Kontrapunkt-workshop

Selbender Sing
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Kontrapunkt-workshop

Polyphony und Kontrapunkt waren im 17. bis 19. Jhdt eine weit verbreitete Kompositionstechnik. Sie ist aufgrund vieler Regeln (Quintparallelenverbot u.s.w.) äußerst komplex. Gleichtzeitig ist der daraus entstehende Sound nicht mehr zeitgemäß bzw. für viele Gelegenheiten unpassend. Trotzdem ist es für fast alle, die sich mit Komposition und Arrangement beschäftigen, immer wieder ein faszinierendes Thema.
Leider gibt es für die tonale Musik unserer heutigen Zeit (wie z.B. Filmmusik oder Pop/Rock, vielleicht auch Jazz) wenig aktuelle Schriften dazu. Und frei nach dem Motto: Selbermachen ist immer am besten, soll hier versucht werden, eigene kontrapunktische Arrangements zu erstellen.
Es soll darum gehen, dass man durch das Analysieren fremder Arrangements und der Diskussionen darüber, etwas über dieses nicht ganz einfache Thema dazulernt.


Hier ein paar Anregungen zur Vorgehensweise.
  1. jemand stellt eine nicht zu komplexe Melodie mitsamt Akkordsymbolen in diesem workshop online. Tonal wäre sinnvoll. Mindestens 4 Takte, maximal 16. (kürzer ist wahrscheinlich besser, weil es sonst auch zuviel Zeit verschlingt). Die Melodie kann selbst erfunden sein oder z.b aus einem Film oder Popsong oder anderes sein.
  2. jeder, der will, versucht nun ein kontrapunktisches Arrangement daraus zu stricken.
    Es gibt keine festen Regeln, aber es soll mindestens eine eigenständige Melodie zum Thema hinzukommen. (natürlich können es auch mehr sein). Zusätzliche Füllstimmen (die nicht kontrapunktisch sind) können natürlich auch verwendet werden
  3. Die hinzugefügten Melodien können sowohl immitierend, kanonartig, fugenartig oder auch ganz frei sein. Sie sollen aber immer als eigenständig erscheinen. (einfach nur parallel geführte Stimmen sind so etwas z.B. nicht. Auch Stimmen, die ständig rhythmisch parallel laufen nimmt man nicht als eigenständig wahr)
  4. Wer will, kann sich an die strengen Regeln der barocken und klassischen Ära halten (Quint- und Oktavparallelenverbote u.s.w.), macht aber vermutlich vor dem Hintergrund eines zeitgemäßeren Sound keinen Sinn.
  5. Das Harmonieschema dient nur als Orientierung. Wer will kann es verändern. Aus Gründen der Vergleichbarkeit wäre es allerdings schön, wenn man weitestgehend am Original bliebe.
  6. Ein Hörbeispiel wäre gut, da vielleicht nicht alle Beobachter in der Lage sind, 3- oder 4-stimmige Arrangements vom Blatt zu spielen. Natürlich reicht ein einfaches Hörbeispiel mit einem einzigen Sound (z.B. Klavier oder Gitarre) völlig aus. Wer will, kann natürlich auch orchestral an die Sache herangehen.
  7. Anschließende Diskussionen zu dem jeweiligen Arrangement sind unbedingt willkommen und erwünscht.


Da ich in einem anderen thread bereits ein solches Arrangement erstellt hatte, (aufgrund dessen die Idee zu diesem thread entstanden ist), stelle ich es hier nochmal rein. Vielleicht macht das - ergänzend zu den schriftlichen Anregungen - die Intention noch etwas klarer. (im Mittelteil ist ein homophoner Abschnitt, der hier eigentlich nicht hingehören würde, aus thematischen Gründen in dem ursprünglichen thread aber gut passte)



Narnia - The Battle in Dm;  polyphones Arrangement.png
Narnia - The Battle in Dm;  polyphones Arrangement.png



https://soundcloud.com/andreas-meyer-30/narnia-the-battle-polyphone-bearbeitung-andreas-meyer
 
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So könnte dann ein Arbeits-Leadsheet aussehen, dass jemand postet, damit andere (und er selbst) ein Arrangement erstellen können.
Narnia - The Battle in Dm  leadsheet.jpg
 
und etwa so könnte dann eine Beprechung des eigenen Arrangements aussehen. (natürlich kann man sich genauso oder ähnlich auch Gedanken über ein fremdes Arr. machen)
Das folgende habe ich selbst verfasst zu dem obigen Arrangement.





Ich habe zunächst überlegt, dass es schöne wäre, die Gegenstimme aus einem Motiv des Themas zu übernehmen. Da bot sich das Motiv aus Takt 2 an.

Dann habe ich ein bisschen experimentiert, in welcher Lage das Motiv in der 2. Stimme auftauchen soll.
Grundton wäre blöd gewesen, da die Hauptstimme bereits im Grundton anfängt. Quinte wäre evtl gegangen. Vorteil: man hätte dann das Motiv in der 2. Takthälfte auf dem Ton b beginnen lassen können und hätte so zweimal das Originalmotiv ohne Veränderung gehabt. (Also mit einem Terzsprung nach oben am Ende)
Nachteil: die 3 Stimme, die ja hier eine Bassfunktion übernimmt, hätte (um den Akkord vollständig zu machen) auf der Terz beginnen müssen. Das fand ich so direkt am Anfang des Stückes nicht gut.
Also habe ich das Motiv auf der Terz beginnen lassen. Nachteil hier: man muss in der 2. Takthälfte das Motiv leicht verändern (Quarte rauf statt Terz rauf). Da das aber gleichzeitig eine bessere Linie zum nächsten Ton (c) im 2. Takt ergibt, ist das sogar gut. Aber natürlich hier nur Zufall.

Takt 2 und 3 ist praktisch dasselbe. Um etwas Abwechslung reinzubringen, habe ich den Bass diesmal auf der Quinte beginnen lassen. Er springt auf Zählzeit 2 erst auf den Grundton.

Es ist also viel probieren und manchmal natürlich auch Ansätze wieder verwerfen.

Man muss aber auch dazu sagen, dass die beiden Motive sehr dankbar sind. Keine Vorhalte, keine großen Sprünge. So sind sie leicht zu handhaben, wenn man sie in einer 2. Stimme verwenden will.

In Takt 7 und 8 ist mir durch Zufall diese Dezimenfigur in die Finger geraten. Da Gm und Eb in einem Terzenabstand liegen, ließ sich die Figur wiederholen, wenn man sie abwärts führt.
Es sollte wieder das B-Motiv sein, aber ein Terzsprung am Ende hätte hier keinen Sinn gemacht, also habe ich ihn durch einen Sekundschritt ersetzt und das Motiv gespiegelt, sodaß es eine Abwärtsbewegung ergibt.

Dann wollte ich das aber weiterführen und habe den Akkord in Takt 8 (Bb) ignoriert und ihn für die Linke Hand wie einen Cm behandelt. Die in der rechten Hand gespielte Melodie in Sexten verwandelt sich dadurch in Vorhalte, die aufgelöst werden, wenn die Bassbewegung schon wieder in der Wechselnote ist. Herrliche, aber durch Stimmführung logische Dissonanzen entstehen durch ein Zufallsprodukt.

Der 16telBass am Ende benutzt auch wieder die Figur vom B-Motiv, auch hier ohne Terzsprung und diesmal aufwärts gerichtet.
Da sie in 16teln geht, heißt es mehr Zeit zu überbrücken, also musste ich noch Figuren dazubasteln.
Auch hier würde ich sagen, dass die schlüssige Linienführung einen darüber hinweghören lässt, dass die neuen Motive nicht aus den Originalmotiven stammen.
 
Für die erste Aufgabe, die ich mir stelle, habe ich ein bekanntes Gypsy Jazz-Thema - harmonisch und melodisch etwas modifiziert - in drei Takte gepresst, um daraus eine Mini-(Pseudo)-Fuge von zwölf Takten zu machen. Insofern sind die Takte 4-6 bereits Dominanteinsatz ("Comes") des Themas, der dann in eine andere Stimme verlegt werden muss:
MinorThing.jpeg


Klingt so:




Wer Lust hat, kann sich natürlich auch an diesem Thema versuchen - da es ein Arpeggio ist, lässt es sich auch schön im Bass durchführen... :) (ggf. #9 in Takt 5 ändern)
 

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Ich bin sehr gespannt. (leider keine Zeit im Moment für einen eigenen Versuch.)
 
Hier ist mein erster Anlauf:

MinorThing_Schema.jpg


Um mich erstmal zu einer engen Linienführung zu zwingen, wollte ich das Minor Swing-Thema im Quint-Abstand anordnen, bin dann aber zweimal davon abgewichen:

1. Bass im 2ten Tonikaeinsatz, damit er „grundtonstellig“ bleibt und das Thema unvariiert / mit dem höchsten Wiedererkennungswert bringt
2. Contrasubjekt im letzten Dominanteinsatz von B2 herunter auf G#2 transponiert, weil ich diese Variante einfach besser heraushören konnte

Wegen dieser „Quintabstandvorgabe“ erscheint das Thema im Sopran dann variiert auf der Quinte der Dominante – da man es bis dahin bereits dreimal gehört hat, fand ich das ok.

Dramaturgisch versprach ich mir Wirkung davon, das
1. Thema abwechselnd hoch und tief einzuführen und
2. das Contrasubjekt abwechselnd über und unter dem Thema zu präsentieren.

Aber natürlich kann alles auch ganz anders sein - z.B. alles insgesamt höher...
:)

Hömma:




MinorThing_S.1.jpg MinorThing_S.2.jpg
Nur Bass- und Violinschlüssel:
MinorThing-Git-Notation_S.1.jpg MinorThing-Git-Notation_S.2.jpg
 

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So mal hier was kontrapunktisches von mir ... weil mir auf die Schnelle nix einfiel habe ich als leitende Melodie (sozusagen als "Cantus Firmus") eine verkürzte Form von
"Somewhere over the Rainbow" bemüht.






Die Soundausgabe ist von MuseScore 2, also bitte keine Wunder erwarten.

:) Die Noten sind in der pdf im Anhang ..
 

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leitende Melodie (sozusagen als "Cantus Firmus") eine verkürzte Form von "Somewhere over the Rainbow"

Moin Musikuss, Du verwöhnst uns nicht gerade mit Erläuterungen, aber es klingt schön (ich abstrahiere vom Sound :)) - und vor allem schön verschachtelt.

Nachträglich korrigiertes Struktur-Schema:
Schema.jpg


Ich stelle fest, dass ich den Begriff des Kanons noch nicht begriffen habe - inwiefern ist dies einer?
 
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Stimmt, meine Ausführungen waren eher knapp ...

Das Stück ist folgendermaßen konzipiert:

Die Oboe hat den Cantus firmus, in Violine 1 und 2 läuft ein Kanon in der Quinte ab (Violine 1 Dux, Violine 2 Comes (hier in der Unter-Quart)),
in Bratsche und Cello läuft ein zweiter Kanon in der Septime ab, (Cello Dux, Bratsche Comes).

Die "Duxe" setzen jeweils in Takt 1 ein, die "Comese" in Takt 2.

Da das ganze Ding als Endlos- Doppel-Kanon konzipiert ist überlappen sich manche Motive bzw ein Ton aus Takt 8 (aus Violine 1 und Cello) und erscheinen in Takt 1.

Habs in der pdf nochmal markiert ... siehe
 

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Ah, danke, jetzt verstehe ich auch, weshalb das ein Kanon ist! :D

Hab das Schema entsprechend korrigiert - allerdings rechnest Du das, was ich Motiv 3 und 4 nenne, wahrscheinlich auch noch den Ausgangs-Kanonen zu?
 
Hier ist mein erster Anlauf:

minorthing_schema-jpg.602071

Wow, das ist ja sehr ambitioniert. Ganz schön anspruchsvoll mit 4 Stimmen, die alle das Thema variieren.

Ich hätte da auch noch eine Idee zu, aber im Moment keine Zeit. Melde mich.

Die Oboe hat den Cantus firmus, in Violine 1 und 2 läuft ein Kanon in der Quinte ab (Violine 1 Dux, Violine 2 Comes (hier in der Unter-Quart)),
in Bratsche und Cello läuft ein zweiter Kanon in der Septime ab, (Cello Dux, Bratsche Comes).

Die "Duxe" setzen jeweils in Takt 1 ein, die "Comese" in Takt 2.

Schön und gut. Aber wieso funktioniert das? Wie bist du beim Schreiben vorgegangen?
Es klingt fast barock, auf jeden Fall sehr durchsichtig und nachvollziehbar. Hut ab!
 
Da mein erstes Arrangement so tief war, wollte ich es noch einmal mit den drei oberen Stimmen hochoktaviert probieren - wirkt auf mich durchsichtiger - und die Noten lesbarer :D. Auch konnte ich nun das Contrasubjekt bei seinem zweiten Dominanteinsatz (fast) unverändert bringen und finde es gut hörbar - allerdings habe ich dann doch den Einstieg vom b3 zum g#3 geändert, damit das b4 des Soprans nicht das b3 des Tenors auslöscht.
MinorThing-02_S.1.jpg MinorThing-02_S.2.jpg

Mir fiel auch noch ein Beispiel für "ein-bissl-fast-Kontrapunkt" aus der Rockmusik ein - ab 6:50, ab that ain't workin' :)
 

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Jetzt geht es weiter - :)

Hier mein erster Versuch einer bluesigen Fuge - oder vielleicht wäre das eher eine Fughette oder ein Fügchen...

Ähnlich einfache Struktur wie oben #6, Thema über drei Takte, jeweils im Wechsel C7 G7 C7 und G7 D7 G7. 2te Durchführung in C-Moll und dann kommt so eine Art Engführung mit eintaktigem Einsatz, für die ich das Thema abgewandelt habe, damit es so noch zusammenklingt. Ich habe mir erlaubt, die Stimmen auch bei Durchgang 2 und 3 nach einander einsetzen zu lassen.








BlueFugue-01.jpg BlueFugue-02.jpg BlueFugue-03.jpg BlueFugue-04.jpg BlueFugue-05.jpg BlueFugue-06.jpg BlueFugue-07.jpg BlueFugue-08.jpg BlueFugue-09.jpg
 

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