Vierer-Strukturen in der Musik

  • Ersteller Theo Retisch
  • Erstellt am
Theo Retisch
Theo Retisch
Registrierter Benutzer
Zuletzt hier
21.04.24
Registriert
14.03.11
Beiträge
2.315
Kekse
43.819
Vorneweg: Falls das das falsche Forum ist, bitte verschieben, aber es wirkte noch am ehesten passend.

Was ich mit dem Thread Titel meine, ist wahrscheinlich jedem der aufmerksam Musik hört und auf die Songstruktur achtet, schon mal aufgefallen. Man braucht nur das Radio anzuschalten und einen beliebigen Song hören. Wenn man darauf achtet, wie häufig einzelne Parts gespielt werden, ist das Ergebniss nahezu immer 4 oder ein Vielfaches davon (8,16 etc.).
Was ich damit meine ist aber nicht zum beispiel der Vers oder ähnliches, sondern musikalische Motive.

ZUM BEISPIEL: Das bekannte Anfangsriff von "Master of Puppets" wird viermal gespielt ehe der nächste Part anfängt, der ebenfalls viermal gespielt wird (auch wenn die letzten beiden Wiederholungen etwas länger sind).

Ob das in der Klassik auch so ist weiß ich nicht und JA ,ich weiß, dass "Master of Puppets" nie im Radio gespielt wird, aber das Prinzip ist klar.

Und jetzt die Frage: Warum ist das so? Falls irgendjemand die Antwort weiß, dann schonmal Danke im voraus; Bei Wikipedia habe ich jedenfalls keine Antwort gefunden.
 
Eigenschaft
 
Gute Frage.

Geht vermutlich zurück auf Urformen der Musik in der Steinzeit, als die Menschen mit Klangerzeugung experimentierten. Schlag' mal zwei Steine gegeneinander: Dein Mitmusiker hört Dich und bestimmt dann über seine Reaktionszeit, d.h. wenn er seine Steine gegeneinander schlägt, wie lang Dein Ton dauert. Du zeigst ihm, daß Du ihn verstanden hast, indem Du nach der gleichen Zeit reagierst, er antwortet usw. Und schon habt ihr einen binären Beat festgelegt.

Mit richtigen Musikinstrumenten kannst Du natürlich ein melodisches oder harmonisch-rhythmisches Statement abliefern, sprich ein Lick oder ein Riff auf der E-Gitarre spielen. Bei Blues-Improvisationen stellt man z.B. gerne ein Lick - gerne über die Tonika - in den Raum, der Partner antwortet, Du antwortest Deinem Partner, und der Partner schließt ab. Voila: eine viertaktige Periode.
Eine viertaktige Periode stellt dann so etwas wie einen Absatz einer Kurzgeschichte dar, die zweite Periode variiert die erste und erzeugt so Spannung, und in der dritten Periode wird die Geschichte aufgelöst. So wird eine Improvisation über ein zwölftaktiges Bluesschema erzeugt.

Unter

http://de.wikipedia.org/wiki/Periode_(Musik) gibt's 'ne gute Erklärung dazu. Auch der Artikel über Call and Response in der Musik unter
http://de.wikipedia.org/wiki/Call_and_Response ist durchaus lesenswert.

Viel Spaß beim Improvisieren!
 
Ein zweiersystem von hebung und senkung ist durch die paarigkeit unserer gliedmaßen wie unsere atmung vorgegeben. Der vierertakt fasst jeweils 2 solche events zusammen, seine penetrante vorherrschaft ist allerdings noch nicht so alt, und die berüchtigte 8taktige periode mit regelmäßigem harmoniewechsel ist ein kind des späten 19. jhs., als eine flut von kommerzieller trivialmusik über die industrie-nationen hereinbrach.
Während der einstimmige, gregorianische gesang dem rhythmus der worte folgte, bei den poetischen madrigalen die akzente auf die verschiedenen stimmen verteilt waren, fassten die tanzlieder, die villanellen sie zur einheit zusammen, denn musik und bewegung mussten koordiniert werden. So hat bis heute jede tanzbare musik einen allgegenwärtigen, hörbaren "beat".
Der dreiertakt ermöglichte eine drehung oder hebung (bei der "volte" und späterem dreher, ländler und walzer), aber Afrika kennt den nicht, und mit afro/amerikanischer folklore eroberte sich der vierertakt die tanzflächen, wummert in allen diskos, und die periodische gliederung prägt sich leicht ein.
 
Zuletzt bearbeitet:
Aha! Darauf wäre ich jetzt nicht gekommen.
Danke.
 
Ich möchte an der Stelle nur kurz anmerken, dass Afrika sehr wohl ternäre Takte kennt und sich gerade auch in traditionellen Tänzen sogar Polyrhythmik findet. Das sind wohl mit die Gründe dafür, dass sich die amerikanische Musik so entwickelt hat, wie sie sich entwickelt hat: Mit dem berühmten Swing-Feel. Auch gibt es afrikanische Rhythmen, bei denen die schweren Zählzeiten schwächer betont oder sogar ausgelassen werden (sodass sie von den Tänzern umso heftiger getanzt werden), was man heute wohl als Off-Beats bezeichnen würde. Aber wie ich die ursprüngliche Frage verstehe, geht es wohl tatsächlich eher um die Periodik, die sich in den meisten Fällen geradzahlig wiederholt. Wie müssen also schauen, dass wir nicht diese "Sinnabschnitte" mit Taktart und dann noch mit Rhythmik durcheinander bringen. Schließlich kann ja auch ein 6/8-Song 4 Strophen aneinanderreihen. Und viele neue fetzige :D Dubstep-Nummern bedienen sich ja ausgiebig triolischer Rhythmen, Synkopen und Verschiebungen:

http://www.youtube.com/watch?v=qZDaT-cxqzc

Und hier noch der alte Wynton über "Big 4":

http://www.youtube.com/watch?v=t9BVe1JH4Ow
 
Daß es in der Musik so viele Vierer-Strukturen gibt, halte ich nur für eine spezielle Ausformung unseres menschlichen Strebens nach Symmetrie. Symmetrien haben den Menschen zu allen Zeiten und in allen Kulturen fasziniert, und so sind sie auf viele unterschiedliche Arten in allen Kulturen vorhanden. Manchmal sind es binäre Symmetrien, z.B. Spiegelungen oder einfache Wiederholungen. Manchmal sind es ternäre Symmetrien, bei denen ein Gegenstand in der Mitte steht und sich andere drumherum gruppieren. Es gibt vielfache Beispiele in der Mathematik, der Kunst, der Musik, im Gartenbau, in der Lyrik, in der Damaturgie, dass erst symmetrische Anordnungen das Begreifen eines Gegenstands vereinfacht oder manchmal erst überhaupt ermöglicht. Die Welt insgesamt ist hochkomplex, und indem die Kultur die Welt u.a. in Symmetrien und kleine begreifbare Einheiten ordnet, ermöglicht sie ein Weltverständnis.

Je stärker nun mit Symmetrien gearbeitet wird, desto einfacher zugänglich ist eine Struktur - eben weil sie vorhersehbar ist. Aber desto langweiliger ist sie auch, nämlich aus genau dem gleichen Grund. Wer sich intensiv und ernsthaft mit Musik beschäftigt, wird ewige 4-taktige Strukturen bald als langweilig empfinden. Aber die einfache Zugänglichkeit solcher Periodik ist absolut ein wichtiger Faktor in der Pop- und Rockmusikproduktion. Da zählt einfache Zugänglichkeit mehr als viele andere Parameter, da meist nur einfach zugängliche Musik wirtschaftlich erfolgreich sein kann. Es gibt nur ganz wenige Bands, die es sich wirtschaftlich leisten können, eine 5-Takt-Phrase zu veröffentlichen ;). Queen, Yes, die Yellowjackets, Dream Theater und die Artrock- und Glamrock-Bands gehör(t)en dazu.

Harald
 
  • Gefällt mir
Reaktionen: 4 Benutzer
Die Welt insgesamt ist hochkomplex, und indem die Kultur die Welt u.a. in Symmetrien und kleine begreifbare Einheiten ordnet, ermöglicht sie ein Weltverständnis.

Das klingt ja schon mal logisch.
 
Wenn man darauf achtet, wie häufig einzelne Parts gespielt werden, ist das Ergebniss nahezu immer 4 oder ein Vielfaches davon (8,16 etc.).
...
Warum ist das so?

Das kann kaum an den Symmetrien liegen, denn:
Manchmal sind es binäre Symmetrien... Manchmal sind es ternäre Symmetrien...

Doch hier liegt der Hund begraben:

Die Welt insgesamt ist hochkomplex, und indem die Kultur die Welt ... in ... kleine begreifbare Einheiten ordnet, ermöglicht sie ein Weltverständnis.

Denn in der Welt werden wir mit Macht mit der Zwei konfrontiert:

hin- und her
rauf und runter
vor und zurück
auf und zu
vorne und hinten
oben und unten
rein und raus
links und rechts
warm und kalt
hart und weich
männlich und weiblich
jung und alt
Tag und Nacht
Leben und Tod
Yin und Yang
Frage und Antwort
usw.

Welche Zahl kann mehr bieten?
Die Zwei galt bereits in der Antike sowie im Mittelalter als erste wirkliche Zahl.

Der Dualist Descartes (1596-1650) erkannte in "Compendium Musicae":

Die "natürlichste« Melodiestruktur" ensteht durch Multiplikation von Takten mit der Zwei (2 x 2 x 2 x 2).

Der Musiktheoretiker, Violinist und Komponist Joseph Riepel (1709-1782) formulierte:
Denn 4, 8, 16 und wohl auch 32 Täcte sind diejenigen, welche unserer Natur dergestalt eingepflanzet, daß es uns schwer scheinet, eine andere Ordnung (mit Vergnügen) anzuhören.
Online-Quelle
Leopold Mozart ermutigte brieflich seinen Sohn Wolfgang, "den Riepl" nicht zu vernachlässigen. Auch Beethoven waren die Schriften Riepels bekannt.

Also, die Zwei und deren Potenzen spielen eine dominierende Rolle, praktisch in der ganzen Welt und zu allen Zeiten. Abweichungen von der Zwei wirken i.d.R. dadurch, daß sie als etwas Besonderes, oft als Kontrast zur Zwei wahrgenommen werden.

Einfache Musik beschränkt sich meist auf die Zwei und ist dadurch leicht aufzunehmen, kann jedoch rasch langweilig werden.

Die Zwei..
beherrscht fast die gesamte Arbeite-, Tanz- und Marschmusik; sie überwiegt in der europäischen Kunstmusik vom Barock über die WienerKlassik bis zur Romantik ebenso wie in der älteren Volksmusik und herrscht fast aussschließlich in Jazz, Schlager und Unterhaltungsmusik jeder Art.
Online-Quelle: Hartmut Vollmar: Einheitliche Theorie des Verses, S. 35

Noch eine kleine "Ehrenrettung" der kommerziellen Trivialmusik vor Hundert Jahren:
Ein eingängiger Schlager von 1908/10, das "Friesenlied" (Wo die Nordseewellen...) weicht von der Zwei ab und ist dennoch zum Volkslied geworden:
7+7 und 8+8 Takte!

Vielleicht passt es hier, weil manchmal eine Meereswelle früher kommt als erwartet?

Friesenlied.jpg
Komponist: Simon Krannig (1866-1936)
Quelle: http://www.singenundspielen.de/Noten/Friesenlied.jpg

Viele Grüße

Klaus
 
Welche Zahl kann mehr bieten?[...]Also, die Zwei und deren Potenzen spielen eine dominierende Rolle, praktisch in der ganzen Welt und zu allen Zeiten. Abweichungen von der Zwei wirken i.d.R. dadurch, daß sie als etwas Besonderes, oft als Kontrast zur Zwei wahrgenommen werden.

Ich habe wegen der starken Stellung der Zahl "3" etwas vorsichtig formuliert...die ja speziell im antiken und christlich-abendländischen Kulturkreis sehr wichtig ist. Beispiele:
Die Dialektik mit dem Dreischritt These - Antithese - Synthese
Die Dreifaltigkeit im Christentum
Das Dreieck in der Mathematik seit Pythagoras als kleinste berechenbare Figur
In der Malerei: Farben lassen sich aus drei Grundfarben mischen

Speziell in der Musik: in der Mensuralnotation dominierten ternäre Aufteilungen über binäre (wenn mich mein Gedächtnis ans Notationskundeseminar nicht trügt ;)): tempus perfectum und prolatio perfecta waren zunächst häufiger anzutreffen, erst später setzte sich die binäre Aufteilung mit tempus imperfectum und prolatio imperfecta durch.

Und bis heute gibt es ja Taktarten, die auf 2 und auf 3 basieren. Also ist unsere heutige Praxis der Taktarten ein gutes Beispiel dafür, daß die Zahl 2 nicht die einzig beherrschende Zahl ist. Sie ist sehr dominant, ohne Frage: 6/8-, 12/8- oder 3/4-Songs in der aktuellen Popularmusik sind selten, aber vorhanden. Auch das Phänomen des Swing kann ja als ternäre, also auf Triolen basierend erklärt werden.

Ich verschiebe mal in die Musikwissenschaft, da es ja um das grundsätzliche Phänomen der Viererstrukturen geht und nicht um konkrete einzelne Stücke.

Harald
 
Ich habe wegen der starken Stellung der Zahl "3" etwas vorsichtig formuliert...

Klar, und ich habe dafür etwas poitiert formuliert ;), denn die Zwei ist doch die Grundlage - das einfachste überhaupt. Das kam mir ein bißchen zu kurz.
Mit der Zwei pendeln unsere Arme; mit der Zwei gehen wir; Menschen und Tiere paaren sich usw... Keine andere Zahl bietet so viele relevante Muster für das Weltverständnis. Die Zwei ist der Platzhirsch unter den Zahlen, der Marktführer...

Aber natürlich ist die Zwei nicht alles. Die Drei hat den zweitgrößten "Marktanteil" in der Musik. Wobei das Beispiel mit der Mensuralnotation sicher auf die Besonderheit der christlich geprägten Kultur zurückzuführen ist. Hier steht die Drei für den dreieinigen Gott. Im hochreligiösen Mittelalter kann die Brevis folgerichtig nur dann perfekt eingeteilt sein, wenn man sie durch drei teilt. Eine Teilung durch zwei wurde als imperfekt bezeichnet.

Dem TE ging es jedoch um Songstrukturen und die Wiederholung von Motiven in Musik. Er geht sicher von Musik aus, die eine klare Gliederung in Takten aufweist. In diesem Zusammenhang spielen die Gregorianischen Choräle keine bedeutende Rolle.

Da wo aber eine deutlich metrisch unterteilte Musik eine Rolle spielt, dürfte die Zwei dominieren, in allen Kulturen und zu allen Zeiten. Oder kann jemand Gegenbeispiele anführen?

Erstaunlich, daß selbst die Gesänge des Boethius - die offenbar später als Gregorianische Gesänge tradiert worden sind - am ehesten im 4/4-Takt stehen, trotz der starken Stellung der Drei:

Boethius hat seinen Gesängen eine sehr differenzierte rhythmische Struktur gegeben, die aus 1er-, 2er- und 3er-Elementen besteht. Er hat bevorzugt eine Einteilung benutzt, die unserem heutigen 4/4-Takt entspricht, der selbstverständlich natürlichen Schwankungen unterworfen war.
Quelle: Forschungsergebnisse des Instituts für Gregorianik-Forschung

Günter Sch.;5619517 schrieb:
Während der einstimmige, gregorianische gesang dem rhythmus der worte folgte

Interessanterweise heißt es im Satz vorher (obige Quelle):

Ähnlich klar durchstrukturiert ist der rhythmische Aufbau der Melodien. Es ist keineswegs der Text, der den zeitlichen Ablauf vorgibt.

Also, die meisten Lieder weisen geradzahlige Taktzahlen auf, möglicherweise sogar nur Potenzen der Zwei.

Ergebnisse eines Blätterns im Volkslied-Heft:
(Ich hoffe ohne Fehler)

4 x 4 Takte: Aus grauer Städte Mauern, Auf auf zum fröhlichen Jagen, Es blies ein Jäger wohl in sein Horn, Wenn wir erklimmen, Es steht eine Mühle im, Schwarzwälder Tal, Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, Die Gedanken sind frei, Freut euch des Lebens, Wir lagen vor Madagaskar, Siebzehn Mann, What shall we do
8 x 4 Takte: Schwer mit den Schätzen
4 x 4, 2 x 4 Takte: Ännchen von Tharau
3 x 4 Takte: Wir sind durch Deutschland gefahren, Hohe Tannen, In einem kühlen Grunde, De Hamborger Veermaster
3 x 4, 2 x 6: Ein Heller und ein Batzen
2 x 4, 2 x 6: Westerwald-Lied
4 x 4, 1 x 2 Takte: Am Brunnen vor dem Tore
2 x 4. 1 x 2 Takte: Königskinder
2 x 4, 2 x 5 Takte: Wir lieben die Stürme
2 x 5, 1 x 4, 1 x 5: Muß i denn

Interessanterweise gehorcht das wohl einfachste Kinderlied (Alle meine Entchen) nicht nur der Zwei:
1 x 4, 1 x 2, 1 x 4 Takte.
Hänschen klein hat wieder die 4 x 4 Struktur

Dies zeigt aber m.E., daß man eine von der Zwei abweichende Taktzahl nicht einfach als Selbstzweck einsetzen sollte, sondern mit Sinn und Verstand. Hier die Betonung des melodischen Höhepunkts in der Mitte des Lieds.

Viele Grüße

Klaus
 

Ähnliche Themen


Unser weiteres Online-Angebot:
Bassic.de · Deejayforum.de · Sequencer.de · Clavio.de · Guitarworld.de · Recording.de

Musiker-Board Logo
Zurück
Oben