Küssen verboten

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Hallo Liebe Leute,

anlässlich des Jubiläums von Annette Humpe habe ich mich ein wenig mit ihren Songs auseinandergesetzt. Da gibt es einen sehr eingängigen Refrain von den Prinzen. Der Song heißt "Küssen Verboten". Nun möchte ich den funktionalen Zusammenhang der Akkorde verstehen. Kann mir dabei jemand helfen?

Die Struktur sieht so aus:

| G-Dur | D-Dur | E-Moll | A-Dur | (jeweils einen Takt)
| G-Dur | H-Dur | E-Moll | A-Dur | (jeweils einen halben Takt)
| D-Dur | G-Dur | (jeweils einen Takt)

Ich sehe das so: Tonart ist G-Dur . Es geht los mit einer I - V Verbindung. Dritter Akkord ist die Mollparallele von G-Dur - also VI-Stufe. Soweit ist alles klar. Aber: In welchen funktionalen Zusammenhang bringe ich das A-Dur im 4.Takt? Wenn ich mich in G-Dur befinde, dann müsste der 4. Takt doch Moll sein, da der 2. Stufenakkord von G-Dur A-Moll lautet. Genauso sieht es mit dem H-Dur aus. Der ist (vom Zentrum G-Dur aus betrachtet) ja 3. Stufe und müsste eigentlich ein Moll-Akkord sein.


Hat jemand eine Idee?


Viele Grüße.

Chris
 
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Hi Chris!

Normalerweise sprichn man bei einem Dur-Akkord auf de 2. Stufe von einer Doppel-Dominante - also die Dominante der Dominante D(7). Die kleine Septime zum A7 hörst Du im Melodieton.
In diesem Fall folgt aber nicht die Dominante sondern wieder die Tonika G-Dur.
Funktionieren würde es auch, wenn man die Subdominante oder Subdominant-Parallele verwenden würde, aber so wird die harmonische Spannung so an dieser Stelle erhöht.

H-Dur ist eigentlich auch ein H7 und die Dominante zur Tonika-Parallele E-Moll. In der Version die ich gerade höre wird allerdings C-Dur anstatt E-Moll gespielt.
 
Hab jetzt auch mal flink nachgehört und ich denke auch, dass auf den H-Dur ein C-Dur folgt.
Dementsprechend ist die einzige Zwischendominante der zweite A Dur.
Den ersten A-Dur kann man recht einfach als einen Modal Interchange aus G-Lydisch bezeichnen. Der H-Dur ist Terzverwandt mit G-Dur, also nicht so weit entfernt, wie man zuerst denken könnte. Außerdem entsteht hier eine nette Chromatik über G-Dur H-Dur C-Dur (d d# e) und dann noch eine über H-Dur C-Dur A-Dur D-Dur(h c c# d).
Wichtig bei so Geschichten ist dass sich das nicht mit dem Melodieton schneidet.
 
Nun möchte ich den funktionalen Zusammenhang der Akkorde verstehen. Kann mir dabei jemand helfen?

Hallo,
ich habe versucht, die Funktionen im Sinne der Funktionstheorie zu verdeutlichen.

Code:
Refrain:
|G    |D    |Em  |A  |
|G  H |C  A |G D |G  |

Funktionen:
|T    |D    |Tp  |DD |
|T (D)|tG DD|T D |T  |

T = Tonika
D = Dominante
Tp = Dur-Tonikaparallele
DD = Doppeldominante
(D) = Klammerdominante, hier: Dominante der folgenden Tonikaparallele, die allerdings durch den tG ersetzt wurde ([URL="http://de.wikipedia.org/wiki/Trugschluss_%28Musik%29"]Moll-Trugschluß[/URL])
tG = Moll-Tonikagegenklang

Die Akkordfolge ist m.E. ziemlich gut ausgewählt:

Nach | G | D |Em | erwartet man am ehesten C, doch es folgt A(7) (c chromatisch erhöht zu c#).
-> erhöht die Spannung

Und es geht interessant weiter:

Über einen Moll-Trugschluss, eingeleitet durch die entsprechende (Klammer-)Dominante, wird wiederum A(7) angesteuert. Die Akkordfolge erhält durch die schöne chromatische Aufwärtsbewegung (siehe Philmaster) einerseits eine Steigerung und andererseits wird dadurch auch die Plausibilität unterstützt.

Abschließend wird durch eine authentische Kadenz die Ausgangstonart bestätigt.

Viele Grüße

Klaus
 
Zuletzt bearbeitet:
Analytisch ist es ja nun aufgeklärt. Dabei ist es mal wieder interessant, dass Doppeldeutungen nie ausbleiben. Als wenn sich die Musik dagegen wehrt, nackt ausgezogen zu werden ;)

Die Folge I - bIV - IV (hier also G H C .... ) war früher im Ragtime sehr beliebt. Wie Klaus schon sagte, muss man das H zu allererst als V-Funktion für die Mollparallele der Tonart ansehen. Das erwartete E-moll wird dann jedoch mit dem engst verwandten C subsituiert. Da schließe ich mich an.

Natürlich kann man auch mit Modal Interchange kommen, denn die Mollstufen II und III kommen hier gleich beide verdurt vor (a -A / h - H). Funktional sind die V-Deutungen aber näher dran.


Die Akkordfolge ist m.E. ziemlich gut ausgewählt:

Dazu möchte ich ergänzen:

I - III7 - IV ist im Ragtime - sehr beliebt.

Diese Küssen verboten-Sequenz ist deshalb ein sehr alter Hut, der aber immer wieder gut passt.

Und:

G - H(7) - C(7) - A(7)

kennt fast jeder: Es ist exakt die Akkordfolge der Strophe des chlligen Soul-Megahits "Sitting on the Dock of the Bay" (hier ganztaktig, beim Küssen halbtaktig.). Es ist immer wieder verblüffend, zu welchen unterschiedlichen Ergebnissen identisches Tonmaterial führt.

Man beachte zusätzlich die gewisse Ähnlichkeit der Küssen-Hookline mit dem Kinks-Hits "Waterloo Sunset":

http://www.youtube.com/watch?v=Cyh__QQD2js
 
Zuletzt bearbeitet:
vielen Dank für die zahlreichen, fundierten Antworten. Die haben mich wirklich weitergebracht!

Ganz dickes Dankeschön!

Gruß,
Chris
 
Dabei ist es mal wieder interessant, dass Doppeldeutungen nie ausbleiben. Als wenn sich die Musik dagegen wehrt, nackt ausgezogen zu werden ;)

Ein passendes Bild. Die theoretischen Erklärungsversuche beruhen ja auf Modellen, die sich aus Gemeinsamkeiten vieler einzelner Musikstücke herleiten. Modelle können nie identisch mit der Realität sein. Es bleibt immer etwas übrig, was mit einem Modell nicht erklärt werden kann. Für das bislang kaum erklärliche gibt es dann evtl. ein anderes Modell, das besser passt.

Zur Hookline von "Küssen verboten" möchte ich noch einige Anmerkungen machen:

Ihr Ohrwurmcharakter beruht m.E. auf der Kombination der sehr emotionalen Worte ("Küssen verboten") mit Tönen, die man als dreitönige Keimzelle diatonischer Musik (Töne 3, 5, 6) bezeichnen könnte.

Als zweitönige Keimzelle würde die Rufterz gelten (Kuckkuck: 5-3, 5-3), wohl die Tonbeziehung (Intervall), die sich Kindern am ehesten einprägt und früh erkannt wird. Sie wird in verschiedenen Kinderspielen in unterschiedlichen Rhythmen und Kombinationen verwendet.

Mit dem dritten Ton (Ton 6, Sekund über der Rufterz) ergeben sich von den Tonkombinatonen (drei verschiedene Töne) her sechs Möglichkeiten. (Bei zwei Tönen nur zwei: 3-5 und 5-3.)

Die Zahl der Anordnungen von fünf Tönen (drei davon verschieden, ohne Tonwiederholung) ist immer noch ziemlich übersichtlich. Einer dieser Möglichkeiten entspricht die melodische Umsetzung der wichtigsten Aussage "Küssen verboten": 3-5-3-6-5

Ein Reihe der einfachsten Kinderliedern beruhen auf unterschiedlichen Anordnungen der 3, 5 und 6:
Backe, backe, Kuchen
Hoppe, hoppe, Reiter
Laterne, Laterne, Sonne, Mond und Sterne (Anfang und Schluß)

Auch die Werbung (Haribo, Kinderschokolade) verwendet derartig einprägsame Tonfolgen mit 3, 5 und 6.

Die Tonfolge "Küssen verboten" (3-5-3-6-5) entspricht einem der einfachsten Tonmuster, spricht frühe Erfahrungen aus der Kindheit an und ist auch aus diesem Grund leicht zu merken. Der herausgehobene Ton 6 fällt genau mit der Silbe zusammen, die sprachlich am meisten betont würde.

Eine wichtige Zwischenstufe auf dem Weg zum diatonischen Tonvorrat, wäre die anhemitonische Pentatonik (Töne 1, 2, 3, 5, 6)


Viele Grüße

Klaus
 
Zuletzt bearbeitet:
Wunderschön übertrieben, kann man kaum mehr was hinzufügen... anhemitonische Pentatonik... jammi!
 

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