musik einfach kalt lässt oder sogar nervt, allem voran die der Sender, die nur so etwa 10 Hits am Tage in buntem Wechsel spielen (so kommt es mir jedenfalls vor) und das dann auch noch als Abwechslung verkaufen. Aber auch in der Klassik gibt es jede Menge Elevator-Musik, zum alsbaldigen Verbrauch bestimmt ... ;-)

Grüße,
Rolf
 
Der titel ist irreführend, ich hätte ihn auch anders formuliert, wollte aber nichts neues anfangen. Ich finde die beiträge aber immer noch lesenswert, und wie mir zu ohren kam, andere auch.
 
Meine Klavierlehrerin hat da mal was interessantes gesagt (mit bulgarischem Akzent): Musik sei vertonte Natur, sie spielgelt das wieder, was unseren innersten, grundlegendsten Bedürfnissen entspricht. Unser ES aufs Blatt in Noten abstahiert...
Naja das war jetzt eher frei von mir formuliert, aber meine Lehrerin meinte das so und kann auch schöne Beispiele bringen, die ich jetzt hier nicht aufzählen will.
Dissonanz aber, die in den letzten 1-2 Jahrhunderten immer mehr und verstärkt auftritt, zumindest was die Fachkreise betrifft, ist, so glaube ich, wirklich eine Zunahme inneren Schmerzes, eine Sehnsucht seinem Ärger und Frust freien Lauf zu lassen und gleichzeitig laut zu resignieren, sei es aus persönlichen Gründen/ Problemen, oder weil man der Welt keine lange Lebenschancen mehr gibt. In der Klassik waren es noch Zauberwelten deren Ideal man mit der Musik zu erreichen versuchte. Im Mittelalter suchte man dadurch sogar einen Dialog mit Gott, oder nur den Himmel abzubilden. Es waren alles Ideale. Drei Funktionen, alles in Ordnung!
Heutige klassiche Musik hingegen betrachte ich mehr als "pessimistisch", oder jenachdem, "realistisch". Alles wird undurchsichtig und komplex, fast zu schwer um es zu erfassen. Pop und Schlager sind hingegen naiv, sie wählen den Weg des geringsten wiederstandes. Sind dissonanzen also doch keine innenre Resignation ,sondern suchen in wirklichkeit die Urtonika in die sich alles auflöst? Vielleicht ist das alles doch Abbild einer viel zu komplexen gesellschaft? Wenn man Dissonanz versteht, versteht man sich dann selbst? Ist dann dann glücklicher? Aber welcher Musiker ist glücklich? Ist man es erst, wenn man am Ende aller Dinge angekommen ist? Ist unsere Natur, das Streben nach dem Unerreichbaren?

naja... wurde zum Schluss ein wenig philosophisch^^

lg
Matze
 
Unsere "klassiker" waren auch nicht glücklich. Wer ist das schon, wer kann/will es permanent sein?
Auch musik unterliegt evolutionären prozessen, wird einerseits immer komplexer, und um bodenhaftung zu behalten, immer primitiver. Sie zeigt, wie gespalten unser ich, unsere gesellschaft sind. Wir haben grundbedürfnisse, essen, trinken, stoffwechseln, pflanzen uns fort oder vermeiden es, dringen in den feinbau der materie ein und erobern den weltraum. Unser hirn hat sich in seiner struktur seit Cro Magnon nicht verändert, wohl aber haben sich die seitdem gemachten erfahrungen ihre bahnen geschaffen.
Schönheit ist ein vielgesichtiges ideal, das möglichst in die nächste generation getragen werden möchte, die es ja besser haben soll, weiterkommen soll als wir.
Es gab aber immer perioden, die den mut aufbrachten, den herkömmlichen schönheitskanon zu durchbrechen und zu zeigen, dass schön sein kann, was zeitgenossen hässlich schien. Ich nenne nur Rembrandt und Zola, Caravaggio war gar als "maler der schmutzigen füße" bekannt, apostel haben so etwas nicht zu haben. Da war ein plakat mit einer jungen, schwangeren frau, "wie hässlich, so etwas sollte man nicht zeigen", sagte eine katholisch erzogene dame neben mir. Sie wunderte sich, dass ich mich über ihre aussage wunderte, vor der "Gebenedeiten" rutschen sie auf den knien.
Was ist schön, was hässlich in der musik? Wie schön können dissonanzen sein, wie langweilig tonale, absehbare vorgänge! Zeitgenossen beschwerten sich über Bruckner, was hätten sie über Strawinsky gesagt, und die den skandalös fanden, über Boulez ?
 
... und bliebe von meiner Seite noch anzufügen: wie wundersam ist doch die Klage derzeitiger Künstler oder sich so Verstehender, dass man ja mit gar nichts mehr anecken könne, alles schon ausgereizt sei, man alles sagen und zeigen dürfe - wie langweilig dies doch sei und wie leicht es doch die Altvorderen gehabt haben, einen Skandal zu provozieren und wie schwer man es doch heute habe ...

... wo sich bei mir der Eindruck eher verstärkt, es ginge denen eher um ihre Person und dass sie doch bitte schön wahrgenommen zu werden wünschen - und da ist die Wahl der Mittel doch zweitrangig, um nicht zu sagen, dass Ihnen jedes Mittel recht sei - dies mag so sein, nur: was hat das mit Kunst zu tun?

... als gäbe es auch heute nichts mehr zu entdecken und als träte nicht jeder Mensch, der neu in die Welt eintritt seine eigene Reise des Wunderns und Staunens an und baute sich nicht jeder seine Welt nach seinen Bildern dies ist doch das, was immer wieder neu und bekannt gleichermaßen ist ...

... und ich bin sicher, dass wem heute langweilig ist, dem wäre auch vor 200 Jahren langweilig gewesen und auch damals hätte er nichts als Klagen gewählt, weil er aus der eigenen Begrenztheit seiner Welt und seines Unvermögens Neugier zu entwickeln nichts neues zu sehen vermag - damals, heute, morgen ...

... denn Neugier mag eine Phase nur für viele Menschen sein - für Künstler, Kreative und Visionäre sollte sie die Haltung schlechthin sein

... und bliebe noch der schöne überlieferte Wortwechsel eine eher konservativen Kunstbetrachterin, die angesichts einer Ausstellung den Satz brachte: Aber Kunst muss doch schön sein! und sie die Antwort bekam: Gnädige Frau - Kunst kann so viel mehr als nur schön sein ...
 
ohne jetzt jemanden beleidigen zu wollen aber... das klingt als hätte ein 3 jähriger mit guitarpro gespielt
 
Beziehst du dich auf das klangbeispiel zur thread-eröffnung? Bei MIDI-files kommt es darauf an, wie man sie klanglich realisiert. Ich habe mir allerdings nicht die mühe gemacht, sie zu entpacken, da ich andere möglichkeiten habe, Skrjabin und Schönberg zu spielen oder zu hören.
 
Günter Sch.;3077337 schrieb:
Beziehst du dich auf das klangbeispiel zur thread-eröffnung? Bei MIDI-files kommt es darauf an, wie man sie klanglich realisiert. Ich habe mir allerdings nicht die mühe gemacht, sie zu entpacken, da ich andere möglichkeiten habe, Skrjabin und Schönberg zu spielen oder zu hören.

ja hab ich, deswegen muss ich mich jetzt auch entschuldigen, weil cih hab mir jetzt mal 2 sachen von Arnold Schönberg auf youtube angehört und muss sagen, das klingt saugeil!!!
 
Ich finde in neueren veröffentlichungen meine meinung bestätigt:
die musik bis Bach folgte vorwiegend musikalischen impulsen, in vokalwerken freilich determiniert durch vorgegebene affekte, im 19.jh. kehrt sich das verhältnis um, auch der instrumentalmusik wird eine außermusikalische bedeutung zugemessen, was in werken Beethovens (Shakespeare-sonaten) begann und in "sinfonischen dichtungen" gipfelte,
"damit auch der kleine mann
sich ein vergnügen leisten kann".
Schwingt das pendel zurück, wird musik wieder als klangkunst empfunden und damit außerhalb der fülle der "gebrauchsmusik" unpopulär, weil sie ansprüche an den hörer stellt?
 
Der maler Gerhard Richter lehnt ab, über seine abstrakten bilder zu sprechen, sie seien wie musik.
Ich habe mir oft vorgestellt, dass musik sei wie diese bilder. ein farbiger teppich, in sich strukturiert, kristallinisch oder amorph, mal statisch, mal dynamisch, mal starr, mal fließend.
Die würde aber auch niemand "verstehen".
 
Donaueschingen ist wieder vorüber, und ein kritikerwort blieb in meinem ohr haften:
er habe immer dasselbe gehört, aber unter verschiedenen titeln.
So geht es mir mit 12-tonmusik, die ständige präsenz aller 12 töne erzeugt uniformität, und längst hat trivialität auch die avantgarde erreicht. Man nehme vielfarbig bunte knete, was kommt heraus, wenn man sie durchwalkt? Ein hässliches, nichtssagendes grau.
"Wir haben nichts zu sagen, und eben das sagen wir!" (John Cage), aber warum soll man dann zuhören?
 
Um mal noch ein paar Komponisten und einzelne Werke zu nennen:

Hans Werner Henze:
Die Sinfonien vor allem!

Ligeti(wurde ja schon genannt):
Die Etüden sind richtig toll, "Atmosphere", die beiden Streichquartette, die Cellosonate(sehr hörenswert) und als krönender Abschluss: "Aventures I & II"

Tan Dun:
Bekannt durch diverse Filmmusiken, aber sein Hauptwerk ist Neue Musik(vermischt mit Klassik und traditioneller, chinesischer Folklore und da muss er sich nicht verstecken.)
Empfehlenswert ist "Out of Peking Opera", "Water Passion after St. Matthews" und richtig geil: "4 secret roads of Marco Polo"

http://www.youtube.com/watch?v=GxBO_WqT3dY

Sören Nils Eichberg:
www.eichberg.net
Neue Musik mit "tonalen Inseln" könnte man sagen.

Lachenmanns Werk entfernt sich eigentlich schon von konkreten Tonhöhen, ist aber auch sehr empfehlenswert.

John Cage:
Vor allem die Werke für präpariertes Klavier sind toll.
Und ein lustiger Uncyclopedia Artikel: :>
http://uncyclopedia.wikia.com/wiki/John_Cage

Alberto Ginastera:
Die Streichquartette und Klavierkonzerte

Mark-Anthony Turnage:
Ein englischer Komponist der Neue Musik mit Jazz vermischt.
http://www.youtube.com/watch?v=MAt-rruTHas

Steve Reich:
Das Spätwerk(z. B. "Daniel Variations") ist schon etwas dissonanter als die früheren Sachen.

Vieles von Wolfgang Rihm:
"Die Hamletmaschine", Streichquartette, Lieder

Einer meiner Favoriten, Olivier Messiaen:
"Quartett für das Ende der Zeit", "Éclairs sur l'au-delà"(http://www.youtube.com/watch?v=9Ug5_1UIEew), "Vingt regards sur l'enfants Jesus" und natürlich die tollen Orgelwerke.

Alfred Schnittke:
"Requiem", "Konzert für Chor"

George Antheil:
"Ballet Mechanique"

Ein tolles Werk, inspiriert durch Texte von Rammstein gibt es von Torsten Rasch:
"Mein Herz brennt"

Darius Milhaud:
"La creation du monde", "Saudades do Brasil"

Peter Eötvös:
"Atlantis" und die Oper nach dem gleichnamigen Stück von Tony Kushner: "Angels in America"

Alban Berg(wurde ja auch schon genannt):
Hier besonders das "Violinkonzert"(gibt eine tolle Aufnahme mit Anne-Sophie Mutter mit einem zusätzlichen Stück von Wolfgang Rihm "Gesungene Zeit") und die Oper "Wozzeck"

Penderecki:
"Threnody", "Lukaspassion" und einer meiner Favoriten: "Partita für Cembalo und Orchester"

Von Wojziech Kilar(ich schreib den immer falsch), gibts eigentlich nur eins, das ich toll finde, weil die neuen Sachen irgendwo so langweilig und belanglos geworden sind:
"Krezsany".


Es gibt natürlich noch einige andere Komponisten, Neue Musik ist schließlich ein unglaublich riesiges Feld. Wichtig ist halt, dass man sich da immer weiter informiert und wie hier schon ein paar mal gesagt wurde, genau(!) zuhört und nicht nur einmal.
Denken wird unterbewertet.
 
Man muss sich etwas reinhoeren aber bei Zeit gefällt es einem: Innovativ und rythmisch :


Nicht ganz so dissonant, aber seeehr klassisch :
 
Also die Harfe gefält mir ausgesprochen gut, wobei das aber wirklich nicht dissonant ist.
Falls der Ligeti eine Improvisation über "Ein feste Burg ist unser Gott" sein sollte, dann muss ich sagen habe ich davon nichts erkannt, abgesehen davon ist es aber auch nicht das Schlimmste was ich je gehört habe ;)

an Musikern noch zu nennen, wäre zum Beispiel Hugo Wolf
 

Ähnliche Themen


Unser weiteres Online-Angebot:
Bassic.de · Deejayforum.de · Sequencer.de · Clavio.de · Guitarworld.de · Recording.de

Musiker-Board Logo
Zurück
Oben