Persönlichkeit und Selbstselektion bei Genres und Instrumenten

Mir sagen aus der von dir genannten Liste nur Stockhausen und John Cage was, letzterer hauptsächlich dafür, dass er das langsamste Stück der Welt komponiert hat, wo alle paar Jahre mal eine Note ausgetauscht wird.
Wenn Du diese Komponisten nicht kennst, kann eigentlich keiner außer Dir etwas dafür. Das sind schon die großen Namen der zeitgenössischen Klassik, und ihre Werke werden in den großen Konzerthäusern von namhaften Musikern und Orchestern auf der ganzen Welt regelmäßig gespielt. Außerdem haben sie weltweit eine große Zuhörerschaft, die ihre Werke gerne und mit viel Vergnügen hören.

Mir geht es dabei nicht darum, ob Dir oder mir oder jemandem anderen diese Musik gefällt oder nicht, sondern einfach darum, daß dieser Satz falsch ist und jeder Grundlage entbehrt:
Also: Meine Überlegung startete ausgehend von der Beobachtung, dass in der E-Musik / "Klassik" größtenteils noch dieselben alten Werke wie vor Jahrhunderten gespielt werden, während in der U-Musik / Pop das eigene Schreiben oder zumindest ständiges Vorlegen von etwas Neuem Grundvoraussetzung ist.
Das Problem besteht ausschließlich darin, daß Du keine Kenntnis davon hast, daß die zeitgenössische Musik in der Gesellschaft durchaus fest verankert ist. Es besteht also durchaus noch Potential, in andere Horizonte auch mal einen Blick zu werfen.

Du persönlich kannst das ja gerne gut finden, aber ich denke, wir können uns darauf einigen, dass alle von dir verlinkten Stücke - mit Ausnahme dessen von Philip Glass - einen großen Haufen auf die klassische Harmonielehre machen und komplett chromatisch / atonal spielen.
Den von Dir gesetzten "Haufen" tue ich mir jetzt mal nicht an. Ansonsten hast Du damit Recht, daß viele zeitgenössische Werke nicht den Regeln der traditionellen europäischen Funktionsharmonik folgen.

Mal ein Beispiel als pars pro toto: Das von mir verlinkte Stück von John Cage für präpariertes Klavier stammt aus einer intensiven Beschäftigung John Cages mit der traditionellen Volksmusik aus Bali, der Gamelanmusik. Also ein klarer Rückgriff auf musikalische Traditionen, nur eben nicht europäische. (Die balinesische Musik hat ein völlig anderes Intervallsystem als die europäische Musik und wird von europäisch geprägten Hörern häufig als schief empfunden. Die Balinesen empfinden das nicht so). Von spontanem Herumgeklimper kann also keine Rede sein. Daß tonale Grundlagen nicht vorhanden sind und diese Musik atonal ist, ist also wieder ein Irrtum. Es sind nur nicht die tonalen Grundlagen, die Du kennst und gewohnt bist. Sogar Schönbergs Zwölftonmusik ist ja nicht atonal, sondern eben zwölftonal.

Ich bin mir übrigens ziemlich sicher, daß die oben von mir genannten Komponisten alle in der Lage sind, eine regelgerechte Fuge zu schreiben. Das ist ja auch eine Tradition, die - entgegen Deinen Vermutungen - in der Musikerschaft durchaus gepflegt wird. Das findet sogar hier im Board seinen Niederschlag: https://www.musiker-board.de/threads/eine-eigene-invention-a-la-bach.687939/

Die anderen genannten Komponisten machen für mich oft den Eindruck, als seien sie der Meinung, sie wären über Mozart, Beethoven und Bach erhaben
Ich glaube auch hier, daß Du einfach nicht die Kenntnis davon hast, daß alle diese Komponisten große Bewunderer und Kenner des klassischen Repertoires sind und die Werke der großen klassischen Komponisten mit viel Begeisterung und intensiv studiert haben.

Und wenn das Philip Glass-Stück wie im Videotitel beschrieben von 1937 ist, ist es jetzt auch nicht mehr gerade das jüngste.
Da liegt leider ein Irrtum Deinerseits vor. 1937 ist das Geburtsjahr von Philipp Glass. Ich glaube nicht, daß er im Alter von einem Jahr schon solche Stücke schreiben konnte. :D Seine 9. Symphonie stammt aus dem Jahr 2011.

Filmmusik: Werke von u.a. György Ligeti wurden ja in Stanles Kubricks Space Odyssee als Soundtrack verwendet, also durchaus massenkompatibel:



Mein Fazit:

Jeder soll die Musik hören, die er gerne mag. Mancher mag lieber Helene Fischer, ein anderer Luciano Berio. Das alles hat seine volle Berechtigung. Nur sollte man aus seinen eigenen Vorlieben nicht schließen, daß andere Horizonte gar nicht existieren. Es könnte einfach nur sein, daß man sie nicht kennt. Und dann sollte man aus seiner Unkenntnis und aus seiner persönlichen Vorliebe nicht auch noch über die anderen Horizonte urteilen!

Viele Grüße,
McCoy
 
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Ich möchte noch darauf hinweisen, dass die "alten Meister" nicht immer solche waren, nicht als solche geboren wurden. Zu ihren Lebzeiten waren sie und ihre Musik zumindest teilweise neu und wild und un-er-hört.
 
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Mal ein Beispiel als pars pro toto: Das von mir verlinkte Stück von John Cage für präpariertes Klavier stammt aus einer intensiven Beschäftigung John Cages mit der traditionellen Volksmusik aus Bali, der Gamelanmusik. Also ein klarer Rückgriff auf musikalische Traditionen, nur eben nicht europäische.

Deshalb sprach ich ja auch nur von der klassischen Harmonielehre, die hier missachtet wird ;) . Und das, das ist mir schon klar, durchaus mit Absicht und bewusst, nicht etwa aus Unkenntnis. Es liegt einfach eine gewisse Weigerung vor, es so zu machen wie damals - was teilweise dann sogar darin mündert, nicht nur ein bisschen mit Innovation zu würzen, sondern so viel wie möglich auf einmal völlig anders zu machen. Als kenne man das Rad, wolle es aber auch komplett neu erfinden.

Gleichzeitig dürfte den betreffenden Komponisten klar sein, dass sie durch den bewussten Verstoß gegen diese "Regeln" ihre Zuhörerschaft deutlich einschränken. Gerade durch dieses "bewusste Ändern" fast all dessen, was diese alten Stücke so erfolgreich gemacht hat, wirkt diese experimentellere Seite der modernen E-Musik oftmals so verkopft.

Insbesondere, wenn der Zuhörer dann erst noch eine lange Recherche machen muss, um nachvollziehen zu können, warum der Komponist auf diese ungewöhnliche Tonauswahl zurückgreift. Und ansonsten der ignorante Kulturbanause ist, nur weil er z.B. Slendro und Pelog nicht kennt. Da geht es dann ja ebenfalls wieder um Wissen, nicht um die Frage, ob man den Zuhörer beim erstmaligen Hören auf emotionaler Ebene anzusprechen vermag.

Heute kämpfen alle Musiker unabhängig vom Genre mehr denn je um Aufmerksamkeit, aufgrund der schieren Masse des Angebots. Jeder kann zu jedem Zeitpunkt einfach weiterklicken zum Nächsten. Dem Zuhörer da zusätzlich noch eine "Bringschuld" aufzuerlegen, in Form der vermeintlichen "Pflicht", sich darüber zu informieren, was ausgerechnet Musiker X sich dabei gedacht hat, ist der beste Weg, sogar noch aktiv einen gehörigen Teil des potentiellen Publikums zu verprellen.

Fakt ist nun einmal, dass ebenso, wie die lateinische Schrift, arabische Zahlen oder die christliche Jahreszählung sich weltweit als dominant durchgesetzt haben, so hat es eben auch die europäische Perspektive der zwölf Töne. Auch Künstler aus fernem und nahem Osten biedern sich mehr und mehr an dieses Harmoniesystem an. Weil das nun einmal der größte Markt ist.

An der Stelle kann man natürlich mit der reinen Bevölkerungszahl von USA und Europa argumentieren. Aber China, Indien, Bangladesch und andere asiatische Länder sind jetzt auch nicht gerade klein. Also scheint das europäische System einen beachtlichen kulturübergreifenden Appeal zu haben.

Den Begriff "atonal" habe ich hier im umgangssprachlichen Kontext gebraucht. Mir ist klar, dass die Begriffe "chromatisch" und "atonal" als Fachbegriffe keine Synonyme sind.

Was meine Unkenntnis der Namen der eingängigeren Komponisten angeht: Wie gesagt, wir haben im Musikunterricht eine lange Einheit der neuen Musik gewidmet. Stockhausen und Cage waren ausgiebig dabei, von den im zweiten Post genannten keiner. Da mag unsere Schule falsche Schwerpunkte gesetzt haben. Es beruht aber auch auf meiner subjektiven Beobachtung von Plakaten und Werbung für Konzerten, wie oft eben entweder mit eingängigen Klassikern oder experimentellen Neuen geworben wird, aber nicht mit eingängigen Neuen ;) .

Die Jahreszahl 1937 im Videotitel habe ich aus dem Kontext interpretiert, weil es durchaus eher üblich ist, dort das Veröffentlichungsjahr eines Stückes anzugeben. Aber ich gebe zu, dass ich das aus diesem Grund nicht nochmal separat nachgeschlagen habe.

Geurteilt werden wird über Musik immer - heute mehr denn je. Wir leben im Zeitalter der Like- und Dislike-Buttons. Und in der Anonymität des Internets drücken die meisten Menschen ihre Meinung noch weitaus undiplomatischer aus. Das siehst du ja auch hier in diesem Thread, wo einige bereits ganz unverblümt gesagt haben "die Musik ist scheiße".

Natürlich kann man dann dem Zuhörer vorwerfen, der Fehler liege bei ihm. Das versuchen in letzter Zeit auch immer wieder Filmstudios, deren Filme schlecht ankommen. Alles, was man dadurch jedoch erreicht, ist ein schrumpfendes Publikum. Denn der Zuschauer oder Zuhörer ist der Kunde, und der Kunde ist König. :)
 
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Der Ausgangspunkt war eine persönlicheitspsychologische Fragestellung.

Leider ging das Thema schon nach der Hälfte des ersten Beitrags bzw. den ersten beiden Merkmalen der "Big Five" off topic und kam bisher nicht mehr zurück. :nix:

Daher meine Frage @Strato Incendus
Kommt denn noch etwas zum postulierten Zusammenhang des Big Five Inventory 2 von Christopher Soto & Oliver John und der Wahl des Hauptinstruments?
Nach Danner et al. will der Fragebogen in der deutschen Fassung die Ausprägungen folgender Merkmale reliabel und valide erfassen:
Extraversion, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit, Negative Emotionalität (früher: Neurotizismus) und Offenheit mit jeweils drei Facetten.

Du müsstest das Big Five Konzept und Befunde bzw. einige bestätigte Hypothesen hier erst einmal in Kurzform vorstellen und dann anhand konkreter Profile sagen, welchen Zusammenhang Du eigentlich annimmst oder was Du in der Forschungsliteratur entdeckt hast.

Gruß Claus
 
Okay bevor der Thread dicht gemacht wird, will ich doch was nicht so stehen lassen:
Es gibt eine Menge "ernster" Komponisten und soweit ich weiß werden die ganz gut subventioniert... und ja ihre Musik ist Scheiße.

Ich kann das nicht so ganz nachvollziehen. Was ist mit Steve Reich, Philipp Glass, Ferneyhough, John Cage, Ligeti, Stockhausen, Boulez ...

Ich höre die Musik gerne, finde sie nicht "Scheiße", sondern ziemlich klasse, und es gibt auch eine ganze Menge dieser Musik, und eine ganze Menge Komponisten, die solche Musik schreiben.
Mein Zitat ist natürlich daneben. Ich stehe momentan auf Verallgemeinerungen und mag Provokationen, hätte nicht gedacht, dass es dann doch ernst genommen wird. Sorry :D

Arvo Pärt, Phillip Glass, John Adams, Wojciech Kilar usw... die laufen bei mir öfters und je lauter desto besser. Ich hatte auch schon das vergnügen selbst Kompositionen "neuer Musik" zu spielen und wir mussten uns im Ensemble, sowie die ausführenden Sängerinnen ziemlich zusammenreißen um uns das Lachen zu verkneifen. Das Beste war einmal bei einem Konzertbesuch ein Kompositions-Student, der auf 2 A5 Seiten im Programmheft das System hinter seiner Komposition (Rhythmik, Metrik, schießmichtot) erklärte und dann folgte ein 17 Minütiges Flötensolo mit viel Klappen-Geklapper und was weiß ich.
Licht und Schatten :) - ich will nur sagen, dass ich ein offeer Typ bin und mir jedesmal durchaus differenziert meine Meinung bilde ;)

Noch zum Thema was ich oben gesagt habe und was aber zum offtopic passt:
Klassik = will Kunstwerk erschaffen
Pop = will tanzen
Weltmusik = will alles außer Kunstwerk erschaffen

Egal ob balinesische Zittermusik oder Ost bengalischer Kehlkopfgesang. Die westliche Musik setzt sich durch einen Gedanken von aller anderen Musik ab. Sie will sich als Kunst verstanden sehen. Während der Afrikaner halt bis in den morgen trommelt um die Götter zu sehen.
Und der oben von mir aufgezeigte innere Konflikt in Brahms, der sich nicht traute seine erste Sinfonie zu veröffentlichen ist bezeichnend. Da herrscht dauernd so ein Druck, dass man auf keinen Fall will, dass die Kritiker sagen, dass Komponist xy es besser gemacht hätte, oder dass ein Komponist keine Ideen hätte. Und ich habe das Gefühl, dass sich dann viele Jung-Komponisten (ich rede nicht von etablierten Stars der neuen Musik) hinter A-Tonalität, oder "Tonika-freie Tonalität" verstecken um sich und ihr Schaffen unangreifbar zu machen. Und ich denke mal, dass Popmusiker einen riesigen Vorteil haben wenn sie "einfach mal machen".
 
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Es liegt einfach eine gewisse Weigerung vor, es so zu machen wie damals
Nein, überhaupt nicht. Das gibt es ja alles, nur Du kennst es halt nicht:

Beispiel: Tonale Musik von John Cage (G-Phrygisch).



dass sie durch den bewussten Verstoß gegen diese "Regeln" ihre Zuhörerschaft deutlich einschränken.
Das ist aber nichts außergewöhnliches: Auch Metal, Rap, Schlager, traditionelle Klassik oder Jazz schränken ihre Zuhörerschaft ein. Die Geschmäcker sind verschieden und es wollen halt nicht immer alle das Gleiche hören. Zum Glück, denn sonst wäre es ja öde. Vielfalt ist schön und macht Sinn.

Da geht es dann ja ebenfalls wieder um Wissen, nicht um die Frage, ob man den Zuhörer beim erstmaligen Hören auf emotionaler Ebene anzusprechen vermag.
Auch wieder falsch: Ich habe schon mit 14 Ende der 70er und Angang der 80er bei SWF2 die Sendung Außereuropäische Musik gehört: Indisches, balinesisches, mongolisches etc. Mich hat das sehr geprägt damals und viele andere auch. Damals war die Welt ja voll mit z.B. indischer Musik. Deshalb spricht mich auch die darauf bezogene Musik von John Cage ganz unmittelbar emotional und unverkopft an. Irgendein Spezialwissen brauche ich dazu nicht. Die außereuropäischen Tonleitern habe ich damals durch Raushören kennengelernt, nicht durch das Lesen von Lehrbüchern.

Dem Zuhörer da zusätzlich noch eine "Bringschuld" aufzuerlegen, in Form der vermeintlichen "Pflicht", sich darüber zu informieren, was ausgerechnet Musiker X sich dabei gedacht hat, ist der beste Weg, sogar noch aktiv einen gehörigen Teil des potentiellen Publikums zu verprellen.
Auch durch Wiederholung wird es nicht wahrer: Die Zeitgenössische Musik hat ihre Zuhörerschaft. Es gibt genügend Leute, die sich dafür interessieren und das gerne hören. Und die lassen sich auch nicht verprellen. Die Zeitgenössische Musik buhlt auch nicht um Zuhörerzahlen. Es gibt Leute, denen das gefällt, und anderen denen es nicht gefällt. Es muß nicht jeder Neue Musik hören. Mehr ist da nicht. It's that easy. Das ist in Wacken oder beim Musikantenstadl auch nicht anders. :nix:

Viele Grüße,
McCoy
 
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jetzt ist der Thread eh schon ziemlich veroffgetopict ... ;-)

... Die Zeitgenössische Musik hat ihre Zuhörerschaft. ...

Das kann ich bestätigen. Ich habe selbst viel Atonales und Modernes gehört. Da war z.B. eine Zwölftonoper dabei, wo es schwierig war, Karten zu bekommen. Die wurde in vielen Ländern aufgeführt, über Jahre. Da kommen Zuschauerzahlen heraus, von denen viele Pop-Künstler träumen.

Zum Kontrast gibt's natürlich auch die Konzerte mit Orchester, wo die Anzahl der Musiker größer ist als die der Zuhörer. Auch die zeitgenössische Szene ist sehr breit gefächert.

Aber bei Beatdown-Hardcore hier im lokalen Punkschuppen ist die Zuhörerschaft auch sehr erlesen ...
 
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Du müsstest das Big Five Konzept und Befunde bzw. einige bestätigte Hypothesen hier erst einmal in Kurzform vorstellen

Darauf komme ich gerne zurück! ;)

Also, aus wie vielen Facetten sich die einzelnen Big Five-Dimensionen beziehen, ist umstritten. Bei der mir bekannten Aufteilung hat jede der fünf Dimensionen sogar noch einmal sechs Unterfacetten; dir mögen jeweils drei geläufig sein; der von mir eingangs erwähnte Jordan Peterson hat es auf jeweils zwei pro Konstrukt heruntergebrochen. So teilt sich Gewissenhaftigkeit bei ihm z.B. in "orderliness" und "industriousness".

Da Peterson zudem veranschaulicht hat, wie Gewissenhaftigkeit und Offenheit mit konservativen oder liberalen Einstellungen korrelieren (siehe Startpost), habe ich die Vermutung, dass das dann auch wiederum die Instrumentenwahl beeinflussen könnte.

Sprich: Wer tendenziell eher konservativ ist - also hohe Gewissenhaftigkeit, geringere Offenheit - wird eher ein Orchesterinstrument oder generell ein klassisches Instrument spielen. Dies erfordert hohe Disziplin, jedoch weniger Kreativität, was das eigene Komponieren angeht - und die entsprechenden Musikstile werden auch eher mit konservativem Hause assoziiert. Außerdem gibt es in diesen großen Ensembles Hierarchien, womit gewissenhafte Menschen tendenziell besser zurechtkommen.

Wer dagegen eher progressiv eingesteltl ist - hohe Offenheit, geringere Gewissenhaftigkeit - wird eher ein Instrument wählen, auf dem er selbst komponieren kann (Gitarre, Keyboard), dafür mit weniger Disziplin herangehen (wie viele Gitarristen können bspw. keine Noten lesen?), eher ein lockereres Setting (Band statt Orchester) wählen und eine Musikrichtung, in der der persönliche Ausdruck stärker gewichtet wird als technische Perfektion. Pop-Musiker und Singer-Songwriter sind dazu passend größtenteils auch gesellschaftlich eher links, von Punks ganz zu schweigen. Viele Punk-Bands wären zudem auch noch das Paradebeispiel für "sein Instrument zu beherrschen ist nicht so wichtig" :D .

Dass also Klassik bei manchen als Spießermusik verschrien ist und umgekehrt Punk als das Gebrüll jugendlicher Anarchos, könnte also rückwirkend auch damit zu tun haben, welche Instrumente für diese Stile benötigt werden und welche Persönlichkeiten diese Instrumente überhaupt erst anlocken ;) .

Mit anderen Worten: Kann ein wenig gewissenhafter, wenn auch sehr kreativer Mensch ein Instrument wie die Geige überhaupt erlernen? Vermutlich weniger als bei Instrumenten, die einem mehr verzeihen, wie die typischen Bandinstrumente. Und Leute, die ihr Leben lang vom Blatt gespielt haben, tun sich wiederum oft extrem schwer mit dem Improvisieren.

Ein inhaltlich "rebellisches" Stück für Orchester zu schreiben, erscheint mir demnach ebenfalls relativ schwer. Klar, ein einzelner Komponist kann natürlich ein "Rebell" sein - doch der braucht dann weiterhin ein ganzes Ensemble gewissenhafter "Funktionier-Musiker", die einfach ihren Job machen, die Rädchen im Getriebe sind und exakt das spielen, was er ihnen vorsetzt - ohne eigenen Input oder eigenes kompositorisches Mitspracherecht.

Und umgekehrt, wenn du einer Punkband ein Stück vorsetzt, das jemand anderes geschrieben hat - wenn sie es denn überhaupt vom Blatt lesen können - dann versuch mal, die davon zu überzeugen, warum sie sich fremdbestimmen lassen sollten ;) .
 
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@Strato Incendus , ich finde, dass du wild spekulierst. Das wird nicht dadurch besser, dass du dich auf ein System aus der Persönlichkeitspsychologie beziehst, vielmehr entsteht dadurch nur ein ungedeckter wissenschaftlicher Anschein.

Sprich: Wer tendenziell eher konservativ ist - also hohe Gewissenhaftigkeit, geringere Offenheit - wird eher ein Orchesterinstrument oder generell ein klassisches Instrument spielen. Dies erfordert hohe Disziplin, jedoch weniger Kreativität, was das eigene Komponieren angeht - und die entsprechenden Musikstile werden auch eher mit konservativem Hause assoziiert. Außerdem gibt es in diesen großen Ensembles Hierarchien, womit gewissenhafte Menschen tendenziell besser zurechtkommen.

Allein in diesem Absatz stecken so viele unbelegte Behauptungen, dass es sich kaum lohnt, danach noch weiter zu diskutieren.

Um selbst auch ein wenig zu spekulieren: Was du in diesem Thread bisher geschrieben hast, erscheint mir nicht als eine ergebnisoffene Betrachtung. Ich befürchte, dass du vor nicht allzu langer Zeit ein neues, faszinierendes Instrumentarium entdeckt hast, die "Big Five", und nun versuchst, deine vorhergehende Weltsicht dort hinein zu pressen. Also für das, was du schon immer wusstest (vermeintliche) wissenschaftliche Bestätigung zu bekommen.

Wie gesagt, das ist von mir spekuliert, aber genau diesen Eindruck hinterlassen deine Beiträge bei mir. Ich hoffe auch, dass dir inzwischen klar geworden ist, dass du mit deinen Aussagen deine Kenntnisse von Psychologie und zeitgenössischer klassischer Musik sehr weit überstrapazierst.

Wenn du dich für Persönlichkeitspsychologie interessierst, dann versuche es für den Anfang mit einem ordentlichen Lehrbuch. Deutschsprachig gibt es da zum Beispiel die Bücher von Jens Asendorpf. Für die Übertragung auf die Musik fällt mir keine Buchliteratur ein, vermutlich müsstest du dafür nach Primärquellen in internationalen Fachzeitschriften recherchieren.
 
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Ich hoffe auch, dass dir inzwischen klar geworden ist, dass du mit deinen Aussagen deine Kenntnisse von Psychologie und zeitgenössischer klassischer Musik sehr weit überstrapazierst.

Woher weißt du denn, wie groß meine Kenntnisse der Psychologie sind? :D Ich hab's zufällig studiert. Die Big Five habe ich also bei weitem nicht erst gestern entdeckt.

Da hast du dich wohl mit deiner Spekulation ebenfalls zu weit aus dem Fenster gelehnt ;) .

Bezüglich dieses Threads hingegen habe ich nie behauptet, dass er wissenschaftlichen Ansprüchen genügen soll. In einem Forum geht es vor allem um Meinungsaustausch und Diskussion. Den Anstoß geben die Korrelation von Gewissenhaftigkeit bzw. Offenheit mit konservativer oder liberaler Einstellung, mehr aber auch nicht. Und diese Korrelation hat mich überhaupt erst auf die Idee gebracht; mit meiner vorherigen Weltsicht hat das also nichts zu tun.

Was du als "unbelegte Behauptungen" meinerseits bezeichnest, sind an dieser Stelle erstmal nur Vermutungen. Das habe ich aber auch genau so gekennzeichnet ;) :

habe ich die Vermutung, dass das dann auch wiederum die Instrumentenwahl beeinflussen könnte.

Und alles, was danach kam, war lediglich eine detailliertere Erläuterung genau dieser Vermutung. Die ist durchaus ergebnisoffen, nur eben gerichtet.

Wenn man das jetzt methodisch untersuchen wollte, müsste man gezielt Musiker als Probanden rekrutieren, ihnen den Big Five-Fragebogen vorlegen, sie die Instrumente und Genres angeben lassen, die sie spielen, und ggf. noch einen Test wie den politischen Kompass einsetzen, um das "konservativ-liberal" Spektrum zu messen. Dann kann man sich die Korelationen anschauen.

Das heißt aber natürlich nicht, dass jede Fragestellung, die man mal theoretisch interessant fände, auch für eine Studie finanziert würde ;) .
 
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Woher weißt du denn, wie groß meine Kenntnisse der Psychologie sind? :D Ich hab's zufällig studiert. Die Big Five habe ich also bei weitem nicht erst gestern entdeckt.

Da hast du dich wohl mit deiner Spekulation ebenfalls zu weit aus dem Fenster gelehnt ;) .

Stimmt, mea culpa. Ich fand es auffällig, dass du als Quelle ausgerechnet einen pop-wissenschaftlichen Vortrag von Peterson genannt hast.

Bezüglich dieses Threads hingegen habe ich nie behauptet, dass er wissenschaftlichen Ansprüchen genügen soll. In einem Forum geht es vor allem um Meinungsaustausch und Diskussion. Den Anstoß geben die Korrelation von Gewissenhaftigkeit bzw. Offenheit mit konservativer oder liberaler Einstellung, mehr aber auch nicht. Und diese Korrelation hat mich überhaupt erst auf die Idee gebracht; mit meiner vorherigen Weltsicht hat das also nichts zu tun.

Was du als "unbelegte Behauptungen" meinerseits bezeichnest, sind an dieser Stelle erstmal nur Vermutungen. Das habe ich aber auch genau so gekennzeichnet ;)

Wenn du "vom Fach" bist, dann bist du aber doch in einer guten Position, um Quellen zu finden, die das Thema wissenschaftlich behandeln. Klar, da wird es vermutlich keine hunderte Veröffentlichungen geben, aber ich stelle mir das etwas ergiebiger vor, als mit (uns) Laien darüber Anekdoten auszutauschen.

Aber die Diskussion ist ja schon im Gange. Vielleicht hilft es da, wenn wir nochmal zurück auf Los springen. Bisher dürfte klar geworden sein, dass einige Annahmen zumindest über zeitgenössische klassische Musik aus deinem ursprünglichen Beitrag nicht zutreffen. Führt das zu einer Änderung deiner Fragestellung?
 
Stimmt, mea culpa. Ich fand es auffällig, dass du als Quelle ausgerechnet einen pop-wissenschaftlichen Vortrag von Peterson genannt hast.

Weil ich es erstmal als lockere Diskussion starten wollte, wo Leute ihre persönliche Meinung austauschen :) . Und Peterson ist eben jemand, den jeder sich mal schnell auf YouTube anhören kann, auch Fachfremde, die aber aus musikalischer Sicht eine Haltung dazu haben. Wir sind ja schließlich hier in einem Musiker- und nicht einem Psychologen-Forum, da wollte ich einen Thread nicht direkt mit einem kleinen Kreis von Eingeweihten starten und allen anderen den Einstieg schwer machen.

Das Eingangsziel war nicht, eine komplette wissenschaftliche Abhandlung zu schreiben bzw. die Leute hier bereits vor vollendete, erwiesene Tatsachen zu stellen (darüber gäbe es dann ja nicht mehr viel zu diskutieren, außer persönliche Erfahrungen auszutauschen, die aber bekanntlich keine Statistik widerlegen würden).

Wenn jetzt Interesse besteht, diese Frage der Korrelation zwischen Persönlichkeitsfaktoren und Instrumenten- / Genrewahl ernsthaft methodischer zu verfolgen, gucke ich mich gerne mal um! :)

Aber die Diskussion ist ja schon im Gange. Vielleicht hilft es da, wenn wir nochmal zurück auf Los springen. Bisher dürfte klar geworden sein, dass einige Annahmen zumindest über zeitgenössische klassische Musik aus deinem ursprünglichen Beitrag nicht zutreffen. Führt das zu einer Änderung deiner Fragestellung?

Ja, ich weiß jetzt, dass es auch noch zur Zeit lebende Komponisten gibt, die im klassischen Stil schreiben und deren Stücke auch vielerorts aufgeführt werden. Diese Namen waren mir bis dato tatsächlich nicht bekannt.

Was ich jedoch nicht weiß, ist, in welcher Häufigkeit deren Stücke aufgeführt werden (verglichen mit den "großen Alten" ;) ). Das ist ja die eigentlich spannende Frage: Auf wie vielen Bühnen hört man Moravec, Higdon, Daugherty etc., und auf wie vielen hört man Mozart, Bach und Beethoven? Der Existenzsatz "es gibt" ist schnell bewiesen, aber entscheidend ist auch hier die Quantität.

"Fest verankert" kann in einer Szene ja auch jemand sein, der eine kleine, aber treue Zuhörerschaft hat, die verlässlich zu den Konzerten kommt. So wie bei Underground-Bands. Diese Musiker können dann wahrscheinlich von ihrer Kunst leben, aber die breite Masse kennt sie dennoch nicht.

Mit der Eingangsfrage ist diese Diskussion allerdings nur darüber verbunden, dass die Frage im Raum stand, wie viele E-Musiker überhaupt selbst komponieren im Vergleich zu U-Musikern. Meine ursprüngliche Vermutung war, dass es einen Bias zugunsten der "großen Alten" geben könnte; falls das nicht zutrifft und die neuen Komponisten in ähnlichem Umfang gespielt werden wie die alten, wären das ja im Grunde gute Nachrichten für alle Orchestermusiker, dass auch sie selbst was schreiben können und dem zumindest eine Chance gegeben wird.

Da bräuchte man also eine Stichprobe von N1 E-Musikern und N2 U-Musikern, und müsste dann einfach nur erfassen, wie viele in der jeweiligen Gruppe selbst komponieren. Unter den E-Musikern werden damit auch Konzertpianisten sein, die eigene Fugen schreiben, und unter den U-Musikern Big Band-Mitglieder oder Studiogitarristen, die nicht selbst schreiben, sondern nur "abliefern". Da müsste man also drauf achtgeben, dass das randomisiert stattfindet.

Meine Vorhersage wäre dann eben, dass sich unter E-Musikern, insbesondere unter Orchestermitgliedern, insgesamt prozentual weniger individuelle Komponisten finden werden als unter U-Musikern. Das vermute ich wegen der Verbindung von Offenheit für Erfahrung zu Kreativität, und der Korrelation von Offenheit für Erfahrung mit liberalen bzw. der von Gewissenhaftigkeit (die im Orchester definitiv von Nöten ist) mit konservativen Einstellungen.

Diese beiden Dinge, sprich Häufigkeit von Komponisten pro Genre und Korrelation von Persönlichkeitsfaktoren mit einem der beiden Genres, müsste man aber natürlich getrennt voneinander untersuchen, bevor man eines als Grundlage für das andere annehmen kann. ;)
 
Auf wie vielen Bühnen hört man Moravec, Higdon, Daugherty etc.
Hier gibt es eine Liste mit deutschen überregionalen Festivals, die sich der Zeitgenössischen Musik widmen. Die Festivals finden zumeist jährlich oder alle 2 Jahre statt. Die Liste ist laut Ersteller unvollständig. Einzelkonzerte sind ebenfalls nicht aufgeführt. Aber man kann sich immerhin einen Überblick verschaffen, was so läuft.

http://www.miz.org/themenportale/neue-musik/musikfestspiele-festwochen-festivals-s628-p0-d

Viele Grüße,
McCoy
 
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@McCoy : Danke für den Link! :)

Ich habe mich mal ein bisschen umgeguckt, und wie erwartet wurde die Frage nach Korrelationen von Big Five und gespielten Instrumenten, soweit ich das erkennen kann, bisher nicht direkt untersucht.

Was dafür allerdings (man möchte fast sagen "mal wieder) in Hülle und Fülle sowohl für Big Five als auch für Instrumentenwahl untersucht wurde, sind Geschlechtsunterschiede. (Um hier noch ein zweites kontroverses Fass aufzumachen... :D )

Geschlecht und Instrumentenwahl

Die erste Studie, die ich gefunden habe, beschränkt sich hierbei auf Orchesterinstrumente. Da kann jeder einfach mal aus Neugier in die Tabellen gucken. Bei Streichern und Holzbläsern dominieren die Frauen, bei Blechbläsern und Percussion die Männer.

https://journals.sagepub.com/doi/pdf/10.2307/3345587

Nimmt man dagegen andere Instrumente mit dazu, sind die am meisten geschlechtsspezifischen Instrumente bei Frauen Harfe und Flöte, bei Männern E-Gitarre und Bass.

https://journals.sagepub.com/doi/pdf/10.1177/0255761407085646


Geschlecht und Big Five

Achtung: Im Folgenden reden wir jetzt nicht mehr (bzw. nicht mehr exklusiv) von Musiker/innen!

Die vollständigen Big Five bestehen aus den mit OCEAN abgekürzten Dimensionen
  • Openness to Experience (=Offenheit für Erfahrungen)
  • Conscientiousness (=Gewissenhaftigkeit)
  • Extraversion
  • Agreeableness (=Verträglichkeit)
  • Neuroticism (=Neurotizismus / emotionale Instabilität)
Dass Frauen verträglicher sind als Männer, findet man relativ konsistent. In dieser israelischen Studie waren sie zudem auch gewissenhafter:

https://www.giditherapy.co.il/wp-content/uploads/2016/08/The-big-five-among-male-and-female.pdf

Jetzt besteht jede der Big Five aber wie vorher bereits erwähnt noch aus bis zu sechs Unterdimensionen, wobei eine Unterteilung in jeweils zwei Facetten auch nicht unüblich ist. (Da nimmt man dann einfach die, die die meiste Varianz aufklären.)

Hier z.B. fand man keinen Geschlechtsunterschied für Gewissenhaftigkeit allgemein, aber den von Jordan Peterson erwähnten Unterschied in den Facetten "orderliness" (mehr Frauen) und "industriousness" (mehr Männer).

https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fpsyg.2011.00178/full#h3

Einen Unterschied auf Facettenebene gab es in dieser Studie auch für Offenheit für Erfahrungen: Frauen hatten eine stärkere Ausprägung der Facette "Offenheit", Männer höhere Scores bei "Intellekt". Wobei das nicht mit Intelligenz zu verwechseln ist; hier wird spezifisch das Wort "Ideas" genannt.

Offenheit für Erfahrungen ist generell korreliert mit der Intensität des Gefühlserlebens beim Hören von Musik:

https://journals.sagepub.com/doi/pdf/10.1177/0305735612440615


Hiernach sieht es also so aus:
E-Gitarre und Bass, also U-Musik-Instrumente, sind vorwiegend unter Männern zu finden.
Harfen und Flöte, meist E-Musik-Instrumente, sind vorwiegend unter Frauen zu finden.
In der Big Five-Dimension Gewissenhaftigkeit sind Männer mehr "industrious" als Frauen und Frauen mehr "orderly" als Männer.
In der Big Five-Dimension Offenheit für Erfahrungen haben Frauen höhere Werte bei Offenheit und Männer höhere bei Intellekt / "Ideas".

Was uns aber natürlich noch fehlt, ist die direkte Verbindung zwischen Big Five und Instrumentenwahl.

Bis jetzt haben wir das Geschlecht als Störvariable mit drin. Wir wissen nicht, wie viel Varianz an der Instrumentenwahl die Persönlichkeit aufklärt, wenn man das Geschlecht rausrechnen würde.

Kausalaussagen machen auf Basis von Korrelationen kann man ja ohnehin nie; speziell bei Geschlechterfragen ist es jedoch noch etwas einfacher, denn da das biologische Geschlecht unveränderlich ist, stellt sich nicht die Frage, ob man ein Mann oder eine Frau wird, weil man z.B. verträglich ist oder verträglicher wird. Da ist dann eher die Frage, wie viel anerzogen ist und wie viel genetisch. Bei der Instrumentenwahl genauso: Ein bestimmtes Instrument zu spielen kann natürlich nicht das Geschlecht verändern; es geht also nur darum, die Gegenrichtung aufzuschlüsseln, d.h. welche Faktoren die jeweiligen Geschlechter zur Wahl ihres Instruments treiben (Interesse, soziale Normen, Fähigkeit etc.).

Das ist hier ein bisschen aufgeschlüsselt - Geschlechtsstereotype scheinen dabei die geringste Rolle zu spielen :D :

https://journals.sagepub.com/doi/pdf/10.2307/3345477

Bei Instrumentenwahl und Persönlichkeit hingegen sind ja beide Richtungen möglich:

Es kann sein, dass ich ein bestimmtes Instrument spiele, weil ich offen für Erfahrungen oder sehr diszipliniert bin. Es kann aber auch sein, dass das Spielen dieses Instruments mich erst offener für Erfahrungen oder gewissenhafter macht. Da Persönlichkeit relativ zeitstabil ist, halte ich letzteres zwar für unwahrscheinlicher, aber ganz ausschließen kann man es nicht.
 
Ich habe mir den Thread nochmal etwas genauer angeschaut - wenn auch nicht in ganzer Tiefe.
Zur zitierten Frage will ich aber noch etwas beitragen, denn ich behaupte, daß die bisherigen Ausführungen zu kurz greifen.
Wählen wir also womöglich unser Instrument gar nicht so frei, wie wir das gerne glauben würden? :gruebel: Könnte man auf Basis von Scores im Big Five-Fragebogen unter Musikern vorhersagen, wer tendenziell welches Instrument spielt?

Woher kommt Deine Vermutung, man würde glauben, sein Instrument selbst ausgesucht zu haben ?
Wieviele Musiker behaupten von sich, sie hätten sich selbst entschieden ?

Das erste Instrument, das man lernt - und das einen oft prägt - wird oft von den Eltern ausgesucht und/oder von den Gegebenheiten geleitet. Ein paar Beispiele:
  • Will man eigentlich Klavier lernen, reichen oft Geld und Platz nicht aus. Also kommt eine Gitarre her. Kleiner, leiser und billiger. (So war's bei mir).
  • In kleinen Dörfern in meiner Gegend gibt es oft die Freizeit-Auswahl zwischen Schützenverein, Feuerwehr und Musikverein. Wenn Musikverein, dann liegt ein Blasinstrument nahe. Ein Cello wär blöd beim Marschieren ...
  • Eine Bekannte von mir war als Jugendliche in den Hornspieler im Dorf verknallt. Lösung: Waldhorn lernen. :-D
  • Kumpels gründen eine Band, um tote Hosen zu covern. Fehlt der Bass, kommt das Angebot: "Hey, mach mit, kauf 'nen Bass."

Die Persönlichkeit des Musikanten zeigt sich meines Erachtens eher beim weiteren Umgang. Der eine legt die Kinder-Klarinette weg und steigt auf Ableton um. Der andere bleibt beim drögen Akkordeon und versucht, genau damit etwas anderes anzufangen. Da steckt er dann viel mentale Arbeit rein. Aber wie frei war die Wahl des Instruments ?
 
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Das bezog sich auf die bisher genannten Namen aus dem Bereich "neue Musik". Die von dir verlinkten Stücke sind natürlich deutlich diatonischer - aber eben auch von komplett anderen Komponisten. Das hier scheint mir weitaus mehrheitsfähiger - leider sind mir diese Namen noch weniger bekannt als die der oben genannten Freunde der Atonalität.
Zu letzterem hat sich @McCoy schon ausführlicher geäußert, da will ich nur kurz ergänzen, dass es stets nicht gut herüber kommt, wenn sich jemand wertend über Dinge äußert, über die er eigentlich nicht viel weiß.
Zum Stichwort "mehrheitsfähig": Was soll das aussagen außer, dass es kommerziell erfolgreichere und weniger erfolgreiche Musik gibt. Und das in jedem Genre und zusätzlich noch weitgehend unabhängig von ihrer Qualität. Gabriel Fauré konnte zu seinen Lebzeiten von seinen Kompositionen kaum leben, heute wäre er wahrscheinlich nur von seinem "Requiem" Millionär.
Ich spiele selber gelegentlich Werke von Komponisten aus der Region, die keine großen Aufführungszahlen haben, allenfalls in der "Szene" bekannt sind und auch nicht viel Geld über ihre Kompositionen einnehmen (z.B. über die GEMA). Ich habe auch schon öfter Stücke gespielt, die nicht wirklich gut waren und nach der Uraufführung nur noch sehr selten nochmal gespielt wurden, wenn überhaupt.
Dennoch sind selbst diese Kompositionen ein Beitrag zur Vielfalt, auch sie bereichern die Welt, vielleicht nur ein wenig, aber auch sie machen unsere Welt bunter. Wenn die Natur nur nach dem Prinzip der "Mehrheitsfähigkeit" gehen würde, gäbe es keine Mischwälder und vielleicht nur Ratten auf der Welt. Tatsächlich ist die Geschichte der Evolution selber ein stetiges Ansteigen der Vielfalt, die Diversität und jede noch so kleine ökologische Nische wird durch irgendeine spezialisierte Art irgendwann besetzt. Es gab schon öfter Perioden eines massenhaften Aussterbens, z.B. nach dem (wahrscheinlichen) Meteoriteneinschlag, der u.a. das Aussterben der Dinosaurier bewirkte. Aber danach ging es kontinuierlich wieder bergauf und die Warmblüter und Säugetiere konnten ihre Chance nutzen.

Deshalb sprach ich ja auch nur von der klassischen Harmonielehre, die hier missachtet wird
Warum "missachtet"? Sie wird nur nicht angewandt und ist nicht Grundlage für das jeweilige Konzept. "Missachtet" klingt wieder so abwertend, warum?

Gleichzeitig dürfte den betreffenden Komponisten klar sein, dass sie durch den bewussten Verstoß gegen diese "Regeln" ihre Zuhörerschaft deutlich einschränken. Gerade durch dieses "bewusste Ändern" fast all dessen, was diese alten Stücke so erfolgreich gemacht hat, wirkt diese experimentellere Seite der modernen E-Musik oftmals so verkopft.
Verkopfte Musik gibt es in der Tat und ich wende mich auch meist von ihr bald wieder ab, vor allem, wenn sie mir nicht klangsinnlich genug ist. Aber warum hier das Wort "einschränken"? das ist doch vollkommen egal , außer man denkt vorwiegend in kommerziellen Dimensionen. Im Sinn der Vielfalt und der "ökologischen Nische", aber auch der möglichen Weiterentwicklung überlieferter Strukturen ist auch diese Musik wichtig und die Zahl der Zuhörer ist erst mal zweitranging. Von Schoenberg ist der Satz überliefert "Kunst kommt nicht von ´Können´, sondern von ´Müssen´".

Während der Afrikaner halt bis in den morgen trommelt um die Götter zu sehen.
An dieser Stelle möchte ich den Komponisten Oliver Messiaen erwähnen, der noch nicht genannt wurde. Sein wichtigster Impuls für sein recht umfangreiches Oevre war seine tiefe Religiosität, hier könnte man auch mit Fug und recht sagen, er komponierte/musizierte um Gott zu sehen.

Deshalb spricht mich auch die darauf bezogene Musik von John Cage ganz unmittelbar emotional und unverkopft an.
"Emotional" und "unverkopft" nehme ich hier mal als Stichworte, die für mich die größte Bedeutung im Hinblick auf die Eingangsfrage haben:
Mich spricht das Instrument am meisten an, dessen Klang mich am meisten fasziniert, mich am meisten berührt, am tiefsten in meine Seele dringt - ganz "unverkopft".
Jegliche Musik ist in ihrer sinnlichen Erscheinung eine Welt des Klanges, und sei das dahinter liegende Konstrukt auch noch so ´konstruiert´ (wie es bei J.S. Bach durchaus ja auch der Fall ist - aber trotzdem ist sie in puren Klang und in immer wieder so herrlich bewegte Klänge gegossenes Konstrukt).

Die eloquent formulierte Eingangsfrage dieses Threads finde ich durchaus interessant und Wert zu Diskutieren, aber danach kam seitens des TE ein dermaßen großer Schwall an Halbwissen, ja, ich möchte sagen, auch Ignoranz und ein offensichtlicher Mangel an Neugier, dass bei ihm jegliches Klischee fröhliche Urstände feiern durfte und die Banalitäten anfingen auf den Tischen zu tanzen - leider. (Sorry für die harschen Worte, aber an dieser Stelle möchte ich auch mal meiner Verärgerung Luft machen - bitte nicht allzu persönlich nehmen.)
Ich sähe mich genötigt, noch viel mehr zu widersprechen, aber meine Zeit reicht leider nicht dafür.
 
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Woher kommt Deine Vermutung, man würde glauben, sein Instrument selbst ausgesucht zu haben ?
Wieviele Musiker behaupten von sich, sie hätten sich selbst entschieden ?

Daher, dass Menschen generell glauben (möchten), sie hätten einen freien Willen? :D

Selbstverständlich ist diese Frage nur relevant für Personen, die die Freiheit haben, sich gemäß ihrer persönlichen Vorlieben zu entscheiden. Hier geht es ja gerade um die Entschlüsselung der Hintergründe dieser persönlichen Vorlieben. Äußerlicher Zwang verfälscht das natürlich, weil dann diese individuellen Vorlieben gar nicht zutage treten können. ;)

Wenn du als Kind von deinen Eltern genötigt wurdest, ein Instrument zu spielen, und kein eigenes Interesse daran entwickelst, hörst du damit wieder auf, sobald es geht - spätestens wenn du erwachsen bist.

Tust du das nicht und machst aus eigenem Antrieb weiter, obwohl der äußere Zwang weggefallen ist, entscheidest du dich an diesem Punkt freiwillig für das Spielen dieses Instruments. Ja, du wurdest vorher konditioniert und hast jetzt schon Vorkenntnisse, die die Wahl dieses spezifischen Instruments begünstigen. Es kann aber auch sein, dass du als Kind Instrument A spielen musstest und es gehasst hast, und du dich jetzt bewusst für Instrument B entscheidest.

Wenn du konkret wissen möchtest wie viele sich generell frei entscheiden können, d.h. wie viele Kinder von ihren Eltern zum Musikmachen gezwungen werden - und ja, mit quantitativen Antworten kann man immer mehr anfangen - darfst du gerne versuchen, eine Studie zu finden, die das aufschlüsselt. ;)

Warum "missachtet"? Sie wird nur nicht angewandt und ist nicht Grundlage für das jeweilige Konzept. "Missachtet" klingt wieder so abwertend, warum?

"Missachtet" im Sinne von "nicht beachtet" (=ignoriert), nicht verachtet. :) Wobei "ignoriert" es wahrscheinlich noch besser trifft, denn das bezeichnet - zumindest im deutschen Sprachgebrauch - meist exklusiv das willentliche Nicht-Beachten.

In anderen Sprachen ist es oft schwieriger zu trennen zwischen "nicht beachten" und "nicht wissen".

Aber warum hier das Wort "einschränken"? das ist doch vollkommen egal , außer man denkt vorwiegend in kommerziellen Dimensionen.

Na, dann kann man ja auch weiterhin schön im stillen Kämmerlein vor sich hinmusizieren, wo einen keiner hört - ist doch vollkommen egal, wie viele Zuhörer man hat... :D

Etwas weniger zugespitzt formuliert: Unabhängig vom kommerziellen Interesse dürften die meisten Künstler sich nicht darüber beschweren, wenn ihre Anhängerschaft größer wird. Menschen streben halt einfach nach sozialer Akzeptanz, und je mehr Leuten meine Musik, also ein Teil von mir, gefällt, desto höher mein Status, desto stärker fühle ich mich wertgeschätzt.

Was die Masse von meiner Kunst denkt, ist quasi das "demokratische Maß" für deren Qualität.

Wenn ich dieses Maß nicht anlegen möchte, weil ja durchaus nicht alles, was die Masse mag, Qualität haben muss, brauche ich stattdessen einen Katalog von anderen Kriterien, mit der ich die Spreu vom Weizen trennen kann.

Dennoch sind selbst diese Kompositionen ein Beitrag zur Vielfalt, auch sie bereichern die Welt, vielleicht nur ein wenig, aber auch sie machen unsere Welt bunter. Wenn die Natur nur nach dem Prinzip der "Mehrheitsfähigkeit" gehen würde, gäbe es keine Mischwälder und vielleicht nur Ratten auf der Welt.

Wohin dieser Exkurs führen soll, ist mir nicht ganz klar. Habe ich mich irgendwo für die Zensur dieser Künstler ausgesprochen? ;)

"Vielfalt" hat sich zwar zu einem Begriff entwickelt, der oft als Selbstzweck dargestellt und missbraucht wird, um Bewertungskriterien auszuhebeln; selbst etwas, das für einen Großteil der Menschen schlecht ist, erhält dadurch einen Eigenwert einzig und allein auf Basis der Tatsache, dass es eben "anders" ist. Ich sage da gerne: Nicht jedes Essen, das nicht schmeckt, ist deswegen automatisch gesund :p .

Aber da es hier ja um Selbstausdruck und damit Meinungsvielfalt gibt, die soll natürlich erhalten bleiben - habe ich irgendwo etwas anderes behauptet? :)

Als Abschluss unter die Naturmetapher sei gesagt: Ja, die Natur ist bunt. Und sie ist auch "survival of the fittest". Wie du an dem Beispiel "Meteoriteneinschlag" selbst sehr schön verdeutlicht hast.

An dieser Stelle möchte ich den Komponisten Oliver Messiaen erwähnen, der noch nicht genannt wurde. Sein wichtigster Impuls für sein recht umfangreiches Oevre war seine tiefe Religiosität, hier könnte man auch mit Fug und recht sagen, er komponierte/musizierte um Gott zu sehen.

Naja, da würde ich zumindest nicht behaupten, die Musik sei verkopft... :D Wenn Religiösität allerdings als "redeeming quality" eines Stückes angeführt werden soll, das mir ansonsten bereits nicht zusagt, bist du bei mir auf dem falschen Dampfer.

Wenn mir dagegen die Musik gefällt, aber nicht die Aussage des Stückes insgesamt, ist es bei mir so eine Sache. Manche Menschen können darüber hinwegsehen und die Musik unabhängig vom Inhalt des Rests weiterhin wertschätzen. Ich für meinen Teil achte sehr auf Texte, und die können mir auch ein Stück verhageln, dass ich ansonsten aus rein musikalischer Sicht mögen würde.

"Kunst kommt nicht von ´Können´, sondern von ´Müssen´"

Das habe ich jetzt tatsächlich recherchiert, denn "Müssen" klingt für mich im Vakuum wieder nach Zwang und Selbstdisziplin :D . Gemeint war es aber offenbar im Sinne des inneren Drangs zum Selbstausdruck.

Wie ich bereits im Startpost gesagt habe: Ich denke, je professioneller man ist, desto mehr nähert sich beides an. Wenn ich als Komponist aus eigenem kreativen Drang ein Stück schreibe, aber für eine Gruppe von Musikern, egal wie groß, brauche ich immer auch ein paar "Mitläufer" darunter, die einfach funktionieren und das spielen, was ihnen vorgesetzt wird. Die "müssen" dann eben in einem anderen Sinne als ich. ;)

Zu letzterem hat sich @McCoy schon ausführlicher geäußert, da will ich nur kurz ergänzen, dass es stets nicht gut herüber kommt, wenn sich jemand wertend über Dinge äußert, über die er eigentlich nicht viel weiß.

Das ist mir bewusst; mein Grundsatz ist, auch was die Bewertung meiner eigenen Musik angeht: Laienfeedback ist das wertvollste, aber gleichzeitig auch das am schwierigsten umzusetzende Feedback, das es gibt:
  • Schwierig umzusetzen, weil Laien (und die größten Laien sind komplette Nicht-Musiker) nämlich meist auch wissen, was sie an einer bestimmten Musik stört, aber ihnen das Fachvokabular fehlt, es angemessen und inhaltlich korrekt auszudrücken.
  • Wertvoll, weil die Laien immer in der Mehrheit sein werden - und damit am repräsentativsten für ein allgemeines Publikum.

Ich habe z.B. den Begriff "atonal" im umgangssprachlichen Kontext gebraucht, womit er auch Dinge beinhaltet, die chromatisch, aber immer noch tonal sind. Was glaubst du erst, was Laien über Cage, Stockhausen & Co. sagen könnten?

Selbst in diesem Thread wurde die neue Musik ja sogar von mehreren Usern (die selbst Musiker sind) noch deutlich undiplomatischer abgewertet - "ihre Musik ist scheiße", "Orchester ist Sklavenarbeit" etc. :D

Auch der Laie hat ein Recht auf seine Meinung. Als Künstler kann man nun versuchen, die Laien zu verstehen, weil man selbst ja die korrekten Begriffe seines Genres kennt, und sich das in konkrete Handlungsempfehlungen übersetzen. Wer das schafft, der kann das Feedback mit dem von Profis integrieren und eine große Masse an Zuhörern ansprechen, ohne dafür musikalische Qualität opfern zu müssen, indem man dem "Pöbel" einfach billigen Trash gibt.

Oder halt, man entscheidet für sich: "Okay, das Feedback dieser Person ist nicht so wichtig für mich, denn das ist ohnehin nicht meine Zielgruppe." Aus aktuellem Anlass nenne ich das mal die Brie Larson-Haltung (Captain Marvel) :D . (Zitat: "I don't need a 40-year-old white dude to tell me what did or didn't work about A Wrinkle in Time - it wasn't made for him.")

Damit ist dann aber auch klar, dass man die entsprechende Zielgruppe verprellt. Im Extremfall macht man irgendwann nur noch "Musik für Musiker" - und selbst unter denen nicht für alle Musiker, sondern nur für eine ganz bestimmte Auswahl.

Und damit verkleinert man seine potentielle Zuhörerschaft. Das sage ich wohlgemerkt wertneutral, denn in gewissem Maße will sich ja jeder vom Mainstream absetzen und es dementsprechend auch nicht allen recht machen.

Was halt nur wiederum bei einem potentiellen Publikum schlecht ankommt, ist wenn von Seiten der Schaffenden der Zuhörer in-spe mit der Arroganz behandelt wird, er sei dumm oder uninformiert und deshalb zähle seine Meinung nichts. Ja, für den Kunstschaffenden persönlich zählt sie nichts, insgesamt aber schon. Wenn der Laie hingeht und anderen, also der Allgemeinheit, davon abrät, Film X zu sehen oder Konzert Y zu besuchen, dann ist das wie eine öffentlich lesbare Rezension, mit der der Künstler leben muss.

Denn im Gegensatz zu einem Künstler, der sich natürlich ebenso vom Feedback eines Laien angegriffen fühlen kann, ist der Zuhörer der Kunde, der ihn am Ende für die Musik bezahlt.

Also muss ich als Musiker den Zuhörer überzeugen, ich muss seine Aufmerksamkeit gewinnen. Wenn ich ihm dagegen vermittele, er müsse erst extensive Recherche betreiben, bevor sich überhaupt erst ein Urteil über meine Musik erlauben darf, dann verlieren die meisten erst Recht die Motivation, mir eine Chance zu geben.

Der Künstler, der sich als König sieht und den Zuhörer als Jünger, der da ist, um ihm zu huldigen, ist eine Diva.
Der Künstler, der den Zuhörer als König sieht und sich selbst als seinen Diener, ist ein Entertainer :) .

Ich erwarte ja auch nicht von jedem, der z.B. kein Growling und Screaming wie im Metal mag, dass er sich erstmal darüber informiert, wie technisch anspruchsvoll das doch ist und wie viel Ausdauer das braucht, und dass das dementsprechend als hohe Kunst gewürdigt werden muss. Das ist zwar alles der Fall, aber damit überzeuge ich niemanden, sich von der Musik mitreißen zu lassen. Die meisten Leute, die das zum ersten Mal hören, stößt es ab - und ich kann vollkommen nachvollziehen, warum, auch, wenn ich selbst es (mittlerweile!) mag.

Wie bekommt man jemand Neuen also dazu, es zu mögen? Mit einer gefälligeren "Einstiegsdroge", die diese Technik in einer mainstreamigeren Variante verwendet - im Fall von Growls und Screams bspw. Amorphis - und wenn das fruchtet, kann ich den Zuhörer von da an weiter und weiter an die Nische heranführen. Das ist wie mit Kaffee oder Alkohol, da steigt man ja auch nicht direkt mit dem Extrem ein. ;)

Mich spricht das Instrument am meisten an, dessen Klang mich am meisten fasziniert, mich am meisten berührt, am tiefsten in meine Seele dringt - ganz "unverkopft".

Klang des Instruments und gespieltes Genre sind für mich zwei getrennte paar Schuhe.

Ich mag den Sound von verzerrten E-Gitarren, aber mit bestimmten, wenig melodischen Alternative- oder Metal-Genres kannst du mich trotzdem jagen.
Ich mag den Sound eines Saxofons, aber ich kann nur mit den wenigsten Jazz-Stücken etwas anfangen.
Ich mag den Klang einer türkischen Baglama, aber deswegen mag ich noch lange keine türkische Folkloremusik.

Und ja, vor allem mag ich den Klang eines Orchesters, aber deswegen noch lange nicht das, was es spielt :D .

Das war ja gerade der Ausgangspunkt für diese Diskussion: Viele Instrumente sind so eng an ihr jeweiliges Genre gekoppelt, dass die Instrumente auch nur die Leute anlocken, die bereits dieses Genre mögen. Wie viele lernen denn Geige, weil sie Irish Folk oder die Musik von Lindsey Stirling spielen möchten? Wer nimmt Gesangsunterricht, wenn er hauptsächlich screamen möchte? Die meisten werden erstmal auf das Hauptgenre ihres Instruments eingenordet, und können dann erst in einem zweiten Schritt diese Kenntnisse nutzen, um sie in ihrem eigenen Lieblingsgenre anzuwenden.

Jegliche Musik ist in ihrer sinnlichen Erscheinung eine Welt des Klanges, und sei das dahinter liegende Konstrukt auch noch so ´konstruiert´

In der Tat - und es gibt manche Welten (im Sinne von "Orten"), an denen man lieber sein möchte als an anderen. :D
;)
Deshalb gibt es jedes Jahr aufs Neue mindestens einen "Sommerhit", und deshalb bleiben Weihnachtslieder ebenfalls für die Ewigkeit erhalten.

Wohingegen z.B. die Truppe, die ich gestern in der Lokalzeit aus Köln gesehen habe, die "Klangwelten" aus Föhn, Staubsauger & Co. erzeugt, mich gedanklich eher an einen Ort versetzt, an dem ich das Gefühl habe, ich müsse arbeiten :D ...
 
ich muß @LoboMix deutlich recht geben: Du denkst offenbar so krass in Klischees, daß es mir beim Lesen geradezu wehtut.

Den Rest habe ich mir jetzt nicht komplett durchgelesen. Ich werde hier auch nicht weiterlesen. Viel Spaß noch.
:m_tuba:
 
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Ich versuche noch einmal zum Thema zurück zu kommen:
Aus meinem eigenen Psychologiestudium mit Abschluss Anfang der 80er Jahre samt einschlägiger Berufstätigkeit kann ich mich an das Modell leider nicht erinnern, die meterweise Fachliteratur aus jenen Jahren habe ich auch längst entsorgt.
Also spare ich mir Nachfragen zu Ansatz und Methodik und beziehe mich der Einfachheit halber auf den Inhalt des Wikipedia-Artikels. Anscheinend gibt es eine deutschsprachige Übertragung des Modells und es findet gerne Anwendung.
https://de.wikipedia.org/wiki/Big_Five_(Psychologie)

@Strato Incendus
Ach wenn es bisher keine untersuchten Voraussagen zum Zusammenhang von "Persönlichkeitsausprägungen" entsprechend des Big Five Modells und der Entscheidung für ein Musikinstrument geben mag, wie sind denn deine Annahmen und Ansätze (Hypothesen, Stichproben usw.)?

Gruß Claus
 
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ich muß @LoboMix deutlich recht geben: Du denkst offenbar so krass in Klischees, daß es mir beim Lesen geradezu wehtut.

Das ist jetzt sehr allgemein gehalten, da weiß ich nicht, auf welchen Teil meines letzten Posts du dich beziehst ;) . Deswegen ist er ja so lang, weil ich mir die Mühe mache, konkret zu zitieren, worauf ich eingehen möchte.

Nur so viel: Klischees haben immer irgendwo ihren Ursprung
:D . Nur, weil etwas ein Klischee ist, muss die Aussage nicht zwangsläufig falsch sein. Ebensowenig wird eine allgemeine Aussage von einzelnen Fällen widerlegt, die ihm widersprechen ("es gibt aber auch Leute, die..."). Ein Existenzsatz ist fast immer wahr. Deshalb habe ich ja in meinem vorherigen Post so hervorgehoben, wann immer Leute quantitative Fragen, also "wie viele gibt es denn?" gestellt haben, weil das wesentlich mehr aussagt.

Dass Leute sich angegriffen fühlen, auch wenn man gar nicht sie selbst kritisiert, sondern nur etwas, das sie mögen, ist normal - weil sie sich eben damit identifizieren, also ist es vom Gefühl her dann doch so, als ob alles, was ich an einer bestimmten Musikrichtung kritisiere, sei es auf fundierter Basis oder bloß auf Basis des ersten Laien-Eindrucks, gegen euch persönlich gerichtet sei.

Tatsächlich werden, wenn man Kernüberzeugungen eines Menschen infragestellt, weiter hinten gelegene Hirnareale aktiv, als wenn jemand etwas anzweifelt, das man vorher als nüchternen Fakt betrachtet hat. Deshalb erregt ein Satz wie "Thomas Edison hat nicht die Glühbirne erfunden" weniger die Gemüter als "Die Person auf dem Turiner Grabtuch ist nicht Jesus" oder "Die Welt wurde nicht von Gott in 6 Tagen erschaffen".

Da hilft es nur, wenn man, egal, wie lieb und teuer einem selbst etwas ist, weiterhin den Blick dafür behält, was konkret die Gründe sein könnten, warum andere dasselbe nicht mögen. Anstatt zu schließen, die Abneigung könne nur auf mangelndem Wissen der anderen Partei beruhen.

Wie gesagt, ich mag Metal, aber ich verstehe immer noch, und kann auch ganz konkret benennen, warum viele Leute es nicht tun: Zu laut, zu schnell, befremdliche Gesangsstile, zu lange Songs, matschende Gitarren, oft negative und dadurch desillusionierende Grundaussagen, usw.

Dadurch ist mittlerweile sogar meine Grundannahme, dass andere meinen Musikgeschmack nicht teilen werden, und ich bin dann umso positiver überrascht, wenn sie es doch tun :) .

Einen "Kanon" von Künstlern, die man kennen "muss", und wer es nicht tut, ist halt uninformiert und selber schuld (wie es hier über einige neuzeitliche E-Musikkomponisten gesagt wurde), gibt es für mich also schon längst nicht mehr.

Ich versuche noch einmal zum Thema zurück zu kommen:
[. . .]
Ach wenn es bisher keine untersuchten Voraussagen zum Zusammenhang von "Persönlichkeitsausprägungen" entsprechend des Big Five Modells und der Entscheidung für ein Musikinstrument geben mag, wie sind denn deine Annahmen und Ansätze (Hypothesen, Stichproben usw.)?

Vielen Dank! ;) Das habe ich vorher bereits einmal kurz formuliert, jedoch wurden meine Annahmen und Vermutungen offenbar von einigen als Behauptungen interpretiert, und dementsprechend wurde dann angemerkt, dass für diese Behauptungen die Belege fehlen. Dabei sollte bei Vermutungen klar sein, dass es dafür noch keine Belege gibt, die sucht man dann ja erst im Nachhinein (bzw. versucht sogar aktiv, seine Hypothese zu widerlegen).

Also formuliere ich der Klarheit halber erst nochmal meine übergreifende Idee, gefolgt von einigen spezifischen Erläuterungen:

Ich denke, Menschen mit stärkerer Ausprägung von Gewissenhaftigkeit und geringerer Ausprägung von Offenheit für Erfahrungen - was nach Peterson charakteristisch für konservative Menschen ist - tendieren mit höherer Wahrscheinlichkeit zur Wahl eines Instruments, das vorwiegend in der E-Musik zum Einsatz kommt.

Menschen mit der umgekehrten Ausprägung, also höherer Offenheit für Erfahrungen und geringerer Gewissenhaftigkeit - nach Peterson "Liberale" / "Progressive" - werden meiner Vermutung nach eher zu Instrumenten aus der U-Musik greifen.

Gründe für diese Vermutungen:
  1. Ein großer Teil der E-Musik wird in verhältnismäßig großen Ensembles gespielt - Chöre, Orchester, eine der kleinsten Einheiten wäre vermutlich das Streicherquartett, und selbst wenn man ein Tenortrio o.ä. hat, werden die dann wiederum oft von einem großen Ensemble begleitet. Ja, es gibt auch jede Menge Stücke für z.B. nur ein Klavier und eine Geige, aber Chor und Orchester sind doch die Kernformation der Klassik, so wie die Band die der U-Musik ist.
  2. Je größer das Ensemble, desto genauer muss das Zusammenspiel sein - sowohl rhythmisch als auch harmonisch. Das erfordert also hohe Präzision. Ebenso wird, gerade, wenn altbekannte Stücke gespielt werden, die bereits von vielen interpretiert wurden, ein besonders starker Fokus auf die Interpretation gelegt, wobei man sich durch feinste Nuancen von anderen Interpreten abzuheben versucht. Dies gilt sowohl für Ensembles als auch für Solo-Künstler, wie z.B. Konzertpianisten. Diese Nuancen muss man also erst einmal beherrschen lernen, was ebenfalls Disziplin voraussetzt.
  3. Die Möglichkeiten der einzelnen Person, auf die Entscheidungen des gesamten Ensembles Einfluss zu nehmen, wird mit zunehmender Größe des Ensembles kleiner. Daher dürfte der durchschnittliche einzelne Orchestermusiker weniger Mitspracherecht in seinem Ensemble haben als das durchschnittliche Bandmitglied. Hier ist es also erforderlich, dass klare Hierarchien herrschen und alle diese respektieren. Auch das ist etwas, womit gewissenhafte Menschen insgesamt besser zurecht kommen.
  4. Komposition in der E-Musik schließlich folgt insgesamt strengeren Regeln als in der U-Musik. In letzterer ist prinzipiell alles erlaubt, was sich verkauft - man hat nur eben die Erfahrung gemacht, dass sich bestimmte Akkordfolgen besonders gut verkaufen, also werden die übermäßig häufig benutzt. In der E-Musik variieren die Regeln zwar mit der Epoche - beim Choral etwas kommt neben den Prinzipien des Akkordaufbaus noch mit dazu, dass man keine Quint- und Oktavparallelen verwenden darf, nach Möglichkeit keine Terzdopplung, Leittöne sollten überlicherweise in den Grundton überführen, keine Niveauüberschreitungen etc.; während in der Zwölftonmusik alle Töne gleich oft drankommen sollen - aber innerhalb einer Epoche können die Regeln sehr strikt sein. Klare Regeln kann man auswendig lernen, was gewissenhaften Menschen leichter fällt; bei unklarer Regellage muss man ausprobieren, was erfahrungsoffenen Menschen leichter fallen sollte. Im Musikhochschul-Vorbereitungskurs der HFMT Köln etwa gab es in den Teilen zur Klassik ganz klare "Do"s und "Don't"s, wohingegen der Jazz-Instrukteur vor allem argumentierte mit "Da muss man sich fragen: Klingt das cool, oder nicht?" :D
  5. Und zu guter Letzt spielt es auch eine Rolle, wie geregelt die Lebensverhältnisse der Musiker sind: Wenn ich eine Festeinstellung irgendwo habe, sei es an einer Musik- oder Hochschule, in einem Orchester oder im Ensemble einer Oper, selbst, wenn das alles nur befristet ist, kann ich besser voraussehen, wie lange ich davon leben kann, als wenn ich Abend für Abend durch die Clubs tingele. Selbst erfolgreichere U-Musiker wissen nicht, ob sich ihr nächstes Album noch so gut verkaufen wird wie das letzte. Gewissenhafte Menschen kommen mit geregelten Verhältnissen besser klar; offene Menschen können ein "heute so, morgen so" besser aushalten oder brauchen es sogar aktiv.

Dies hat auch damit zu tun, an welchen Orten diese verschiedenen Stile besonders präsent sind:

U-Musik etwa findet man oft in kleinen Clubs, auf Liedermacher-Festivals, oder eben auf großen Rockbühnen. Die Musiker sind unmittelbar dran am Publikum und bekommen direkt gespiegelt - durch die Reaktionen des Publikums, aber auch finanziell - was ankommt und was nicht.

An den Hochschulen, also den musikalischen Bildungseinrichtungen, wo man wie bei jedem anderen Studium auch vor allem Gewissenhaftigkeit braucht, um gute Leistungen zu erzielen, dominiert vor allem die E-Musik. Ein klassischer Schwerpunkt ist mWn an praktisch jeder Musikhochschule möglich; die Alternative, sofern vorhanden, ist für gewöhnlich Jazz, wobei auch an Hochschulen, die das anbieten, oft noch in einem gewissen Maße klassische Kenntnisse erfordert oder zumindest erwünscht sind.

Jazz kommt hier also eine gewisse Sonderrolle zu, denn wenngleich er aus Radio- / GEMA-Sicht zweifelsfrei als U-Musik zählt, so ist er doch mittlerweile das akademischste Genre der U-Musik geworden, das es gibt - und auch das, das die mit Abstand größten Ensemblebesetzungen voraussetzt. Hier braucht man also die Disziplin und das präzise Zusammenspiel ähnlich wie bei einem Orchester, gleichzeitig jedoch müssen die Musiker nicht nur vom Blatt spielen, sondern auch improvisieren können.

Ich verstehe also schon, warum manch einer Jazz als anspruchsvollste Musikform überhaupt betrachtet, denn hier vereinen sich viele der herausforderndsten Elemente von E- und U-Musik. In einer Rockband kommt der Gitarrist auch durch, wenn er keine Noten lesen kann, in einer Big Band wird's wahrscheinlich schwer. Klar, in den Schul-(Big)-Bands haben wir Gitarristen vor allem auf die Akkordnamen über den Noten geguckt und durften uns die Voicings selbst aussuchen - aber unser dumpfes, cleanes Geschrammel war ja auch nicht besonders wichtig für den Gesamtklang, weil es eh alle Nase lang von Bläsern übertönt wurde :D ...

Vielleicht ist Jazz also "EU-Musik"? :D Oder alternativ, wie Bodo Wartke es nannte, als er eine Swing-Version des Rondo Alla Turca präsentierte: "Ü-Musik". :)
 
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