Persönlichkeit und Selbstselektion bei Genres und Instrumenten

Wieder so viel, ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll ...

@Strato Incendus, aus meinen Erfahrungen als Profimusiker kann ich kaum eine deiner Annahmen bestätigen. Ich komme vom Studium her zwar aus der "Klassik", bin musikalisch aber sehr breit gefächert und habe über die Zusammenarbeit mit verschiedenen Kollegen, die ihrerseits in verschiedenen Genres tätig sind, auch Berührungen und Erfahrungen im Pop-, Rock- und Jazzbereich. Ein Schwerpunkt meiner Tätigkeit ist im übrigen die freie Improvisation.
Alle professionelle Kollegen, mit denen ich bisher zu tun und mit denen ich bisher zusammen musiziert habe waren bzw. sind ausgesprochen gewissenhafte Musiker. Da macht es keinen Unterschied, ob Klassik, Jazz, Rock oder Pop. Dass bei "Klassikern", speziell Orchestermusikern, die gewissenhafte Ausführung des vorgelegten Materials im Vordergrund steht, hat mit der Aufgabe zu tun, ein bereits in (allerdings je nach Epoche mehr oder weniger) jedem Detail fertiges Werk mit größtmöglicher Präzision zur Aufführung zu bringen. Ein Orchester ist im übrigen keine auch nur im Ansatz demokratische Einrichtung, es ist der Dirigent, der die Interpretation vorgibt. In einem geringen Umfang kann und wird jeder in musikalischer Hinsicht zwar auch seine Persönlichkeit einbringen, z.B. bei einem Solo, aber das ist nicht der Schwerpunkt der Tätigkeit.

Diese Entwicklung, sich extrem strikt an den Notentext zu halten ist aber noch vergleichsweise jung. Bis in die Epoche der Klassik hinein waren die Musiker es gewohnt - und es wurde auch von ihnen entsprechendes Können erwartet -, ihre Stimmen zumindest in tragenden melodischen Abschnitten in improvisierender Weise auszuschmücken und zu figurieren. Hector Berlioz, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts als einer der ersten Dirigenten im heutigen Sinne tätig war (zusammen mit F.M. Bartholdy) schreibt in seinen Memoiren, dass er es den Musikern regelrecht austreiben und verbieten musste, die Stimmen frei zu umspielen.

"Klassiker", die als Spezialisten vorwiegend oder ausschließlich Musik bis zum Barock interpretieren, figurieren heutzutage selbstverständlich wieder im Sinne dieser alten Tradition.

Eine weitere Gruppe, die man zu den "Klassikern" rechnen darf, sind die Kirchenmusiker, die heute praktisch als einzige aus diesem Bereich den Schwerpunkt Improvisation im Studium haben (z.B. für Choralvorspiele). Nicht jeder erreicht darin die Perfektion eines Wolfgang Seifen (bitte selber googeln), aber es gibt unter den Kirchenmusikern vergleichsweise viele, die auf einem sehr hohen Niveau als improvisierende Musiker unterwegs sind und die dementsprechend höchst kreativ mit dem musikalischen Material umgehen. Die meisten Kontakte, die ich als (frei) improvisierender Musiker habe sind denn auch Kontakte zu Kirchenmusikern.

Im Jazz ist Improvisation und dementsprechende musikalische Kreativität selbstredend ein, wenn nicht der fundamentale Bestandteil des ganzen Genres. Dennoch führt dieser freiere Umgang mit dem Material keineswegs zu irgendeiner laxeren Haltung oder gar zu etwas ähnlichem wie Schlampigkeit. Die Jazzer, die ich persönlich kenne, sind zwar meist etwas entspannter drauf als die meisten Klassik-Kollegen, die ich kenne, aber in Sachen Präzision und Perfektion im Zusammenspiel sind die geradezu vorbildlich. Man höre sich nur mal die WDR-Big-Band an diesbezüglich.

Was die Aussage angeht, dass "die Genauigkeit des Zusammenspiels umso größer sein" muss, je größer das Ensemble ist, stimmt so nicht, jedenfalls nicht, was die Herausforderung zur Genauigkeit betrifft. Wenn Stimmen chorisch besetzt sind, wie z.B. die Streicher in einem Sinfonieorchester, dann reguliert alleine die Masse einiges, so dass es in dieser Gruppe jedem Einzelnen leichter fällt, mit sehr großer Präzision zu spielen. Es ist sozusagen wie in einem Schwarm. Einen nicht unbedeutenden Anteil haben daran die jeweiligen Stimmführer.
Es gibt ein Werk, dass einen guten Vergleich möglich macht: "Verklärte Nacht" op. 4 von Arnold Schoenberg. Es gibt davon sowohl die ursprüngliche Fassung für Streichsextett, als auch seine eigene Bearbeitung für Streicher-Kammerorchester. Nach Aussage eines Dirigenten, der beide Fassungen oft dirigiert hat (ja, auch die Sextett-Fassung wird meistens dirigiert ob der extremen Komplexität des Satzes) ist die Sextett-Fassung erheblich heikler als die Orchester-Fassung. Eben, weil die Masse vieles auf eine bestimmte Weise stabilisiert, was in der Sextett-Fassung, wo jede Stimme nur einmal besetzt ist, deutlich ´zerbrechlicher´ macht.
Hier Beispiele beider Fassungen:





Was alleine die Präzision angeht, war ich selber sehr beeindruckt und fasziniert, als ich zum ersten mal bei einem Pop-Projekt mitgespielt habe, alles mit einem tollen Timing und auf den Punkt zusammen gespielt, und natürlich mit faszinierendem Drive.
Was Wunder, wenn man sich mal mit dem Alltag von Pop-Musikern beschäftigt, die bei Studio-Produktionen mitwirken. Da findet man hervorragende Könner, sehr gewissenhaft und top zuverlässig. Wären sie nicht so drauf, würden sie dort hochkant raus fliegen, schließlich können solche Produktionen ganz schön ins Geld gehen.

Wie dem auch sei, irgendwie finde ich, dass deine interessanten Fragestellungen an vielen Stellen umgehend konterkariert werden von einem entlarvenden Mangel eines Blickes in die Tiefe. So bleiben die Gedanken doch schließlich immer wieder an der Oberfläche und der Erkenntnisgewinn, der möglich gewesen wäre, bleibt enttäuschenderweise aus. Viele eloquente Worte und Gedanken, aber ohne Echo.
Daher entsteht der Vorwurf des "Klischees". Sicher steckt in jedem Klischee ein Körnchen Wahrheit, irgendwie ist es ja mal entstanden, dennoch sind Klischees wenig hilfreich, um in einer Diskussion voran zu kommen. Die Welt ist dann doch faktisch immer wieder viel differenzierter, als man es sich eingestehen möchte.


Was O. Messiaen betrifft, so ist es unwichtig, sich mit seinem tief-religiösen Hintergrund beschäftigen zu müssen, um von seiner Musik gepackt zu werden. Für das Verständnis seines Schaffens ist es gewiss wichtig, um fasziniert zu werden nicht unbedingt.
Hier zwei Beispiele:





Im übrigen war Messiaen ein sehr, sehr strukturierter Komponist, wie man hier nachlesen kann: https://www.sr.de/sr/sr2/sendungen_...lensteine_neue_musik_olivier_messiaen100.html
Für mein Empfinden und verstehen hat er es vermocht, in vielen seiner Werke eine geniale Synthese aus strenger Struktur und höchster klanglicher, geradezu exaltierter Expressivität zu schaffen.

Um Werke wie diese (aber auch z.B. die Kompositionen von L. Bernstein um ein sehr gegensätzliches Beispiel zu bringen) kongenial interpretieren zu können, dürfen die ausführenden Orchestermusiker auf keine Fall im erstarrten Sinne konservativ sein, sondern müssen einen ebenso offenen geistigen Horizont und große Neugierde, ja, fast möchte ich sagen, Abenteuerlust, haben, wie du sie bei Jazzmusikern für selbstverständlich zu halten scheinst. Wobei es auch unter diesen Vertreter mit sehr starrem Geist und geschlossenem Horizont gibt.

Es ist alles nicht so einfach, und so bequem Schubladen sein mögen, es passt doch nicht alles hinein, was man hinein stecken möchte. Das wahre Leben wehrt sich doch allzu oft und will nicht in Schubladen eingesperrt sein.
 
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Äußerlicher Zwang
Wenn du als Kind von deinen Eltern genötigt wurdest,
obwohl der äußere Zwang weggefallen ist,
dass du als Kind Instrument A spielen musstest und es gehasst hast,
d.h. wie viele Kinder von ihren Eltern zum Musikmachen gezwungen werden
Zwang? Nötigung? Spielen müssen? Hass? :eek:
Zum Glück war das bei mir nicht so. Bei mir waren (und sind!) Lust, Spaß, Freude, Erfüllung, Schönheit ... Grundelemente beim Musizieren. Und ja, ich habe als kleines Kind einfach das Instrument gelernt, das meine Mutter auch gespielt hat: Klavier. Das war gut so, und meine Mutter war mein Vorbild. Ich bin stolz darauf, dieses Tradition fortsetzen zu können. Bei meiner Mutter war das übrigens genauso, d.h. meine Großmutter spielte auch schon Klavier. Meine Tochter übrigens auch. Alte Traditionen ...

Ich hoffe, daß bei Deinen musikalischen Tätigkeiten das Zwanghafte und der Hass nicht so im Vordergrund stehen.

Dass Leute sich angegriffen fühlen, auch wenn man gar nicht sie selbst kritisiert, sondern nur etwas, das sie mögen, ist normal - weil sie sich eben damit identifizieren
Mir ist gerade nicht so klar, worauf Du das beziehst, aber ich glaube nicht, daß sich hier irgendjemand angegriffen fühlt. Ich habe eher den Eindruck, daß Du immer versuchst, anzugreifen, diese Angriffe aber immer irgendwie ins Leere laufen. :nix:

Einen "Kanon" von Künstlern, die man kennen "muss", und wer es nicht tut, ist halt uninformiert und selber schuld (wie es hier über einige neuzeitliche E-Musikkomponisten gesagt wurde), gibt es für mich also schon längst nicht mehr.
Auch wenn man nicht Metal-Fan ist, kennt man Ozzy Osbourne, Richie Blackmore, Lemmy Kilmister oder Bruce Dickinson, die Pioniere halt. Und wenn jetzt jemand kommt und sagt: "Metal ist scheiße!", und man ihn dann bittet, mal konkret an Beispielen wie Black Sabbath, Deep Purple, Iron Maiden, Judas Priest oder Motörhead zui erläutern, was daran "scheiße" ist, und er dann fragt: "Wie bitte, wer ist das?", dann ist sein Urteil halt nichts wert. :nix:

Bei vielen Musikern ist es übrigens so, daß sie gar nicht so genrefixiert sind. Ich kenne Leute, die mit Volksmusik oder einer Coverband ihren Lebensunterhalt verdienen (und Spaß dabei haben) und in ihrer Freizeit Freejazz spielen. Andere haben Jobs als Kantoren oder Chordirigenten und komponieren in ihrer Freizeit zeitgenössische Klassik. Das ist immer auch so eine Art persönlicher Quersubvention. Und immer ist man mit ganzem Herzen bei der Sache und verachtet nicht einzelne Genres. Ich habe immer genauso gerne den Narrhalla-Marsch in der vollbesetzten Mehrzweckhalle gespielt wie den Auftritt mit dem Freejazzseptett vor zwei Leuten (meine Frau und meine Tochter :rofl:. Es war eins der schönsten und irrsinnigsten Konzerte meines Lebens). Bach hat für die Kirche Choräle und Kantaten geschrieben und in seiner Freizeit die Kunst der Fuge komponiert. Wolfgang Dauner hat Musik für Fernseh-Serien produziert (tolle Musik übrigens) und in seiner Freizeit den modernen und freien Jazz in Deutschland etabliert. Solange die Musik gut ist, ist das Genre nicht so wichtig. Und die Publikumszahlen auch nicht.

Viele Grüße,
McCoy
 
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@McCoy

Nimmt man dagegen andere Instrumente mit dazu, sind die am meisten geschlechtsspezifischen Instrumente bei Frauen Harfe und Flöte, bei Männern E-Gitarre und Bass.

ohne mich zum ganzen Rest äußern zu wollen. Mit der Harfenthematik hab ich mich zufällig mal länger beschäftigt und das war tatsächlich schon sehr lange ein "Fraueninstrument".

Harfenistinnen sind mit die ersten Frauen die im 19. Jahrhundert auf den Besetzungslisten von Orchestern auftauchen, außerdem gab es bereits früh konzertreisende Harfen-Virtuosinnen. Desweiteren galt die Harfe als schickliches Instrument für die gutbürgerliche Dame, die im Salon zuhause musiziert ( neben dem Klavier natürlch...) Eine gewisse Rolle kommt der Harfe da wohl, (ähnlich dem Klavier) auch als Möbelstück zu.

das ist auf jeden Fall historisch gewachsen, dennoch aber interessant..

grüße B.B.
 
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Zwang? Nötigung? Spielen müssen? Hass? :eek:
[. . .]
Ich hoffe, daß bei Deinen musikalischen Tätigkeiten das Zwanghafte und der Hass nicht so im Vordergrund stehen.

Nein, bei mir ja eben gerade nicht! ;) Meine Aussage bezog sich auf jemanden, der infrage gestellt hat, wie viele Musiker überhaupt ihr Instrument frei wählen. Ich hatte dieses Glück (und habe das auch genau in meinem Post beschrieben, wie meine musikalische Lerngeschichte aussah), mir ist aber bewusst, dass das nicht für alle gilt, und dass es durchaus Kinder gibt (um auch mal Existenzsätze zu verwenden :rolleyes: ), die von ihren Eltern aus Tradition oder sozialen Normen zum Erlernen eines Instruments genötigt werden, für das sie kein eigenes Interesse haben.

Ebenso habe ich angeführt, dass das für die hier gestellte Fragestellung irrelevant ist, weil es hier ja gerade um innere Faktoren geht, die diese Wahl beeinflussen (Persönlichkeit), nicht äußere.

Da du hier verschiedene Zeilen von mir hintereinander kopiert hast, müsste dir klar sein, dass du sie damit aus dem Kontext reißt ;) .

Auch wenn man nicht Metal-Fan ist, kennt man Ozzy Osbourne, Richie Blackmore, Lemmy Kilmister oder Bruce Dickinson, die Pioniere halt.

Siehe da: Hier beziehst du dich jetzt ebenso auf die "großen Alten" wie ich in der Klassik mit Mozart, Beethoven, Haydn, Bach etc. ;)

Kannst du solch einen Kanon auch aufstellen für heutige Metal-Musiker? Welche sind die aktuellen Metal-Bands, die "man kennen muss"? Da wird's schon deutlich schwieriger. Und das war ja die Sache bei mir: Die neuen Klassik-Komponisten sag(t)en mir nichts, nicht die alten. :)

Sowohl Mozart & Co. als auch Dickinson & Co. haben gemeinsam, dass sie in einer Zeit gearbeitet haben, in der der musikalische Markt ihres Genres im Verhältnis zu heute deutlich kleiner war. Je breiter das Feld, desto schwieriger wird es für den einzelnen, eine "Legende" zu werden.

Mir ist gerade nicht so klar, worauf Du das beziehst, aber ich glaube nicht, daß sich hier irgendjemand angegriffen fühlt. Ich habe eher den Eindruck, daß Du immer versuchst, anzugreifen, diese Angriffe aber immer irgendwie ins Leere laufen. :nix:

Wenn sich keiner angegriffen gefühlt hätte, hätte sich wohl auch keiner über meine Bewertung beschwert :D .

Bei vielen Musikern ist es übrigens so, daß sie gar nicht so genrefixiert sind. Ich kenne Leute, die mit Volksmusik oder einer Coverband ihren Lebensunterhalt verdienen (und Spaß dabei haben) und in ihrer Freizeit Freejazz spielen. Andere haben Jobs als Kantoren oder Chordirigenten und komponieren in ihrer Freizeit zeitgenössische Klassik. Das ist immer auch so eine Art persönlicher Quersubvention. Und immer ist man mit ganzem Herzen bei der Sache und verachtet nicht einzelne Genres.

Selbstverständlich. Ich rede hier von dem Genre, das man hauptsächlich (im Zweifelsfall "hauptberuflich") macht :) .

Alle professionelle (Hervorhebung von mir) Kollegen, mit denen ich bisher zu tun und mit denen ich bisher zusammen musiziert habe waren bzw. sind ausgesprochen gewissenhafte Musiker. Da macht es keinen Unterschied, ob Klassik, Jazz, Rock oder Pop.

Genau das habe ich doch bereits im Eröffnungspost als abschließende Worte gesagt? :D Da sind wir einer Meinung; für die nachfolgende Erläuterung bitte einfach zum Startpost zurückklicken:

Interessanterweise habe ich dann noch abschließend den Eindruck: Je professioneller eine Gruppe ist, desto mehr nähern sich diese beiden Pole an! :)

Dass bei "Klassikern", speziell Orchestermusikern, die gewissenhafte Ausführung des vorgelegten Materials im Vordergrund steht, hat mit der Aufgabe zu tun, ein bereits in (allerdings je nach Epoche mehr oder weniger) jedem Detail fertiges Werk mit größtmöglicher Präzision zur Aufführung zu bringen. Ein Orchester ist im übrigen keine auch nur im Ansatz demokratische Einrichtung, es ist der Dirigent, der die Interpretation vorgibt. In einem geringen Umfang kann und wird jeder in musikalischer Hinsicht zwar auch seine Persönlichkeit einbringen, z.B. bei einem Solo, aber das ist nicht der Schwerpunkt der Tätigkeit.

Auch das ist kein Widerspruch zu dem, was ich gesagt habe ;) - im Gegenteil: Das ist ziemlich genau das, was ich in Punkt 3 ausgeführt habe:

Die Möglichkeiten der einzelnen Person, auf die Entscheidungen des gesamten Ensembles Einfluss zu nehmen, wird mit zunehmender Größe des Ensembles kleiner. Daher dürfte der durchschnittliche einzelne Orchestermusiker weniger Mitspracherecht in seinem Ensemble haben als das durchschnittliche Bandmitglied. Hier ist es also erforderlich, dass klare Hierarchien herrschen und alle diese respektieren. Auch das ist etwas, womit gewissenhafte Menschen insgesamt besser zurecht kommen.

An der Spitze der Hierarchie steht eben der Dirigent, und dann gibt es vermutlich noch einzelne Musiker, deren Stimme mehr Gewicht hat als die anderer (z.B. wer buchstäblich die "erste Geige" spielt :) ).

Meine Vermutung ist ja gerade, dass eben weil diese hierarchische Struktur im Orchester vorliegt, ein Orchester vor allem solche Menschen als potentielle Mitglieder anlockt, die eben mit Hierarchien gut zurecht kommen und denen ein eigenes kreatives Mitspracherecht an der Musik dafür nicht so wichtig ist.

Was Wunder, wenn man sich mal mit dem Alltag von Pop-Musikern beschäftigt, die bei Studio-Produktionen mitwirken

Auch Studiomusiker habe ich angeführt sowie die Tatsache, dass die am ehesten das Pop-Äquivalent des Orchestermusikers sind, weil sie eben "funktionieren müssen", anstatt sich selbst kreativ auszutoben.

Unter den E-Musikern werden damit auch Konzertpianisten sein, die eigene Fugen schreiben, und unter den U-Musikern Big Band-Mitglieder oder Studiogitarristen, die nicht selbst schreiben, sondern nur "abliefern".

Diese spezielle Subgruppe der U-Musiker hat also mitunter von der Persönlichkeit her dann auch mehr Gemeinsamkeiten mit einem Orchester-Musiker als mit einem Singer-Songwriter.

Das muss dann aber trotzdem nicht die Statistik für U-Musiker insgesamt verändern, denn wieviel Prozent aller U-Musiker sind "anheuerbare" Studiomusiker?

Im Jazz ist Improvisation und dementsprechende musikalische Kreativität selbstredend ein, wenn nicht der fundamentale Bestandteil des ganzen Genres. Dennoch führt dieser freiere Umgang mit dem Material keineswegs zu irgendeiner laxeren Haltung oder gar zu etwas ähnlichem wie Schlampigkeit. Die Jazzer, die ich persönlich kenne, sind zwar meist etwas entspannter drauf als die meisten Klassik-Kollegen, die ich kenne, aber in Sachen Präzision und Perfektion im Zusammenspiel sind die geradezu vorbildlich.

Weswegen ich selbst ja die Vermutung in den Raum gestellt habe, dass Jazz eine der anspruchsvollsten Musikrichtungen ist, weil...

Ich verstehe also schon, warum manch einer Jazz als anspruchsvollste Musikform überhaupt betrachtet, denn hier vereinen sich viele der herausforderndsten Elemente von E- und U-Musik.

Auch hierin widersprechen wir uns also nicht. :)

Es ist alles nicht so einfach, und so bequem Schubladen sein mögen, es passt doch nicht alles hinein, was man hinein stecken möchte.

Und noch ein Verweis auf meinen Startpost:

Disclaimer 2: Eine Aussage über eine Korrelation ist weder eine Kausalaussage, noch eine deterministische Verallgemeinerung für jedes einzelne Individuum ;) . Ich sage also bspw. nicht "Alle Geiger sind so, alle Gitarristen sind so..." etc., sondern z.B. "unter Geigern findet man mehr Leute, die..."

Ich rede von Tendenzen und mache Vermutungen über den Durchschnitt. Der ist nie eine "Schublade", in die alle hineinpassen, sondern lediglich eine Zusammenfassung des größten gemeinsamen Nenners.

Was die Aussage angeht, dass "die Genauigkeit des Zusammenspiels umso größer sein" muss, je größer das Ensemble ist, stimmt so nicht, jedenfalls nicht, was die Herausforderung zur Genauigkeit betrifft. Wenn Stimmen chorisch besetzt sind, wie z.B. die Streicher in einem Sinfonieorchester, dann reguliert alleine die Masse einiges, so dass es in dieser Gruppe jedem Einzelnen leichter fällt, mit sehr großer Präzision zu spielen. Es ist sozusagen wie in einem Schwarm. Einen nicht unbedeutenden Anteil haben daran die jeweiligen Stimmführer.

Danke für deinen Erfahrungsbericht an dieser Stelle; das erinnert mich ein wenig an das Prinzip im Chor, wo durch die Vielzahl an Stimmen kleine Tonschwankungen nach oben oder unten der einzelnen Sänger ausbalanciert werden.

Dementsprechend ist auch klar, warum Fehler direkt auffallen, wenn eine bestimmte Stimme nur einmal besetzt ist, dann liegt die ganze Verantwortung für diese Stimme natürlich auf den Schultern von nur einer Person.

Meine Erfahrung ist halt, dass das bei Tonhöhe gut geht, beim Rhythmus hingegen nicht - wenn ein paar ein bisschen vor dem Beat sind und ein paar bisschen danach, würde jede einzelne Stimme für sich wahrscheinlich noch als in-time durchgehen, in Summe aber nicht.

Jetzt hängt es aber natürlich auch wieder vom Stück ab, ob das eher getragen und "flächig" ist und damit die rhythmische Platzierung einzelner Noten etwas verschwimmen darf - oder ob wir z.B. von vielen Staccato-Noten reden, wo ganz klar zu hören ist, wann welcher Ton anfängt und wann er endet.

Eine weitere Gruppe, die man zu den "Klassikern" rechnen darf, sind die Kirchenmusiker, die heute praktisch als einzige aus diesem Bereich den Schwerpunkt Improvisation im Studium haben (z.B. für Choralvorspiele). Nicht jeder erreicht darin die Perfektion eines Wolfgang Seifen (bitte selber googeln), aber es gibt unter den Kirchenmusikern vergleichsweise viele, die auf einem sehr hohen Niveau als improvisierende Musiker unterwegs sind und die dementsprechend höchst kreativ mit dem musikalischen Material umgehen. Die meisten Kontakte, die ich als (frei) improvisierender Musiker habe sind denn auch Kontakte zu Kirchenmusikern.

Auch hierfür danke, an diese Gruppe hatte ich tatsächlich noch nicht gedacht! :) Hier ist allerdings ebenfalls wie bei den Studiomusikern der Popmusik die Frage:
Wie groß ist der Anteil von Kirchenmusikern an den E-Musikern insgesamt?

Ich würde auf Basis deiner Aussage jetzt z.B. vermuten, dass innerhalb der E-Musiker die Kirchenmusiker mit einer der stärksten Ausprägungen bei "Offenheit für Erfahrungen" haben; wenn ich jedoch über alle E-Musiker mittele und deren Scores mit denen der U-Musikern vergleiche, könnten die Werte der Kirchenmusiker ebenso wie die der Studiomusiker im Pop-Bereich die Ausreißer darstellen.
 
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Siehe da: Hier beziehst du dich jetzt ebenso auf die "großen Alten" wie ich in der Klassik mit Mozart, Beethoven, Haydn, Bach etc. ;)

Nein, Steve Reich, Philipp Glass, Ferneyhough, John Cage, Ligeti, Stockhausen und Boulez sind die großen Alten der Neuen Musik. Das sind schon die Namen, die man kennen muß, wenn man über Neue Musik etwas sagen will. Bach, Beethoven und Konsorten entsprächen in der Popmusik Louis Armstrong, Bill Haley und Elvis Presley.

Wenn sich keiner angegriffen gefühlt hätte, hätte sich wohl auch keiner über meine Bewertung beschwert :D .
Beschwert hat sich keiner, nur Falsches richtig gestellt. Deshalb nochmal ( und jetzt auch mal in Fettdruck): Diese Aussage ist falsch:
Also: Meine Überlegung startete ausgehend von der Beobachtung, dass in der E-Musik / "Klassik" größtenteils noch dieselben alten Werke wie vor Jahrhunderten gespielt werden, während in der U-Musik / Pop das eigene Schreiben oder zumindest ständiges Vorlegen von etwas Neuem Grundvoraussetzung ist.
Und so eine Aussage zeugt von Unwissenheit:
ich höre nur selten von "neuer" klassischer Musik, die um ihrer selbst Willen geschrieben wird.
In der amerikanischen Politik versucht man gerade auch, mit Unwissenheit und Falschaussagen Angriffe zu führen. Das wird aber wohl letztendlich schwer nach hinten losgehen. Deshalb nochmal: Falschaussagen werden korrigiert, angegriffen fühlt man sich durch sie nicht. Ich habe dagegen den Eindruck, daß Du Dir das gerne wünscht, daß sich hier jemand angegriffen fühlt. Mir ist nur nicht ganz klar, was Du Dir davon erhoffst. :nix:
Ich rede hier von dem Genre, das man hauptsächlich (im Zweifelsfall "hauptberuflich") macht :) .
Ist bei mir nicht der Fall. :) Ich habe schon mit nahezu jedem Genre hauptberuflich Geld verdient. Und wenn man als Freelancer unterwegs ist, wechseln die Genres auch andauernd. Und das ist bei den meisten meiner Kollegen so.

Viele Grüße,
McCoy
 
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Verallgemeinerungen helfen zwar, einen überschlägigen Blick auf das Große und Ganze zu lenken, sind aber letztlich so gut wie immer unzutreffend, da im Detail falsch. Es gilt also, zu differenzieren um ein wirklich konkretes Bild eines Sachverhaltes zu bekommen. Der Nachteil daran ist nun aber, dass eine Aussage wie "in einer bestimmten Gruppe (z.B. Orchestermusiker) findet man Vertreter jeder Haltung, offene, neugierige, experimentierfreudige, aber auch konservative, in starren Mustern denkende, unflexible usw." letztlich banal ist, denn so gut wie jede größere Gruppe ist in sich verschieden ausdifferenziert.
Solange man aber keine seriöse Untersuchung dazu macht, bleiben alle Aussagen letztlich unverbindliche Spekulation. Ganz nett, aber eben nicht mehr als das und einen Erkenntnisgewinn hat allenfalls derjenige, der vorher von dem Thema noch gar keine Ahnung hatte, und auch der wird dürftig bleiben, denn Spekulationen sind nun mal keine Tatsachen.

Diskussionen dieser Art empfinde ich schnell als abgehoben und als ein ´im-Kreis-drehen´ ohne Bodenhaftung. Wenn dann auch noch scheinbar konkrete Aussagen dazu kommen, wo erkennbar das Hintergrundwissen fehlt, dann verflüchtigt sich alles immer mehr in ´heiße Luft´. Meine Sache ist das nicht.

Noch eine Anmerkung zum Thema "Disziplin":
Ich kenne kaum einen Personenkreis, der disziplinierter bei der Sache ist als Musiker, seien es Profis oder (ambitionierte) Amateure. Jeder will, dass das Ergebnis so gut wie möglich wird und seine Zeit will auch keiner vertrödeln. Bei Profis kommt noch dazu, dass bei einer Festgage vertrödelte Probenzeit einen Job schlicht unwirtschaftlich machen kann.
Man soll sich auch nicht von exaltierten und abgefahrenen Bühnenshows blenden lassen. Dieselben Musiker, die auf der Bühne heftig ´die Sau raus lassen´ sind bei Proben (bzw. im Ton-Studio) meist absolut ohne die kleinste derartige Einlage höchst konzentriert und sehr sachlich bei der Arbeit. Das kann dann durchaus schon mal befremdlich wirken, weil es einen geradezu biederen Eindruck hinterlässt.

Ich bitte um Verständnis, wenn ich nicht auf weitere Details eingehe, aber ich bin ein langsamer Schreiber und gerade ist meine Zeit etwas knapp.
 
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Hier mal ein Beispiel, wie sich ein Profi-U-Musiker allein auf das Vorspielen für einen Job vorbereitet



Ich finde, das ist ein massiver, pedantischer, disziplinierter Aufwand, den er da treibt.
 
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Erzählt ist es halt etwas trocken, aber man kann die Präzison guter Musiker zum Glück unmittelbar durch Hören erfahren.
...sind die großen Alten der Neuen Musik. Das sind schon die Namen, die man kennen muß.
Die Großen Alten sind für mich her die Gründerväter der modernen Klassik mit ihrem so überaus faszinierenden Beitrag zur Weiterentwicklung der Musik, die sehr wohl sinnlich erfahrbar ist. Vorallem denke ich da natürlich an den Monolith Arnold Schönberg und seine "Schüler" Alban Berg und Anton Webern.
Sehr interessant finde ich aber auch, wie Karlheinz Stockhausen gegen Ende seines schöpferisch reichen Lebens die "erweitert tonale" Kurve nimmt.
Leute mit mehr Ahnung von Musik sehen das wahrscheinlich differenzierter, aber ich bekomme da die Vorstellung einer Wandlung von der kompromisslosen Avantgarde früherer Jahre in die Reihe des tonalen Erbes von Strauss und so vielen anderen Komponisten, die im 20. Jahrhundert ganz wundervolle Musik geschrieben haben (präsent sind da sofort weitere persönliche Lieblinge wie Ives, Bloch, Bartok, Hindemith, Korngold, Krenek, Eisler, Bernstein - aber es gibt natürlich noch sehr viel mehr beeindruckende klassische Komponisten in der Moderne).

Betörend schöner Schönberg :D


Spektakulärer Stockhausen, von wegen atonal...


...und ein Penderecki-Beispiel, isses nicht schön :)


Ich kenne kaum einen Personenkreis, der disziplinierter bei der Sache ist als Musiker, seien es Profis oder (ambitionierte) Amateure.
Diese Feststellung halte ich für geradezu amtlich.
Selbst als lockerer Amateur mit anderen Laienmusikern haben wir vor bald 30 Jahren in unserer Thekenband direkt Probendisziplin vereinbart und uns mitgeschnitten, um Fehler ausmerzen und Intonation und Time verbessern zu können. Auch unsere nachgespielten R&B- und Rock-Klassiker im Repertoire verlangten Disziplin und natürlich guten Groove, weil es sonst keine gut anzuhörende Musik geworden wäre.

Diese notwendige musikalische Disziplin kriegen auch Musiker mit wesentlich unbürgerlicheren Lebenstilen als bei den meisten Orchester- und Laienmuskern auf die Reihe, aus jener Zeit z.B. Shawn MacGowan (kaum zu glauben - er lebt immer noch) und die ganz offensichtlich dizipliniert und konzeptuell arbeitende :hail: Björk, ganz zu schweigen von der (damals noch) Art Rock Band Genesis, den King Crimson Musikern oder dem sowieso über den Dingen schwebenden Frank Zappa.




Ein "Zähl mal"-Klassiker von Genesis, das spielt sich auch nicht mit links - 'It's in 4/4, isn't it?' 'No, it's 13.'
https://www.youtube.com/watch?v=2B1ub5g5L0k

Wirkt wie ein ironisierende Metakommentar, King Crimson mit "Indiscipline", aber man hört etwas anderes.
https://www.youtube.com/watch?v=IpZxwe4SXY8

... und schließlich eine echte Perle der öffentlich-rechtlichen Fernsehdokumentation, Präzision und Performance in Person: FZ in München Äußerst heftig, wie diese Musik hier live gespielt wurde. :love:
Wer die volle Dosis Zappa (noch) nicht verträgt kann auf die letzten Minuten bei 50:00 ausweichen, die eine Quintessenz des gigantischen Konzerts liefern.
Frank Zappa eröffnet den Schlussteil passend mit seinem Glaubensbekenntnis: 'I'm on duty.'
https://www.youtube.com/watch?v=dG4J9N_tzu0
 
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Die Großen Alten sind für mich her die Gründerväter der modernen Klassik mit ihrem so überaus faszinierenden Beitrag zur Weiterentwicklung der Musik, die sehr wohl sinnlich erfahrbar ist.
Ja, stimmt. Ich hätte da begrifflich genauer differenzieren sollen. Der Begriff "Neue Musik" wird bereits für die Musik nach WK1 verwendet, der Begriff "Zeitgenössische Musik" für den musikalischen Neuanfang nach 1945. Ich beziehe mich auf die "Zeitgenössische Musik", d.h. auf diejenigen, deren Schaffen in meine eigene Lebenszeit fällt, was ja z.B. bei den Vertretern der Neuen Wiener Schule nicht der Fall ist. Und da empfinde ich die von mir Genannten als die Großen Alten, die eben diesen Neuanfang nach dem großen menschlichen Entsetzen zwischen '33 und '45 gewagt haben, genau an dem Punkt, wo man dachte, daß Musik gegenüber dem geschehenen Grauen eigentlich nur noch verstummen kann.

Viele Grüße,
McCoy
 
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Beschwert hat sich keiner, nur Falsches richtig gestellt. Deshalb nochmal ( und jetzt auch mal in Fettdruck): Diese Aussage ist falsch:

Wenn wir spitzfindig sein wollen, kann ich dazu sagen: Einmal spreche ich von "Beobachtung", einmal von "ich höre nur selten". Beides sind also keine allgemeingültigen Behauptungen, sondern Äußerungen meiner subjektiven Wahrnehmung. ;)

Subjektive Wahrnehmung hat nie den Anspruch, objektiv richtig zu sein - ich habe ja nur gesagt, dass diese persönliche Wahrnehmung der Startpunkt für meine Überlegungen war. Auch, wenn diese Wahrnehmung ungerechtfertigt gewesen sein mag, macht das deshalb nicht gleich die Fragestellung nach den Zusammenhängen von Gewissenhaftigkeit und Offenheit mit E- und U-Musik hinfällig - denn die anderen Punkte, die ich über das Zusammenspiel in Band vs. Orchester, die Striktheit der Kompositionsregeln etc. gesagt habe, werden dadurch ja nicht invalidiert. :)

Es ist nicht so, als ob all diese Gedanken bloß auf die sporadische Beobachtung aufgebaut hätten "ich kenne keine neuen E-Musik-Komponisten, also sind E-Musiker weniger kreativ" ;) .

Meine Startüberlegung bezüglich Komponisten in E- vs. U-Musik war zudem vor allem quantitativer Natur:

Ja, gibt es denn in der E-Musik so wenige Komponisten?

Dass es generell zeitgenössische E-Musik-Komponisten geben wird, und dass logischerweise auch bestimmte Personen an der Spitze dieser Verteilung stehen werden, das kann man sich schon denken ;) . Die Frage ist
a) wie viele verschiedene sind es, denn ein großer Name kann ja einen Großteil des Markets beanspruchen, ist deshalb jedoch nicht repräsentativ für die Zahl bzw. den Anteil der Komponisten im / am jeweiligen Genre insgesamt; und
b) wie viele davon schaffen den Sprung in das Bewusstsein der Allgemeinheit.

Wenn du auf der Straße mal herumfragst, wer Mozart, Bach und Beethoven kennt, wirst du wahrscheinlich mehr zustimmende Antworten bekommen als bei Reich und Glass.

Was nicht heißt, dass die heutige Generation Orchestermusik generell abgeneigt wäre - nur wenn du ihnen dann sagst, sie mögen mal aktuelle Orchesterkomponisten nennen, würde ich mal vorhersagen, da werden stattdessen die Namen Hans Zimmer, Klaus Badelt, Vangelis, Ramin Djawadi und John Williams fallen.

Die haben wie gesagt alle den Popularitätsboost durch die Filme, für die sie komponiert haben - es zeigt jedoch, dass es durchaus auch in der breiten Masse eine Zielgruppe dafür gibt.

Nein, Steve Reich, Philipp Glass, Ferneyhough, John Cage, Ligeti, Stockhausen und Boulez sind die großen Alten der Neuen Musik. Das sind schon die Namen, die man kennen muß, wenn man über Neue Musik etwas sagen will.

Cage und Stockhausen kannte ich wie gesagt, das sind nur eben dann zufällig auch die experimentelleren Kandidaten aus der genannten Liste. Mit Pierre Boulez's serieller Musik haben wir uns in der Reihe zu Neuer Musik damals im Schulunterricht noch befasst, ebenso mit einem anderen Pierre, nämlich Herrn Schaeffer und seiner "Musique concrète" - der Name ist hier bisher noch gar nicht gefallen.

Über Neue Musik als Genre wollte ich jedoch gar nicht viel sagen, sondern über E- und U-Musik im Allgemeinen, mit all ihren jeweiligen Genres.

Jetzt ist natürlich die Frage, inwiefern man die Begriffe Barock, Klassik, Romantik, Neue Musik etc. nur als reine Epochen-Bezeichnungen verwendet - sprich: alles, was in dieser Zeit geschrieben wurde, zählt dazu - oder als Stilbeschreibung.

Ich für meinen Teil kann mit einer inhaltlichen Beschreibung mehr anfangen und würde daher auch ein im 21. Jahrhundert geschriebenes Stück, das sich stilistisch stark an den Barock anlehnt, als solches bezeichnen.

Falls die reine Epochenbezeichnung eher gängige Praxis sein sollte, schön und gut - dann könnte man jedoch mMn auch gleich sagen "Musik des 16., 17., 18., 19. und 20. Jahrhunderts (und das Beste von heute! :D )".

Ich kenne kaum einen Personenkreis, der disziplinierter bei der Sache ist als Musiker, seien es Profis oder (ambitionierte) Amateure

Da ist das Schlagwort "ambitioniert" bei den Amateuren aber schon ziemlich entscheidend, oder? ;)

Ich habe ja selbst gesagt, unter den Profis aller Musikgenres wirst du vorwiegend gewissenhafte Menschen finden.

Wenn wir das jedoch deswegen über Musiker generell sagen, begehen wir den sogenannten Apex-Fehlschluss (apex = engl. "Gipfel").

Klassisches Beispiel ist: "Die meisten Personen in Machtpositionen sind Männer, daher haben Männer generell Macht."
Genau das passiert auch, wenn wir sagen "Die meisten Profi-Musiker sind gewissenhaft, daher sind Musiker generell gewissenhaft." Wir schließen von der extremsten Ausprägung auf die Allgemeinheit der Gruppe.

Wenn wir jedoch über Genreunterschiede sprechen anstatt über Unterschiede zwischen Profis und Amateuren, dann müssen wir bei beiden über Profis und Amateure mitteln - also auch die jeweiligen Anfänger mit reinrechnen. Ebenso, wie wir umgekehrt über Genres mitteln, wenn wir sagen "Profis jedes Genres sind im Durchschnitt gewissenhafter als Anfänger".

Und gerade aus dem Amateur-Bereich kommen doch die ganzen Bassisten-Witze, die Geschichten über Schlagzeuger, die ihre Sticks vergessen und sich Abläufe nicht merken können, Sänger, die Töne nicht treffen, Gitarristen, die auf Effektpedalen tanzen, aber nicht in-time bleiben... von diesen Geschichten gibt es endlos viele, und sie kommen nicht von ungefähr ;) .

Da wird es dann schon spannender: Wie viele Songschreiber finde ich unter U-Musikern im Vergleich zu E-Musikern, wenn ich mir vor Augen führe, dass wir hier nicht nur von den großen Namen sprechen, sondern auch vom angehenden Künstler? Und wir beides aufaddieren müssten, um die entsprechenden Verhältnisse klar zu sehen?

Für die Dimension Offenheit:
Schreibt ein Einstiegs-Geiger oder Pianist so schnell ein eigenes Stück wie ein Einstiegs-Gitarrist? Und bevor jemand sagt, dieser Vergleich sei unfair aufgrund des unvergleichbaren Aufwands: Es muss ja nicht gleich eine Sinfonie oder eine Fuge sein ;) . Es reicht schon, wenn es etwas Simples ist, das sich nur um das eigene Instrument dreht, Komposition ist Komposition. Wer ein Menuett-G-Dur spielen kann und weiß, was da harmonisch passiert, sollte dann auch bereits über ausreichende Kenntnis verfügen, das zu adaptieren und etwas Vergleichbares zu schreiben.

Und umgekehrt: Wie gewissenhaft ist ein Anfänger auf einem jeweiligen Instrument?
Ich würde z.B. vermuten - allein aufgrund der technischen Anforderungen, die eine Geige stellt - dass selbst ein Amateur-Geiger mehr Disziplin an den Tag legt als ein durchschnittlicher Amateur-Gitarrist. Einfach, weil er muss - sonst kann er an der Stelle das Instrument gleich in die Ecke stellen und nie wieder anrühren. Mit anderen Worten: Selbst das untere Ende der Verteilung der Gewissenhaftigkeit dürfte bei Geigern immer noch höher liegen als das untere Ende dieser Verteilung für Gitarristen. Die Gitarre verzeiht einfach wesentlich mehr Fehler als die Geige, deshalb kommen auf ihr auch mehr Schlendriane durch :) .

Wie gesagt, auch das sind an dieser Stelle nur Vermutungen, weil ich bislang keine Studie finden konnte, die direkt den Zusammenhang zwischen Big Five und Instrumentenwahl untersucht hat, sondern lediglich Instrumentenwahl - Geschlecht und Big Five - Geschlecht. Aber ich denke, ich habe erläutert, wie ich zu diesen Vermutungen gekommen bin.
 
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