Persönlichkeit und Selbstselektion bei Genres und Instrumenten

Strato Incendus
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Ich habe lange überlegt, in welches Subforum das hier am besten passt - und wie ich es am besten betiteln soll. Ich hätte es provokant formulieren können als "Sag mir dein Instrument und ich sag dir, wer du bist"... aber das wäre ein Rückschluss auf das Individuum auf Basis einer Gruppenzugehörigkeit, und davon halte ich nichts. :D Ich würde es eher umgekehrt sehen als "Sag mir, wer du bist, und ich sag dir, welches Instrument für dich das passende ist."

Disclaimer: In diesem Beitrag verwende ich ein paar mal die Schlagwörter "konservativ" und "liberal"; das bezieht sich jedoch allein auf Persönlichkeitsmerkmale von Individuen und ist nicht als Startschuss für politische Diskussionen gedacht - die sind bekanntlich von Seiten der Moderation nicht gewünscht, also auch hier nicht! ;)

Disclaimer 2: Eine Aussage über eine Korrelation ist weder eine Kausalaussage, noch eine deterministische Verallgemeinerung für jedes einzelne Individuum ;) . Ich sage also bspw. nicht "Alle Geiger sind so, alle Gitarristen sind so..." etc., sondern z.B. "unter Geigern findet man mehr Leute, die..."



Also: Meine Überlegung startete ausgehend von der Beobachtung, dass in der E-Musik / "Klassik" größtenteils noch dieselben alten Werke wie vor Jahrhunderten gespielt werden, während in der U-Musik / Pop das eigene Schreiben oder zumindest ständiges Vorlegen von etwas Neuem Grundvoraussetzung ist. Von der Filmmusik einmal abgesehen - wovon es dann ein paar wenige Komponisten wie Hans Zimmer, Klaus Badelt oder Ramin Djawadi schaffen, in den "Kanon" der Orchester aufgenommen zu werden - spielen die meisten Formationen doch weiterhin am liebsten Mozart, Haydn und Beethoven. :) Und Filmmusik ist ja "anlassgebunden", also wird geschrieben, weil sie für einen Film gebraucht wird - ich höre nur selten von "neuer" klassischer Musik, die um ihrer selbst Willen geschrieben wird.

Demnach habe ich mich schon lange gefragt: Ja, gibt es denn in der E-Musik so wenige Komponisten? Hat niemand den Ehrgeiz, der nächste Mozart zu werden und den Kanon mit ureigensten Kompositionen um das 21. Jahrhundert zu erweitern?

Die Frage führte mich weiter dazu, welche Instrumente in welchem Genre gespielt werden - und damit auch, welches Instrument welche Persönlichkeiten anlockt. Dass Selbstdarsteller eher zur E-Gitarre oder zum Mikro greifen werden als zum Bass, dürfte für die meisten relativ naheliegend sein :D .

Vielleicht ist der ein oder andere von euch vertraut mit dem Persönlichkeitsinventar der "Big Five". Zwei dieser fünf Konstrukte sind die Dimensionen
  • "Gewissenhaftigkeit" (landläufig würde man wohl sagen "Disziplin") und
  • "Offenheit für Erfahrungen" (mit letzterer korrelieren auch viele Maße für Kreativität).

Jetzt kommt das mit "konservativ" und "liberal" hinzu: Der kanadische Psychologe Jordan Peterson hält in einem seiner Vorträge fest:
  • Konservative Menschen haben im Durchschnitt höhere Werte für Gewissenhaftigkeit und eher geringe bei Offenheit für Erfahrungen. Damit seien sie gut darin, etablierte Systeme am Laufen zu halten, jedoch schlechter darin, sich neue Sachen auszudenken.
  • Liberale Menschen haben im Durchschnitt niedrigere Werte für Gewissenhaftigkeit und höhere bei Offenheit für Erfahrungen. Dadurch könnten sie sich gut auf neue Dinge einlassen oder sich selbst welche überlegen, hätten jedoch Schwierigkeiten damit, das neu Geschaffene dann am Laufen zu halten.

Ich selbst hätte bspw. riesige Probleme als Musiker in einem Orchester, Chor oder einer Bigband. Einerseits aufgrund des hohen Anspruches an die handwerklich-technische Präzision beim Spielen des Instruments. Andererseits aber auch aus kreativer Sicht: Einbringen eigener Ideen ist dort nicht nur aufgrund der Tradition schwierig, weil man meist erstmal die Sachen von etablierten, anderen Komponisten spielt - es ist auch rein aufgrund der Größe der Ensembles schwierig, denn wenn einer mitreden will, wollen viele andere das ja auch.

Andere Menschen hingegen sind genau darüber froh, wenn man ihnen etwas vorsetzt, an dem sie dann ihr Talent demonstrieren können. Viele Musiker graust es dann doch davor, sich etwas eigenes auszudenken (insbesondere beim Text, habe ich so den Eindruck ^^, aber die Musik selbst zählt auch mit dazu), dabei haben sie so viel Zeit darin investiert, ihr Instrument perfekt zu lernen und alle Nuancen von Techniken zu beherrschen. Wenn man diesen Musikern genau sagt, was sie tun sollen, können sie das dementsprechend ziemlich schnell nahezu perfekt umsetzen.


Es scheint also so:
  • Im Orchester ist Gewissenhaftigkeit / Disziplin wichtiger als Offenheit für Erfahrungen / eigene kompositorische Kreativität. Damit lockt das Orchester - und die Instrumente, die hauptsächlich bzw. ausschließlich im Orchester gespielt werden - vorwiegend konservative Menschen an.
  • In der Band hingegen wird die Gewissenhaftigkeit / Disziplin gerne mal zugunsten der freien kreativen Entfaltung schleifen gelassen. Dadurch findet man unter den Kreativen des Rock/Pop-Bereichs vorwiegend Liberale.


Wählen wir also womöglich unser Instrument gar nicht so frei, wie wir das gerne glauben würden?
:gruebel: Könnte man auf Basis von Scores im Big Five-Fragebogen unter Musikern vorhersagen, wer tendenziell welches Instrument spielt?


Nicht zuletzt würde dieser (wohlgemerkt rein induktive!) Erklärungsansatz ja auch die Herkunft einiger verschiedener Musiker-Klischees etwas nachvollziehbarer machen :D .

"Eugen-Jonathan, mäßige dich, oder dein Violinenunterricht entfällt!" ist ein gerne mal zitierter Satz, der mit mehreren Schlagwörtern impliziert, dass der E-Musiker in der landläufigen Wahrnehmung eher aus konservativem Hause kommt.

Umgekehrt könnte man sich die meisten typischen Band-Katastrophenstories - von Musikern, die lieber Geld in ihr Tattoo investieren als in ihr Equipment, regelmäßig Proben verschlafen, oder denen das Bier nach dem Auftritt wichtiger ist als die Leistung auf der Bühne selbst - mit einem klassischen Ensemble gar nicht vorstellen. Wer sich da dermaßen hängen ließe, würde ziemlich zügig achtkantig rausfliegen - und Ersatz wäre vermutlich auch schneller gefunden, weil der einzelne bei so einer großen Personenzahl eher ein Rädchen im Getriebe ist. Genau deshalb würde das Getriebe aber auch nicht funktionieren, wenn einer gegen den Strom arbeitet.


Interessanterweise habe ich dann noch abschließend den Eindruck: Je professioneller eine Gruppe ist, desto mehr nähern sich diese beiden Pole an! :)

Man merkt bereits bei Jazz-Bands, dass sie irgendwo in der Mitte sind: Big Bands haben auch eine große Personenzahl, alle müssen entsprechend präzise zusammenspielen und maßgeblich vom Blatt, und der Jazz der heutigen Zeit wird auch zusehends "akademischer". Gleichzeitig gehört hier aber im Gegensatz zur Klassik das Improvisieren elementar mit dazu. Und man versucht, Stimmung beim Publikum zu machen. Wo in der Klassik meist andächtig gelauscht (und ggf. Fehler gezählt :D ) wird und im Rock/Pop-Bereich auf Seiten des Publikums getanzt und gesprungen wird, steht das Jazz-Publikum irgendwo dazwischen und "wippt mit", wie der Leiter unserer Schul-Bigband damals sagte :) .

Profis aus dem Rock/Pop-Bereich sind dann oft diejenigen, die zwar dieses kreativ-freigeistige Element haben, denen es jedoch auch gelungen ist, sich die notwendige Disziplin anzueignen, um längere Tourneen zu organisieren und ein Studioalbum innerhalb der gesetzten Deadline abzuliefern.

Und die beliebtesten Klassik-Musiker sind wiederum oft solche, die "nahbarer" wirken, weil sie neueres Material wie eben Filmmusik mit in ihr Repertoire nehmen, dazu auf der Bühne dieselbe Lockerheit ausstrahlen wie Rock-Musiker, und das Publikum dementsprechend auch stärker mit einbeziehen (bestes Beispiel: David Garrett). Manche fangen dann auch an, eigene Songs zu schreiben (an Geigern fielen mir da jetzt auf die Schnelle Alexander Rybak oder Lindsey Stirling ein). Wobei diese sich damit ironischerweise jedoch oft wieder von der Klassik entfernen.


Wenn es also gezielt um die Frage geht "Wer wird Komponist?" bzw. "Warum kennt man speziell aus der E-Musik so wenig neue Komponistennamen?", würde ich die immer noch eher unter Pianisten suchen. Nicht umsonst wurde das Klavier ja früher auch das "Taschenorchester" genannt, weil man damit alle Stimmen gleichzeitig hörbar machen konnte. Da hat man es leichter, sich die komplette Partitur vorzustellen, als wenn man Spieler eines einzelnen Melodieinstrumentes aus dem großen Ganzen namens "Orchester" ist. Umgekehrt beinhalten jedoch viele für Orchester geschriebene Stücke selbst gar kein Klavier. Leute, die also auf ihrem eigenen Instrument etwas spielen, das sie auch selbst geschrieben haben, dürften in der E-Musik immer noch eine relativ kleine Schnittmenge sein.

Aber vielleicht ändert sich das ja in der heutigen Zeit von Finale, Sibelius & Co., wo man nicht mehr zwangsläufig Pianist sein muss, um alle Noten seiner Orchesterpartitur simultan hörbar zu machen? :rolleyes:

Oder bestimmt unsere Persönlichkeit unsere Instrumenten- und Genrewahl weiterhin soweit, dass in der E-Musik immer noch mehr Menschen sein werden, die lieber diszipliniert das Stück eines anderen minutiös nachspielen, als selbst zu komponieren - und in der U-Musik weiterhin vorwiegend solche, die lieber einen Song komplett durch Jammen schreiben, als Notenlesen zu lernen? :D
 
Eigenschaft
 
Auf die anderen Aspekte will ich nicht eingehen, weil ich keine Ahnung habe, wozu das gut sein und wohin das am Ende führen soll, aber dazu …

Demnach habe ich mich schon lange gefragt: Ja, gibt es denn in der E-Musik so wenige Komponisten? Hat niemand den Ehrgeiz, der nächste Mozart zu werden und den Kanon mit ureigensten Kompositionen um das 21. Jahrhundert zu erweitern?

… reizt es mich schon, meine Meinung kundzutun:

Es gibt durchaus haufenweise moderne symphonisiche E-Musik. Nur schafft sie es nicht bis ins Bewußtsein eines größeren Publikums, weil … weil … ähm. … weil man sich die schlicht nicht anhören kann. Oder, freundlicher ausgedrückt: Weil sie sehr oft SEHR gegen die Hörerwartung eines breiteren Teil der potentiellen Hörerschaft geht.
Oft stehen auch irgendwelche verkopfte, theoretisch begründete Konstrukte hinter den Kompositionen, die wohl in einem geschriebenen Begleittext plausibel klingen mögen, aber die die Musik selbst für den Konsum um nichts angenehmer zu hören machen.

WENN einer das Zeug hätte, wirklich ein moderner Mozart zu sein, dann würde er wohl von der allgemeinen Kritik als konservativ und/oder nicht innovativ genug gebrandmarkt werden.

Das ist halt der Zeitgeist heute.

LG

Thomas
 
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Ja, diese Strömungen sind mir bekannt, wir hatten in der Oberstufe in Musik mal eine ganze Einheit zu "neuer Musik". Und ich Naivling dachte schon, wir würden uns da endlich mal mit Contemporary-Sachen befassen :D ...

An der Filmmusik sieht man aber ja, dass "klassischere" Klänge durchaus noch mehrheitsfähig sind. Statt sich also in, wie du richtig gesagt hast, "verkopften" Genres wie Zwölftonmusik zu verwirklichen, bräuchte es lediglich Leute, die wie Mozart oder Beethoven "Mut zum Ohrwurm" haben und ganz "normale" neue Stücke im Stile der alten Klassiker schreiben - mit ihrem eigenen kompositorischen Stempel, versteht sich, nicht als reine "in Style of Mozart"-Tribute Show. :p

Tatsächlich bestärken mich aber solche extrem regelgeleiteten Kompositionstechniken wie Zwölftonmusik, oder das, was z.B. Arvo Pärt gemacht hat, noch weiter in meiner Theorie: In diesen Genres kann man teilweise ein komplettes Stück maßgeblich von diesen selbst auferlegten Regeln konstruieren lassen, anstatt auf eigene (mitunter fehlende?) Kreativität zurückgreifen zu müssen - und hat dann auch noch die Ausrede, man dürfe es ja nicht anders.

Während es zeitweise durchaus interessant sein kann, sich absichtlich einzuschränken und, wie unser Priester einmal sagte, "seiner Freiheit einen Rahmen zu geben", ist diese Kompositionsweise so automatisch, weil automatisiert, dass man sie im Prinzip auch gleich einem Algorithmus überlassen könnte. Denn im konsequenten Regelbefolgen sind Computerprogramme immer noch am besten! :D

Das, was du beschreibst, passiert meiner Wahrnehmung nach vor allem dann, wenn man versucht, mit Gewissenhaftigkeit Kreativität zu erzwingen. Also quasi auf Kommando etwas zu schreiben.

Entweder kommt dann eben etwas heraus, was mit Gewalt besonders alternativ zu sein versucht und gegen so viele Zuhörererwartungen gleichzeitig verstößt, dass es sich nur noch die wenigsten Menschen anhören können - oder aber etwas so Beliebiges, dass es im Grunde nur ein Wiederaufwärmen bewährter Rezepte ist.

Ich leihe mir da mal kurz von anderswo die Begriffe "Push- und Pull-Faktoren" aus:

Wer sich mit Disziplin zur Kreativität zwingt, prügelt sich quasi zur schöpferischen Leistung (push), auch wenn er eigentlich gerade nicht kreativ ist. Manchmal muss man das machen, weil man eine Deadline einzuhalten hat - dürfte also in der Musikindustrie durchaus häufiger vorkommen. Entsprechend austauschbar klingen die Produkte von diesem Ansatz dann aber.

Wer hingegen einen kreativen Geistesblitz hat, kann dadurch auf einmal motiviert werden, sich reinzuhängen, selbst, wenn er eigentlich nicht besonders diszipliniert ist (pull). Da wird man also quasi von seiner eigenen "göttlichen Eingabe" an der Hand gepackt und vorwärts gezogen. Dummerweise lässt dieser kreative Drive meistens wieder nach, sobald das aktuelle Projekt fertig ist (fertig geschrieben / fertig aufgenommen). Aber immerhin, dann hat man etwas erreicht, das nicht forciert ist! :)
 
Ach … das mit der Kreativität ist so eine Sache …
Das halte ich auch für eines gehyptes Märchen. Der Geistesblitz von außen, der einen völlig unerwartet und ohne eigenes Zutun durchfährt … ich habe da gröbste Zweifel.
Nicht wenige der großen Komponisten beschrieben und beschreiben ihre Arbeitsweise eher mit "um 8 Uhr pflege ich mich hinzusetzen und zu komponieren" … also: einfach MACHEN. Je nach Qualität der ausführenden Person, kommt dann eben etwas Geniales heraus, … oder eben nicht.

Thomas
 
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Ich selbst hätte bspw. riesige Probleme als Musiker in einem Orchester, Chor oder einer Bigband. Einerseits aufgrund des hohen Anspruches an die handwerklich-technische Präzision beim Spielen des Instruments. Andererseits aber auch aus kreativer Sicht: Einbringen eigener Ideen ist dort nicht nur aufgrund der Tradition schwierig, weil man meist erstmal die Sachen von etablierten, anderen Komponisten spielt - es ist auch rein aufgrund der Größe der Ensembles schwierig, denn wenn einer mitreden will, wollen viele andere das ja auch.

Das sehe ich genauso.
Mitspielen in einem Orchester ist für mich Sklavenarbeit und eines echten Künstlers unwürdig:evil::evil::evil:

Glücklicherweise bin ich durch mein technisches Unvermögen sicher davor geschützt in irgendein Orchester gezwungen zu werden:D

Ich gebe zu, dass Bach und Mozart wirklich gute Musiker waren, trotzdem spiele ich lieber Eigenkompositionen auf der E Gitarre:cool:
 
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Ich kann ehrlich gesagt nicht recht einschätzen, ob das ernst gemeint war oder nicht. Aber falls JA:

Möglicherweise ist Dir bis jetzt diese Art der Befriedigung versagt geblieben, mit der man erfüllt ist, wenn man Teil eines funktionierenden, großen Ganz wird.
Und: Alleine auf seiner E-Gitarre herumzududeln macht einen noch nicht automatisch zum Künstler … :D

Falls NEIN: Bitte obiges ignorieren.

Thomas
 
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Nicht wenige der großen Komponisten beschrieben und beschreiben ihre Arbeitsweise eher mit "um 8 Uhr pflege ich mich hinzusetzen und zu komponieren"
Allerdings, die großen Komponisten war in ihrer Zeit letztendlich nichts anderes als "Musikindustrie". Händel's Feuerwerksmusik z.B. war wie viele andere letztendlich Auftragsarbeit.
 
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Allerdings, die großen Komponisten war in ihrer Zeit letztendlich nichts anderes als "Musikindustrie". Händel's Feuerwerksmusik z.B. war wie viele andere letztendlich Auftragsarbeit.
Wenn es nun aber einen Unterschied zwischen industrieller und handwerklicher Produktion gäbe?
 
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Mozart hat auch viele Auftragsarbeiten geschrieben. Dennoch bewegte er sich einfach auf einem anderen Level von Genialität als das handelsübliche Komponistengenie. Und die Ouvertüre zu Don Giovanni hat er in der Nacht vor der Uraufführung verfasst. Wenn man bedenkt, dass nach dem Kompnieren noch handschriftlich die einzelen Instrumentenstimmen abgeschrieben werden mussten, um das ganze dann nochmal zu proben, kann man das schon als "mit ganz heißer Nadel gestrickt" bezeichnen - also doch eher das chaotische Genie als der gewissenhafte Arbeiter...

Als lupenreiner Amateur und U-Musiker habe ich mich in jungen Jahren immer auf den heftigen Kuss der Muse verlassen, der es mir ermöglichte, die Musik für einen kompletten Song an einem Stück herunterzuschreiben (den Text dann in den Folgetagen). Seinerzeit hat das einigermaßen geklappt, da hatte ich einfach genügend Zeit für diese (zumindest bei mir) recht ineffektive Vorgehensweise. Ineffektiv, weil wirklich viel zusammenkommen musste, damit das passieren konnte - und so ist es auch nur ein paarmal pro Jahr so passiert.

Heutzutage muss ich in Bezug auf die Kreativität mehr Druck auf den Kessel geben, indem ich regelmäßig (und phasenweise auch mit einer gewissen Disziplin) inspirierende Musik höre, inspirierende Bücher lese, mit interessanten Menschen rede oder an interessante Orte fahre, immer ein Notizbuch oder das Smartphone mit mir herumtrage, in dem ich meine paar Ideen festhalte, um später daran weiterarbeiten zu können. Durch Anwendung von ein wenig Disziplin schaffe ich es, mit meiner nun viel knapperen Zeit mehr Output zu generieren als in meiner vergeudeten Jugend. Aber auch das verläuft in "heißen" und "kalten" Phasen, es gibt also nach wie vor kreative Phasen und weniger kreative.

Bin ich nun eher liberal oder eher konservativ? Das wüsste ich manchmal selber ganz gerne. Jedenfalls wurde ich überwiegend konservativ erzogen und (als Ingenieur) auch so ausgebildet. In manchen Bereichen bin ich das auch nach wie vor. In anderen Bereichen habe ich mich davon befreit, bin liberaler, freier, aber auch chaotischer geworden.

Meine Instrumente: Gitarre (hauptsächlich E-, aber auch ein wenig A-) und Bass.
Meine Stilrichtung: Im weitesten Sinne Rock, Pop, Soul, Folk, aber auch etwas Prog und ein wenig Experimental.
 
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...während in der U-Musik / Pop das eigene Schreiben oder zumindest ständiges Vorlegen von etwas Neuem Grundvoraussetzung ist...
da liegt schon ein großer Denkfehler - wieviel Neues gab es in den letzten 50 Jahren, das 1-2 Jahre überdauert?
Wieviel wird einfach in anderer Richtung durch den Wolf gedreht und behauptet es wäre neu?
--- Beiträge wurden zusammengefasst ---
...Mitspielen in einem Orchester ist für mich Sklavenarbeit und eines echten Künstlers unwürdig:evil::evil::evil:...
wenn man sein Handwerk kann, macht es Spaß, wenn man es nicht kann, dann isses Sklavenarbeit!
 
da liegt schon ein großer Denkfehler - wieviel Neues gab es in den letzten 50 Jahren, das 1-2 Jahre überdauert?

Das drehe ich direkt herum und sage: Es überdauert deshalb nicht mehr als 1-2 Jahre, weil nach diesen 1-2 Jahren bereits das nächste Neue vor der Tür steht! :D

Schnelllebigkeit entsteht nicht nur durch den geringen "Nährwert" eines einzelnen Musikstücks, sondern auch durch die Frage, wie schnell man an etwas Neues gelangt.

Oder anders gesagt: Von einmal Fast Food essen wird man nicht dick ;) .

Wenn du mich auf einer einsamen Insel aussetzt, wo ich nur Strom, aber keinen Zugang zu iTunes, YouTube und Spotify hätte, müsste ich mit der Musik auskommen, die ich auf dem iPod dabeihabe - und würde dann im Zweifel auch weniger "gehaltvolle" Musik öfter hören.
 
Prof. Dr. Dave Chappelle hat herausgefunden:
Weiße = E-Gitarre
Schwarze = Drums
Latinos = E-Piano


 
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Das passiert meiner Wahrnehmung nach vor allem dann, wenn man versucht, mit Gewissenhaftigkeit Kreativität zu erzwingen.
Ein schlauer Mann hat mal gesagt: "Anfänger (oder "Jammerlappen?") warten auf Inspiration. Profis setzen sich hin und fangen an zu arbeiten."
  • Im Orchester ist Gewissenhaftigkeit / Disziplin wichtiger als Offenheit für Erfahrungen / eigene kompositorische Kreativität.
  • In der Band hingegen wird die Gewissenhaftigkeit / Disziplin gerne mal zugunsten der freien kreativen Entfaltung schleifen gelassen
Klassik = Will Kustwerk erschaffen
Pop = Will Leute zum tanzen/schunkeln/bangen bringen

So einfach ist das ;)

Es gibt eine Menge "ernster" Komponisten und soweit ich weiß werden die ganz gut subventioniert... und ja ihre Musik ist Scheiße.
 
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Ein schlauer Mann hat mal gesagt: "Anfänger (oder "Jammerlappen?") warten auf Inspiration. Profis setzen sich hin und fangen an zu arbeiten."

Dann habe ich wohl Glück, denn ich muss auf Inspiration eigentlich nie warten... die kommt von alleine, wenn man mit offenen Augen durch die Welt geht :) . Ich muss eher aufpassen, dass ich mich vor lauter zu vielen verschiedenen Ideen nicht verzettele (=divergentes Denken, a.k.a. Brainstorming). Dann hat man nämlich viele angefangene Sachen, aber nichts zu Ende gebracht.

Das "sich hinsetzen und anfangen zu arbeiten" ist bei mir demnach dann eher fürs Fertigstellen eines einzelnen, spezifischen Projekts nötig (=konvergentes Denken) . Also, man hat z.B. Strophe, Pre Chorus, Refrain alles fertig, aber irgendwie muss dann noch ein Zwischenteil da hin, weil man merkt, irgendwas fehlt noch (z.B. Song braucht ein Solo, oder generell nochmal einen C-Teil, um "aus einer anderen Perspektive" zurück zum Chorus zu finden etc.).

So etwas kann ich durchaus mit Disziplin "erzwingen" - dann wird der genannte Abschnitt (nicht unbedingt das gesamte Lied, aber eben bspw. der C-Teil) jedoch zwangsläufig etwas generischer, weil ich ihn ja auf Basis meines Wissens nach dem Baukastenprinzip zusammensetze. Je größer die musikalischen Kenntnisse, desto mehr kann man natürlich auch hier bewusst variieren und damit den "Bauplan"-Charakter immer besser verschleiern.

Aber nicht umsonst arbeiten viele Profis auch gerne mit ausgelutschten Konzepten wie Four Chord-Songs :D . Einerseits natürlich, weil die sich erwiesenermaßen immer gut verkaufen - aber wenn man dieselbe Akkordfolge dann das gesamte Lied durchzieht, würde ich demjenigen doch etwas mehr Inspiration zurückwünschen :p ...
 
Dinge, die funktionieren setzen sich Durch. Seit 500 jahren gibt es vorläufer der Kadenz. Erfolgsmodell muss ja nicht bedeuten, dass etwas ausgelutscht ist. Man kann auch ewig so Radioheadmäßig sein eigenes (Leck mich am Arsch Musikindustrie-)-Ding machen.

So etwas kann ich durchaus mit Disziplin "erzwingen" - dann wird der genannte Abschnitt (nicht unbedingt das gesamte Lied, aber eben bspw. der C-Teil) jedoch zwangsläufig etwas generischer, weil ich ihn ja auf Basis meines Wissens nach dem Baukastenprinzip zusammensetze.
Du musst ja nicht alles mögen was Dir eingefallen ist wenn Du nach Termin komponierst.
Du musst auch nicht nach Termin fertig werden. Ich denke es geht (bei dem Zitat) darum, dass man sich nicht dahinter verstecken soll, dass man auf Kreativität warten würde, wenn etwas ewig liegen bleibt. Daran zu arbeiten, ohne dass man eine (selbst bewertet) gute Idee hat ist ja auch daran arbeiten. Eine Sache, die man vor allem "Nicht Künstlern" nur schwer vermitteln kann. Wenn man 5 Jahre braucht um ein neues Album, Roman, Drehbuch zu schreiben, heißt das nicht, dass man 4 Jahre nicht daran "gearbeitet" hat.

Brahms hat 10 Jahre oder so an seiner ersten Sinfonie gearbeitet. (=> ja die Story ist komplexer, die Daten sind vermutlich anders und Beethoven ist Schuld. Sorry Wiki funktioniert heute nicht. Ich werds nicht nachlesen.)
 
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dass in der E-Musik / "Klassik" größtenteils noch dieselben alten Werke wie vor Jahrhunderten gespielt werden, während in der U-Musik / Pop das eigene Schreiben oder zumindest ständiges Vorlegen von etwas Neuem Grundvoraussetzung ist.
Ja, gibt es denn in der E-Musik so wenige Komponisten?
und ja ihre Musik ist Scheiße.

Ich kann das nicht so ganz nachvollziehen. Was ist mit Steve Reich, Philipp Glass, Ferneyhough, John Cage, Ligeti, Stockhausen, Boulez ...











noch'n Video:
https://www.youtube.com/watch?v=-iVYu5lyX5M


Ich höre die Musik gerne, finde sie nicht "Scheiße", sondern ziemlich klasse, und es gibt auch eine ganze Menge dieser Musik, und eine ganze Menge Komponisten, die solche Musik schreiben.

Natürlich ist es so, daß auch mir nicht sämtliche zeitgenössische Stücke gefallen, weil sie Zeitgenössische Musk sind. Es gibt auch da tollere und weniger tolle Werke. Ich höre aber auch gerne Rock, Jazz, Latin, Blues, Pop, Klassik, Volksmusik (die ursprüngliche), Singer Songwriter, Rap, Hip (Trip, Bip oder sonstigen) Hop, Metal, indische Musik, balinesische Gamelanmusik, mongolischen Kehlkopfgesang usw. usf., und überall da gibt es ebenfalls tolle und weniger tolle Musik. Auch bei Beethoven und Bach! Ich höre mir meistens die tollere Musik an, egal in welchem Genre. Bei der schlechten Musik, egal in welchem Genre, höre ich weg, schalte aus oder verlasse die Veranstaltung.

Und ich bin fest überzeugt davon, daß in der aktuellen Popmusik weit mehr Kohle über die Ladentheke läuft, als in der Neuen/Zeitgenössischen Musik subventioniert wird, oder jemals subventioniert wurde. Ein Teil (vermutlich der größere Teil) der Kohle fließt in Massenveranstaltungen direkt vom Konsumenten an die "Künstler" (wenn es denn welche sind), ein Teil fließt über Steuergelder mittles Subvention an andere Künstler (wenn es denn welche sind). Und ich finde es gut, daß diese Subventionen möglichst breit gestreut sind, denn nur durch breite Streuung kann man sicher gehen, daß die Spitzentalente in ihrem Genre auch entdeckt und gefördert werden. Und die, die die meiste Kohle abkriegen, sind nicht zwangsläufig die, die die beste Musik machen (Dieter Bohlen).

Ich selber schreibe in unterschiedlichen Genres. Ideen durch Inspiration werden normalerweise unmittelbar irgendwie festgehalten und skizziert. Wenn es ans Ausarbeiten geht, kann ich mich normalerweise durch die Beschäftigung mit den Skizzen erneut inspirieren. Disziplin in dem Sinne, daß ich mich zwingen muß, etwas fertigzustellen, ist normalerweise nicht nötig. Wenn etwas nicht fertig wird, liegt es eher daran, daß die Zeit fehlt ... :redface:

Viele Grüße,
McCoy
 
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Ich höre die Musik gerne, finde sie nicht "Scheiße", sondern ziemlich klasse, und es gibt auch eine ganze Menge dieser Musik, und eine ganze Menge Komponisten, die solche Musik schreiben.

Mir sagen aus der von dir genannten Liste nur Stockhausen und John Cage was, letzterer hauptsächlich dafür, dass er das langsamste Stück der Welt komponiert hat, wo alle paar Jahre mal eine Note ausgetauscht wird.

Du persönlich kannst das ja gerne gut finden, aber ich denke, wir können uns darauf einigen, dass alle von dir verlinkten Stücke - mit Ausnahme dessen von Philip Glass - einen großen Haufen auf die klassische Harmonielehre machen und komplett chromatisch / atonal spielen. Und wenn das Philip Glass-Stück wie im Videotitel beschrieben von 1937 ist, ist es jetzt auch nicht mehr gerade das jüngste.

Die anderen genannten Komponisten machen für mich oft den Eindruck, als seien sie der Meinung, sie wären über Mozart, Beethoven und Bach erhaben - und würden sich dann wundern, dass die Orchester weiterhin größtenteils diese "ollen Kamellen" (positiv gesagt "Evergreens" ;) ) spielen, anstatt ihre tolle, neue Musik. :p

Es steht wohl außer Frage, dass die Werke der berühmten Barock-, Klassik- und Romantikkomponisten mehrheitsfähiger sind als atonale Stücke - aber sind sie deshalb etwa "Mainstream"? ;) Sonst wird sich doch immer beschwert, dass so wenige Leute heute noch was mit Klassik anfangen können - tja, wie auch? Die alten Sachen haben zwar Massenappeal, aber sämtliche Generationen haben sie bereits ewig oft gehört; und die neuen Sachen sind zwar "frisch", haben aber stilistisch nichts mehr mit den alten zu tun.

Wer hat folglich den meisten Erfolg? Die Filmmusikkomponisten, die sich zwar einerseits natürlich an große Franchises dranhängen, andererseits aber auch einfach frech-eingängige, größtenteils diatonische Stücke schreiben und die dann von einem Orchester vertonen lassen.

Für die Eingangsfrage des Threads wäre aber vor allem relevant, welche Instrumente Stockhausen, Cage & Co. selbst gespielt haben. Und siehe da: Beide vor allem Klavier. :)

Es scheint auch wenig überraschend: Solch ein Tonchaos überlegt man sich wahrscheinlich eher durch spontanes Herumklimpern auf dem Tastenkasten statt z.B. als einzelner Klarinettist in einem großen Orchester :D .
 
Tonchaos?







Wem das zu eingängig ist, geht einfach in den nächsten Blockbuster-Film mit orchestraler Musik und macht die Ohren auf. Was es dort zu hören gibt, ist häufig "chaotischer" und anstrengender als die übrige zeitgenössische Musik.
 
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Für die Eingangsfrage des Threads wäre aber vor allem relevant, welche Instrumente Stockhausen, Cage & Co. selbst gespielt haben. Und siehe da: Beide vor allem Klavier. :)

Es scheint auch wenig überraschend: Solch ein Tonchaos [. . .]

Bitte nicht aus dem Kontext reißen ;) . Das bezog sich auf die bisher genannten Namen aus dem Bereich "neue Musik". Die von dir verlinkten Stücke sind natürlich deutlich diatonischer - aber eben auch von komplett anderen Komponisten. Das hier scheint mir weitaus mehrheitsfähiger - leider sind mir diese Namen noch weniger bekannt als die der oben genannten Freunde der Atonalität.

Jetzt ist die Frage: Liegt das bloß am ignoranten Zuhörer? Oder an der von einem der ersten Poster erwähnten Mentalität der Orchester, die lieber entweder weiterhin mit den Evergreens Mozart und Bach ihre Konzertwerbung machen, oder aber, wenn sie darauf aufmerksam machen wollen, dass sie auch Neues spielen, mit Stockhausen und Cage? :D

Wem das zu eingängig ist, geht einfach in den nächsten Blockbuster-Film mit orchestraler Musik und macht die Ohren auf. Was es dort zu hören gibt, ist häufig "chaotischer" und anstrengender als die übrige zeitgenössische Musik.

Ich verstehe, was du meinst; hier kommt es allerdings häufig auf die Szene an. Filmmusik arbeitet an bestimmten, spannungsreichen Stellen gerne mal mit Dissonanzen - da wartet dann nicht nur der Zuschauer drauf, dass die Spannung der Szene sich auflöst, sondern auch sein Ohr darauf, dass die der Musik es tut. Wir hatten in der Oberstufe auch mal ein Filmmusikprojekt, wo wir selbst eine Szene neu vertonen sollten, da habe ich auch für diesen Zweck an bestimmten Stellen mit deutlich mehr Chromatik gearbeitet. Das versteht man als Zuschauer dann aber meist nur im Kontext mit dieser Szene, d.h. wenn man sie entweder dabei tatsächlich anschaut, oder aber beim Hören genau in Erinnerung hat, welche Funktion dieser Abschnitt hat und damit die Szene quasi vor seinem "geistigen Auge" sieht.

Meist sind es dagegen die Hauptthemen von Filmen, die am ehesten alleinstehen können, also wie reguläre Orchesterstücke von damals. Und von Star Wars und Star Trek über den Herrn der Ringe und Fluch der Karibik bis hin zu Game of Thrones sind die doch größtenteils diatonisch, mit hier und da eingeworfenen Chromatiktönen, meist als Durchgangsnoten oder Verzierung, während der Kern der Melodie sich immer noch in einer ganz normalen Dur- oder Molltonleiter ausdrücken lässt.

Das Hauptthema, das mir spontan einfällt und da am ehesten rausfällt, ist das von Harry Potter. Da wird beides im Wechsel genutzt: Die jeweils erste Zeile ist natürlich-moll, die jeweils zweite enthält Chromatiktöne, die auch ganz charakteristisch die Melodie kennzeichnen.

Wichtig ist eben auch hier, dass letzteres nicht Überhand nimmt; das Ohr findet immer wieder in die Ausgangs-Molltonart zurück.
 

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