Frauenpower mit Fäkalsprache? (Liedtexte)

Hör dir das Lied nochmal an und achte genau auf den Text.
Ja, bis auf das "Arschloch", das ich in dem Lied sehr wohl als eine Beschimpfung empfinde, so wie es ausgesprochen ist (und so kommt es im übrigen auch bei den Kindergartenkindern an), finde ich den Text gut.

Ein Arschloch ist jemand, der bei seinem Handeln das Wohlergehen anderer ignoriert oder sogar bewußt verletzt. In dem Ärzte-Lied geht es um jemand, der einer menschenfeindlichen Ideologie anhängt, ich finde, da passt die Bezeichnung.
So könnte man ein "Arschloch" als Bezeichnung definieren.

Trotzdem wird es in dem Kontext, so meine ich, als eine Beschimpfung verwendet. So ähnlich wie Bezeichnungen für Menschen mit bestimmten Krankheiten in bestimmten Kontexten auch als Beschimpfung verwendet werden und man in der Medizin dann irgendwann hergeht, und die Bezeichnungen verändert, um einer Stigmatisierung entgegen zu wirken. Ein Mensch mit einer Behinderung ist (ganz neutral betrachtet) behindert und damit ein Behinderter. Inzwischen sprechen wir (und so wird das in der Heilerziehungspflege-Ausbildung auch gelehrt) aber nicht mehr von Behinderten, sondern von "Menschen mit Einschränkungen" oder "Handycap" oder sonstwie. Warum? Weil bei dem Wort "Behinderter" ein Stigma mitschwingt. Es wird in bestimmten Kontexten als Schimpfwort gebraucht.

Anderes Beispiel: "Narzissmus" bzw. die "Narzistische Persönlichkeitsstörung" ist in der ICD-10 eine Bezeichnung für eine sogenannte "Psychische Erkrankung". Mag man der Klassifizierung "Persönlichkeitsstörung" kritisch gegenüberstehen oder nicht (ich tue es auch bestimmten Gründe, würde hier allerdings zu weit führen), so ist "Narzissmus" zunächst nichts anderes als eine Zusammenfassung einer Beschreibung verschiedener "Symptome", also Beobachtungen. Ich stelle jedoch fest, dass es Menschen gibt, die bei Konflikten den Partner oder die Partnerin schnell als "Narzist" beschimpfen - nämlich dann, wenn dieser seine eigenen Interessen vertritt und nicht die des Partners. Mag sein, dass ein Teil dieser Beschimpften tatsächlich unter die klinische Kategorie "Narzissmus" fallen würde, ein anderer (vermutlich größerer) Teil aber nicht.

Zurück zum Ärzte-Lied:
Ich finde, wie gesagt, den Text sehr gut - bis eben auf diese wütende "Arschloch"-Beschimpfung. Jaaa, natürlich - ich kann verstehen, dass man wütend ist auf Leute, wie die angesprochenen Rechtsradikalen. Und klar, mir rutscht da auch mal ein "Arschloch" raus, um meiner Wut ausdruck zu verleihen. Dennoch: Ich denke nicht, dass es hilfreich ist - nicht mal dazu, um seine eigene Wut los zu werden (das zeigen Studien, z.B. Bushman, Baumeister & Stack (1999)
Und schon gar nicht hilfreich im Dialog mit den Betreffenden.
Beitrag automatisch zusammengefügt:

P.S. Wenn die Ärzte an der Stelle einen passenden, adäquaten Ausdruck gefunden hätten für "ICH bin furchtbar WÜTEND über Dich" - dann wäre ich bei ihnen. "Arschloch" geht in die falsche Richtung, sie ist keine "Ich-Botschaft" mehr.
 
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Driften wir nicht gerade vom ursprünglichen Thema ab?
 
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Zurück zum Ärzte-Lied:
Ich finde, wie gesagt, den Text sehr gut - bis eben auf diese wütende "Arschloch"-Beschimpfung. Jaaa, natürlich - ich kann verstehen, dass man wütend ist auf Leute, wie die angesprochenen Rechtsradikalen. Und klar, mir rutscht da auch mal ein "Arschloch" raus, um meiner Wut ausdruck zu verleihen.
"Arschloch" ist keine Diagnose nach ICD-10, sondern drückt meist spontan den Ärger einer Person über das Verhalten einer anderen aus. Du kennst das selbst, alles andere wäre auch überraschend gewesen. "Arschloch sein" ist keine Persönlichkeitsstörung, sondern freie Wahl. Wir beschimpfen niemand als Arschloch für etwas, wofür er nichts kann. Vielmehr weiß ein Arschloch, dass er etwas tut, was anderen schadet, oder könnte es wissen, aber das ist ihm gleichgültig. Es ist kein psychischer Knacks, der den Nazi dazu zwingt, manche Menschen als weniger wert zu betrachten.

Dennoch: Ich denke nicht, dass es hilfreich ist - nicht mal dazu, um seine eigene Wut los zu werden (das zeigen Studien, z.B. Bushman, Baumeister & Stack (1999)
Und schon gar nicht hilfreich im Dialog mit den Betreffenden.
Und Lieder sind keine Therapie. Wenn in Liedern nur freundliche Ausgewogenheit erlaubt wäre, hätten wir diesen Thread nicht.
 
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Lieder sind keine Therapie

Für manche Künstlerinnen schon. Viele Frauen (sicherlich auch Männer, aber hier geht es um Texte von Frauen) verarbeiten ihre Traumata oder schmerzhafte Enttäuschungen in ihren Gedichten/Liedtexten, die oft nicht für die Öffentlichkeit geschrieben sind, sondern der eigenen Heilung dienen.

Wenn in Liedern nur freundliche Ausgewogenheit erlaubt wäre

Dann wäre es mit unserer Kunstfreiheit vorbei, und da wäre ich der Erste, der "auf die Barrikaden" ginge!

Ja, es ist wichtig, daß gesellschaftliche Mißstände in Liedtexten nicht nur thematisiert werden, sondern der Text die Zuhörer mit gut gewähltem Wort auch aufrüttelt. Und das geht nur, wenn der Text verständlich ist und die Wortwahl von dem Zuhörer angenommen wird. Beleidigungen und derbe Beschimpfungen werden nicht von jedem Zuhörer angenommen. Hier ein Beispiel aus den 90ern, als in Deutschland wieder Menschen verbrannt wurden.
Letzte Verse aus Zeitreise, Text von Ulla Meinecke:

Das hat doch keiner gewußt
und da war niemand dabei.

Das kann nicht so bleiben, das darf nicht so sein
Das denken die meisten zu Hause allein
Gesichter im Spiegel, die man nicht mehr erkennt
Wer die Fremden nicht schützt, wird sich selber fremd

Und jetzt wissen wir´s alle,
wir sind alle dabei.

Dieser Text ist jedem, der der deutschen Sprache mächtig ist, unabhängig vom Bildungsgrad, verständlich. Für mein Verständnis bedarf er keine harten Beschimpfungen. Auf mich wirkt er so, wie er ist: Du siehst, was los ist, dann tue etwas dagegen.

@Michael Scratch macht es in seinem Beitrag deutlich: Derbe Beschimpfungen entwerten den ganzen Menschen. Jeder Mensch hat seinen Wert, auch die Menschen, die "Böses" tun. Dann ist es wichtig, die Kritik an die böse Tat zu richten: Du hast etwas Böses getan. Damit kann der Mensch an sich arbeiten und die Böse Tat nicht mehr wiederholen.

Ich bin mir auch nicht sicher, ob die Strategie der deutschen Künstlerinnen, das Wort Fo**e zu entkräften, indem sie es für sich annehmen, wirklich funktioniert. Wenn sich jemand selbst mit einem Schimpfwort bezeichnet: Ich bin eine ***, wirkt es sich (zumindest im Unterbewußtsein) auf seinen Selbstwert aus. Damit muß man auch umgehen/leben können.

Gruß, Bjoern
 
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sondern freie Wahl. Wir beschimpfen niemand als Arschloch für etwas, wofür er nichts kann.
Darüber ließe sich vortrefflich philosophieren, wieviel oder wenig Wahlfreiheit der einzelne in einem komplexen System und mit einem bestimmten Lebenshintergrund wirklich hat. Aber das würde hier sicherlich zu weit führen. Aber ja, ich bin bei Dir, zumindest von einer Möglichkeit der Wahlfreiheit auszugehen, denn anders wäre vieles Absurd und mit meinem Weltbild schwer vereinbar.

Es ist kein psychischer Knacks, der den Nazi dazu zwingt, manche Menschen als weniger wert zu betrachten.
So gesehen ist es auch kein psychischer Knacks, der mich dazu zwingt, jemanden, der Hass und Hetze verbreitet ("Nazi") ebenso abwertend und menschenverachtend zu begegnen und mich damit auf eine ähnliche Stufe zu stellen. Das möchte ich nicht. Ich muss nicht in den Kreislauf eintreten, mich von Tätern zu einem Opfer zu einem Täter machen zu lassen.
 
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@Bjoerni, du merkst es vermutlich nicht, weil du es bestimmt nur gut meinst, aber insbesondere dein letzter Beitrag liest sich so, dass du eigentlich besser weißt, was die Künstler:innen wollen und was ihnen gut tut. Damit hast du in dieser Diskussion niemand überzeugt und das wird dir auch mit den angesprochenen Künstler:innen nicht anders gehen.
 
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dass du eigentlich besser weißt, was die Künstler:innen wollen und was ihnen gut tut

Keineswegs! Ich weiß nicht, was sie mit ihren obszönen Texten sagen/erreichen wollen, und dazu habe ich hier auch viele Fragen gestellt, aber ich weiß, daß sie mit solchen Texten nicht alle Zuhörer erreichen, weil es viele Menschen gibt, die solche Beschimpfungen ablehnen.
Ich habe auch in mehreren Beiträgen die Möglichkeit erwähnt, daß sie mit ihren Texten gar nicht mich erreichen wollen, sondern eine bestimmte Zielgruppe, die diese Sprache akzeptiert. Und Vertreter aus beiden Lagern haben hierzu sinngemäß geschrieben:
  • nein, auf keinen Fall, völlig inakzeptabel
  • ja, in einem Liedtext finde ich's OK
Und so habe ich es auch für mich verbucht.
Ich bin mir auch nicht sicher

Das bedeutet auf Deutsch nicht "ich weiß es besser", das bedeutet, daß ich nicht weiß, ob das für alle Frauen/Menschen anwendbar/wirksam ist.

Gruß, Bjoern
 
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Er hat ja Finna und Marybu genannt,
Das ist Battle-Rap, da wird das Gegenüber beleidigt, manchmal geht es um echte andere Rapper, oft ist das fiktiv. "Du bist immer noch ein Hurensohn" richtet sich also nicht an den Zuhörer, obwohl man hier natürlich Textanalyse betreiben kann und sich fragen kann, mit welchen Stereotypen gespielt wird und ob man nicht vielleicht doch gemeint ist, weil man sich fragt, ob "die Fotzen" sowas überhaupt dürfen und können.
Ich habe mir eben diesen Titel angehört und muss sagen: Ich finde ihn richtig klasse. Nein, nicht dass es meinen Musikgeschmack träfe. Aber hier persiflieren zwei (?) junge Frauen meiner Ansicht nach gekonnt die vorherrschenden Stereotypen des "Gangsta-Rapp" (?), indem sie ironisch (so kommt das bei mir an) deren Sprache aufgreifen. Meine Sympathie haben sie! (y)
 
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Man(n) könnte ja mal versuchen, so eine singende, rappende Dame mit entsprechenden Texten diesbezüglich (nett) zu befragen? ;-)
 
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Man(n) könnte ja mal versuchen, so eine singende, rappende Dame mit entsprechenden Texten diesbezüglich (nett) zu befragen? ;-)

An sich eine gute Idee; im Alltag frage ich auch nach, wenn ich etwas nicht verstanden habe. In der Kunst sehe ich es jedoch anders.

Wenn ich mich von einem Text angesprochen fühle, denke ich darüber nach, lese weitere Werke von der Künstlerin, suche nach Interviews mit ihr usw., um über ihre Intention mehr zu erfahren, oder es gefällt mir einfach nur, ich genieße es und lese/höre es wiederholt.
Wenn mich jedoch ein Text nicht anspricht, oder gar auf mich beleidigend/verletzend wirkt, fühle ich mich nicht angesprochen und betrachte den Text als künstlerische Freiheit, für die sich die Künstlerin nicht zu rechtfertigen braucht. Sie soll (verbal) aus dem Vollen schöpfen dürfen, auch wenn mir die Wortwahl nicht gefällt.

Da es in diesem Forum viele Musikerinnen gibt, wollte ich wissen, wie sie diese Liedtexte sehen, wie sie mit dieser Wortwahl umgehen.
Vermutlich haben zu diesem Thema mehrheitlich (oder gar ausschließlich?) Männer beigetragen, dennoch fand ich hier viele konstruktive und weiterführende Antworten, die mir zwar nicht sagen, was die Künstlerinnen (genau) sagen wollten, aber in welche Richtung ich schauen kann, was auf jeden Fall meinen Blick auf diese Liedtexte erweitert/bereichert.
Dafür danke ich Euch. :claphands:

Gruß, Bjoern
 
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Manche Frauen fragen ihre Verehrer ab, was diese denn von den Texten von Ikkimel halten.
Und sortieren anhand derer Antworten die Spreu vom Weizen aus.
Ähm, wie wäre denn da die korrekte Antwort?
 
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Nachtrag

Wenn ich an Frauenpower in Liedtexten denke, habe ich (auch weil ich selbst Klavier spiele) immer das Gedicht Mein blaues Klavier von Else Lasker-Schüler vor Augen. Starke Worte einer geschundenen Frau. Worte, die immer (wieder) aktuell sind und die uns daran erinnern, daß wir uns die Freiheit des Wortes in der Kunst nicht aus der Hand nehmen lassen dürfen.

Das Gedicht wurde von vielen Komponisten vertont, vielfach gesungen, tausendmal rezitiert, und ich denke, daß es gerade in diesem Thema seinen Platz verdient hat.

Hier das Gedicht.

Gruß, Bjoern
 

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